Heilige in Europa – Kult und Politik Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde vom 26. Oktober 2010 bis 13. Februar 2011 In der von Herbert Nikitsch (Institut für Europäische Ethnologie) und Katrin Pallestrang (Österreichisches Museum für Volkskunde)1 konzipierten und kuratierten und von Alexander Kubik gestalteten Ausstellung „Heilige in Europa – Kult und Politik“ hat sich einmal mehr die ebenso enge wie erfolgreiche Zusammenarbeit des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien mit dem Österreichischen Museum für Volkskunde dokumentiert. Und einmal mehr konnte eine Brücke von der klassisch-volkskundlichen Sammlung in der Laudongasse zur kulturgeschichtlich und zeitpolitisch kontextualisierten Ausrichtung der Europäischen Ethnologie geschlagen werden. Woran denkt man, wenn man von einer Ausstellung über Heilige und Heiligenverehrung in einem Volkskundemuseum hört? Man denkt da wohl an traditionelle Darstellungen von Heiligengestalten mit all ihren bekannten Attributen, man denkt an Votivbilder, die ja für viele geradezu der Inbegriff sogenannter „Volksfrömmigkeit“ sind, oder vielleicht auch an diverse Klosterarbeiten oder volkskünstlerisch ausgestaltete Reliquienbehältnisse – kurzum, man denkt dabei an das, was von der klassischen Volkskunde als Zeugnis eines „Volksglaubens“ in den einschlägigen Museen zusammengetragen worden ist. Von solchen Materialisationen „volksfrommer“ Tradition war allerdings so manches aus den Depots der Laudongasse hervorgeholt und von verschiedenen Leihgebern erbeten worden. Und dennoch hatte die Ausstellung „Heilige in Europa – Kult und Politik“ eigentlich nichts mit all dem zu tun: nichts mit „Volksfrömmigkeit“, nichts mit „Volksglaube“ – überhaupt und generell gesprochen: nichts mit Religion. In dieser Ausstellung ging es um etwas anderes – und eigentlich um das gerade Gegenteil. Nicht die religiöse Dimension der Heiligenverehrung wollte sie thematisieren, sondern deren säkulare Seite: Es ging um die Funktionalisierung von religiösen Versatzstücken, von popularen Frömmigkeitsformen in weltlich-politischem Interesse, es ging um die Transformierung religiöser Traditionen in profane Traditionskonstrukte und Traditionserfindungen. Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Statuen des Hl. Johannes Nepomuk kann man hierzulande in Stadt und Land immer wieder sehen, und auch in dieser Ausstellung konnte man diesem Heiligen einige Male begegnen. Doch interessiert hat dabei weniger die Verehrung, die diesem Heiligen in gelebter Frömmigkeitspraxis entgegengebracht worden sein mag – interessiert hat vor allem seine propagandistische Rolle, etwa im Zuge der Gegenreformation, deren Leitfigur er war und die ja erst dazu geführt hat, dass diese Heiligengestalt bis heute überall in der Landschaft steht. Oder, um es in Anlehnung an den Untertitel der Ausstellung zu sagen: Interessiert hat der „Kult“ dieses Heiligen vor allem insoweit, als er im Dienst der „Politik“ stand. 1 An der Ausstellung und dem gleichnamigen Katalog (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, Bd. 92) mitgearbeitet haben weiters Elisabeth Egger, Margot Schindler, Barbara Schaffer-Weinzettl und Nora Witzmann (alle Österreichisches Museum für Volkskunde). Im Anschluss war die Ausstellung – in inhaltlich gleicher, gestalterisch adaptierter Form – vom 11. Mai bis 16. Oktober 2011 im Diözesanmuseum Graz zu sehen. Die Instrumentalisierung von Religion und von bestimmten popularen Frömmigkeitsformen ist nicht neu – einige gezeigte Beispiele führen weit in die Geschichte zurück. Und sie ist nicht nur nicht neu – sie bedient sich auch mit Vorliebe und durchaus pragmatisch bekannter und tradierter Kulturmuster, variiert religiöse Überlieferungsformen, setzt historisch Bewährtes in jeweils zeittypischer Modifikation ein – im Fall der Ausstellungsthematik die „epochenübergreifende Faszinationskraft des Heiligen“ (Gottfried Korff). Um nochmals ein Beispiel aus der Ausstellung heranzuziehen und eine der in ihr gezeigten Trouvaillen vor Augen zu führen: Dass bei der bald nach dessen Ermordung einsetzenden Kampagne zur Mythologisierung des „Märtyrerkanzlers“ Dollfuß politisch-ideologische Manifestation und religiöser Traditionsbestand Hand in Hand gingen, veranschaulichen eine kruckenkreuzverzierte Holzkassette und ein von der zuständigen Bezirksleitung der Vaterländischen Front signiertes Beglaubigungsschreiben, wonach die darin befindliche Erde tatsächlich „von dem Grabe des verewigten Engelbert Dollfuß am Hietzinger Friedhof stammt“ – wodurch mit Reliquiar, Berührungsreliquie und Authentik die wichtigsten Elemente klassischen Heiligengedenkens zitiert sind. Und zugleich erinnert dieses Beispiel daran, dass bei solcher Transformierung des Heiligenkults nicht nur auf tradierte religiöse Vertrauens- und Verehrungsgestalten zurückgegriffen wird, sondern auch neue Kultfiguren und Hagiographien geschaffen werden – und zudem an die unserem Fach seit langem geläufige Tatsache, dass generell „Tradition“ und „Modernisierung“ einander nicht ausschließen. So dienten die in der Ausstellung vorgeführten Requisiten und Vorgaben überlieferter Glaubensgüter vor allem der Kontrastierung zu den weltlichen Steuerungsversuchen und Kanalisierungen jener religiösen Traditionen und Verehrungsformen, deren politischideologische Überlagerungen demonstriert werden sollten. Der Einsatz religiöser Versatzstücke zur Propagierung und Durchsetzung weltlicher Machtansprüche wird etwa in der Figur des Regional- bzw. Nationalheiligen besonders deutlich – und so war denn auch der erste und der letzte Raum der Ausstellung jenen Heiligen vorbehalten, deren Patronat sich über einen bestimmten geographischen bzw. administrativ-politischen Raum erstreckt. Sie bildeten den Rahmen für die vier weiteren Stationen, in denen – neben den kulturgeschichtlich und zeitpolitisch bedingten Praktiken des kirchenrechtlichen Verfahrens der Kanonisation und den verschiedenen Ausdrucksformen der Verehrung der Heiligen und deren neuen Patronaten – vor allem die Propagierung popularer Frömmigkeitsgestalten zur Legitimierung von politischer Herrschaft sowie die Präsenz neuer Heiliger in ihrer innerweltlichen Funktionalisierung vorgestellt wurden. Herbert Nikitsch