Das Evangelium – ein Medienphänomen Laudatio für Wolfgang Herrmann und Fritz Penserot Sonderpreis „Beste Predigt im Fernsehen, Rundfunk und Internet“ Sehr verehrte Preisträger, werte Festversammlung! Das Evangelium, die Sendung Christi war von Anfang an ein Medien-Ereignis, ein „Mediengroßereignis“. Die Botschaft von der Geburt eines Heilands für alle Menschen ist keine lokale Heiligenlegende, keine regionale Götter- oder Heldensage und nicht einmal ein Volks- oder Nationalepos. Diese Kunde ist als Nachricht an alle, als eine universale Botschaft, als ein massenmediales Phänomen in die Welt eingetreten, – und hat sie verändert. Eine Nachricht bewirkt so etwas wie eine friedliche Revolution! Hat Deutschland so etwas nicht erst vor kurzem erlebt und vor wenigen Tagen erneut gefeiert, dass die Botschaft von der Reisefreiheit für alle Deutschen, von der Freizügigkeit zwischen Ost und West eine Grenzmauer niederlegte? Und lautete die Botschaft in Berlin 1989 nicht im Grunde auch: „Frieden auf Erden allen Menschen!“ - auch wenn diese Kunde gewiss nicht von Engelszungen überbracht worden ist? Was Wunder, dass auch die elektronischen Übertragungstechniken, - die man umgangssprachlich ungenau „Medien“ nennt – die friedlich-revolutionäre Botschaft vom Frieden für alle Menschen guten Willens unaufhörlich wiederholen, wenn auch heutzutage explizit nur in Nischen der Haupt- und in speziellen Spartenprogrammen; aber das war zur Zeit der römischen Kaiser nicht anders, als diese Botschaft in Kneipen und Katakomben, unter Handwerkern und Sklaven verbreitet wurde. Implizit aber wirkte und wirkt die überraschende und befreiende Botschaft, dass Gottes Güte allen Menschen guten Willens gelte, in vielen Sendungen, ja, dass sogar Gott selbst in die Welt eingekehrt sei, um zu zeigen, dass es mit dieser Überraschung ernst sei, wurde in vielerlei Sendeformen verbreitet, in Briefen, Vorträgen, Erzählungen, ganz neue Formate wurden erfunden, Evangelien zum Beispiel. Man kann ohne Übertreibung sagen: Die elektronische Technik könnte nicht wirken, wie sie wirkt, es gäbe vielleicht nicht einmal eine weltumspannende Technik, wenn der Inhalt dieser Botschaft nicht universal verständlich wäre, allen Menschen guten Willens zu allen Zeiten zu Herzen ginge. Der Unterschied zu den Anfängen der Christenheit ist in der Tat lediglich ein technischer, einer der Geschwindigkeit der Übermittlung. Der Apostel Paulus brauchte Monate, um die Botschaft von Christus von Antiochia nach Athen zu tragen, während die reine Übertragungsdauer einer Morgenfeier mit der Strömungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen sich ausbreitet. Denkt man allerdings an den Prozess der passenden Formung des Mediums Luft zu Schallwellen, denkt man also an den Vorgang der geistigen Hervorbringung einer Rede oder Predigt und deren Aufnahme im Studio, so wird gerade bei anspruchsvollen Texten und Produktionen an einige Tage Produktionszeit zu denken sein. Für sechs Andachten über das Vater unser kommen leicht 14 Tagen bis drei Wochen Vorbereitungszeit zusammen, und gerade ganz kurze Texte, Miniaturen erfordern viel Zeit, weil sie dichter formuliert werden, jedes überflüssige Wort meiden müssen und doch ganz flüssig wirken sollen, treffend, bildhaft, stimmungsvoll und stimmig zugleich. Die halbstündige Morgenfeier hingegen braucht Material, braucht Redundanz, muß dem Hörer Zeit lassen, darf aber nicht unübersichtlich werden, muß einen klaren Gedankengang anbieten. Der Zeitaufwand für sechs Texte über das Vater unser oder eine Besinnung über Pfingsten und Josef Haydn ist mindestens dem der Abfassung des Philipperbriefs zu vergleichen, den Paulus bei seiner Sympathie für diese Gemeinde gewiss mit großem Schwung geschrieben hat: Freuet Euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich Euch: Freuet Euch! Betrachtet man die Praxis der Christenheit also vor allem als einen massenmedialen Prozess, so kommt es erst recht auf den zweiten Schritt an, auf das Empfangen: Eine Botschaft, die nicht empfangen wird, kann nicht wirken. Wie aber sollte die Botschaft der Engel vom Frieden auf Erden für alle Menschen nicht empfangen werden, nicht wirken, damals wie heute? Gewiß, der Empfang ist unterschiedlich, – die eindeutige Friedensbotschaft wirkt unter den Menschen zwiespältig: Abgewehrt von den Menschen ohne den Willen zum Guten für alle, freudig begrüßt aber von allen Menschen guten Willens, die auf Frieden und Leben für jeden Menschen hoffen, begrüßt und weitergegeben, von Jahr zu Jahr über Jahrhunderte und Jahrtausende von denen, die sich das Gute für alle vorstellen können, die erfüllt sind von der Hoffnung, dass sich die himmlische Friedensbotschaft immer weiter durchsetze – und die Menschheit rette, am Leben erhalte. Und wenn wir es recht bedenken, sind beide Regungen in jedem Menschen: Die voller Friedenshoffnung und die voller Friedensmisstrauen. Da es aber eine massenmediale Botschaft ist, kann und wird sie von jedem Menschen in eigener Weise aufgenommen, schwankend zwischen Friedenshoffnung und –misstrauen, jetzt und allezeit. Das ist das dritte, was sich aus der Betrachtung des Evangeliums als massenmediales Phänomen ergibt: Jeder kann sie verstehen und aufnehmen, wie es ihm möglich ist. Jeder kann die Wunder Gottes in seiner eigenen Sprache hören, wie es von Petri Pfingstpredigt heißt. Alle hörten sie in ihrer eigenen Sprache reden. Es galt allen und alle spürten: Sie waren gemeint, auch sie, sogar sie, die Fischer vom See, die Leute aus dem armen Norden, die Handwerker und Kleinbauern, die Fremden aus fernen Ländern, die Herrscher in den Zentren der Macht konnten sie hingegen erst einmal gar nicht verstehen. Damit lenkt der Gedanke zurück zum Inhalt der Sendung: Was haben sie denn alle gleich und doch jeweils in ihrer Art gehört, die Hörer der Engelsbotschaft bei Bethlehem, der Pfingstpredigt des Petrus, die Radiohörer, die Wolfgang Herrmann und Fritz Penserot vernahmen, und alle, die hier versammelt sind, weil sie sich versichern wollen, ob sie sich nicht verhört haben, die damals nicht und Sie heute nicht? Bei einem Roman verstehen alle: Die Liebenden werden sich finden – oder sie haben sich gefunden, und wenn es kein Happy end gibt: Es ging jedenfalls um Beziehungen. Bei einem Krimi erwarten alle: Der Täter wird verfolgt und ermittelt, wird schließlich gefasst, die Ordnung ist wieder hergestellt. Oder bei Nachrichten: Es ist etwas unsagbar Wichtiges geschehen, aber es hat sich doch gesagt worden, hat sich in Worte(n) fassen lassen. Und die Sendung Christi? Gibt es über deren Bedeutung nicht Streit seit 2000 Jahren, kriegerische Konzilien, Verketzerung, Schismata? Nein, nicht über die Bedeutung, darüber gibt es keinen Streit: Gott ist allen Menschen gnädig, so Paulus, Frieden auf Erden allen Menschen guten Willens, so Lukas – und Gott will in seiner Güte jedem Menschen so viel geben, wie er zum Leben braucht, so Matthäus – die Unterschiede zwischen den Menschen, die so beschwerlichen, sind in Gottes Geist aufgehoben, nicht eingeebnet, sondern gewahrt, beruhigt, befriedet; kein Mensch muß Gemeinschaft garantieren, und es kann auch keiner, Paulus schrieb noch vor den Evangelisten, dass in Christus nun ein gemeinsamer Grund für alle Menschen gelegt sei und die Einheit in Gottes Geist, nicht in der Verschiedenheit der Menschen fortan zu suchen sei. An diese friedliche Gemeinschaft aller Menschen in Gottes Geist können wir nur glauben, so wie wir nur durch den Glauben an die Zuneigung und Glaubwürdigkeit unserer Eltern heranwachsen konnten. Sie hören es immer wieder, sie haben es auch in den heute prämierten Predigten und Andachten gehört oder werden es noch lesen; aber wer glaubt das, ist das überhaupt zu glauben – friedliche Gemeinschaft aller Menschen, gleiche Lebensmöglichkeiten für alle? Darüber wird der Streit geführt, wie der Glaube an Gottes Güte gestaltet werden kann. Sicher nicht mit Gewalt, - und schon Worte sind oft zu mächtig, manchmal auch Klänge, aber die Sprache der Musik ist schon der pfingstlichen Sprache am nächsten, die Klänge, die jeder in seiner eigenen Sprache hört und versteht, dass sie ihn wie Gottes Geist zur Güte leiten. Lieber Herr Herrmann, lieber Herr Penserot, Sie haben uns die Botschaft vom Frieden für alle Welt aus Gottes gütigem Geist in ganz unterschiedlicher Weise und doch übereinstimmend weitergegeben. Sie haben die überall verständlichen und bewegenden Melodien Joseph Haydns als Pfingstbotschaft ausgelegt, und die Stille des Friedhofs und die Engelsbotschaft über den Gräbern vom Sieg der Liebe über den Tod zu Herzen gehen lassen, um den Glauben an Gottes Güte für alle zu stärken. Wir haben diese Botschaft empfangen, wir danken Ihnen für Ihre Gabe und ehren Sie mit dem Ökumenischen Predigtpreis 2009.