PETER PAUL RUBENS IN DER GEMÄLDEGALERIE DER AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE WIEN Die Gemäldegalerie der Akademie stellt das Sammlungsdenkmal einer privaten Lebensleistung dar: Einer der letzten großen aristokratischen Kunstsammler in Wien, Anton Graf Lamberg Sprinzenstein, baute in seinen letzten Lebensjahren eine umfassende Sammlung europäischer Malerei auf. Als einem Freund virtuoser Malerei galt Lambergs Interesse besonders auch den Gemälden des Peter Paul Rubens – allerdings in der kleinformatigen Dimension, die sich in eine Stadtwohnung integrieren ließen. 1821, ein Jahr vor seinem Tod, vermachte der Graf seine Sammlung der Akademie der bildenden Künste in Wien und begründete somit die Gemäldegalerie der Akademie. So kommt es, dass die Sammlung einer Universität den „kleinformatigen“ Rubens zum Konzert des Rubens-Oeuvres -beisteuern kann – das sind die Vorstudien, Farbskizzen, „Modelli“ und „Ricordi“. DAS „KLEINE FORMAT“ IM WERK VON RUBENS Das „kleine Format“ im Werk von Rubens stellt mittlerweile eine besondere Kostbarkeit dar, da nur in ihr der kreative und eigenhändige Malprozess dieses Großmeisters der flämischen Barockmalerei nachvollzogen werden kann. Da heute die Rezeption eines Kunstwerks nicht unwesentlich vom Begriff des „Originals“ bestimmt wird, also von der Frage, ob man sich einem durch und durch eigenhändig gemalten – „echten“ – Werk eines Künstlers gegenübersieht, sollte bei der heutigen Auseinandersetzung mit dem Werk des Peter Paul Rubens nicht vergessen werden, dass es allein seine Ölskizzen und ähnliche vorbereitende Arbeiten sind, in denen wir seiner ureigenen künstlerischen „Handschrift“, also seiner eigenhändigen Malerei begegnen können. Dies liegt darin begründet, dass zu Rubens’ Lebenszeiten nicht das Malen als die herausragende Leistung eines Künstlers bewertet, sondern allein die künstlerische Idee honoriert wurde. Diese Betonung des kreativen Prozesses schlägt sich -deutlich in den Vertragswerken nieder, die Rubens bei allen seinen größeren Projekten mit seinen Auftraggebern abschloss. Die Skizze wurde in der Folge an den Mitarbeiter weitergereicht, der die Komposition auf die vertraglich festgelegte Dimension zu übertragen hatte. DIE GEMÄLDE Erstaunlich ist, dass von den siebzehn eigenhändigen Werken von Rubens, die Graf Lamberg der Akademie vermachte, einige mit bedeutenden Aufträgen in Beziehung stehen. So beherbergt die Akademiegalerie allein vier Arbeiten aus der Zeit von Rubens prägendem Italienaufenthalt zwischen 1600 und 1608. Rubens reiste wie viele niederländische Künstler vor ihm nach Italien, um sich seinen künstlerischen Horizont in der Konfrontation mit der italienischen Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts sowie in der direkten Begegnung mit der Antike nachhaltig zu erweitern. Die Begegnung mit Italien bewirkte bei Rubens jene Hinwendung zur „Grande Maniera“ des italienischen Frühbarock, den er dann in seine Heimatstadt Antwerpen verpflanzte. DIE BESCHNEIDUNG CHRISTI (UM 1605) Die Gemäldegalerie der Akademie beherbergt den „Modello“ des ersten prominenten Altarbildes, mit dem Rubens in seinen italienischen Jahren beauftragt wurde: Er war im Auftrag seines Dienstherren, des Mantuaner Fürsten Vincenco I. Gonzaga, nach Spanien gereist und sollte sich auf dem Rückweg in Genua bei den Bankiers des Hauses Gonzaga, den Pallavicini, seine Reisekosten erstatten lassen. Rubens nützte dies sofort für Kontakte und Aufträge. Der bedeutendste, den der junge und noch unbekannte Peter Paul Rubens erhielt, kam vom Bruder des Bankiers, der der Genueser Niederlassung des Jesuitenordens vorstand. Er beauftragte den Künstler mit der Produktion des Hochaltarblattes der neu errichteten Jesuitenkirche S. Ambrogio. Das Thema, die „Beschneidung Christi“, war für Kirchen der Jesuiten vorgegeben, denn es ging in allen ihren Ordenskirchen um die Darstellung des Monogramms Christi, „IHS“, und um den Akt der Namensgebung. Auch wenn Jesus Christus von Johannes dem Täufer nach christlichem Ritus im Jordan getauft wurde, so erhielt er als das Kind Jesus -seinen Namen noch nach jüdischem Brauch; die Namensgebung fand nach mosaischem Ritus mit der Beschneidung statt. DAS GNADENBILD DER MADONNA DELLA VALLICELLA IN ROM (UM 1608) Rubens nutzte seinen Aufenthalt in Italien nicht nur zur eigenen Weiterbildung, sondern sehr geschickt auch zum Aufbau seiner künstlerischen Karriere. Sein letzter großer Auftrag lag darin, das Hochaltarblatt für die bei den Römern beliebteste Kirche der Stadt, für Sta. Maria in Vallicella, zu malen. Niemals hätte sich der immer noch relativ unbekannte junge Flame gegen die Konkurrenz der römischen Künstler durchsetzen können, wenn er nicht sein mittlerweile schon eng geknüpftes Beziehungsgeflecht hätte spielen lassen: Ein Freund der Familie Pallavicini in Genua sass mittlerweile als Schatzkanzler des Heiligen Stuhls in Rom. Privat bot er sich dem Oratorianerorden, dem die Kirche Sta. Maria in Vallicella gehörte, als Sponsor an für die Fertigstellung der Neuausstattung des Hochaltarbereiches. Diese war notwendig geworden, da der Orden das wundertätige Gnadenbild der Madonna, das von den Römern so innig verehrt wurde, von einem Seitenaltar auf den Hauptaltar transferieren ließen. Der neue Geldgeber verband seine Spendenbereitschaft mit der Auflage, den von ihm benannten Künstler mit dem Hochaltarblatt zu beauftragen: Dieser war Peter Paul Rubens. Der Oratorianerorden war keineswegs glücklich mit diesem Junktim und versuchte deshalb, Rubens mit möglichst vielen vertraglichen Auflagen zu „knebeln“. Rubens malte eine wunderschöne „Sacra Conversazione“, in der dem hl. Gregor das wundertätige Madonnenbild erscheint. Die Oratorianer waren nicht zufrieden mit dieser Bildlösung und gaben diese Erstfassung dem Künstler zurück. Rubens malte darauf hin eine völlig veränderte zweite Fassung, die das Hochaltarblatt als ein Tabernakelbild gestaltet, in dem durch eine Öffnung das dahinter hängende tatsächliche Gnadenbild sichtbar wird, und lässt dieses Gnadenbild von den Engelschören besingen und verehren. Die Gemäldegalerie der Akademie hat zu dieser Zweitfassung den „Modello“ in ihrer Sammlung. Der bedeutendste Auftrag, der Rubens in seiner Heimatstadt Antwerpen erreichte, kam wiederum von den Jesuiten. Der Orden war bestrebt, seine gewichtige Stellung im religiösen, politischen und wissenschaftlichen Leben Antwerpens auch in der Architektur seiner Kirche und deren Ausstattung zu dokumentieren. Der Neubau der Kirche St. Karl Borromäus erhielt Antwerpens erste Barockfassade, die der römischen Mutterkirche „Il Gesú“ nachempfunden war. Mit der Ausstattung mit Altar- und Deckenbildern wurde nahe liegender Weise Peter Paul Rubens beauftragt. SECHS ÖLSKIZZEN ZU DEM DECKENBILDERZYKLUS DER JESUITENKIRCHE VON ANTWERPEN (1620) Der Auftrag, die Seitenschiffe und die darüber liegenden Emporen mit Deckenbildern auszustatten, stellte dabei die größte Herausforderung an die Effizienz von Rubens und seinem Atelier dar: Es galt, 39 Leinwandbilder innerhalb von 18 Monaten herzustellen und zu montieren. Hier tritt erstmals in großem Stil jene rationelle Arbeitsteilung zwischen Rubens und seinen Mitarbeitern in Funktion, die zwischen der Leistung des Meisters – dem Entwickeln der Kompositionsidee – und der Ausführung im großen Format durch die Werkstatt differenzierte. Die über alle Museen der Welt verstreuten Skizzen zu diesem Projekt haben gewaltigen ideellen Wert, nachdem im Jahr 1718 bei einem Brand die gesamte Langhaus-Ausstattung der Kirche vernichtet wurde und nur mehr die Skizzen eine Vorstellung von der Bilderkraft des Peter Paul Rubens vermitteln können. Anhand dieser Skizzen kann der heutige Besucher im übertragenen Sinn Rubens beim Malen zuschauen – wie die Idee im Kopf über Arm und Pinsel auf das kleine Holzbrett übertragen wird: Form und Farbe nehmen aus einem Gewebe von Pinselstrichen und Farbandeutungen erst Gestalt an. THE GOOD RULE OF JAMES I. – SKIZZE FÜR DAS DECKENBILD ÜBER DEM THRON DES FESTSAALS IN BANQUETING HOUSE IN WHITEHALL (ZWISCHEN 1631 UND 1633) Neben der Skizzengruppe zum Antwerpener Jesuitenprojekt besitzt die Akademiegalerie noch ein repräsentatives Beispiel einer Ölskizze, die in Zusammenhang mit einem Großauftrag steht, der heute noch „in situ“, also an dem Ort, für den er geschaffen wurde, zu sehen ist: Der Deckenbilderzyklus des Ballsaals des Banqueting House in Whitehall, London, der die Verherrlichung des Hauses Stuart zum Thema hat. Das Ballhaus hat als einziges Gebäude den Brand des Whitehall Palace überstanden. Hier traf die Malerei von Rubens auf die – für London ungeheuer moderne – palladianeske Architektur des Inigo Jones. Rubens legt in dieser Skizze die Komposition der Apotheose König Jakobs I. an, bei der es darum geht, den Vater des Auftraggebers, das war König Charles I., von Genien mit dem Lorbeer gekrönt, über dem Kampf zwischen Mars, dem Gott des Krieges, und Minerva, der Göttin der Weisheit, thronen zu lassen, während sich Merkur, der Gott des Handels, sowie die Damen Pax, der Friede, und Abundantia, der Überfluss, ins Fäustchen lachen: Allen allegorischen Apparats entkleidet heißt dies nichts anderes, als dass in Zeiten des Friedens die Wirtschaft blüht. DAS URTEIL DES PARIS (UM 1606) Nicht immer steht ein Gemälde, das wir seines stilistischen Erscheinungsbildes wegen eine „Skizze“ nennen möchten, in einem solchen Werkzusammenhang wie dem oben beschriebenen. Das hier vorgestellte „Urteil des Paris“ – eines von insgesamt nur vier auf eine Kupferplatte gemalten Bildern im Werk von Rubens – kann als eine der zauberhaftesten „Poesien“ von Peter Paul Rubens gelten und ist wahrscheinlich als eine „Fingerübung“ des Meisters auf dem lebenslangen Weg der Erforschung eines Bildthemas anzusehen: des Schönheitswettbewerbs olympischer Göttinnen, die sich dem Urteil des Paris unterwerfen. Die drei Gemälde mythologischen Inhalts, „Boreas entführt Oreithya“, „Der träumende Silen“ und die „Drei Grazien“ -repräsentieren in der Akademiegalerie jenen thematischen Bereich, für den Rubens zu allen Zeiten berühmt war und ist: die hochbarocke Historienmalerei. DIE MYTHOLOGIEN BOREAS ENTFÜHRT OREITHYA (UM 1615) In dieser Entführungsszene, die Rubens vollkommen eigenhändig gemalt hat – und die im Übrigen auch das Motiv für die Werbelinie von RUBENS IN WIEN liefert –, hat sich der Künstler mit einem Text aus den „Metamorphosen“ des Ovid beschäftigt: Dort wird erzählt, wie der wilde Gott des eisigen Nordwinds, Boreas, vergeblich um die Athener Königstochter Oreithya wirbt und wie er diese schließlich, im Grimm zum Schneesturm verwandelt, als seine Windsbraut entführt. In Rubens’ Bild ist nichts vom peitschenden Nordsturm zu spüren – nur die Putten und Genien erfreuen sich an einer Schneeballschlacht und fangen die Hagelkörner. Für die Gruppe des Entführers und der Entführten hat Rubens ganz andere Vorbilder gesucht, denn ihn interessiert an dieser Entführungsgruppe nicht der Wintersturm, sondern die komplexe Gefühlslage der Beteiligten zwischen Gewalt und Eros: Wie die gewaltsam Geraubte in der Umarmung in Liebe entbrennt. Formales Vorbild waren für Rubens hier Darstellungen der Entführung der Proserpina auf römischen Sarkophagen, die -allerdings nicht durch die Lüfte fliegt, sondern in der Unterwelt verschwindet. DER TRÄUMENDE SILEN (ZWISCHEN 1610 UND 1612) Rubens hatte Lieblingsthemen, mit denen er sich unabhängig von Aufträgen immer wieder im Laufe seiner Karriere beschäftigte. Solche stammten zumeist aus der griechischen Mythologie und Rubens ging an sie mit der Kenntnis eines Altphilologen und Archäologen heran, der sich bestens in der antiken Kunst auskannte. Ein solcher Interessensfokus waren bei Rubens die „bacchischen“ Themen, in denen der Gott des Weines Bacchus und sein ganzes Gefolge von Silenen, Satyrn, Nymphen und Mänaden auftraten und in denen zumeist Volltrunkenheit herrscht. Das Gemälde der Akademiegalerie zeigt einen solchen Silen, volltrunken, der schwere Körper gelähmt vom Rausch, aber noch heftig träumend: Diese Anhäufung von kostbaren Metallschalen und Gläsern kann nur ein Traumbild des Silens sein, desgleichen das Liebespaar im Hintergrund. Kein flämischer Maler würde ein Prunkstillleben derart kunterbunt und lieblos angehäuft malen, wären die Gefäße nicht als Symbole eines Traumes im Sinnesrausch zu verstehen. DIE DREI GRAZIEN (ZWISCHEN 1620 UND 1624) Die in Rom im 15. Jahrhundert entdeckte hellenistische Statuengruppe der „Drei Grazien“ hat für abendländische Kunst eine enorme Vorbildwirkung. Raffael malte sie und auch Rubens – letzterer insgesamt sieben Mal! Die drei Zeustöchter Aglaia, Euphrosyne und Thalia brachten den Menschen Anmut, Frohsinn und Festfreude. In der antik-römischen Interpretation Senecas standen sie für den geschlossenen Kreislauf von Geben, Nehmen und Wiedergeben. In seiner Wiener Tafel, die zwischen 1620 und 1624 entstanden ist, folgt Rubens einem etwas erweiterten inhaltlichen Ansatz. Mit der Betonung der lieblichen Landschaft und des überquellenden Blumenkorbs und des ethischen Aspekts der natürlichen Fruchtbarkeit rückt er die Dreiergruppe nackter, nur mit einem Schleier bekleideten Frauen als „Frühlingshoren“ in die Nähe der Jahreszeitengöttinnen. Alle drei Beispiele, die dem heutigen Klischee von der flämischen Üppigkeit Rubens’scher Gestalten so nahe kommen, erweisen sich bei näherer Analyse als ungemein komplexes „Philosophieren“ des barocken Großmeisters über die Kunst der Antike und über Möglichkeiten und Grenzen der persönlichen Interpretation antiker Stoffe.