Glaube und Erlösung im Christentum und anderen - RPI

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II. INTERRELIGIÖSER SCHWERPUNKT:
TRADITION, MODERNE UND POSTMODERNE
John Hick
Wahrheit und Erlösung im Christentum und in anderen Religionen
Zur gegenwärtigen Situation
Mit anderen Religionen meine ich vor allen Dingen die anderen "großen Weltreligionen", insbesondere
Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Ich tue dies nicht, weil andere kleinere oder jüngere
Religionen und die großen säkularen Bekenntnisse des Humanismus und Marxismus etwa weniger
wichtig wären, sondern ausschließlich, weil der Raum begrenzt ist, und weil die großen Weltreligionen
seit Jahrhunderten existieren und Millionen von Menschen beeinflussen, so dass über sie genug
bekannt ist, um auf einem gemeinsamen Wissenshintergrund über sie zu reden. Ich möchte aber den
Ausdruck "Menschen verschiedener Religionen" betonen, da ich vorschlage, dass bei diesem
verwirrenden Thema nur der Weg voran führt, zunächst einmal das tatsächliche Leben von Christen
und Menschen anderer Religionen unter die Lupe zu nehmen, und die konkrete Realität menschlichen
Lebens in diesen verschiedenen Traditionen in ihren negativen und positiven Ausprägungen sehr ernst
zu nehmen.
Hiervon ausgehend möchte ich darstellen, was ich für eine tragfähige christliche Theologie der
Religionen für heute halte. Ich sage "für heute", da ich Theologie als einen wachsenden und sich
entwickelnden Organismus ansehe, so dass ein für heute und morgen angemessener theologischer
Rahmen sich durchaus von dem unterscheiden kann, was vor tausend Jahren angemessen war.
Berücksichtigt man das sich ständig steigernde Tempo kulturellen Wandels, so kann ein solcher
Rahmen heute durchaus in hundert Jahren oder gar einer Generation veralten und unbrauchbar
werden.
Ich will keine Zeit damit verschwenden, Sie auf die neuen Gegebenheiten unserer Situation am Ende des
zweiten christlichen Jahrtausends hinzuweisen, aber mindestens drei neuere Entwicklungen bedürfen der
Erwähnung. Die erste ist eine Explosion des Wissens über die Religionen der Welt. Erstklassige
wissenschaftliche Arbeiten sind in relativ preiswerten Taschenbuchausgaben allgemein zugänglich und
verschaffen uns Informationen über (in der Reihenfolge des Alters) Hinduismus, Judentum, Buddhismus,
Taoismus, Konfuzianismus, Islam, Sikhismus, Baha'i und auch über ethnische Religionen. Zweitens haben sich
die Reisemöglichkeiten vervielfacht und Bewohner der westlichen Welt haben in großer Zahl Indien, Pakistan,
Thailand, Sri Lanka und andere fernöstliche Länder besucht und einiges von dem friedvollen Einfluß des
Buddhismus auf die Thais, von der ekstatischen Hingabe und dem mächtigen Sinn für das Göttliche unter den
Hindus und von den Wundern der islamischen Zivilisation, die sich architektonisch z.B. im Taj Mahal bei Agra
oder in den großen Moscheen Istanbuls Ausdruck verschafft haben, kennengelernt. Und zahlreiche Menschen
aus dem Westen haben ihre persönlichen, geisteserweiternden und bewußtseinsverändernden inneren Reisen
durch fernöstliche Meditationspraktiken erlebt. Und drittens, und dies ist vielleicht der wichtigste Punkt, hat eine
massive Immigration von Ost nach West stattgefunden, die Muslime, Sikhs, Hindus und Buddhisten nach Europa
und Nordamerika geführt hat. In Nordamerika leben zwischen sechs und sieben Millionen Muslime, im gesamten
Europa ungefähr elf Millionen. Die Gemeinschaften der Hindus, Sikhs und Buddhisten sind in kleineren, aber
immer noch beträchtlichen Zahlen vertreten. Jüdische Gemeinden haben in Europa eine lange Tradition, wenn
auch ihre Zahl im nationalsozialistischen Holocaust der vierziger Jahre auf tragische Weise um ein Drittel
reduziert wurde. Als Ergebnis der Immigrationswelle nach dem Zweiten Weltkrieg sind wir heute in vielen
Städten der westlichen Welt (einschließlich meiner Heimatstadt Birmingham) nicht nur mit dem Anblick von
Kirchen und Synagogen vertraut, sondern auch mit dem von Moscheen, Gurudwaras und anderen Tempeln.
Viele von uns haben ihre Anhänger als Nachbarn.
Ein weiteres Resultat, das einen tieferen und signifikanteren Eindruck auf viele Menschen gemacht
hat, ist die aus der Vertrautheit mit Einzelnen und Familien dieser verschiedenen Glaubensrichtungen
resultierende Entdeckung, dass unsere muslimischen, jüdischen, hinduistischen, sikhistischen oder
buddhistischen Mitbürger in aller Regel nicht weniger freundlich, ehrlich oder rücksichtsvoll, nicht
weniger wahrhaftig, ehrbar, liebevoll und mitleidig sind als unsere christlichen Mitbürger. Menschen
anderer Religionen sind im Schnitt keine besseren Menschen als Christen, aber auf der anderen Seite
sind sie auch keine erkennbar schlechteren. Wir stellen fest, dass (soweit wir erkennen können)
Tugenden und Laster mehr oder weniger gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt sind - ohne Rücksicht
auf den Glauben, und hier schließe ich Humanismus und Marxismus ein. In jedem Fall muss ich
sagen, dass meine natürlich begrenzte Erfahrung mit Menschen, die Juden, Muslime, Hindus oder
Buddhisten sind, mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass die geistlichen und moralischen Früchte
dieser Bekenntnisse sich von den Früchten des Christentums nicht nennenswert unterscheiden. Die
Lektüre von Literatur der verschiedenen Traditionen, sowohl der heiligen Schriften und Philosophien
als auch mancher Prosa und Lyrik, die alltägliches Leben schildern, hat diesen Eindruck verstärkt.
Ethik in den Religionen
Wenn wir uns nun die großen, von verschiedenen Religionen geformten Zivilisationen der Erde
anschauen, sehen wir viel Gutes und viel Schlechtes in jeder von ihnen. Es scheint unmöglich, auf
irgendeine akzeptable Art einen
Vergleich zwischen ihnen anzustellen, der die moralische
Überlegenheit der christlichen Zivilisation belegt. Denn Gutes und Schlechtes ist nicht exakt meßbar.
Wie soll man die Grausamkeiten des indischen Kastensystems gegen die Grausamkeit der
europäischen Ständegesellschaft der gleichen Epoche aufwiegen; oder die Armut so vieler
hinduistischer, buddhistischer oder islamischer Länder gegen den gierigen Mißbrauch der nicht
erneuerbaren Ressourcen der Erde und die selbstsüchtige Zerstörung der Umwelt durch so viele
christliche Länder; oder die sozialen Probleme Kalkuttas, Bangkoks oder Kairos gegen Drogen,
Gewalt, Kriminalität und Verzweiflung in unseren Großstädten; oder die Brutalität einiger östlicher
Regime gegen den virulenten Antisemitismus, der im christlichen Europa wieder und wieder an Einfluß
gewonnen hat? Es ist natürlich leicht, einige der offensichtlich schlechten Seiten anderer Traditionen
aufzugreifen und sie mit offensichtlich guten Seiten der eigenen zu vergleichen. Aber das ist kein
wahrhaftiges Vorgehen. Es ist eine Tatsache, dass man für alles Schlechte, das man zu Recht in
einem Strang der Geschichte anprangern kann, man mit der gleichen Berechtigung etwas ähnlich
Verwerfliches in unserem eigenen nennen muss. Wir müssen die Weltreligionen als einen riesigen
Komplex religiös-kultureller Gesamtheiten sehen, jede von ihnen eine verwirrende Mischung von Gut
und Böse. Wenn wir das tun, so meine ich, können wir nur zu der negativen Schlußfolgerung kommen,
dass es nicht möglich ist, die moralische Überlegenheit einer der Religionen zu beweisen. Vielleicht hat
sich in den Augen Gottes eine in der Geschichte als die überlegene erwiesen, aber ich glaube nicht,
dass vom menschliche Standpunkt eine solche Entscheidung möglich ist.
Diese Schlußfolgerung, so bescheiden sie sein mag, ist allerdings für die Argumentation, die ich entwickeln
möchte, von hoher Bedeutung. Aber auch diese bescheidene und negative Schlußfolgerung wird nicht von
jedem akzeptiert werden können. Ich bin sicher, dass viele überzeugt sind, dass die Früchte des christlichen
Glaubens im Leben der Christen und in der Geschichte der christlichen Zivilisation offensichtlich denen anderer
Weltreligionen überlegen sind; es lohnt sich zu fragen, ob diese Überzeugung auf empirisch nachweisbaren
historischen und soziologischen Fakten beruht, oder eine A-Priori-Behauptung darstellt, die unabhängig von
beobachtbaren Fakten zu gelten hat. Ich möchte hierzu nur sagen, dass jeder, der die Überlegenheit seiner
Religion gegenüber anderen behauptet, die Beweislast hierfür zu tragen hat. Für den Moment jedenfalls will ich
von der Grundannahme ausgehen, dass die traditionelle Überzeugung von der christlichen moralischen
Überlegenheit, wie tief sie auch immer verwurzelt sein mag, nicht untermauert werden kann.
Konsequenzen für eine christliche Theologie der Religionen
Dies bedeutet für die christliche Theologie der Religionen, dass sich die Abwesenheit einer
beweisbaren moralischen Überlegenheit im Gegensatz zu unserer traditionellen Theologie zu befinden
scheint. Diese lehrt uns, dass Jesus von Nazareth fleischgewordener Gott war - genauer, Gottes Sohn,
die zweite Person der Heiligen Dreieinigkeit -, dass er am Kreuz starb, um für unsere Sünden zu
büßen und so Erlösung zu ermöglichen. Sie lehrt uns, dass Christen als Glieder des Leibes Christi
vom Heiligen Geist beseelt sind und Woche für Woche geistig durch die Gnade Gottes im Abendmahl
gestärkt werden. Dies bedeutet unter anderem, dass das Christentum als einzige Religion der Welt
von Gott selbst gegründet wurde. Es ist so Gottes eigene Religion in einem Sinn, wie dies keine
andere Religion behaupten kann. Daraus scheint zu folgen, dass Gott es wünschen muss, dass alle
Menschen sich der Religion anschließen, die er selbst geschaffen hat.
Eine zweite Bedeutung unserer Grundannahme ist, dass wir Christen als Gemeinschaft in einer
engeren Bindung an Gott leben als die nicht-christliche Welt Müßte dann aber nicht im Leben der
Christen mehr von den Früchten des Geistes zu finden sein, die Paulus in Gal 5,22f aufführt als "Liebe,
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Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gültigkeit, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit"? Wenn
unsere traditionelle christliche Theologie wahr ist, dann müssen wir doch erwarten, diese
Eigenschaften in Christen häufiger anzutreffen als in Nicht-Christen. Natürlich wird man nicht erwarten,
dass irgendein wahllos herausgegriffener Christ einem ebenso wahllos ermittelten Nicht-Christen
moralisch und spirituell überlegen sei. Das wäre eine unvernünftige Forderung. Aber die
durchschnittliche Menge dieser Früchte sollte unter Christen größer sein, als unter Nicht-Christen. "An
ihren Früchten werdet ihr sie erkennen", sagt Jesus und fragt, "Sammelt man etwa Trauben von
Dornen oder Feigen von Disteln?" (Mt 7,16). Ich habe versucht zu zeigen, dass diese Früchte unter
Christen nicht zahlreicher sind als unter Juden, Muslimen, Hindus, Buddhisten, Sikhs, Taoisten,
Baha'is und so weiter. Und doch müßten sie es sein, wenn die traditionelle christliche Theologie recht
hätte. So muss ich schlußfolgern, dass die traditionelle Struktur der christlichen Theologie einer
Revision bedarf. Denn die Funktion der Theologie ist doch wohl, die Fakten sinnvoll zu erklären, nicht
aber sie zu ignorieren oder ihnen zu widersprechen.
Von der Selbst-Zentrierung zum „Realen“
Lassen Sie uns nun die Situation aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten. Wir wollen uns auf
die Idee der Erlösung konzentrieren, eine Idee, die für christliches Denken, sei es traditionell oder
revisionistisch, absolut zentral ist. Wenn wir Erlösung als Vergebung und Annahme von Gott durch den
Opfertod Jesu definieren, dann ist es tautologisch, zu sagen, dass allein das Christentum die rettende
Wahrheit kennt und lehrt, dass wir Jesus als unseren Herrn und Erlöser annehmen, uns auf seinen
Opfertod berufen und in die Kirche als die Gemeinschaft der Erlösten, in der die Früchte des Geistes
reichlich vorhanden sind, eintreten müssen. Aber wir haben gesehen, dass sich dieser Ideenkreis im
Widerspruch zu der beobachtbaren Tatsache befindet, dass die Früchte des Geistes außerhalb der
Christenheit ebenso offensichtlich sind wie in ihr. Ich schlage vor, dem durch diese Früchte gegebenen
Hinweis zu folgen; denn Jesus war viel mehr mit dem Leben von Menschen befaßt als mit einem
Corpus theologischer Aussagen, den diese im Kopf gehabt haben mögen. In seinem Gleichnis vom
Endgericht ist das Kriterium göttlichen Urteils schlicht, ob wir die Hungrigen ernährt, die Fremden
aufgenommen, die Nackten gekleidet und Kranke und Gefangene besucht haben (Mt 25,31-46). Mit
anderen Worten, es geht darum, ob wir die Früchte des Geistes in unserem Leben haben wirksam
werden lassen. Definieren wir also in sehr konkreter Weise Erlösung als die tatsächliche Veränderung
in einem Menschen, die an beobachtbaren moralischen Früchten erkennbar ist. Wir finden dann, dass
wir über etwas reden, das von zentraler Bedeutung für jede der Weltreligionen ist. Jede ruft uns auf
ihre Weise dazu auf, unseren ichbezogenen Standpunkt, der der Ursprung aller Eigensucht, Gier,
Ausbeutung, Grausamkeit und Ungerechtigkeit ist, zu überwinden und uns in dem letzten,
transzendenten Geheimnis neu zu zentrieren, das wir in christlicher Sprache Gott nennen.
In christlichen Begriffen gesprochen sollen wir (in den Worten der Theologia Deutsch, einer mystischen Schrift
des 15. Jh.) für die Ewige Gottheit das sein, was unsere Hände für uns sind. In muslimischen Begriffen sollen wir
uns Gott absolut unterwerfen, nicht unseren Willen, sondern den Gottes tun und hierin die Erfüllung unseres
Menschseins finden. In jüdischen Begriffen sollen wir mit Freude und Verantwortung im Einklang mit Gottes
Torah leben und hierin wiederum die Erfüllung unsrer Menschlichkeit finden. In hinduistischen Begriffen (und ich
zitiere einen Satz von Radhadkrishnan): "Göttliches Bewußtsein und göttlicher Wille müssen unser Bewußtsein
und Wille werden. Dies bedeutet, dass unser Selbst aufhören muss, ein privates Selbst zu sein; wir müssen
unseren partikularen Willen aufgeben, für unser Ich sterben, indem wir seine gesamte Natur, sein Bewußtsein
und seinen Charakter an das Göttliche aufgeben (S. Radhakrishnan: The Principal Upanishads. London: Allen &
Unwin, und New York: Humanities Press, 1969, S.105). Und in buddhistischen Begriffen (ich zitiere einen
führenden Vertreter des gegenwärtigen Buddhismus im Westen, Masao Abe): "Buddhistische Erlösung ist
nichts anderes als ein Erwachen zur Realität durch den Tod des Ich." (The Buddha Eye (Hg. Frederick Franck).
New York: Crossroad, 1982, S.153). Dies Erwachen drückt sich in MItleiden mit allem bewußten Leben aus.
Ohne in weitere Details zu gehen, ist es, glaube ich, deutlich geworden, dass die großen Traditionen,
das Christentum eingeschlossen, auf die Transformation der menschlichen Existenz abzielen: Von der
Selbst-Zentriertheit zur Neu-Zentrierung in dem, was wir Gott, Letzte Realität, das Transzendente oder
das Reale nennen. Von all diesen möchte ich den Begriff "das Reale" wählen, nicht nur, weil es im
Christentum üblich ist, von Gott als dem letztlich einzig Realen zu denken, sondern weil dieser Begriff
mit Sanskrit "sat" und arabisch "al-haqq" korrespondiert und weitere Parallelen in anderen Sprachen
aufweist. Das Konzept des Realen ist also mehr oder weniger universell. Und was verschiedentlich
Erlösung, Befreiung, Erleuchtung oder Erwachen genannt wird, besteht in dieser Transformation von
der Selbst-Zentrierung zur Realitäts-Zentrierung. Ich behaupte, dass dies das zentrale Anliegen aller
Weltreligionen ist. Sie sind nicht zuerst Philosophien oder Theologien, sondern Wege zur
Erlösung/Befreiung. Es ist klar, dass Erlösung, so verstanden, ein langer Prozeß ist, und dass dieser
Prozeß nicht nur im Christentum, sondern, soweit wir wissen, in gleicher Intensität auch in anderen
Religionen stattfindet.
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Exkluvismus, Inklusivismus, Pluralismus und die Erlösungsansprüche
An dieser Stelle kann ich die bekannte dreifache Unterscheidung christlicher Theologien in
exklusivistische, inklusivistische und pluralistische einführen. Es gibt natürlich zahlreiche Variationen,
aber, auf Erlösungsansprüche und Wahrheitsansprüche angewandt, scheint diese Dreifachtypologie
das Feld recht gut abzudecken.
Lassen Sie uns also zunächst über Erlösungsansprüche reden. Hier behauptet die exklusivistische
Position, dass Erlösung auf Christen beschränkt ist, oder im traditionellen katholischen Dogma noch
enger gefaßt, dass extra ecclesiam nulla salus, außerhalb der Kirche kein Heil ist. Diese
exklusivistische Position wurde implizit bereits durch das Vatikanum II zurückgewiesen. Bestätigt
wurde diese durch die Enzyklika Redemptor Hominis (1979) des gegenwärtigen Papstes, in der er
schrieb: "Der Mensch - jeder Mensch ohne irgendeine Ausnahme - ist durch Christus erlöst worden,
und mit jedem Menschen ohne irgendeine Ausnahme ist Christus in gewisser Weise verbunden, selbst
wenn der Mensch dies nicht weiß." (§ 14). Die einzigen noch übrigen Erlösungs-Exklusivisten sind
einige ultra-konservative Katholiken in der Nachfolge des verstorbenen Erzbischofs Lefèbre, der 1988
exkommuniziert wurde und, erheblich zahlreicher, lautstärker und einflußreicher, die Gruppe der
protestantischen Fundamentalisten. Ihre Position ist nur dann in sich logisch und zusammenhängend,
wenn man den Gedanken akzeptieren kann, dass Gott die Mehrheit der menschlichen Rasse, die die
christliche Botschaft nie kennengelernt oder angenommen hat, zu ewiger Verdammnis verurteilt. Einen
solchen Gott hielte ich persönlich für den Teufel.
Die Position des Vatikanum II, des Papstes in der gerade zitierten Enzyklika und der Mehrheit der
heutigen protestantischen Theologen (abgesehen von den Fundamentalisten) unterscheidet sich
hiervon und wird zu recht Inklusivismus genannt. Sie erkennt an, dass der Erlösungsprozeß überall
auf der Welt stattfindet, in jeder der Weltreligionen und außerhalb von ihnen, besteht aber darauf, dass
wo immer er geschieht dies das Werk Christi ist. In dieser Theorie beruht Erlösung auf Jesu Opfertod
auf Golgatha; seine Auswirkungen sind jedoch nicht auf Christen beschränkt, sondern sind im
Gegenteil im Prinzip allen Menschen zugänglich. So können die Anhänger der anderen Weltreligionen
in die Sphäre christlicher Erlösung einbezogen werden. In Karl Rahners berühmter Wendung können
sie "anonyme Christen" sein. Viele Inklusivisten fühlen sich verständlicherweise bei diesem
imperialistisch klingenden Ausdruck unwohl; aber ihre Position ist trotzdem im Grunde die Rahners nämlich, dass Erlösung, wann immer und wo immer sie geschieht, ausschließlich christliche Erlösung
ist, so dass Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten usw., die gerettet werden, nur durch Christus gerettet
werden, und nur durch ihn gerettet werden können, ob sie nun die Quelle ihrer Errettung kennen oder
nicht.
Christlicher Inklusivismus nimmt zwei Formen an. Eine definiert Erlösung in traditionellen Begriffen und
behauptet, dass man, um gerettet zu werden, Jesus persönlich als seinen Herrn und Erlöser
anerkennen muss, fügt jedoch hinzu, dass die, die ihm in ihrem Leben nicht begegnet sind, dies nach
dem Tode tun können. Diese Position wird häufig von konservativen Christen bevorzugt. Diese Theorie
scheint mir allerdings gewisse Ähnlichkeiten mit den Epizyklen der Gestirne aufzuweisen, die in der
Astronomie auftauchten, um das Ptolemäische Weltbild zu bewahren, bevor es endgültig
zusammenbrach. Wir sollten uns warnen lassen, dass solche theologischen Epizyklen in aller Regel in
den letzten Tagen eines sterbenden Dogmas auftauchen.
Die andere Form des Inklusivismus ist mit dem offeneren Verständnis von Erlösung als
Erlösung/Befreiung vereinbar, der Transformation von Menschen, und schließlich durch sie von
Gesellschaften. Diese Form kann offen zugeben, dass diese Entwicklung jetzt und hier außerhalb wie
innerhalb des Christentums stattfindet. Sie besteht allerdings darauf, dass der erlösende Einfluß der
Tora auf das Leben von Juden, des Buddhadharma auf das Leben von Buddhisten usw. alle
letztendlich auf das Erlösungswerk Christi zurückzuführen sind, der im Geheimen in all diesen
Traditionen wirkt. Es ist dies die Idee des unbekannten Christus des Hinduismus - unbekannt den
Hindus - und ebenso des unbekannten Christus des Buddhismus etc. Der Name Christus kann hier
nicht den historischen Jesus von Nazareth meinen, sondern nur den auferstandenen Jesus in
göttlicher Herrlichkeit, nunmehr als himmlischer Christus gedacht. Als abstrakte Idee klingt dies
vielversprechend. Das Problem steckt allerdings in der Ausformulierung. Es wird nicht reichen, vom
Werk des auferstandenen Christus zu reden, da dieses Werk vermutlich erst mit der Auferstehung um
das Jahr 30 n.Chr. begann, es sei denn man ist bereit, die Idee einer rückwärts operierenden
Kausalität zu akzeptieren, um die befreiende Wirkung der Lehre Buddhas ca. 500 v. Chr. zu erklären,
oder die noch älteren Anfänge des Hinduismus oder des Judentums abzudecken. Eine Kausalität, die
mehr als 1000 Jahre rückwärts durch die Zeit operiert, dürfte in einen philosophischen Sumpf führen,
in den sich wohl kaum jemand gerne begeben möchte.
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Um aus der Idee eines in anderen Weltreligionen (auch den älteren) wirkenden Christus Sinn zu machen, wird es
nötig sein, über die historische Figur Jesu von Nazareth hinauszugehen und stattdessen von einer nichthistorischen, besser über-historischen Christusfigur, dem Logos, zu sprechen, der im Geheimen Buddha, die
Autoren der Upanishaden, Moses und die großen hebräischen Propheten, (Zarathustra) und später Mohammed,
Guru Nanak und andere inspiriert hat. Aber diese Christusfigur, dieser Logos, der vor und unabhängig von dem
historischen Leben und Sterben Jesu von Nazareth operiert, wird dann letztendlich nur eine Chiffre für die
weltweite und geschichts-lange Gegenwart des Göttlichen, Transzendenten, Letzten, Realen für die Menschen.
Um aus der Idee, dass alle großen Weltreligionen durch denselben transzendenten Einfluß inspiriert
worden sind, irgendeinen Sinn zu machen, müssen wir über die historische Figur Jesu hinausgehen,
und eine universelle Quelle aller erlösenden menschlichen Veränderung behaupten. Was wir dann
haben, ist jedoch nicht länger, um es paradox zu formulieren, ein exklusiv christlicher Inklusivismus,
sondern etwas, was der Art von Pluralismus nahekommt, für die ich eintrete. Ich behaupte also, dass
religiöser Inklusivismus ein vages Konzept ist, welches sich dem Pluralismus annähert, wenn man
versucht, es zu präzisieren. Ich will nun versuchen, zu erläutern, was dies bedeutet.
Wahrheitsansprüche
Aber lassen Sie mich zunächst zu einem Punkt zurückkehren, über den ich bereits gesprochen habe,
nämlich der Tatsache, dass das Dreifachschema von Inklusivismus, Exklusivismus und Pluralismus
auf Erlösungs- und Wahrheitsansprüche anwendbar ist. Bislang haben wir über Erlösungsansprüche
nachgedacht. Was aber hat es mit Wahrheitsansprüchen auf sich? Es ist zweifelsfrei, dass die großen
Weltreligionen viele verschiedene Konzeptionen des Letzten, des Realen, kennen, die mit
entsprechend vielfältigen religiösen Erfahrungen in Beziehung stehen, und aus denen entsprechend
unterschiedliche Glaubenssysteme resultieren. Wenn aber irgendeines dieser Glaubenssysteme
"wahr" ist (in dem Sinne, dass es Wirklichkeit reflektiert), müssen dann nicht alle anderen, zumindest
soweit sie sich von dem einen unterscheiden, falsch sein? Bertrand Russel schrieb: "Es ist logisch
offensichtlich, dass, da die großen Weltreligionen uneins sind, nicht mehr als eine von ihnen wahr sein
kann." (Bertrand Russel: Why I am Not a Christian. London: Allen & Unwin, 1957, S. xi). Diese
Grundannahme, dass es nämlich nur eine wahre Religion geben kann, in dem Sinn, dass nur eine
Religion die erlösende Wahrheit über das Letzte und unsere Beziehung zu diesem Letzten lehrt,
möchte ich in Frage stellen. Ich möchte einen völlig anderen Ansatz vorschlagen, und ich werde dies
durch drei Analogien zu verdeutlichen versuchen.
1. Bedenken wir zunächst das berühmte mehrdeutige Hase-Ente-Bild des Psychologen Jastrow, das
Wittgenstein in seiner Diskussion des "Sehen als" in den Philosophischen Untersuchungen benutzt
hat.
Es ist dies eine Zeichnung, die man sowohl als Kopf einer nach links schauenden Ente, als auch als
Kopf eines nach rechts schauenden Hase sehen kann. Nehmen wir an, es gäbe eine Kultur, in der
Enten ein alltäglicher Anblick, Hasen jedoch völlig unbekannt sind. Nehmen wir weiter an, es gäbe eine
zweite Kultur, in der Hasen alltäglich, Enten jedoch völlig unbekannt sind. Wenn Menschen der "entenkennenden" Kultur dies mehrdeutige Bild sehen, werden sie es selbstverständlich als Abbildung einer
Ente erkennen. Sie werden sogar behaupten, zu wissen, dass das Bild eben dies darstellt; da sie das
Konzept eines Hasen nicht besitzen, können sie die Mehrdeutigkeit des Bildes nicht erkennen.
Natürlich geht es Menschen der "hasen-kennenden" Kultur genau andersherum. Für sie handelt es
sich ganz offensichtlich um einen Hasen, und es gibt ebenfalls keinerlei Mehrdeutigkeit auf diesem
Bild. Die Menschen dieser beiden Kulturen sind völlig im Recht, sowohl erkenntnistheoretisch als auch
moralisch, wenn sie sagen, und sogar behaupten zu wissen, dass dies Bild einen Hasen bzw. eine
Ente darstellt. Und jede Gruppe, wenn sie erführe, dass die jeweils andere Gruppe auf dem Bild etwas
völlig Anderes und Fremdes erkennt, würde sicher behaupten, dass die fremde Gruppe verwirrt sei
oder auf irgendeine unerklärliche Weise unrecht habe.
Wittgenstein jedoch könnte die Situation so erklären, dass jede Gruppe mit dem was sie behauptet
recht hat, dass jedoch die Schlussfolgerung, die andere Gruppe habe Unrecht, falsch ist. Er könnte
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darauf hinweisen, dass beide im Recht sind, weil das, was tatsächlich abgebildet ist, gleichermaßen
korrekt auf zwei verschiedene Arten gesehen werden kann, nämlich als Hase oder Ente.
Die Analogie, die ich ziehen möchte, ist natürlich die mit der religiösen Erfahrung. Und die Möglichkeit,
auf die ich hinweisen möchte ist, dass die unbeschreibbare letzte Realität durchaus authentisch in
verschiedenen menschlichen Konzepten als Jahwe, als Dreieinigkeit, als Allah, als Shiva, als Vishnu,
oder auch als Brahman, als Dharmakaya, als Tao etc. erfahren werden kann.
2. Eine zweite Analogie mag helfen zu verdeutlichen, wie dies möglich ist. Es ist dies das TeilchenWelle-Phänomen in der Physik. Es scheint, dass in gewissen experimentellen Situation das Licht die
Eigenschaften von Wellen aufweist, in anderen experimentellen Situationen allerdings die
Eigenschaften von Teilchen. Die beobachteten Eigenschaften hängen davon ab, wie der Beobachter
mit dem Licht in Beziehung tritt. Die Analogie, an die ich hier denke, ist die mit spirituellen Praktiken Gebet, Formen der Meditation, Sakramente, gemeinsame Anbetung. In diesen Praktiken treten wir in
Beziehung zu dem Realen.
Mit anderen Worten, wenn unsere religiöse Kultur uns in die Lage versetzt, uns dem Realen in
persönlicher Form zu nähern, dann werden wir dies Reale als persönliche Gottheit erfahren. Was wir
dann wahrscheinlich erkennen werden, ist eine spezifische göttliche Persönlichkeit, die auf einen
bestimmten Strang der menschlichen Geschichte bezogen ist - die Persönlichkeit, die das jüdische
Volk auserwählt hat, der himmlische Vater, den Jesus predigt oder das göttliche Wesen, das im Qur'an
zu den arabischen Völkern sprach etc. Wenn uns auf der anderen Seite unsere religiöse Kultur lehrt,
uns dem Realen als der unendlichen nichtpersonalen Sein-Bewusstsein-Seligkeit des Brahman zu
nähern, oder als dem ewigen Dharmakaya, das sich auf ewig im grenzenlosen Mitleiden des Buddhas
äußert, dann wird dies vermutlich die Weise sein, in der wir das Reale wahrnehmen. Um es mit
vertrauter christlicher Sprache auszudrücken: Offenbarung ist beziehungsabhängig. Sie nimmt
verschiedene Formen an, abhängig von der religiösen Empfänglichkeit der Menschen, die in
verschiedenen Traditionen geformt wird, der verschiedene Denkkonzepte zugrunde liegen und die sich
in verschiedenen Formen spiritueller Praxis äußert.
3. Die dritte Analogie kommt aus der Kartographie. Da die Erde eine dreidimensionale Kugel ist, muss
jede zweidimensionale Landkarte notwendigerweise verzerren. Es gibt zahlreiche Wege einer
systematischen Verzerrung, die unterschiedlichen Zwecken dienen. Eine der bekannteren ist die
Zylinderprojektion nach Mercator, die in vielen Weltkarten benutzt wird.
Jede zweidimensionale Karte einer dreidimensionalen Realität muss in naturgemäß verzerren - nach einem
festen Satz von Regeln. Das bedeutet aber nicht, dass, wenn ein Typ korrekt ist, alle anderen Typen inkorrekt
sind. Wenn sie richtig hergestellt sind, sind alle Projektionstypen korrekt - in einem anderen Sinn sind sie alle
inkorrekt, da sie notwendigerweise alle verzerren. Allerdings mag die eine für einen bestimmten Zweck
geeigneter sein, eine andere für einen anderen Zweck - Großkreisnavigation, kurze Fahrten, Reisen in den
Tropen, Reisen nahe den Polen etc. Die Analogie hier ist die mit den Theologien, sowohl mit den verschiedenen
Theologien einer Religion, als auch mit den verschiedenen Theologien und Philosophien unterschiedlicher
Religionen.
Es könnte gut sein, dass die Darstellung unendlicher göttlicher Realität in unseren begrenzten
menschlichen Begriffen noch grundsätzlicher unzulänglich sein muss als eine zweidimensionale
Darstellung der dreidimensionalen Erde. Es könnte aber auch sein, dass die konzeptionellen Karten
der großen Traditionen, auch wenn sie nur begrenzte Darstellungen des Unendlichen sind, alle
innerhalb ihrer Projektionen mehr oder weniger korrekt sind, und dass alle uns in gleicher Weise
unseren Weg durch das Leben zeigen. Denn unser Leben ist eine Pilgerreise zu dem Realen. Die
großen Religionen weisen uns den Weg auf dieser Reise, und soweit sie, wie man sagen könnte, in
soteriologischer Ausrichtung auf das Reale sind, werden sie uns in richtiger Weise zu dem Realen
führen, wenn wir ihren Pfaden folgen. Sie werden uns öffnen für das, was in verschiedenen Begriffen
göttliche Gnade oder übernatürliche Erleuchtung heißt und sichtbare Früchte in unserem Leben
hervorbringt.
Die Hypothese, auf die all diese Analogien hindeuten, ist die einer letzten, unbeschreibbaren Realität,
die Ursprung und Grund aller Dinge ist, und der man sich in verschiedenen religiösen Traditionen als
Kontexten menschlicher Erlösung/Befreiung nähern kann, wenn sich die Traditionen in soteriologischer
Ausrichtung auf diese Realität befinden. Die Traditionen beinhalten verschiedene menschliche
Konzepte des Realen mit entsprechend verschiedenen Formen der Erfahrung, die zu unterschiedlicher
Wahrnehmung des Realen führen, und entsprechend verschiedenen Formen des Lebens als Antwort
auf das Reale.
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Die Religionen als verschiedene Wahrnehmungen des Realen
Aber warum soll man annehmen, dass das Reale selbst unbeschreibbar ist? Mit "unbeschreibbar"
meine ich, dass es von Natur aus jenseits der Reichweite menschlicher Denkkonzepte liegt. So kann
das Reale nicht eigentlich als persönlich oder unpersönlich, als zielgerichtet oder nicht zielgerichtet,
als gut oder böse, als Substanz oder Prozess, ja nicht einmal als eines oder viele beschrieben werden.
Dies bedeutet nicht, dass man durch die Leugnung einer personalen Realität behaupten würde, das
Reale sei nicht-personal, sondern lediglich, dass diese Polarität, dieser Dualismus nicht trifft. Das
gleiche gilt für die anderen Polaritäten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Reale als Nichts, als
Leerstelle, gedacht werden muss, sondern besser als außerhalb des Spektrums unseres
menschlichen Systems von Denkkonzepten. Wir können nicht beschreiben, wie es an sich ist, sondern
ausschließlich, wie es in menschlichen Begriffen gedacht und erfahren wird - in der einen Tradition als
persönlich, in der anderen als nicht-persönlich, in allen als von unserem menschlichen Standpunkt aus
gut oder wohlwollend oder gnädig, als Grund aller menschlichen Transformation von unglücklicher
Selbstzentriertheit zu dem gesegneten Zustand, der in verschiedener Weise als ewige Qualität des
Lebens, Friede Gottes, Nirvana, Satori, Moksha gedacht und erfahren wird und auf das Jenseits
bezogen unsere menschliche Vorstellungskraft übersteigt.
Dieser Ansatz akzeptiert die heute weit verbreitete Ansicht, dass Wahrnehmung immer zum Teil durch
den Wahrnehmenden beeinflusst ist. Unsere vorhandenen Denkkonzepte beeinflussen unsere
Wahrnehmung. Dies grundlegende erkenntnistheoretische Prinzip wurde vor langer Zeit von Thomas
von Aquin aufgestellt, als er schrieb: "Das Gewusste ist in dem Wissenden auf die Weise des
Wissenden" (Summa Theol. II/II, Q.1, Art.2). Die "Weise des religiös Wissenden" wird durch die
verschiedenen religiösen Traditionen in verschiedener Weise geformt. Daraus resultieren die
unterschiedlichen Auffassungen des Realen, die die verschiedenen Traditionen entwickelt haben.
In moderner Zeit war es Immanuel Kant, der in ähnlicher Weise argumentiert hat, dass Wahrnehmung nicht nur
passives Registrieren dessen ist, was da ist, sondern immer ein aktiver Prozess der Auswahl, der Einordnung,
des In-Beziehung-Setzens, der Extrapolation und der Sinnzuordnung durch unsere menschlichen Konzepte. Dies
ließ ihn unterscheiden zwischen der Welt der Ideen, der Welt, wie sie unwahrgenommen existiert, und der Welt
der Phänomene, der gleichen Welt, jetzt allerdings von Menschen mit all den aus der Handlung der
Wahrnehmung resultierenden Unterschieden wahrgenommen. Was ich vorschlage ist eigentlich nichts anderes,
als diesen enrkenntnistheoretischen Ansatz auf unsere Wahrnehmung des Realen anzuwenden, und hierbei
zwischen der Idee des Realen, dem Realen an sich, und dem Realen, wie es von Menschen als ganze Anzahl
göttlicher Phänomene wahrgenommen wird, zu unterscheiden
Was bedeutet nun die Annahme dieser Hypothese für die Religion, wie wir sie kennen? In einer
Hinsicht recht wenig, in einer anderen sehr viel. Als Christen, die wir unsere Tradition als eine gültige
Antwort auf das Reale unter anderen verstehen, sollten wir fortfahren, in dieser Tradition zu leben, in
Beziehung zu dem "Gesicht" des Realen, das wir als den himmlischen Vater/die himmlische Mutter
aus der Predigt Jesu kennen. Und in diesem Kontext sollten wir begonnen haben, die erlösende
Transformation von der natürlichen Selbst-Zentriertheit zu einer neuen in Gott zentrierten Orientierung
zu vollziehen. Das Gleiche gilt in ähnlicher Weise für die Menschen der anderen großen
Bekenntnisse.
Jede Tradition wird in ihrer Weise fortfahren, ihre eigene Antwort auf das Reale zu geben. Sobald die
Rivalität zwischen ihnen nachlässt und sie sich zunehmend am interreligiösen Dialog beteiligen,
werden sie sich gegenseitig beeinflussen, und jede wird gewissen Veränderungen unterliegen, indem
sie andere beeinflusst und von ihnen beeinflusst wird. Aber innerhalb dieser wachsenden Interaktion
wird jede Tradition unverwechselbar sie selbst bleiben. In dieser Hinsicht bedeutet die pluralistische
Hypothese in der Praxis wenig Unterschied zu den existierenden Traditionen. In anderer Hinsicht
jedoch bedeutet sie für manche einen entscheidenden Unterschied: Wenn die Religionen beginnen,
sich als eine gültige Antwort auf das Reale unter anderen zu verstehen, so werden sie den Aspekt ihrer
Lehre, der die eigene Überlegenheit beweisen soll, zunehmend weniger stark betonen. Ein solcher
Aspekt ist in allen Traditionen entstanden, wenn er auch in manchen zentraler ist als in anderen. Die
Milderung, und vielleicht später einmal die Aufgabe, der impliziten oder expliziten Behauptung der
eigenen Überlegenheit wird in jedem Einzelfall eine theologische Entwicklung mit sich bringen, die im
weitesten Sinn als "Liberalisierung" bezeichnet werden kann. Dies wird für einige Traditionen leichter
sein als für andere, und in jeder Tradition für manche Menschen einfacher als für andere.
Politische Folgen
Nehmen wir schlußendlich (und in aller Kürze) die politischen Implikationen einer solchen Veränderung
in den Blick. In vielen Teilen unserer heutigen Welt - zum Beispiel in den Beziehungen zwischen Juden
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und Muslim in Israel/Palästina, zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslim im ehemaligen
Jugoslawien, zwischen Hindus, Sikhs und Muslim in Indien, zwischen Katholiken und Protestanten in
Nordirland – werden menschliche Konflikt um Land und Unabhängigkeit, um Wasser und andere
Ressourcen auf beiden Seiten durch Rekurs auf religiöse Absolutheitsansprüche gerechtfertigt; auf
beiden Seiten werden junge Männer darauf vorbereitet zu töten und getötet zu werden, und ihre
Gesellschaften bestärken sie darin durch eine religiöse Sanktionierung, die, weil sie absolut ist, alles
und jedes rechtfertigen kann. Insoweit diese religiösen Absolutheitsansprüche gemildert und weniger
betont werden können, wird einiges an Intensität aus diesen Konflikten herausgenommen, und
vernünftige Lösungen könnten etwas wahrscheinlicher werden.
Diesen Vortrag hielt John Hick in verkürzter Fassung während einer Tagung am 15. Juni 1994 in der Ev.
Akademie Iserlohn. Wir geben hier die mit weiteren wesentlichen Aspekten versehene Manuskriptfassung
wieder. Diese Gedanken wurden im Rahmen einer weiteren Tagung am 16. Juni 1994 diskutiert. Der Stil des
mündlichen Vortrags wurde nicht geändert. Die Übersetzung besorgte Rainer Buse.
Zuerst erschienen in: Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Interreligiöser Dialog
zwischen Tradition und Moderne. Religionen im Gespräch, Bd. 3 (RIG 3). Balve: Zimmermann 1994, S. 113–127
RIG3/RIG 10/Hick-Wahrheit.doc, bearbeitet, 24.01.08
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