Clemens Six, 10.10.2007 Was ist religiöser Fundamentalismus, oder: Grundstrukturen fundamentalistischen Denkens Uni Wien, RingVO Fundamentalismus & Terrorismus Handicap der Diskussion zum Thema besteht in der scheinbaren Leichtigkeit, mit der man/jedermann etwas dazu sagen kann; Gefahr, religiösen Fundamentalismus, der an sich eine Fremdbezeichnung ist, als allzu klares, leicht zu verstehendes Sujet zu betrachten Konsequenz sind „unterkomplexe“ (D. Senghaas) Annäherungen! Eine wichtige Quelle der Unterkomplexität: Aktualität des Themas als Politikum & die scheinbare Identität politisierter Religion und religiösen Fundamentalismus Conclusio für die Wissenschaften muss sein: möglichst genaue Begriffsbestimmung, Klärung des Mehrwertes des Begriffes „religiöser Fundamentalismus“ (Warum macht es Sinn, den Begriff bei aller berechtigter Kritik im wissenschaftlichen Diskurs aufrecht zu erhalten, nachdem der bereits zitierte Dieter Senghaas schon einmal zurecht das Ende dieser Debatte verlangt hat? Welche Formen des Denkens sollen damit bezeichnet werden?) Möchte in diesem Eingangsvortrag im Hinblick auf das weitere Programm der Ringvorlesung folgendes leisten: die damit bezeichnete Denkweise in ihren Grundstrukturen beschreiben, was angesichts der Vielfalt der damit bezeichneten Phänomene auf allgemeine Paradigmen konzentriert sein muss; Begriff „religiöser Fundamentalismus“ aus seiner aktuellen öffentlichen Fixierung einerseits auf den Islam und andererseits auf gewaltsame Formen herauslösen indem man: Begriff abgrenzt von anderen Formen extremistischer Religiosität bzw. religiös anmutender Ideologie (ist sozusagen der erkenntnistheoretische Beitrag); Beziehung des Fundamentalismus zur Gewalt und zum Terrorismus diskutieren!!! 1) Das Weltbild religiöser Fundamentalismen im Detail Selbstwahrnehmung des religiösen Fundamentalismus in der Zeit: Auf dem Weg zu einer aussagekräftigen Definition des religiösen Fundamentalismus zunächst wichtig, den genuin religiösen Charakters dieser Denkform ernst zunehmen; Religion ist der entscheidende Ausgangspunkt und letztlich relevante Legitimationsrahmen für das Denken und Handeln – andere Handlungslogiken bzw. Handlungshorizonte (soziale, wirtschaftliche, 1 politisch-strategische) sollen nicht geleugnet werden, die Letztbegründung ist aber die Religion! Wie ist das zu verstehen? religiösen Fundamentalismus charakterisiert ein monokausales Verständnis von Gesellschaft in Geschichte, Gegenwart und Zukunft; individuelle und kollektive Sicherheit sowie Prosperität sind längerfristig ausschließlich über die Einhaltung religiöser Normen und Werte zu garantieren, die aus sich heraus legitim und absolut gesetzt sind; Gilt auch umgekehrt: ein Mangel an Sicherheit und Prosperität wird als Defizit in der Formulierung und Umsetzung religiöser Normen interpretiert; Damit erster ideologischer Bezugspunkt angesprochen: Wahrnehmung der Gegenwart als gesellschaftliche und individuelle Krisensituation, und zwar als profunde, existentielle Krise, deren Ursache entsprechend eindimensional in der Abkehr vom rechten Glauben und seiner Praxis verstanden wird; Lösung: radikal neue (!) Orthodoxie in Kombination mit entsprechender Orthopraxie! Mit anderen Worten: Lösung ist die Besinnung auf unwiderrufliche, absolut geltende religiöse Fundamente (sowohl theologisch als auch ethisch-moralisch: d.h. die Lehraussagen wie auch die davon angeleiteten Maximen des Handelns) Ich bezeichne das absichtlich nicht als „Rückbesinnung“ (Riesebrodt)1, verschleiert das innovative Potential des F. im Umgang mit Schrift und Tradition; im Rahmen des religiösen F. entsteht neue, radikalisierte Form von Religiosität; weiter unten beim Thema F. und Moderne noch zu klären, worin dieses innovative Potential des F. (in theologischer und ethisch-moralischer Hinsicht) besteht! Fundamentalisten verstehen sich selbst als Heilsbringer, die am Beginn eines heilsgeschichtlichen Geschehens stehen und Vollzugsorgane eines gottgewollten Heilsplanes sind; Gibt irgendwo in der Vergangenheit eine idealisiertes, „goldenes Zeitalter“ (wiederum in Bezug auf religiöse Lehre und religiöses Handeln) – es folgt Verfallsgeschichte durch falsches Handeln und falsche Lehre bis zur Gegenwart – bis zum Anbruch der Heilsgeschichte in der Gegenwart, das im Handeln der Fundamentlisten selbst erfahrbar und 1 Vgl. Martin Riesebrodt (2000): Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“. München. 2 Wirklichkeit wird (mit den Worten der christlichen Theologie: „schon“ und „noch nicht“ der „basileia tu teu“) – Vollendung in der Zukunft als Resultat eines endzeitlichen Kampfes zwischen Gut und Böse Manichäismus als Grundperspektive zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft! Wie ist der Bezug des religiösen F. zu Schrift und Tradition zu denken? Oder: Warum F. in allen (monotheistischen) Religionen möglich ist! Veranstalten zum dritten Mal bereits an der Uni Wien eine RingVO zum Thema religiöser F.; Beitragende aus unterschiedlichen akademischen Disziplinen, die zu unterschiedlichen Religionen arbeiten; Grundmuster aus allen Religionen (einschließlich Hinduismus) erkennbar: - Religiöser F. bezieht sich stets selektiv auf die Quellen des kulturell-religiösen Gedächtnisses (wie von Jan Assmann verstanden), also Schrift/Kanon einerseits und Traditionen/Interpretationen andererseits; F. vollzieht in allen Fällen eine Reduktionsleistung in Bezug auf heterogene, pluralistische Inhalte religiöser Lehren und Praktiken (These: Begriff F. sollte nicht so verstanden werden, als beziehe er sich in radikaler Weise lediglich auf ein bereits existierendes Fundament, da das zitierte Fundament selbst Konstruktion ist; - Entscheidend: Art des Umgang mit diesen selektierten Elemente: „Es ist nicht ein bestimmter Inhalt grundlegender Erkenntnisansprüche, was für den F. charakteristisch ist, sondern die Form ihrer Handhabung als allem Zweifel entzogen und daher außerhalb des Dialogs angesiedelt. (...) So gut wie jede Idee kann in diesem Sinne fundamentalistisch gehandhabt werden, so gut wie keine muss es. F. ist daher nicht das Kennzeichen bestimmter Religionen ..., sondern eine durch soziale, ökonomische und politische Krisen begünstigte Weise ihrer Handhabung“ (Thomas Meyer)2 Selektierten Aspekte religiöser (schriftlicher wie nicht-schriftlicher) Tradition werden einem Reflexionsverbot unterzogen und entsprechend gesellschaftlich umgesetzt; Eine wesentliche Schlussfolgerung ist daher: aus den dogmatische Eigenheiten einer Religion kann sehr wohl das Sosein des religiösen Fundamentalismus erklärt werden, nicht 2 Vgl. Thomas Meyer (1998): Fundamentalismus. In: Wörterbuch Staat und Politik, Hg. Dieter Nohlen, 5. Auflage, München, Zürich: 178-181. 3 aber sein Dasein als solches! (weil das Entscheidende nicht ein prä-existentes Fundament einer Religion ist, sondern der Modus der Handhabung selektierter Elemente des religiöskulturellen Gedächtnisses) Aus diesem Grund ist die Fixierung auf den Islam unzulässig + noch weiterführender: ebenso wenig die Beschränkung auf monotheistische Religionen! 2) Religiöser Fundamentalismus als wissenschaftlich sinnvoller Begriff? Nur dann mit ja zu beantworten, wenn man sich ein weiteres Strukturmerkmal der religiösen F. vor Augen hält: seine Beziehung zur Moderne! Um dieses Verhältnis etwas näher zu charakterisieren, nehme ich im Hinblick auf fundamentalistisches Denken einen Hinweis von Karen Armstrong3 auf: Geschichte des Abendlandes, insbesondere die Neuzeit demonstriert im Hinblick auf die Beziehung zwischen Religion und andere gesellschaftliche Bereiche eine zweifache Art des Denkens, Sprechens und der Erkenntnis, die man mit den Begriffen Mythos und Logos umschreibt; Beide Erkenntnisformen gelten als komplementär, wobei es dem aufgeklärten, modernen Menschen auch freisteht, Welt ohne Mythos zu interpretieren; in vormoderner Zeit jedoch galten beide als untrennbar, aufeinander verwiesen, aber trotzdem ihrem Wesen nach unterscheidbar; Mythos: zeitlose, konstante Element, das den größeren Bezugsrahmen für die Menschen in ihrer Existenz darstellt; er blickt zurück auf den Ursprung des Daseins, auf die Grundlage der Kultur, klärt Herkunft stiftet Sinn und Bedeutung in Geschichten und Mythologien; Logos: rationales, pragmatisches, wissenschaftliches Denken, das ab der Moderne zur dominanten Erkenntnisform wurde, völlig losgelöst vom Mythos; zielgerichtet, praktisch, zukunftsorientiert; Die entscheidende Periode in der Veränderung des Verhältnisses von Mythos und Logos ist die Moderne bzw. Aufklärung – brachte zunächst eine Ausbreitung und schließlich 3 Vgl. Karen Armstrong (2004): Im Kampf für Gott. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam. München, 14ff. 4 vollständige Autonomisierung des Logos, der Wissenschaftlichkeit als dominante und gesellschaftlich letztlich gültige Erkenntnis- bzw. Wahrheitsform; aber auch die religiöse Gegenbewegung dazu: die Einbringung des Mythos in den Bereich des Logos = religiöser Fundamentalismus; (als Dialektik der Moderne) Was ist Moderne? Charakterisierung von Pierre Bourdieu4 für meine Zwecke: 16. und 17. Jahrhundert begann eine Entwicklung, ausgelöst durch Reformation; spezifische „Felder“ des Wissens und der Künste begannen sich von der Zuständigkeit der Religion und der christlichen Kosmologie zu emanzipieren – Logos wird zur eigenen Sphäre, gänzlich ohne Mythos! Felder der Jurisdiktion, Medizin, darstellenden Künste usw. entwickelten ihre eigenen „Spielregeln“ Differenzierung von Gesellschaft und Wissenschaft, Religion und Kirche verloren schrittweise die Kontrolle über die Wissensproduktion in diesen immer stärker autonomen Feldern; 2 Konsequenzen: Selbstwahrnehmung des Menschen in der Gesellschaft (Kollektiv): nicht mehr Gott leitet die Geschicke, sondern der Mensch nimmt Geschichte selbst in die Hand (Albert Camus, „metaphysische Revolte“) Selbstwahrnehmung des Menschen als sanktionierten Rollenbildern und Individuum: tritt aus den religiös Verhaltensschemata heraus; Identität des Individuums wird zur lebenslangen Baustelle; F: ist in Bezug auf diese Entwicklungen selektiv (die Moderne zurückweisend und übernehmend); ist „moderner Anti-Modernismus“; Warum ist F. anti-modern? Weil er das Individuum als Kern von Gesellschaft sowie als letztlich entscheidende Beurteilungsinstanz zurückweist; nicht der einzelne, sondern Gott, seine Gebote und diejenigen, die die Berechtigung besitzen, beides zu interpretieren, sind die Inhaber 4 Vgl. etwa Pierre Bourdieu (2000): Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens, Konstanz. 5 von Autorität; F. reagiert damit auf den zwiespältigen Charakter von Modernisierung als Befreiung des Menschen: Öffnung ist auch Schutzlosigkeit, Offenheit ist auch Beliebigkeit, Neuorientierung ist auch Orientierungslosigkeit usw.; F. bietet: Zurück zu unhinterfragbaren Gewissheiten, bevormundende Herrschaftsstrukturen, strenger Orientierung für Lebenspraxis; Im Hinblick auf die Gesellschaft als Kollektiv: F. teilt nicht die Annahme von Moderne, die Existenz Gottes wäre zumindest nicht entscheidbar und daher für die Konstitution von Gesellschaft nicht weiter relevant; Staatlichkeit, Gesellschaftspolitik usw. werde so gestaltet, als gäbe es Gott nicht bzw. als sei seine Existenz nicht weiter entscheidbar; F. hingegen: Existenz Gottes im Zentrum der Frage, wie man in der lokalen Gemeinschaft oder auch staatlichen Gesellschaft leben soll; F. ist immer auch ausgerichtet auf Einflussnahme in allen Feldern der Gesellschaft; F. ist anti-modern, weil: stößt sich am modernen „Faktum des weltanschaulichen Pluralismus“ (Habermas); durch das Loslösen von religiösen Vorstellungen eröffnet die Moderne die Debatte über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft; unterschiedliche Weltanschauungen, Ideologien und Utopien über die Zukunft entstehen; außerdem: zunehmende Internationalisierung und Migration: zuvor getrennte kulturelle und religiöse Sichtweisen rücken in die unmittelbare Nachbarschaft; Religion besitzt kein geographisch abgrenzbares Deutungsmonopol mehr von Welt und Gott; relativierende Konsequenzen, die der F. durch ideologische Abschließung bekämpft; Letzter Aspekt: Gesellschaften mit kolonialer Vergangenheit; waren nicht Autoren, sondern Empfänger einer „fremden“ Moderne; Fundamentalisten greifen dies auf und leiten davon eine grundsätzliche Irrelevanz von Moderne für die eigenen Gesellschaft ab; Moderne Ideen als „Verwestlichung“ angelehnt; Warum ist Fundamentalismus modern? F. weist Gemeinsamkeiten mit modernen Revolutionen in Frankreich und den USA sowie mit modernen Ideologien wie Faschismus und Kommunismus auf wie etwa der Anspruch der totalen Rekonstruktion der kollektiven Identität und der institutionellen Struktur der Gesellschaft; moderner ideologischer Ausgangspunkt: universale, totalitäre und vor allem missionarisch-expansive Machbarkeit des Gesellschaftlichen (in diesem Sinn anti-traditional); im Zentrum: Religionspolitik als Gesellschaftspolitik, die in ihrem Kern egalitär ausgerichtet ist; Bsp.: Iranische Revolution 1979; 6 Denkkategorien des F.: in vielen Fällen mit aggressivem Nationalismus kombiniert (Israel, USA); oder aber F. bedient sich selber rationalistisch-wissenschaftlicher Argumente, um ihre Weltsicht zu propagieren (wenngleich Beweisführung in vielen Fällen pseudo-wissenschaftlich ist; z.B. Kreatianisten in den USA: Wissenschaftlichkeit der Bibel); Wissenschaftlichkeit und Nationalismus sind selbst Produkte der Moderne, d.h. F. bewegt sich argumentativ in diesen Fällen auf klar modernem Terrain; Methoden des F.: keinerlei Berührungsängste mit modernsten Techniken sowie Kommunikations- und Organisationsformen; bei näherer Betrachtung: höchst innovativ und kreativ in deren Anwendung im Sinne ihrer Zielsetzungen; Internet (Opus Dei, VHP, al-Qaida), Fernsehen (evangelikale Vereinigungen in den USA), internationaler Kapital- und Anlegemärkte; außerdem: interne Strukturen von fundamentalistischen Bewegungen haben Merkmale moderner Administration und Koordination (zur Effizienzsteigerung); Fundamentalisten sind keine verträumten Ewiggestrigen aus dem Mittelalter, sondern moderne Protagonisten einer ebenso modern adaptierten Religion, die sich gegen Errungenschaften der Moderne richtet; Selektivität ist wesentlich!! Dahinter steht aber ein logos-spezifischer Umgang mit dem Mythos! Abgrenzung des religiösen F. von anderen Begriffen: Kein religiöser Traditionalismus, weil er selektiv modern ist, obwohl sich traditionalistische Elemente finden; Keine politisierte Religion, weil religiöser F. auch apolitisch (und auch gewaltfrei) gedacht werden kann; Keine politische Religion (Bsp. Nationalsozialismus bei Voegelin), weil der primäre Bezugs- und Legitimationsrahmen Religion ist, und nicht Politik religiöse Züge annimmt! 7 3) Verhältnis des religiösen Fundamentalismus zu Gewalt und Terrorismus Verhältnis zwischen religiösem Fundamentalismus einerseits und Gewalt bzw. Terrorismus andererseits nur in eine Richtung ein zwingendes: Religiöser Terrorismus ist per definitionem eine politische Strategie, die sich aus dem Weltbild des religiösen Fundamentalismus heraus legitimiert; ist die Begriffsbestimmung, die wir auch für die Publikation vorgeschlagen haben; quasi der gemeinsame Nenner der Beiträge; Interessant: Zusammenhang zwischen vormodernen Beispielen radikaler Religiosität und vormodernen Formen der Gewalt; durch den Blick in die Vormoderne: sollte Zäsur des Fundamentalismus als politisierte, radikalisierte Religion in der Moderne klar werden + auch die neue Qualität der religiös motivierten Gewalt in Form von Terrorismus; 7 Merkmale des Terrorismus:5 1) Terrorakte sind immer politisch motiviert; wenn nicht, ist das einfach ein Verbrechen; 2) Seine zentrale Methode ist die Gewalt; wenn diese fehlt, ist es nicht sinnvoll, von T. zu sprechen; Problemfall „Cyberterrorismus“ 3) Zeck des T. ist nicht, den Feind zu besiegen, sondern eine Botschaft zu verkünden; heikler Punkt, wenn man das in dieser kategorischen Art formuliert; an Einzelbeispielen kann man diskutieren, welche Rolle der reale Sieg als Motiv spielt; Sachlage ist nicht ganz so eindeutig; 4) Terrorakte und Opfer haben in der Regel symbolische Bedeutung; folgt mehr oder weniger aus Punkt drei; Symbolik der Ziele und Opfer steigert die Dramatik, den Schockeffekt und ist daher notwendiger Teil der terroristischen Strategie; Abwägung psychologische Wirkung und realer materieller Schaden; 5) Terrorismus ist die Vorgehensweise von Gruppen „auf substaatlicher Ebene, nicht von Staaten“; sehr umstrittener Punkt; Staaten können sehr wohl terroristische Strategien bzw. Gruppen unterstützen, ihn aber nicht selbst ausüben; Terror hingegen als Effekt eine Strategie kann der Staat sehr wohl ausüben? 6) Opfer und Publikum des Terrorismus sind nicht identisch: Opfer sind nur die Mittel, die dazu verwendet werden, um das eigentliche Zielpublikum der eigenen Botschaft 5 Louise Richardson (2007): Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können. Frankfurt/Main. 8 zu erreichen; Wer ist dann aber der Adressat wenn nicht die Opfer? Warum möchte der Terrorismus gerade diese Adressaten erreichen? 7) Richtet sich bewusst gegen Zivilisten (= wichtigstes Merkmal); wesentlicher Unterschied zu anderen Formen politischer Gewalt, z.B. Guerilla; Töten von Nichtkämpfenden ist kein unbeabsichtigter Nebeneffekt, sondern Teil der Strategie; Religiöser Terrorismus ist: Erfüllen dieser sieben Strukturmerkmale vor dem Hintergrund religiös fundamentalistischer Weltbilder, die das ideologische Rückgrat und die Letztbegründung der terroristischen Gewalt liefern! Umgekehrt jedoch kann das Phänomen des religiösen Fundamentalismus nicht auf aktive Gewaltanwendung oder gar Terrorismus reduziert werden; schon die Tatsache, dass es sich im einen Fall um ein Weltbild und im anderen um eine politische Strategie handelt, macht eine Gleichsetzung wenig sinnvoll; Religiöser Fundamentalismus existiert auch in gewaltloser Form und setzt begrifflich keine Gewalt als Wesensmerkmal voraus. Die Methoden bzw. Strategien, derer sich Fundamentalisten bedienen, sind vielfältig. Aus der ideologischen Anlage des religiösen Fundamentalismus ergibt sich jedoch ein deutlicher Zug zur Intoleranz und in weiterer Folge zur auch physischen Bekämpfung von Differenz: Religiöser Fundamentalismus lehnt bereits einen Dialog über die unter einem Reflexionsverbot stehenden Grundpfeiler seiner religiösen und damit gesellschaftspolitischen Gewissheiten ab, sodass der Schritt zur Bekämpfung und auch Vernichtung des Anderen und seiner Vertreter nahe liegt; Religiöser Terrorismus ist jedoch primär eine Strategie der atmosphärischen Veränderung, die den Gegner nicht primär auslöschen, sondern jene Rahmenbedingungen herstellen soll, die ihn zu einer Gegenreaktion zwingen, die dem strategischen Kalkül der Terroristen entspricht; Religiöser Fundamentalismus liefert für diesen Kampf die Diagnose einer ungerechten Vergangenheit und Gegenwart und die Motivation einer heilsgeschichtlich aufgeladenen, auf jeden Fall siegreichen Zukunft (entsprechend der Selbstwahrnehmung in der Zeit wie oben besprochen) 9 4) Zusammenfassung Akteure sind meist sehr genaue Kenner der Modernisierungsprozesse und ihrer vieldimensionalen Konsequenzen: Zentrum der Selbstwahrnehmung in der modernen Zeit ist die existentielle Krise der Gesellschaft, die auf einen moralisch-religiösen Verfall zurückgeführt wird; F. ist heilsgeschichtlich aufgeladenen Manichäismus, im Rahmen dessen man selbst die Hand Gottes in der Geschichte darstellt; F. ist der Anbruch der endzeitlichen Herrschaft Gottes; Rezept zur Wiederherstellung eines Goldenen Zeitalters: konsequente Umsetzung einer neuen Orthodoxie (inkl. Geschlechterdualismus und restriktiver Sexualmoral); Verhältnis zu Gewalt und zum Terrorismus: eine inhärente Nähe durch strikte Ablehnung von Differenz, jedoch kein automatisches Verhältnis zwischen Fundamentalismus als Ideologie und Terrorismus als Strategie; 10