Erinnerungen aus dem "Dritten Reich" (1933

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Erinnerungen aus dem "Dritten Reich" (1933 - 1945)
aufgeschrieben von
Pastor Julius Hahn (1880-1956)
Versöhnungskirche - Hamburg-Eilbek
Der Führer
Die Zeit ist nicht mehr fern, da die Deutschen ihre Begeisterung für Adolf Hitler nicht mehr begreifen
werden. Ich habe nur im Anfang wärmere Gefühle für diesen Mann gehabt, als er in der
Garnisonkirche in Potsdam den greisen Hindenburg ehrte und feierlich erklärte: "Meine Regierung
wird die beiden christlichen Kirchen in ihren festen Schutz nehmen."
Als aber der Gruß "Heil Hitler!" statt des treuherzigen "Grüß Gott!", wie ich ihn in Bayern gewohnt
war, eingeführt wurde, und als sich Hitler für die "Deutschen Christen" durch eine Rundfunkrede bei
den Kirchenwahlen einsetzte, ja einen Ludwig Müller statt eines Friedrich von Bodelschwingh zum
Reichsbischof machen ließ - jenen kannte ich aus Wilhelmshaven, diesen aus meiner Studentenzeit sah ich mit Sorgen in die Zukunft.
Die Gleichschaltung auf allen Gebieten, die Unterdrückung der Gewissensfreiheit, die zunehmende
Rechtsunsicherheit, die Totalität einer einzelnen Partei, die von ihrem Rassenfanatismus her nicht nur
das Judentum, sondern auch die an die Bibel gebundene christliche Kirche immer stärker ihres
Einflusses beraubte und bedrängte, die verächtliche Angeberei und der Eindruck einer durchaus
verlogenen Propaganda trieb mich in eine immer stärkere Ablehnung dieses Mannes, der als Demagoge
unerreichbar war, aber als Staatsmann und Feldherr die Besonnenheit und die nötige Sachkenntnis
vermissen ließ.
Was war die Arbeitsbeschaffung anders als Kriegsrüstung? Wer konnte den angeblich von
Kommunisten verursachten Reichstagsbrand glauben? Wer konnte das Attentat im Münchner
Löwenbräu-Keller ernst nehmen? Der Vorsprung in der Kriegsrüstung führte zur frevelhaften
Entfesselung des Weltkrieges, als Polen angetastet wurde trotz Englands wiederholter Warnungen.
"England ist feige", sagte der große Mann, der nie im Ausland war. "England. wird in zwölfter Stunde
nachgeben."
Als das Sudetenland besetzt wurde, hieß es: "Nun sind Deutschlands Gebietsansprüche in Europa
befriedigt." Dann aber kam noch die Tschechoslowakei dran, und Englands Premierminister bemühte
sich persönlich nach Berchtesgaden und Godesberg, um den Frieden zu erhalten. "Was halten Sie von
Chamberlain? Welchen Eindruck macht er als Mensch auf Sie?" fragte Rudolf Hess den Führer. "Als
M e n s c h ?" erwiderte Hitler, "England ist unser F e i n d ! " Der Prozeß nach dem Reichstagsbrand
verlief im Sande. Der Prozeß wegen des Münchner Attentats kam überhaupt nicht zustande.
Erstaunlich waren allerdings die ersten raschen Erfolge im Weltkriege. Auch ich war davon überwältigt
und sagte: "Wenn Hitler uns das Straßburger Münster wieder verschafft, will ich ihm alles verzeihen."
Aber das war ein Scherz, und bald hörte ich, daß das Münster ebenso wie der Dom in Braunschweig
und Quedlinburg kein Gotteshaus mehr sei, sondern ein "Staatsdom" für einen Kultus des
Deutschglaubens, der die kläglichen Deutschen Christen abgelöst hatte. Inzwischen hörte ich Hitlers
Äußerung: "Die Fiktion des Rechtsstaates muß aufrecht erhalten bleiben." Seine Partisanen sagten:
"Der Wille des Führers ist die Quelle des Rechts!". Friedrich der Große hatte anders vom Recht
gedacht als dieser Mann, der ihn nachzuahmen trachtete.
Am 22. Juni 1941 erfolgte der Einmarsch in Rußland, obwohl wir mit ihm verbündet waren. Ja, es ging
gegen den Bolschewismus; aber Hitler machte Stalin zum Retter des Vaterlandes und trieb ihn in die
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Arme der Westmächte, wie er sich durch Japans Angriff auf Amerika - 7.12.1941 - auch in den Krieg
mit dieser Großmacht treiben ließ. Ich sagte: "Einen kurzen Krieg gewinnen wir, einen langen
gewinnen die andern." Nach Niemöllers Gefangennahme - 2.12.37 - und dem Judenprogrom 10.11.38 - stand mein Urteil über Hitler fest.
Der Fall von Stalingrad im Januar 1943 war der Wendepunkt des Krieges. Seitdem war uns kein Erfolg
mehr beschieden; erst recht nicht, als Hitler selbst den Oberbefehl übernahm. Zwei Jahre später kam
ein Offizier aus dem Hauptquartier zurück. Er hatte die Brillanten vom Führer persönlich erhalten. Als
er mit seinen Kameraden zusammensaß und die Auszeichnung feierte, sagte er - der Wein hatte ihm
die Zunge gelöst - zu den Freunden: "Und wenn es mir den Kragen kostet, ich muß es sagen: Wir
werden von einem Wahnsinnigen regiert." Am 26. Februar kaufte ich mir eine Zeitung, die Hitlers
Worte in dicken Schlagzeilen als Überschrift trug: "Heute prophezeie ich den Sieg!" Ich heftete das
Zeitungsblatt an meine Wand. Nach 2 Monaten war der völlige Zusammenbruch da. Ich hatte schon
vor zwei Jahren damit gerechnet. Der Koloß auf tönernen Füßen mußte zusammenbrechen. Mir sagte
schon vor längerer Zeit ein großer Theologe (D. Dr. Schöffel): "Friedrich Nietzche wird diesen Krieg
verlieren." In diesem Sinne hatte mir schon lange zuvor ein einfacher Mann (Gärtner Frölich in
Farmsen) gesagt: "Was ist das, was wir heute erleben, anders als die Lehre Nietzches? Der
Übermensch, der Antichrist, Jenseits von Gut und Böse."
Die zwölf Jahre Hitlers sind das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte, in welchem die
deutsche Ehre durch unerhörte Verbrechen besudelt wurde und wir uns so schuldig gemacht haben,
daß sogar der erste Weltkrieg uns zur Last gelegt werden konnte (kann). Ich sagte vor Jahren zu
meinem Freunde Dr. Mü., der zur SS gehörte: "Wenn wir diesen Krieg verlieren, so verdanken wir es
der SS und der Gestapo."
Leider habe ich das Buch "Mein Kampf" erst spät gelesen. Ich legte es jedoch nach 130 Seiten,
abgestoßen von der Unwissenheit und Arroganz des Verfassers, aus der Hand, um nicht den letzten
Rest, der Achtung vor ihm zu verlieren. Die "Gespräche Hitlers mit Dietrich Eckart" wollte ich nicht
lesen - nachdem wir es uns aus der Münchner Staatsbibliothek hatten kommen lassen - weil ich wußte,
daß er darin von der Bibel als "Satansbuch" gesprochen hatte.
Daß Hitler zur Macht kam, war das größte Unglück für das deutsche Volk. Als v.Papen ihn
Hindenburg empfahl, hat er sich schwer getäuscht. Daß so viele diesen unseligen Mann geliebt haben,
ist die Folge einer grenzenlosen Selbsttäuschung, erleichtert durch eine satanische Propaganda, aber
nur möglich durch jeden Mangel an politischem Instinkt und durch den leidenschaftlichen Wunsch,
daß unser Volk rasch wieder hochkommen möchte. Als Motto kann man über diese Zeit des Wort des
Herrn Zebaoth über das jüdische Volk schreiben: "Wer Euch antastet, der tastet meinen Augapfel an"
(Sach.2,12).
Ein Mann (Strobel), der vier Jahre mit Hitler im Schützengraben gelegen hatte und ihn von daher
genau kannte, urteilte über ihn, als man ihn bat, zu Gunsten der Kirche auf ihn einzuwirken:
"Unmöglich. Hitler ist ein Phantast, und wenn er sich eine Idee in den Kopf gesetzt hat, ist er nicht
mehr davon abzubringen." Es wäre aber Unrecht, alle Schuld auf Hitler zu schieben und sich selbst frei
zu sprechen. Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Daher sagt Reinhold Schneider in seinem
Sonett: "Denn einer macht den Frevel offenbar, den alle im Verborgenen verschuldet, und treibt zur
Tat, die alle fand bereit, und harrt die Zeit ...."
23.6.45- Die Glaubenslosigkeit oder Glaubensschwäche weitester Kreise ermöglichte Hitlers Aufstieg.
Daß auch so viele Gebildete willenlos mitmachten, ist ein Zeichen großer Charakterschwäche des
deutschen Volkes. Zuckerbrot und Peitsche waren die Mittel Hitlers, die Masse zu beherrschen und
zum willenlosen Werkzeug seines Größenwahnsinns zu machen. Er verstand es geschickt, seine letzten
Ziele zu verhüllen. Wenn die Partei sich zu "einem positiven Christentum" bekannte, so war es nichts
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anderes als Bauernfang. Die Maske fiel, als die Entchristlichung der Jugend und der Kirchenaustritt der
Erwachsenen genügend Fortschritte gemacht hatte.
Im Kreise der Vertrauten sagte der Führer: "Es bleibt der unverbrüchliche Wille der Partei, die beiden
Konfessionen mit Stumpf und Stiel auszurotten." Dieser Hysteriker hatte gar kein Gefühl dafür, daß er
sich mit solcher Äußerung in unlösbaren Widerspruch zu seinem Bekenntnis vor Hindenburg setzte.
Seine Regierung war in Wahrheit eine Tyrannis, eine Despotie, eine vollkommene Aufhebung der
Reichsverfassung, die er vor dem greisen Hindenburg feierlich beschworen hatte; aber sie wurde als
Volksregierung zur Schau gestellt und eine jährliche Befragung des Volkes versprochen. Diese
sogenannten Reichstagswahlen oder Volksbefragungen waren aber ein großer Schwindel, weil die
inneren und äußeren Fragen ungehörig verquickt wurden, die Zählung der Stimmen durchaus nicht der
Wahrheit entsprach und niemand sicher war, wegen seiner Abstimmung gemaßregelt zu werden.
Das Denunziantenwesen blühte im dritten Reich und untergrub alles Vertrauen. Auch die leiseste
Kritik wurde zum strafwürdigen Verbrechen gestempelt. Die Schmeichelei führte zum unerhörten
Byzantinismus. "Der Führer kann nicht irren, Hitler ist Deutschland", wurde dem Volk vorgeredet. Die
suggestive Macht der Massenbeeinflussung durch Radio und Presse untergrub das Nachdenken, die
Urteilsbildung und die Gewissenhaftigkeit des Einzelnen.
Das Konzentrationslager wurde zu einer Dauereinrichtung. Wer ihm entkam, war durch ein
Schweigegebot gebunden. Daß es dort entsetzlich war, wußte trotzdem jeder Deutsche. Die
Anständigen ertrugen diese Zustände mit Grauen. Daß aber so viele sich ihres dritten Reiches freuten
und die Ausdehnung seiner Methoden auf die andern Völker mit Genugtuung begrüßten, ist
unentschuldbar. Man kann es nur aus einem subalternen Zug der deutschen Seele begreifen, der durch
den Kasernenhof, durch den Ehrgeiz und das Weiterkommenwollen genährt wurde.
Am meisten konnten die biblisch festgegründeten christlichen Kreise Widerstand leisten, zu denen die
wahren Idealisten kamen, denen die Freiheit, Brüderlichkeit und Einigkeit keine Phrasen waren. Die
Ähnlichkeit des Nationalsozialismus mit dem Bolschewismus leuchtet, ein. Hie "Gottgläubigkeit" dort "Atheismus " :das sind nicht Gegensätze, sondern Schattierungen. Die Gottesfrage will ernst
genommen werden. Hitler ist gescheitert an der Gottesfrage. Er hat unter christlicher Flagge das
Antichristentum propagiert und sich an der christlichen Grundlage des deutschen Volkes vergriffen,
eine schon lange bestehende Entwicklung vollendend. Sein letztes Wort im Keller des in
verschwenderischer Pracht gebauten Berliner Reichskanzlerpalais, das von russischen Bomben und
Flammenwerfern zertrümmert wurde, dürfte das eines Julian Apostata gewesen sein: Vicisti Galilaee!
Der 20. Juli 1944 erwies die Unfähigkeit der Deutschen, sich selbst von diesem Dämon zu befreien.
Wie einst Napoleon von einer Koalition gestürzt werden mußte, so konnte Europa auch von Hitler nur
durch eine gewaltige Gegenmacht befreit werden. Aber sind diese Alliierten sich im Wesentlichen
einig? Oder sind wir vom Regen in die Traufe gekommen? Doch sollen wir nicht an die Schuld der
andern denken, die uns jetzt unsere Schuld vorhalten und deshalb zur Rede stellen. Ihre Schuld macht
unsere Schuld nicht geringer. Gott wird auch sie zu seiner Zeit richten. Je tiefer unsere
Sündenerkenntnis ist, desto eher kann Gott seine Gnade zuwenden. Gott ist vielleicht den Besiegten
näher als den Siegern.
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