Begriffliche und methodische Unschärfen von Hubert Knoblauchs „Populäre[r] Religion“ Kritische Anmerkungen von Dr. rer. soc. Michael Hainz, Hochschule für Philosophie, München, zu Hubert Knoblauch: Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, Frankfurt: Campus 2009, 311 S., 24,90 € Die Lektüre von Hubert Knoblauchs Werk wirft die Frage auf, inwieweit seine - theoretisch nur in einem Punkt geschehende (von der Unsichtbarkeit zur Popularität) - Weiterführung des Luckmann’schen Religionsansatzes (entfaltet auf den Seiten 43-80) die Formen und Inhalte gegenwärtiger Religion tatsächlich erschließt oder infolge einer entdifferenzierenden Denkund Darstellungsweise eher vernebelt. An zentralen Stellen argumentiert er logisch inkonsistent: So vermischt er “Form” und “Inhalt”von Religiosität (117) und definiert “Spiritualität” tendenziell (auch das nicht so genau) als außerkirchliches Phänomen, obwohl er die gesamtgesellschaftliche Verbreitung der Religion als einer kulturellen Erscheinung durch Markt und Medien postuliert. Auffallend ist zudem die geringe systematische Absicherung seiner Überzeugung, besser: Ideologie (bei der Wahl zwischen Charles Glock oder Karl Marx neige ich in diesem Fall zur Begriffsfassung des Letzteren) durch quantitative Längsschnittuntersuchungen (ISSP, EVS) oder vertiefend deutende qualitative Studien (z.B. Ariane Martin 2005). Beispielsweise hätte eine nüchterne, um Objektivität bemühte Auswertung des Religionsmonitors 2008 (hg. v. Bertelsmann-Stiftung 2007 und 2009) zeigen können, wie viele Befragte (aus 21 Nationen) sich selbst als “religiös, aber nicht spirituell”, “religiös und spirituell”, “spirituell, aber nicht religiös” oder “weder religiös noch spirituell” bezeichnen, um einen Vorschlag von Eileen Barker aufzugreifen. Aus der Analyse vergleichender katholischer Religiositätsprofile aus acht europäischen Ländern im Religionsmonitor 2008 kommt der erfahrene Schweizer Religionssoziologe Alfred Dubach immerhin zu einem Ergebnis für Deutschland, das Knoblauchs unkritischer Auffassung diametral widerspricht: Dubach attestiert den deutschen Katholiken eine hohe Reflexionsbereitschaft und eine große interreligiöse Toleranz, die mit einer erheblich geringeren synkretistischen Neigung gepaart sei, Elemente anderer Religionen in die eigene Religiosität einzubauen. Außerdem fänden “alternative pantheistische und neureligiösspirituelle Sinndeutungsangebote [...] vergleichsweise wenig Resonanz in der Bevölkerung.” (Woran glaubt die Welt, hg. von Bertelsmann-Stiftung 2009: 509-532: hier 514). Dass Knoblauch so leichtfertig empiriearm (im Sinne selbstkritischer Empirie) und unbeeindruckt von wohl begründeten Gegenargumenten (z.B. von Armin Nassehi, in: ebd., 169-203) an seinem Ansatz festhält, würde man in spiritueller Sprache - wir befinden uns ja auf dem “Weg in eine spirituelle Gesellschaft”, so Knoblauchs Untertitel - als “ungeordnete Anhänglichkeit” (Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen, Nr. 1) bezeichnen. Dass Markt und Medien, nach Knoblauch wesentliche Faktoren der Popularisierung von Religion, einen großen, auch entdifferenzierenden Einfluss auf die Formen des Religiösen ausüben, dürfte unbestritten sein. Aber lassen sich - um nur einige von Knoblauchs prominenten Beispielen anzuführen - die Marienerscheinungen in Marpingen, Nahtoderfahrungen, Papstgottesdienste, Pilgerexperimente oder Ayurveda so unterschiedslos und reflexionsarm, wie der Autor das vollzieht, zu “eine[r] neue[n] Form” zusammenbinden, “deren Inhalt derzeit als Spiritualität auftritt” (117)? Hilfreicher wäre es wohl, aus den betrachteten Phänomenen im Sinne eines diskursiven Religionsbegriffs ein gestuftes Raster von Deutungsmustern abzuleiten, das deren Unterschiedlichkeit (vgl. Ansätze dazu auf S. 165 f.) nicht verwischt. Dass Knoblauch Religion so dezidiert “entgrenzt” wahrnimmt, hat auch damit zu tun, dass er neuerliche (Re-)Profilierungstendenzen im Protestantismus, Katholizismus und Islam gelegentlich andeutet (79, 195, 268), nicht aber entfaltet. Dass in seine Bevorzugung außerkirchlicher Spiritualitätsformen - der “Religion”, die “die Leute interessiert” (237), - persönliche Wertungen bzw. Abwertungen hineinspielen, lassen etliche holzschnittartige, auch nicht weiter begründete und deshalb religionssoziologisch unprofessionelle Zuschreibungen (“die sture Form der Kirche” (31), die “starren, hierarchischen Kirchen” (111)) vermuten. Erhellend sind indes Knoblauchs Ausführungen zum Wandel der religiösen Kommunikation (201-222), namentlich infolge des Internets, sowie zur Bestimmung der zeitgenössischen Spiritualität (121-191). Ganz wesentlich stelle diese auf “unmittelbare persönliche und außergewöhnliche Erfahrung” (130) ab, jedoch seien infolge ihrer Popularisierung die Merkmale der “Veröstlichung” (183) und der ausdrücklichen “Distanznahme” zu herkömmlichen religiösen Organisationen (126, 185) mittlerweile zu relativieren. Typisch sei heute vielmehr eine “Vermischung der Codes” (186) und damit, wie Kerstin Wittmann-Englert formuliert, die Ersetzung eines “weitgehend ‘geschlossenen’ Zeichensystems durch ein “zeichenbasiertes, allerdings subjektzentriertes Assoziationssystem” (187 f.). So genüge den spirituellen Besuchern eindeutig religiös markierter Kirchen die “besondere Atmosphäre”, eine “von der Architektur angeregte Gestimmtheit”, die mit einem “Verweischarakter” auskomme, der “das Transzendente gleichsam nur leer andeutet” (188 f). Angesichts dieser Zugangsweise zur Wirklichkeit, die darauf verzichtet, dass hierbei gewisse Inhalte “auch gewusst werden müssen” (188), wäre allerdings zu fragen, ob Spiritualität dann sinnvollerweise noch als “ganzheitlich”, also den “ganzen Menschen” (samt Intellekt) ansprechend (127), gekennzeichnet werden sollte. Einleuchtender sind die Gründe, die Knoblauch für die lebensweltliche Plausibilität von Spiritualität angibt: “Weil sie sich so eng an den Alltag anbinden lässt” (178) und weil sich mit ihr - nach Formulierungen von Danièle Hervieu-Léger - “eine Verschwommenheit der von ihr erzeugten Inhalte der Glaubensvorstellungen” und eine “Ungewissheit über die Gemeinschaftszugehörigkeit, die sich daraus ergeben könnte” (179) einhergeht. Was einem gründlichen Rezensenten nicht entgeht: Knoblauchs Titel “Populäre Religion” ist so neu nicht, wie sein Werk, 2009 erschienen, suggeriert. Bereits vor zehn Jahren veröffentlichte er im Sammelband “Diesseitsreligion” (hg. v. A. Honer, R. Kurt und J. Reichertz, Konstanz 1999) einen Aufsatz mit gleichem Titel, der auch wesentliche Gedanken des neuesten Werkes enthält. Warum fehlt im jetzigen Literaturverzeichnis der frühere Aufsatz? Auch dort, wo Knoblauch die drei Dimensionen der Säkularisierung nach José Casanovas “Public Religions in the Modern World” (1994) referiert (16-18), findet sich kein Hinweis auf die Herkunft dieser Gedanken. Arbeiten seriöse Soziologen so? Michael Hainz ist Jesuit und lehrt nach Studien der Philosophie, Wirtschaftswissenschaften und Soziologie an der Hochschule für Philosophie in München