Therapie - Vetstudy

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Gießen, xxxx
Krankenbericht
Der Bericht erfolgt über einen Patienten der Medizinischen Veterinärklinik I (Innere Krankheiten der Pferde) der
Justus-Liebig-Universität in Gießen.
Der Patient ist der Zuchthengst xxx von X aus Y.
Westerwald wurde, zum Zeitpunkt der Untersuchung an gerechnet, vor zweieinhalb Wochen in die Klinik
gebracht.
Die Untersuchung findet am xx.xx.2002 in der Zeit von 11 bis 12 Uhr in Box Nummer 5 statt.
Vorbericht
Das Pferd zeigte plötzlich hinten Ataxie und konnte keinen Urin mehr absetzen. Am Vortag war er noch geritten
worden und unauffällig. Seit zwei Monaten wird Westerwald regelmäßig in die Medizinische Veterinärklinik
gebracht, wo er aufgrund von Husten Inhalationsbehandlungen bekommt. Er ist mit Cortison vorbehandelt.
Impfungen gegen Tetanus und Herpesviren bestehen.
Signalement
Westerwald ist ein Warmbluthengst mit einem Stockmaß von ca.165 cm. Er trägt einen hannoverschen Brand.
Außerdem ist an der linken Halsseite eine 865 eingebrannt. Sein Alter schätze ich aufgrund der
Zahnaltersbestimmung auf 15 bis 18 Jahre (Alle Zähne sind gewechselt, er hat ein Winkelgebiß, die Form der
Reibeflächen ist rund bis dreieckig, die Kunden sind abgerieben). Der Hengst ist dunkelbraun und als
angeborene Kennzeichen trägt er medial auf der Stirn einen leicht herzförmigen Stern, von dem eine schmale
Blesse zur Nasenregion zieht. Um die Nüstern hat er einen weißen Fleck, der auf der rechten Seite bis zur
Oberlippe reicht, auf der linken Seite nur etwas seitlich zieht. Beide Hintergliedmaßen sind etwas unregelmäßig
halb weiß gefußt.
Allgemeinuntersuchung
Westerwald nimmt rege an der Umgebung teil und zeigt eine physiologische Haltung.
Der Allgemein-, Ernährungs-, und Pflegezustand sind als gut zu beurteilen. Die Pulsfrequenz beträgt 40 Schläge
pro Minute. Der Puls ist rhythmisch und kräftig; die Arteria facialis ist gut gespannt und gefüllt.
Die Atemfrequenz beträgt 16 Atemzüge pro Minute. Der Atemtyp ist costoabdominal und der Atemrhythmus ist
regelmäßig. Bei der Lungenauskultation sind keine pathologischen Atemgeräusche hörbar.
Die rektale Körperinnentemperatur beträgt 37,5 C. Die Körperoberflächentemperatur ist in Herznähe am
höchsten und nimmt zu den Akren hin ab.
Die Schleimhäute des Maules sind ohne besonderen Befund, das heißt, rosa-gelblichfarben (normal bei Pferden),
feucht, glatt, glänzend und ohne sichtbare Auflagerungen.
Die kapilläre Rückfüllungszeit liegt unter zwei Sekunden.
Die Episkleralgefäße sind normal gezeichnet und gefüllt.
Die Lnn. mandibularis sind ohne besonderen Befund; die Lnn. retropharyngeales sind nicht zu palpieren.
Spezielle Untersuchung
Haare, Haut, Unterhaut, sichtbare Schleimhäute
Das Haarkleid ist dicht und geschlossen und nicht vermehrt ausziehbar. Ektoparasiten sind nicht sichtbar.
Der Hautturgor ist erhalten, die unpigmentierten Anteile der Schleimhäute sind blaßrosa, feucht, glatt, glänzend
und ohne Auflagerungen. Es besteht eine kapilläre Rückfüllungszeit von weniger als 2 Sekunden, die
Episkleralgefäße sind normal gefüllt und abgrenzbar.
Kreislauf
Die Herzfrequenz beträgt 40 Schläge pro Minute. Die Anzahl der Herzaktionen und der Puls sind identisch. Die
Intensität ist akzentuiert, der Rhythmus ist regelmäßig, die Herzschläge sind abgesetzt und es sind keine
Nebengeräusche zu hören.
Die Vena jugularis ist adspektorisch und palpatorisch ohne besonderen Befund. Eine Kompression führt im
herzwärtigen Teil zum Abfließen und im kopfwärtigen Bereich zum Anstauen der Vene.
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Atmungsapparat
Die Atmung ist regelmäßig und rhythmisch. Der Atemtyp ist costo- abdominal.
Husten ist nicht auslösbar.
Die Atemluft riecht nach aromatisch; beide Nasenlöcher sind gleichmäßig belüftet.
Bei der Auskultation der Lunge sind keine unphysiologischen Atemgeräusche zu hören. Bei der durchgeführten
Lungenperkussion werden die physiologischen Lungengrenzen festgestellt.
Verdauungsapparat
Das Tier nimmt während der gesamten Untersuchung Heu auf, eine Wasseraufnahme wird nicht beobachtet.
Die Inspektion der Maulhöhle und des Pharynx ergibt keine pathologischen Befunde.
Die Bauchdecke ist weich.
Bei der Darmauskultation wird im rechten oberen Quadranten eine geringgradig herabgestzte Peristaltik
festgestellt. Alle anderen Quadranten werden aufgrund der Auskultation als physiologisch eingestuft.
Es liegt eine physiologisch übliche Menge Kot in der Box.
Harn- und Geschlechtsapparat
Ein Harnabsatz wird nicht beobachtet, laut Vorbericht ist er auch zur Zeit nicht selbständig möglich. Der Penis
wird teilweise ausgeschachtet, sichtbare Veränderungen sind nicht zu erkennen.
Bewegungsapparat
Alle vier Beine werden belastet, die Hinterbeine stehen allerdings sehr unsicher und es wird ein Schwanken
beobachtet. Die Beine sind nicht vermehrt warm, nicht schmerzhaft und weisen keine Umfangsvermehrungen
auf. Einzelne Schritte in der Box sind möglich, wenn auch mit den Hintergliedmaßen sehr unsicher. Trotzdem
werden die Hufe richtig aufgesetzt. Die Kruppenmuskulatur erscheint mir etwas verhärtet zu sein.
Nervensystem
Die Hengst nimmt seine Umgebung aufmerksam wahr, ist dabei aber ruhig.
Fluchtreflex, Augen- und Ohrenreflexe sind erhalten. Die Beweglichkeit des Schweifes ist herabgesetzt. Die
Oberflächen- und Tiefensensibilität ist erhalten, im caudalen Bereich jedoch herabgesetzt.
Sinnesorgane
Westerwald reagiert auf visuelle und akustische Reize. Ziliar-, Corneal- und Pupillarreflex sind vorhanden.
Eine Untersuchung der Augen und Ohren erfolgt ohne besondere Ergebnisse.
Diagnose
Enzephalomyelitis, vermutlich verursacht durch eine EHV-1- Infektion.
Differentialdiagnosen
Equines Arteritis Virus
Trauma
Epikrise
Die equinen Herpesviren gehört zur Gruppe der DNA- Viren. Es sind behüllte Doppelstrangviren. Sie werden
aufgeteilt in equines Herpesvirus (EHV) 1 bis 5. EHV-1, 3 und 4 gehören zu den Alphaherpesviren, EHV-2 zu
den Betaherpesviren.
Das equine Herpesvirus-1 ist ein ubiquitär vorkommendes Virus, das Pferde, Esel und Maultiere befällt.
Betroffen sind alle Altersstufen, der Verlauf der Krankheit ist aber bei adulten Tieren und Fohlen
unterschiedlich. Die Übertragung findet vorzugsweise über die Schleimhäute des Respirations- und
Genitaltraktes statt. Die Übertragung erfolgt direkt durch Kontakt, aerogen oder indirekt z.B. über Futter,
Wasser oder Stallgeräte. Die Infektion wird verbreitet über Dauerausscheider, die persistent infiziert sind. Es
kann auch intrauterin übertragen werden. Das EHV-1 besitzt eine hohe Tenazität und ist gegen Austrocknung,
normale und niedrige Temperaturen sehr widerstandsfähig. Oft verlaufen die Infektionen ohne klinische
Symptome.
Die neurologische Form ist noch sehr unerforscht. Sie tritt bei Pferden auf, die öfters Kontakt mit EHV hatten.
Dies führt zu einer Schwächung der Abwehr. Die Infektion mit dem Virus führt zu einer akuten Entzündung der
Gefäße mit ischämischen Läsionen im ZNS. Meistens erkranken erwachsene Pferde an dieser Form, die mit
Abortstuten oder Pferden, die die respiratorische Form haben, in Kontakt kamen. Der neurologischen Form geht
oft die respiratorische voraus. Meistens ist dann eine Ataxie der Hinterhand zu beobachten. Auch kann es zu
Harninkontinenz oder der Unfähigkeit, Urin abzusetzen, Penisvorfall und manchmal Festliegen kommen.
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Bei Fohlen erfolgt die Infektion meist im Absetzalter. Die Inkubationszeit beträgt 3 - 10 Tage. Es handelt sich
hier fast immer um eine respiratorische Form mit Fieber und Katarrh der Atemwege. Wenn keine
Komplikationen durch bakterielle Sekundärinfektionen hinzukommen, heilt die Erkrankung nach 1 - 5 Wochen
ab.
Neben dieser unter dem Begriff Rhinotracheitis bekannten Erkrankung des Respirationstraktes kann das Virus
bei trächtigen Stuten auch Aborte oder Frühgeburten auslösen. Es handelt sich hierbei meist um klinisch
inapparente Infektionen. Das Verwerfen erfolgt in der Regel zwischen dem 7. und 10. Trächtigkeitsmonat, aber
auch lebensschwache Fohlen können im Anschluß an diese Virusinfektion geboren werden. Diese Fohlen
sterben meist innerhalb von 3 Tagen post partum. Der Abort kündigt sich beim Muttertier nicht an, sondern tritt
plötzlich ein. Dabei treten an der Stute keinerlei weitere Krankheitserscheinungen auf. Der Abort bzw. die
Frühgeburt erfolgen in der Regel komplikationslos. Die abortierten Feten sind im Gegensatz zu bakteriellen
Abortursachen (Salmonellen, Streptokokken, E. coli, u.a.) nicht einer Autolyse unterworfen. Außerdem erfolgen
Bakterienaborte im allgemeinen früher als Virusaborte (z.B. Salmonellenabort zwischen dem 6. und 10. Monat
und Streptokokkenabort zwischen dem 4. und 7. Monat).
In den abortierten Feten findet man nach einem Virusabort typische Veränderungen. Die Körperhöhlen (Brustund Bauchhöhle) sind flüssigkeitsgefüllt, Lungenödeme sind charakteristisch und man findet fast immer
Blutungen im Bauchfell und einen Ikterus. Daneben findet man intranucleäre Einschlußkörperchen in der Leber.
Hieraus läßt sich das Virus auch isolieren, wie auch aus Nasentupferproben in der Zellkultur. Serologisch sind
Antigen-Nachweise mittels Immunfluoreszenz und Antikörper-Nachweise mit Hilfe von VirusNeutralisationstests möglich. Der seuchenhafte Virusabort verursacht durch EHV-1 ist von großer
wirtschaftlicher Bedeutung. Die Infektion pflegt sich sehr rasch und unbemerkt in Stutenherden auszubreiten, in
denen die meisten Muttertiere klinisch nicht erkranken. Bei einer vorbeugenden Impfung ist es daher unbedingt
notwendig, alle Tiere eines Bestandes zu impfen. Die Diagnose für eine EHV- Infektion wird durch
Erregerisolierung aus Abortmaterial oder Tupfer- und Spülproben bei respiratorischer Erkrankung gemacht.
Alle einmal infizierten Tiere bilden ein Virusreservoir, weil die lebenslang persistierende Infektion bei
Resistenzminderung wieder aktiviert werden kann und es dann zur Ausscheidung kommt (typisch für
Herpesviren). Diese persistierende Infektion kann durch Streß wie Turniere, Stallwechsel, Krankheit oder
Überforderung wieder reaktiviert werden. Vor allem im Herbst und Winter, wenn Stuten und Jährlinge von der
Weide in den Stall kommen und viele Pferde auf kleinerem Raum Kontakt haben, sind in viele Virusaborte zu
beobachten. Auch bei Turnieren, Zuchtschauen und Pferderennen ist das Ansteckungsrisiko sehr hoch.
Rennpferde sind, wenn sie infiziert sind, meist von der respiratorischen Form betroffen.
Eine equine Arteritis Virusinfektion kann ausgeschlossen werden, da sie Ödeme an Gliedmaßen, Augenlid,
Bauch und Genitalien auslöst und nicht nur auf die Hinterhand beschränkt ist. Sicherheit bringt ein
Virusnachweis.
Auch ein Trauma ist unwahrscheinlich, es wäre wahrscheinlich schmerzhaft.
Therapie
Auf alle Fälle sollte das Pferd von anderen Tieren isoliert werden. Um eine Verbreitung des Virus zu verhindern,
sollte der Stall des Hengstes sorgfältig desinfiziert werden, ebenso Kleidung und Schuhwerk des Personals. Da
das Virus über Haare, Kleidung und Arbeitsgerät übertragen werden kann, ist äußerste hygienische Sorgfalt des
Pflegepersonals notwendig, wenn es mit dem betroffenen und gesunden Tieren zu tun hat.
Die Bekämpfung der Rhinopneumonitis und des Virusaborts der Stuten erfordert neben allgemeinen
seuchenhygienischen Maßnahmen auch eine konsequente Immunprophylaxe. Um einen ausreichenden
Immunschutz aufrechtzuerhalten, müssen die Schutzimpfungen regelmäßig alle 6 Monate wiederholt werden
und besonders bei tragenden Stuten darauf ausgerichtet sein, genügend neutralisierende Antikörper aufrecht zu
erhalten. Unbedingt notwendig ist es auch, Deckhengste regelmäßig zu impfen, um eine Übertragung beim
Deckakt auf die Stuten zu minimieren.
Eine Immunität kann bei Fohlen und älteren Pferden i. d. R. nicht Infektionen mit Feldviren und ihre
darauffolgende Persistenz im Organismus verhindern, schützt aber gegen ernstere respiratorische Erkrankungen
und bedingt vor Aborten.
Da zwischen EHV-1 und EHV-4 eine günstige Kreuzimmunität besteht, wird dies mit den derzeit verfügbaren
Vakzinen, die überwiegend EHV-1-Antigene, teilweise zusätzlich auch eine EHV-4- Komponente enthalten,
erreicht.
Zur Verfügung stehen Lebendimpfstoffe aus gut attenuierten EHV-1 -Stämmen (Prevaccinol) und Impfstoffe
aus inaktivierten Viren, letztere meist in Kombinationsvakzinen (Resequin) formuliert.
Durch entsprechende Impfprogramme kann bei Fohlen wie auch älteren Pferden ein Schutz vor
Atemwegserkrankungen, bei Stuten ein Schutz gegen den Virusabort erwartet werden. Wichtige
Voraussetzungen dafür sind die Grundimmunisierung und regelmäßige Wiederimpfung aller Pferde des
Bestandes und die Einstellung nur ausreichend immunisierter Tiere. Der Abstand zwischen den Impfungen ist
individuell verschieden. Junge Pferde, die viel Kontakt zu anderen (fremden) Pferden haben, können alle 3 bis 4
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Monate geimpft werden. Ebenso trächtige Stuten. Für andere Pferde reicht eine Impfung alle 6 Monate vielleicht
aus.
Westerwald bekommt gegen seine neurologischen Erscheinungen 3 mal täglich 8 bis 25 ml Thiamin (z.B. BNeuron). 2 mal täglich wird er kathetherisiert, damit der Urin abfließen kann. Zur Prophylaxe gegen
aufsteigende Infektionen bekommt er Sulfonamide (z.B. Sulfadimidin, 100 mg/kg KM). Damit eine
überschießende Immunreaktion keine Vaskulitis hervorruft, werden zur Unterdrückung Corticosteroide gegeben
(z.B. Prednisolon, 0,2 bis 0,5 mg/kg KM i.m.).
Prognose
Die Prognose ist vorsichtig zu stellen. Da eine Herpesvirusinfektion bei Westerwald eigentlich nicht festgestellt
wurde, muß sein Zustand ständig beobachtet werden. Wenn keine Besserung eintritt, sollten weiterführende
Untersuchungen gemacht werden, die vielleicht auf eine andere Ursache der Erkrankung hinweisen (Blutbild,
Röntgen der Wirbelsäule). Der Hengst sollte vorerst aus der Zucht genommen werden, bis er wieder vollständig
gesund und keine Viren nachweisbar sind.
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