Eberhard Kolb: Warum kam Hitler an die Macht? 1. Erste deutsche Republik war von Anfang an schwach - Sie wurde nur von einer Minderheit der deutschen Bevölkerung akzeptiert und verteidigt - Weimarer Republik von Anfang an nur eine Kompromisslösung zwischen Sozialdemokratie und Bürgertum - Große Mehrheiten mit Skepsis, Distanz und offener Ablehnung, u.a. die alten Führungseliten, große Teile des Bürgertums - Formierung der antidemokratischen Gegner auf der Rechten wie auf der Linken 2. Ab 1929/30 Verschärfung der Gegensätze - Übergang zum Präsidialsystem und Abwendung von der parlamentarischen Regierungsweise → dadurch Schwächung der staatsbejahenden und republiktreuen Parteien - Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise steigern die Ängste der Bevölkerung bis ins Unermessliche; Loyalität der breiten Bevölkerungsschicht schwindet immer mehr → Auftrieb der extrem nationalistischen und demokratiefeindlichen NSDAP hin zur Massenbewegung 3. Letztendliche Verantwortlichkeit - Hitler kam nicht durch Wahlen an die Macht - Hitler kam letztendlich nur durch die Fehleinschätzung der alten Eliten (Großlandwirtschaft, Industrie, Militär und Großbürgertum) an die Macht, die Hitler für ihre autoritäre Abkehr (keine totalitäre Diktatur!!) von Weimar für ihre eigenen Zwecke benutzen wollten; für sie war Hitler ein akzeptabler Bundesgenosse im Kampf gegen Demokratie, Parlamentarismus und organisierte Arbeiterschaft Eberhard Kolb: Musste die Weimarer Demokratie scheitern? 4. Erklärungsmodelle - Monokausale Erklärungsmodelle sind zum Scheitern verurteilt und geben die Komplexität der Ereignisse nicht wieder - Komplexes Ursachengeflecht 5. Folgende Determinanten sind zu berücksichtigen - Institutionelle Rahmenbedingungen (Rechte des RP, zumal beim Fehlen klarer parlamentarischer Mehrheiten) - Ökonomische Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse; - politische Kultur in D (Republikferne der alten Eliten) - Veränderungen im sozialen Gefüge (Umschichtungen im Mittelstand mit Konsequenzen u.a. für politische Orientierung und Wahlverhalten der mittelständischen Kreise) - Ideologische Faktoren (autoritäre Traditionen; durch die Kriegsniederlage verstärkter Nationalismus; Dolchstoßlegende, Kriegsunschuldspropaganda, Führererwartung mit Hoffnung auf den starken Mann) - Massenpsychologische Momente (kollektive Entwurzelung und politische Labilität breiter Bevölkerungsschichten) - Rolle einzelner Persönlichkeiten an verantwortlicher Stelle (Hindenburg, von Papen, Schleicher) 6. Gewichtung der einzelnen Determinanten und ihre Einfügung in ein Gesamtbild ist entscheidend für die Antwort nach der Frage des Scheiterns Weimars und der Ermöglichung Hitlers (INTERPRETATION); dabei sind unterschiedlich akzentuierende Antworten vertretbar, ohne dass das Urteil beliebig oder willkürlich wird