Ringvorlesung „Religionskonflikte“ WS 2007/08 Christian G. Allesch Konfliktquelle Fundamentalismus Zu den alltagspsychologischen und kulturpsychologischen Wurzeln eines globalen religiösen Phänomens Historische Hintergründe 1910-1915: Schriftenreihe The Fundamentals: A Testimony to the Truth (L. & M. Stuart) 1919: Gründung der World’s Christian Fundamentals Association 1920: Prägung des Begriffs fundamentalist durch Curtis Lee Laws, Herausgeber des Baptist Watchman-Examiner bis ca. 1930: „Fundamentalismus“ als Synonym für Antireformbestrebungen innerhalb christlicher Kirchen ab 1930 zunehmend Synonym für separatistische Strömungen Gliederung der Vorlesung Begriffsbestimmung: Was ist Fundamentalismus? Fundamentalismus als Variante der „autoritären Persönlichkeit“: Erkenntnisse der Politischen Psychologie kulturpsychologische Aspekte des Fundamentalismus alltagspsychologische Wurzeln des Fundamentalismus Schlussfolgerungen Meyer, Thomas (1989). Fundamentalismus: Aufstand gegen die Moderne. Reinbek: Rowohlt. „Der fundamentalistische Rückfall kann auch zur Chance für die Moderne werden. Das Projekt der Moderne gegen seine fundamentalistische Bedrohung neu zu entwerfen, heißt seine Verheißungen ebenso wie seine Zumutungen auf das Maß seiner wirklichen Möglichkeiten zurückführen.“ Formen des Fundamentalismus nach Meyer (1989) Grabner-Haider, Anton & Weinke, Kurt (Hrsg.) (1989). Angst vor der Vernunft? – Fundamentalismus in Gesellschaft, Politik und Religion. Graz: Leykam Kultureller Fundamentalismus: „Die Flucht des einzelnen aus dem selbstverantworteten Lebensentwurf in die Hörigkeit geschlossener Kollektive“. Intellektueller Fundamentalismus: „Die Flucht aus dem offenen, unabschließbaren Diskurs in die unbegründbaren und grundlosen Geheimnisse seiner vermeintlichen Fundamente“. Politischer Fundamentalismus: „Metapolitik, die von einer absoluten Wahrheit von oben oder innen her das Recht beansprucht, den Regeln der Demokratie, des politischen Relativismus, der Unantastbarkeit der Menschenrechte, den Gesetzen der Toleranz, des Pluralismus und der Irrtumsfähigkeit enthoben zu sein.“ darin enthalten u.a.: Kurt Weinke, Eine „neue Aufklärung“ tut not (S. 29-50); Anton Pelinka, Fundamentalistische Tendenzen in der Politik (S. 51-58); Anton Grabner-Haider, Fundamentalismus in der Religion (S. 59-85); Christian G. Allesch, Aufklärung – (k)eine Sache des Herzens? (S. 97-116). 1 Fundamentalismus: Literatur aus den 90er Jahren (Auswahl) Jäggi, Christian J. & Krieger, David J. (1991). Fundamentalismus: Ein Phänomen der Gegenwart. Zürich: Orell. Jaschke, Hans-Gerd (1998). Fundamentalismus in Deutschland: Gottesstreiter und politische Extremisten bedrohen die Gesellschaft. Hamburg: Hoffmann & Campe. Heitmeyer, Wilhelm; Müller, Joachim & Schröder, Helmut (1997). Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Meyer, Thomas (1998). Die Politisierung kultureller Differenz. Fundamentalismus, Kultur und Politik. In H. Bielefeldt & W. Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion (S. 37-66). Frankfurt/M.: Suhrkamp. Gemeinsame Struktureigenschaften von Totalitarismus, Extremismus und Fundamentalismus (nach Jaschke, 1998) Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf absolute Wahrheiten hermetisch abgeschlossene Weltanschauungen anti-aufklärerische Zielrichtung rigide Unterscheidung zwischen Gut und Böse eigene Begriffssysteme mit Umdeutungen alltagssprachlicher Begriffe Abkehr von Demokratie und Liberalität Fundamentalismus: aktuelle Literatur (Auswahl) Fundamentalistische Einstellungen als Merkmal „autoritärer Persönlichkeit“ Prutsch, Markus J. (2007). Fundamentalismus: Das Projekt der Moderne“ und die Politisierung des Religiösen. Wien: Passagen Verlag. Auf der Basis des klassischen Konstrukts der „autoritären Persönlichkeit“ (Adorno et al., 1950) entwickelte Bob Altemeyer das Konstrukt des right wing authoritarianism und untersuchte die Zusammenhänge mit anderen politischen Einstellungen, u.a. auch mit „religiösem Fundamentalismus“. Literatur: Kohlberger, Thomas & Six, Clemens (Hrsg.) (2007). Fundamentalismus und Terrorismus: Zur Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religionen. Wien: Magnus. Frölich, Margrit; Schneider, Christian & Visarius, Karsten (2008). Projektionen des Fundamentalismus: Reflexionen und Gegenbilder im Film. Marburg: Schüren. Autoritäre Persönlichkeit und Fundamentalismus Altemeyer, Robert (1996). The authoritarian specter. Cambridge, MA: Harvard Univ. Press. Altemeyer, Bob (1998). The Other “Authoritarian” Personality. Advances in Experimental Social Psychology, 30, 47-91. Kulturpsychologie Korrelationen zwischen authoritarianism (AU), religiösem Fundamentalismus (RF) und anderen Vorurteilen (V): AU ⇔ RF: r=0,68. AU ⇔ V: 0,33<r<0,64 Partialkorrelationen: RF ⇔ V (ohne Anteil AU): an der Signifikanzgrenze AU ⇔ V (ohne Anteil RF): nur gering unter Ausgangswert Schluss: Vorurteilsstruktur wird durch autoritäre Persönlichkeit stärker erklärt als durch Fundamentalismus bzw. „fundamentalism is a reigious manifestation of right-wing authoritarianism“. „Unter den derzeitigen globalen Rahmenbedingungen weisen existenzielle Probleme von Menschen immer auf Kulturprobleme hin und umgekehrt“ (Werbik, 1987, S. 211) Altemeyer, Bob & Hunsberger, Bruce (1992). Authoritarianism, religious fundamentalism, quest, and prejudice. International Journal for the Psychology of Religion, 2, 113-133. Werbik, Hans (1987). Existenzpsychologie. In M. Amelang (Hrsg.), Bericht über den 35. Kongress der DGfP, Heidelberg 1986 (S. 211-219). Göttingen: Hogrefe. Ziel einer kulturwissenschaftlich verstandenen Psychologie ist es, „die subjektive Seite von Kulturproblemen zu explizieren“ (Werbik, ebd.). 2 Literatur zum kulturpsychologischen Ansatz Fromm, Erich (1941). Die Furcht vor der Freiheit (Escape from Freedom, dt.). Stuttgart: dtv 1990. Boesch, Ernst E. (2005). Von Kunst bis Terror. Über den Zwiespalt in der Kultur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,. 3