1 Prof. Dr. Johannes Becker Vorlesung Soziale Kognitionen, Textbuch Kunda, Z., social cognition, 1999, WS 2007/8 I Konzepte Definition Konzepte, die Bausteine unserer Kognitionen, sind mentale Repräsentationen von Kategorien, d.h. Klassen von Objekten, von denen wir glauben, dass sie zusammen gehören. Funktion Funktionen von Konzepten sind Klassifikation, Erschließung zusätzlicher Merkmale, Aufmerksamkeitslenkung und Interpretation, Kommunikation und logisches Denken. Konzeptaktivation Aus den vielen Konzepten, die Menschen besitzen, müssen Konzepte ausgewählt werden, wenn es darum geht, eine soziale Situation zu verstehen. Dies ist der Vorgang der Konzeptaktivation. Aktiviert werden Konzepte durch wahrgenommene Reizmerkmale, deren Auffälligkeit, Priming von Konzepten, chronische Zugänglichkeit von Konzepten und Ziele. Struktur der mentalen Repräsentation von Konzepten Klassischer Ansatz: Konzepte sind repräsentiert durch eine Menge einzeln notwendiger und insgesamt hinreichender Merkmale, so genannte definierende Merkmale. Probabilistischer Ansatz: Definierende Merkmale sind für soziale Kategorien kaum zu finden. Kategorienmitglieder variieren in ihrer Typikalität für die Kategorie. Typische Merkmale sind solche, die die meisten aber nicht alle Mitglieder einer Kategorie besitzen. Dadurch kommt es zu abgestufter Mitgliedschaft und unbestimmten Kategoriengrenzen. Es gibt Objekte, deren Kategorienzugehörigkeit unklar ist. Die Mitglieder einer Kategorie sind einander ähnlich aber nicht identisch. Wittgenstein hat dafür den Begriff der Familienähnlichkeit geprägt. Die Klassifikation von Objekten erfolgt auf der Basis von Ähnlichkeit. Konzepte als Theorie basiert: Konzeptrepräsentationen enthalten neben dem Wissen zu typischen Merkmalen auch kausales Wissen. Dieses Wissen wird bei der Klassifikation eingesetzt. Organisation der Konzepte 2 Konzepte haben eine hierarchische Organisation beginnend mit sehr spezifischen, engen Konzepten bis zu sehr abstrakten Konzepten. Eine herausgehobene Ebene in der Hierarchie ist die basic level Ebene. Diese Ebene ist die höchste Ebene, auf der Kategorien viele Merkmale haben, die sich von denen anderer Kategorien unterscheiden und auf der man ohne Mühe eine Vorstellung erzeugen kann, die für die Kategorie als Ganzes steht. Das am meisten verbreitete Modell der mentalen Repräsentation von Konzepten ist das assoziative Netzwerkmodell. Esbetrachtet mentale Repräsentationen als Netzwerk von Knoten, die miteinander verbunden sind. Ein Knoten kann ein Merkmal, ein Konzept oder eine Proposition repräsentieren. Die Verbindungen repräsentieren Assoziationen. Je nach Stärke der Assoziation sind die Verbindungen enger oder weniger eng. Jeder Knoten ist in einem Zustand höherer oder geringerer Aktivation. Je höher die Aktivation ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er in das Bewusstsein tritt. Aktivation läuft von einem aktivierten Knoten über die Verbindungen zu benachbarten Knoten und aktiviert diese. Konnektionistische Modelle Im assoziativen Netzwerk heißt über eine Idee denken oder sich an sie erinnern, einen Knoten zu aktivieren. Es handelt sich um ein System mit lokaler Repräsentation. Ein Knoten steht für eine Idee oder einen Inhalt. Im konnektionistischen System ist die Repräsentation verteilt. Eine bestimmte Idee ist nicht durch einen Knoten repräsentiert sondern durch ein Muster von Aktivation über das Netzwerk hinweg. Das Konzept „Geburtstag“ ist beispielsweise repräsentiert durch die Aktivation von Knoten „1,4,6,9“, das Konzept Computer durch die Knoten „3,6,11,12“. Knoten 6 gehört zu beiden Mustern und zusätzlich vielleicht noch zu weiteren. Das bedeutet aber, dass eine verteilte Repräsentation verteilte Prozesse impliziert, die gleichzeitig ablaufen, d.h. parallele Verarbeitung, wodurch ein aktiviertes Konzept ein weiteres elegant aktivieren kann. II Heuristiken: Definition Heuristiken sind Daumenregeln, die bei der Lösung von Problemen, also beim Denken angewendet werden. Im Gegensatz zu Algorithmen führen sie nicht immer, doch häufig zu richtigen Lösungen. Andererseits sind sie für systematische Denkfehler verantwortlich. Beispiel: Beim Schätzen etwa, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Objekt zu einer bestimmten Kategorie gehört oder ein bestimmtes Ereignis durch einen bestimmten Prozess erzeugt wurde, wird die Repräsentativitätsheuristik (Ähnlichkeitsheuristik) angewendet (Kahneman & Tversky ist). 3 Repräsentationsheuristik: Schätzungen basieren darauf, wie ähnlich ein Beispiel einer Kategorie oder einem Prozess ist, bzw. wie repräsentativ das Beispiel für die Kategorie oder den Prozess ist (Sinologiebeispiel, Geburtenbeispiel) Repräsentativität ist häufig eine gute Basis für Schätzungen insbesondere im Objektbereich, bei sozialen Kategorien wegen der geringeren Diagnostizität der Kategorienmerkmale für die Kategorienmitgliedschaft weitaus weniger. Ein mit der Anwendung der Repräsentativitätsheuristik häufig einhergehender systematischer Fehler ist die Ignorierung der a priori Wahrscheinlichkeiten oder Grundraten der Kategorien in der Population. Repräsentativitätsheuristik und Kausalattribution Normatives Modell der Kausalattribution ist nach Kelley das Kovariationsmodell. Auf drei Faktoren basiert danach eine Kausalzuweisung. Distinktheit: Tritt ein Effekt nur in Gegenwart einer potentiellen Ursache auf? Konsistenz: Tritt der Effekt wiederholt in Gegenwart der potentiellen Ursache auf? Konsensus: Reagiert jeder auf die potentielle Ursache in gleicher Weise? Konsensus als Grundrate Konsensusinformationen stellen eine Art von Grundrateninformation dar. Als solche werden sie häufig ignoriert. Stattdessen beruht die Ursachenzuweisung auf der Repräsentativitätsheuristik. Wichtige Implikation der Nichtbeachtung von Konsensusinformationen: Unterschätzung der Bedeutung, die situative Aspekte für das menschliche Handeln haben. Eine besondere Art von Konsensusinformationen sind Stereotype. Der Dilution-Effekt besagt, dass individuumsbezogene Informationen den Effekt von Stereotypen abschwächen aufgrund der Wirkung der Repräsentativitätsheuristik. Mit der Anwendung der Repräsentativitätsheuristik verbundene Urteilsverzerrungen Ignorierung der Stichprobengröße Je kleiner Stichproben sind, desto stärker sind ihre Abweichungen von den Gegebenheiten der Population, der sie entstammen. Zugunsten der Repräsentativitätsheuristik werden diese Abweichungen ignoriert. Mangelndes Verständnis für die Eigenschaften von Zufallsprozessen Darüber, ob Prozesse Zufallscharakter haben oder nicht, wird anhand der Ähnlichkeit eines beobachteten Prozesses zur mentalen Repräsentation des Konzepts Zufall entschieden. Übersehen von Regressionseffekten Variationen in erbrachten Leistungen werden nicht auf Zufallsschwankungen zurückgeführt sondern kausal interpretiert. 4 Der Konjunktionsfehler Die Wahrscheinlichkeit von zusammengesetzten Ereignissen wird höher eingeschätzt als die der Einzelereignisse, was gegen die Wahrscheinlichkeitstheorie verstößt. Faktoren, die über die Wahl von Heuristiken entscheiden - allgemeines Wissen über den Gegenstandsbereich - kontextuelle Informationen - statistisches Wissen Die Verfügbarkeitsheuristik Wenn Urteile über Auftretenshäufigkeiten von Ereignissen zu fällen sind, suchen Menschen sich an entsprechende Ereignisse zu erinnern. Ihre Urteile basieren sie auf der Leichtigkeit, mit der ihnen dies gelingt. Die Verfügbarkeitsheuristik ist keine schlechte Strategie, weil man sich an Ereignisse, denen man häufiger begegnetist, besser erinnern kann. Leider hängt die Leichtigkeit, mit der man sich Beispiele für ein Ereignis vorstellen kann auch von Faktoren ab, die in keiner Beziehung zur Häufigkeit stehen. Verfügbarkeit von Beispielen ist dann ein schlechter Indikator der Häufigkeit von Beispielen, wenn die erinnerten Fälle eine verzerrte Stichprobe darstellen. Dafür kann unterschiedliche Auffälligkeit von Wahrnehmungen verantwortlich sein. Sie führt auch zur egozentrischen Verzerrung bei Urteilen, die auf Beobachtungen des eigenen Verhaltens basieren. Verzerrungen sind auch dann möglich, wenn die Gesamtheit der Fälle, die wir erinnern, keine verzerrte Stichprobe darstellt, da die mentale Zugänglichkeit, also das Ausmaß der Aktiviertheit der einzelnen Fälle temporär schwankt. Die Anker-Anpassungsheuristik Wenn Menschen numerische Urteile fällen, suchen sie nach einem Ausgangswert für ihr Urteil, den sie dann in einem zweiten Schritt für ihr Urteil einer Anpassung unterziehen. Dabei werden auch solche numerischen Informationen als Ausgangswert gewählt, die für das Urteil völlig irrelevant sind. III Hypothesen prüfen, Erklären, kontrafaktisches Denken Einer der Wege, auf denen Menschen zu ihrem sozialen Wissen gelangen, ist die Prüfung von Hypothesen. Die dabei verfolgte Strategie oder Heuristik wird als positive Teststrategie bezeichnet. Ihre Anwendung ist mit der Tendenz verbunden, die überprüfte Hypothese zu bestätigen oder zu konfirmieren. 5 Der Grund ist, dass die formulierte Hypothese, die es zu prüfen gilt, die Suche nach Informationen für die Prüfung in Richtung bestätigende Informationen lenkt. Dies gilt für die Suche unter gespeicherten Informationen wie nach externen Informationen. Hypothesenbestätigung wird auch bei Evaluationen der eigenen Person beobachtet und nicht nur bei Evaluationen anderer Personen. Mit der Anwendung der positiven Teststrategie lassen sich Phänomene wie die Abhängigkeit von Präferenzen von der Formulierung der Frage, die Verschlechterung von Vorhersagen über das eigene Verhalten und die „Entdeckung“ nicht vorhandener Zusammenhänge oder Korrelationen zwischen Merkmalen oder Ereignissen erklären. Auf Erklärungen beruhende Urteile Belege für oder gegen eine Hypothese werden nicht addiert sondern zu einer Geschichte zusammengefügt, die die einzelnen Argumente miteinander verbindet. Je nach Sichtweise werden die einzelnen Fakten unterschiedlich interpretiert, so dass Geschichten mit unterschiedlichen Erklärungen eines Geschehens entstehen können. Die Geschichte mit den am meisten kohärenten Erklärungen wird bevorzugt. Kohärente Erklärungen sind solche, die viele Belege auf einmal erklären. Einfache Erklärungen sind solche, die nur wenige Zusatzerklärungen benötigen. Kontrafaktisches Denken Ereignisse führen bei Menschen zu kontrafaktischem Denken, das einen gegenläufigen Ausgang des Ereignisses konstruiert. Dieses kontrafaktische Ereignis beeinflusst unsere Interpretation des wahren Ereignisses und unsere emotionalen Reaktionen auf das wahre Ereignis. Einige kontrafaktische Konstruktionen sind für uns leichter vorzustellen als andere. Ereignisse, die leicht kontrafaktisch vorstellbar sind, werden abnormal genannt. Jedes Ereignis löst in uns eine Bewertung aus, seine Norm. Die Norm drückt vorherige Erwartungen und kontrafaktisches Denken aus. Je stärker ein Ereignis von seiner Norm abweicht, desto abnormer ist es und desto stärkere emotionale Reaktionen löst es aus. Determinanten von Normurteilen sind - Nähe der gegenläufigen Konstruktion zum aktuellen Ereignis Ausnahme gegenüber Routine Aktivität gegenüber Inaktivität. Leichtigkeit der mentalen Wiederholung eines Ereignisses. Funktion kontrafaktischen Denkens Lernen aus gemachten Fehlern. 6 IV Gedächtnis: Rekonstruktion der Vergangenheit Erkenntnis der Gedächtnispsychologie: Grundsätzlich sind Erinnerungen keine exakten Aufzeichnungen der Vergangenheit, wie sie beispielsweise ein Tonband von einem früheren Gespräch liefert. Sie werden vielmehr im Prozess des Erinnerns rekonstruiert. Die Rekonstruktion ist abhängig davon, wie die Ereignisse zum Zeitpunkt des Geschehens wahrgenommen und interpretiert wurden, vom Verständnis zum Zeitpunkt der Erinnerung sowie Zielen und Stimmungen der erinnernden Person. Erinnerungen als Funktion der Informationsverarbeitung zum Zeitpunkt der Wahrnehmung - Erwartungen steuern die Interpretation von Wahrnehmungen. - Erwartungen steuern die Wahrnehmung dadurch, dass sie bestimmen, welche Aspekte der Realität beachtet werden. Beachtet werden erwartungskongruente und –inkongruente Informationen. - Ziele steuern die Informationsverarbeitung, z.B. das Ziel sich einen Eindruck von einer Person zu verschaffen. - Emotionale Bedeutung eines Ereignisses erhöht die Erinnerungsleistung Erinnerungen als Funktion der Informationsverarbeitung zum Zeitpunkt des Gedächtnisabrufs - Erwartungen zum Zeitpunkt des Abrufs steuern, welche gespeicherten Informationen abgerufen werden. - Erwartungen zum Zeitpunkt des Abrufs steuern die Interpretation des damaligen Ereignisses - Erwartungen zum Zeitpunkt des Abrufs steuern die Ergänzung von Erinnerungslücken. Erinnerungen an vergangene Eindrücke von einer Person Solche Erinnerungen müssen oft rekonstruiert werden, da sie entfallen sind. Basis für die Rekonstruktion sind - Momentaner Eindruck von einer Person - Implizite Annahmen über Stabilität und Wechsel im eigenen Verhalten. Der Rückschaueffekt Erinnerungen an vorherige Erwartungen über die Folgen von Entscheidungen passen sich nach Kenntnis der eingetretenen Folgen an diese an. 7 Einfluss momentaner Ziele und Stimmungen auf Erinnerungen - zielkongruente Erinnerungen - stimmungskongruente Erinnerungen - stimmungsabhängige Erinnerungen. Quellengedächtnis Wie unterscheiden Menschen zwischen der Erinnerung an ein reales Ereignis und einer eingebildeten Vorstellung? Hinweise auf reale Ereignisse sind unter anderem eine größere Zahl temporaler und räumlicher, also perzeptiver Hinweise. Dennoch kommt es zu Verwechslungen von Imagination und Realität, beispielsweise, wenn eine Vorstellung oft mental durchgespielt wurde. Ein in diesem Zusammenhang viel diskutiertes Phänomen ist die Möglichkeit, durch Suggestion etwa im Rahmen einer Therapie falsche Erinnerungen zu erzeugen. Nicht selten wird die Quelle einer Erinnerung vergessen oder eine richtige Erinnerung einer falschen Quelle zugeordnet. Ein Beispiel dafür ist der sog. Sleepereffekt. V „Heisse“ Kognitionen: Motivation und Affekt Grundsätzlich können kognitive Prozesse durch motivationale und affektive Zustände beeinflusst werden. Solche Kognitionen bezeichnet man als „heiße“ (hot) Kognitionen im Gegensatz zu intellektuellen, informationsgetriebenen Prozessen, die als „kalte“ Kognitionen (cold) bezeichnet werden. Die Wirkung von Motivation und Affekt auf Urteile besteht darin, dass sie Einfluss nehmen darauf, welche Konzepte, Meinungen und Regeln für das Urteil aktiviert werden. Motivierende Ziele Direktionale Ziele Ein direktionales Ziel ist das Ziel, zu einer bestimmten und keiner anderen Schlussfolgerung zu gelangen. Dass solche Ziele Urteile beeinflussen können, zeigt das Phänomen der Ergebnisabhängigkeit: Personen, von denen wir abhängig sind bezüglich der Erreichung eines wichtigen Ziels, werden in einem günstigen Licht gesehen. Erregung Eine zu eigenen Einstellungen dissonante Handlung führt zur Veränderung der Einstellung im Sinne einer Anpassung an die Handlung, um eine unangenehme Spannung oder Dissonanz zu reduzieren. Ausschlaggebend für die Einstellungsänderung ist die Wahrnehmung einer Erregung der eigenen Person 8 verbunden mit dem Glauben, dass diese durch das zur Einstellung gegenläufige Verhalten verursacht worden ist. Selbstbestätigung Ein anderer motivationaler Mechanismus, der zur Einstellungsänderung führt, ist Selbstbestätigung. Wenn das gezeigte Verhalten nicht derart schlecht ist, bin ich als Person auch nicht derart schlecht.. Mechanismen motivational gelenkten Überlegens Gedächtnissuche und Konstruktion entsprechender neuer Meinungssysteme können motivational gesteuert sein. Genauigkeitsziele Im Gegensatz zu einem direktionalen Ziel, bei dem man motiviert ist, zu einem bestimmten Schluss zu kommen, ist man beim Genauigkeitsziel motiviert, zu dem bestmöglichen Schluss zu gelangen. Ziel, zu einem klaren Schluss zu kommen Ein motivierendes Ziel kann auch sein, zu einem Abschluss des Reflektierens bzw. zu einem Urteil zu gelangen. Affekt Unsere Urteile tendieren dazu, mit unseren Stimmungen konform zu gehen. Der Grund ist, dass wie schon erwähnt Stimmungen kongruente Gedächtnisinhalte abrufen. Wenn wir aber erkennen, dass unsere momentane Stimmung für das verlangte Urteil keinen Informationswert hat, können wir diesen Einfluss vermeiden. Darüber hinaus beeinflussen Stimmungen unsere Wahl von kognitiven Strategien. In guter Stimmung bevorzugen wir heuristische, Daumenregel orientierte Informationsverarbeitung, In schlechter Stimmung bevorzugen wir systematische Informationsverarbeitung. VI Automatisierung kognitiver Prozesse Grundsätzlich wird zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Prozessen unterschieden: automatisch ablaufende mentale Prozesse sind unbewusst, laufen ohne Intention ab, sind nicht kontrollierbar aber effizient, d.h. setzen keine großen kognitiven Ressourcen voraus. Kontrollierte Prozesse laufen bewusst ab, sind intentional, kontrollierbar und ressourcenabhängig. Automatische Prozesse sind die Basis dafür, dass unsere Urteile, Gefühle und unser Verhalten durch Bedingungen beeinflusst werden, von denen wir nichts wissen. Daher müssen die Gründe, die Personen für ihr Handeln angeben, nicht diejenigen sein, die dieses Handeln bewirkt haben. Diverse soziale Phänomene können mit der Existenz unbewusster Prozesse erklärt werden. 9 Begrenzte Introspektion Viele kognitive Prozesse sind unserer Introspektion nicht zugänglich. Daher sind uns oft Fakten, die unser Verhalten beeinflussen nicht bewusst und unsere Handlungsbegründungen entsprechend fehlerhaft. Implizites Gedächtnis Man unterscheidet zwischen explizitem und implizitem Gedächtnis. Inhalte des expliziten Gedächtnisses werden durch direkte Gedächtnistests abgerufen, die eine direkte Aufforderung, sich zu erinnern enthalten (Erinnern, Wiedererkennen). Implizite Gedächtnisinhalte werden durch indirekte Tests abgerufen, die keine solche Aufforderung enthalten. Beispiele sind Wortfragment- und Wortstammergänzung aber auch Fahrradfahren. Eine Dissoziation von explizitem und implizitem Gedächtnis liegt vor, wenn ein Gedächtnisinhalt nicht erinnert aber für eine Aufgabe benutzt wird, z.B. ein wahrgenommenes Wort nicht wieder erkannt wird, aber als Ergänzung eines Wortfragments benutzt wird. Subliminale Wahrnehmung Reize können so kurz dargeboten werden (im Millisekundenbereich), dass der Inhalt nicht erkannt werden kann. Dennoch wirken dargebotene aber nicht erkannte Wörter als prime oder lösen ein prming durch diese Wort aus, das verschiedene Maße wie Wortstammergänzung oder Handlungsinterpretation beeinflusst. Der bloße Darbietungseffekt Die subliminale aber auch überschwellige Darbietung von Reizen wie geometrische Figuren, chinesische Schriftzeichen, Gesichter usw. führt zu einem Sympathiezuwachs für diese Reize als Folge des für sie registrierten Vertrautheitszuwachses durch erhöhte Verarbeitungsflüssigkeit. Effizienz Auf eine automatische Komponente eines kognitiven Prozesses kann neben dem Merkmal mangelnder Bewusstheit geschlossen werden, wenn dieser Prozess durch Zeit- oder Ressourcenknappheit nicht beeinträchtig wird. Reaktionen, die durch solche Knappheit nicht tangiert werden, sind affektive Reaktionen auf Objekte im Sinne von positiver oder negativer Stellungnahme. Eine weitere Reaktion ist die Ursachenzuweisung oder Attribuierung. Sie beginnt mit einer Kategorisierung eines beobachteten Verhaltens z.B. als aggressiv gefolgt von einer Charakterisierung der ausübenden Person als z.B. aggressiv. Beide Prozesse sind automatisiert. Das Attributionsergebnis wird in einer dritten Phase aufgrund von Nachdenken einer Korrektur unterzogen. Dieser Prozess ist kontrollierter Natur und wird durch Knappheit beeinträchtigt, was für den fundamentalen Attributionsfehler mit verantwortlich ist. 10 Analog kann die Hyperzugänglichkeit unterdrückter Gedanken bei Eintritt von Knappheit erklärt werden damit, dass die Suche nach ablenkenden Gedanken ein kontrollierter Prozess ist, die Überwachung des Gedankenstroms auf den zu unterdrückenden Gedanken dagegen ein automatischer Prozess. Schließlich informieren uns automatisierte emotionale Reaktionen über Bedrohungen, die als solche kognitiv noch nicht erkannt worden sind. VII Wissen über Andere Wissen über Andere ist die Basis sozialen Handelns. Auch wenn es sich in vielen Situationen als durchaus zutreffend erwiesen hat, wurden in manchen Situationen systematische Verzerrungen in diesem Wissen beobachtet. Falsche Übereinstimmung Eigene Wahlen, Einstellungen und Ansichten verzerren Schätzungen der Reaktionen anderer Menschen. Die eigenen Reaktionen werden als relativ verbreitet, alternative Reaktionen als weniger verbreitet eingeschätzt. So glauben Optimisten, dass Optimismus verbreiteter ist als Pessimismus. Faktoren, die zu diesem Effekt beitragen, sind die Tatsache, dass wir häufiger mit Menschen zusammen sind, die ähnliche Meinungen haben wie wir und dass wir unsere Reaktionen positiver sehen, wenn wir glauben, dass viele Menschen sie zeigen. Pluralistische Ignoranz Unter bestimmten Bedingungen zeigt sich jedoch eine gegenläufige Tendenz. Häufig verkennen Menschen, dass andere Menschen ihre privaten Reaktionen teilen. Beispielsweise gibt es Menschen die innerlich die Norm einer Gruppe, der sie angehören und die bestimmtes Verhalten verbietet (.B. Trinken von Alkohol), ablehnen. Sie halten sich aber in der Öffentlichkeit an sie aus Furcht vor Ablehnung. Von den anderen Gruppenmitgliedern glaubt man aber, dass sie die Gruppennorm auch innerlich akzeptieren, weil sie sich in der Öffentlichkeit daran halten. Eine Folge pluralistischer Ignoranz ist Konformität. Man hält an normorientiertem Verhalten fest, obwohl man die Norm innerlich ablehnt. Konsistenz von Persönlichkeitsmerkmalen Persönlichkeitsmerkmale wie „intelligent“ werden bevorzugt zur Beschreibung von Menschen verwendet. Die Zuweisung von Persönlichkeitsmerkmalen aufgrund der Beobachtung eines bestimmten Verhaltens in einer bestimmten Situation ist mit zwei Annahmen verbunden - Personen verhalten sich zu einem späteren Zeitpunkt in einer gleichen Situation entsprechend (temporale Stabilität oder Konsistenz) - Personen verhalten sich auch in anderen Situationen entsprechend diesem Persönlichkeitsmerkmal (crosssituationale Konsistenz), für die das Merkmal von Bedeutung ist. 11 Wenn diese beiden Annahmen nicht zutreffen, ist die Erklärung von Verhalten mit Persönlichkeitseigenschaften bedeutungslos, da keine Schlüsse von momentanem Verhalten auf zukünftiges Verhalten gezogen werden können. Untersuchungen haben ergeben, dass die temporale Konsistenz zufriedenstellend, hingegen die crosssituationale Konsistenz minimal ist. Beispielsweise hat sich herausgestellt, dass Schüler, die bei Prüfungen nicht täuschen, durchaus Geld aus einer Geldbörse stehlen. Schüler, die in einer bestimmten Situation sich ehrlich, müssen dies nicht in einer anderen Situation, in der man sich ehrlich verhalten kann, tun. Auf der Basis eines in einer bestimmten Situation erschlossenen Persönlichkeitsmerkmals können Menschen keine Vorhersagen des Verhaltens in anderen Situationen treffen. Auch die Annahme, dass Menschen die Fähigkeit haben, auf der Basis zeitlich kurzer (30 Sekunden) Beobachtungen nonverbalen Verhaltens einen zutreffenden Eindruck von einem Menschen zu bilden, auf dessen Basis Vorhersagen getroffen werden können, hat sich nicht bestätigt. Nur wenn die Eindrücke mehrerer Beobachter gemittelt werden, ist der resultierende durchschnittliche Eindruck einigermaßen zutreffend. Hinter der Annahme der situationsübergreifenden Konsistenz steckt die völlige Unterschätzung der Bedeutung situativer Gegebenheiten für das menschliche Verhalten. Sie ist auch für den fundamentalen Attributionsfehler verantwortlich, der Tendenz, Verhalten Persönlichkeitsdispositionen zu erklären bzw. auf solche zu schließen. Diese Tendenz scheint ein automatisierter Prozess zu sein. Ein Beispiel für die Auswirkung dieser Tendenz auf Alltagsverhalten ist der unausrottbare Glaube auf der Basis eines mehr oder minder kurzen Interviews auf die Geeignetheit eines Bewerbers für eine bestimmte berufliche Situation schließen zu können. Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass praktisch keine Beziehung zwischen Interview und späterer Leistung besteht. Ein anderes Beispiel ist das Phänomen, dass Menschen immer wieder völlig überrascht sind, wenn sie von verwerflichen Handlungen in der Vergangenheit eines geschätzten Nachbarn hören. Der wichtigste Grund für den fundamentalen Attributionsfehler ist die schon erwähnte mangelnde Fähigkeit, Beziehungen (Kovariationen) zu entdecken.