Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Das Rom der Kaiser: Karl der Große, die Translatio imperii undAachen als ‚neues Rom’ Das Verhältnis fränkischer Herrscher zum Papsttum vor Karl dem Großen (Jennifer Homann) Die Kaiserkrönung von 800 als Bündnis zwischen römischem Papsttum und fränkischem Kaisertum – spontan oder geplant? (Jennifer Homann) Papst Leo III. und das Papsttum zur Zeit Karls des Großen (Dominik Klippel) Aachen – ein neues Rom? (Markus Junghans/ Judith Rupp) Die Folgen der Kaiserkrönung Karls für das Verhältnis Ostrom- Rom –Westrom (Jelena Kaune) Karlsmythos (Steffen Wenig) Seite 1 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Das Verhältnis fränkischer Herrscher zum Papsttum vor Karl dem Großen Jennifer Homann Einer verbreiteten Theorie des Mittelalters und der frühen Neuzeit zufolge, der Translatio imperii, musste ein Weltreich stets durch ein neues abgelöst werden, sonst drohte das Weltende. Anfangs, im frühen Mittelalter, nahm Byzanz mit seinem oströmischen Kaiser diese Vormachtstellung ein. Mit der Kaiserkrönung Karls durch Papst Leo II. im Jahr 800 verschob sich diese Weltreichstellung von Byzanz ins Frankenreich, so dass dieses zum zweiten Weltreich neben Byzanz wurde. Gleichermaßen wurde hier die römische Kaiserwürde auf Karl den Großen verschoben, bis es unter Otto dem Großen im Jahre 962 den Titel ‚Heiliges Römisches Reich’ erhalten sollte. Nicht nur die beschriebene Verschiebung des Weltreiches, auch die Übertragung der römischen Kaiserwürde wird als Translatio imperii bezeichnet. Die Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre 800 wird nicht selten als Wendepunkt, als Renaissance des weströmischen Kaisertums und der Stadt Rom gedeutet. Das römische Kaisertum war seit 330 nicht mehr in Rom selbst ansässig, vielmehr wurde Byzanz in Konstantinopel umbenannt und existierte fortan als christliche Reichshauptstadt in bewusster Opposition zum heidnischen Rom. Während das byzantinische Kaisertum seit der Antike kontinuierlich fortgeführt wurde, ging das weströmische Reich schon im Jahre 476, mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus durch Odowaker, einem germanischem Heerführer in römischem Dienst, unter. Die fränkischen Herrscher vor Karl dem Großen waren es schließlich, die für eine Annäherung des Frankenreiches mit dem Christentum, also mit den Päpsten in Rom sorgten. Neben dieser geistlichen Vereinigung, trugen Karls Vorgänger auch dazu bei, dass das Frankenreich sowohl politisch, geographisch als auch militärisch geeint und somit ‚wieder geboren’ werden konnte. Der merowingische König Chlodwig (482-511) und der Hausmeier Pippin (Vater Karls des Großen und König des Frankenreiches; 751-768) sind maßgebliche Wegbereiter einer Annäherung des fränkischen Herrschergeschlechts an das römische Papsttum. Chlodwig ließ sich Weihnachten 497 oder 498 in Reims von Bischof Remigius taufen und trat somit als Seite 2 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ erster fränkischer Herrscher dem Christentum bei. Dieses Bekenntnis Chlodwigs zum Christentum sollte entscheidend für die künftige Beziehung zwischen weltlichem Frankenherrscher und dem Papsttum in Rom sein. Fortan war nicht mehr nur Byzanz im Osten christlich und hatte somit eine engere Bindung zum Papsttum, fortan machte es sich auch Chlodwig im weströmischen Gebiet zur Aufgabe, den christlichen Glauben zu verbreiten. Dieses Unterfangen hatte überdies einen für den Aufstieg des Frankenreiches bedeutenden Effekt: durch den gemeinsamen Glauben konnten Galloromanen und Franken zu einem gemeinsamen Staatswesen verschmelzen. Papst Zacharias (741-752) stimmte einer Entthronung des letzten Merowingerkönigs zu und schickte einen päpstlichen Legaten, Erzbischof Bonifatius, Pippin 751 nach seiner Königserhebung durch ‚alle Franken’ mit heiligem Öl zu salben. Nach einem Hilfegesuch Papst Stephans II. (752-757) gegen die Langobarden schließlich, stellte der Papst Rom unter den Schutz des fränkischen Königs, salbte Pippin ein weiteres Mal und verlieh auch Pippins Söhnen den Titel des ‚Patricius Romanorum’, Schutzherr Roms. Maßgeblich verantwortlich für den Patriciustitel Karls über Rom ist demnach bereits sein Vater Pippin. Darüber hinaus gilt Pippin durch seine Gebietsschenkungen an den Papst, von dem Langobardenkönig Aistulf zurückerobertes Gebiet, als Begründer des Kirchenstaates, weil dieses Gebiet gemeinsam mit dem Dukat Rom den Kirchenstaat bildete (Pippinsche Schenkung). Dieser Kirchenstaat konstituiert einen eigenen Machtsektor des Papstes von Rom bis Ravenna. Zusammengefasst erleben christliche und weltliche Gewalt durch Chlodwig und Pippin eine Phase des Werdens und Wachsens; die Kaiserkrönung Karls stellt gewissermaßen eine Vollendung dieses Wachstumsprozesses dar. Mit Papst Hadrian I. (Pontifikat 772-795) und der Regierungszeit Karls des Großen (768815) beginnt das karolingische Zeitalter und die Blüte Westroms und der Stadt Rom als Machtzentrum. Seinen Höhepunkt erreicht das karolingische Zeitalter vor allem in den späten Regierungsjahren Karls des Großen und unter Papst Leo III. (795-816). Rom befand sich zu Beginn des Pontifikats Hadrians I. in einer schlechten wirtschaftlichen Lage. Die zweimalige Belagerung durch die Langobarden (752 und 755), die jeweils mit Plünderungen und Landverwüstungen verbunden waren, sowie Naturkatastrophen (Überschwemmung des Tiber) hatten unter anderem zu diesem Zerfall geführt. Doch durch Karls Niederwerfung der Langobarden, die Vertreibung der Byzantiner aus Mittelitalien und die Rückeroberung von kirchlichem Besitz hat Karl als fränkischer Schutzherr Papst Hadrian I., Rom und des Weströmischen Reiches zu einer erheblichen Wiederbelebung verholfen. Seite 3 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Karl war nicht nur Schutzherr Roms, auch wirtschaftlich unterstützte er durch Gelder und Materialien die Renovierung der Stadt und von Gebäuden. Beispielsweise sollte Karls 1000 Pfund Blei für das Dach von St. Peter aufbringen. Nicht selten wird daher das Zeitalter der Karolinger als Grundlage der Erneuerung und Wiedergeburt der Stadt Rom angesehen. Diese Stellung Karls als patricius Romanorum, Beschützer Roms, des Papsttums und der Kirche samt ihrer Territorien habe Hadrian I. jedoch als notwendiges Übel gesehen; er sei stets bemüht gewesen, die fränkische Schutzmacht auf Distanz zu halten. Hadrian habe die Erhaltung der päpstlichen Unabhängigkeit am Herzen gelegen und er achtete daher bis zum Ende seines Pontifikats aufmerksam auf ein Kräftegleichgewicht zwischen dem byzantinischen Kaiser, Karl als König der Franken und dem Papst. Dieses Gleichgewicht sollte jedoch durch die Vorkommnisse in Rom, den Putschversuch gegen Papst Leo III. 799 und die damit verbundene Erhebung Karls als weströmischen Kaiser gestört werden. Literaturverzeichnis Krautheimer, Richard: Rom, Schicksal einer Stadt: 312-1308, München 1987, S.125-160. Schieffer, Rudolf: Die europäische Welt um 800: Byzanz – Rom – Islam und die Kaiserkrönung in Rom, in: Kramp, M. (Hg.): Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos, Bd. 1, Mainz 2000, S.185-193. Fernis, H.-G., Kaier, E., Meyer, H. (Hg.): Grundzüge der Geschichte. Sekundarstufe II. Von der Urzeit bis zum Zeitalter des Absolutismus. Quellenband I, 5.Aufl., Frankfurt a.M. 1972, S. 150 f. Seite 4 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Die Kaiserkrönung von 800 als Bündnis zwischen römischem Papsttum und fränkischem Kaisertum – spontan oder geplant? Jennifer Homann „Seine [Karls] letzte Reise nach Rom hatte mehrere Gründe. Die Römer hatten Papst Leo [III.] schwer misshandelt, ihm die Augen ausgestochen und die Zunge ausgerissen, so dass er sich gezwungen sah, den König um Schutz zu bitten. Daher begab sich Karl nach Rom, um die verworrenen Zustände der Kirche zu ordnen. Das dauerte den ganzen Winter. Bei dieser Gelegenheit erhielt er den Kaiser- und Augustustitel, der ihm anfangs so zuwider war, dass er erklärte, er würde die Kirche selbst an jenem hohen Feiertage [Weihnachten] nicht freiwillig betreten haben, wenn er die Absicht des Papstes geahnt hätte. Die Eifersucht der oströmischen Kaiser, die ihm die Annahme der Titel schwer verübelten, ertrug er dann allerdings mit erstaunlicher Gelassenheit. Er überwand ihren Widerstand durch seinen Großmut – denn in dieser Beziehung stand er weit über ihnen – und indem er ihnen zahlreiche Botschaften sandte und sie in den Briefen immer als Brüder anredete.“ (Einhard: Das Leben Karls des Großen, Kap. 28, Die Kaiserkrönung, 25.Dezember 800) Wusste Karl tatsächlich nichts von der Absicht des Papstes, ihn in Rom zu krönen? Die Vorbereitung und der Ablauf eines derartig bedeutenden Zeremoniells bedurfte doch einer vorherigen Planung und Ankündigung, hat Karl nichts davon mitbekommen? Wie Einhards Biographie zu entnehmen ist, sei Karl nur widerwillig zum Kaiser gekrönt worden. Anzunehmen ist jedoch, dass Einhard aufgrund seiner Nähe zu Karl – er war sein Reisebegleiter, Biograph, Hofgelehrter – nicht objektiv berichtet. Denkbar ist, dass er Karl als bescheidenen und moderaten Herrscher darstellen wollte, dem weitere Macht- und Autoritätserhebungen widerstreben. Der Ablauf der Kaiserkrönung wird des Weiteren in den Reichsannalen von 801 geschildert. Den Annalen ist zu entnehmen, dass Papst Leo III. Karl zum Kaiser gekrönt habe, als dieser sich von einem Gebet zur Messe erhob. Just in diesem Augenblick habe das römische Volk Karl als Kaiser akklamiert. Der gerade gekrönte Kaiser sei daraufhin nach altem Vorbild durch einen Kniefall des Papstes geehrt und fortan mit den Titel Kaiser und Augustus benannt worden. Überdies wurde Karls gleichnamiger Sohn zum König gesalbt und Karl wurden Weihgeschenke überreicht worden. Seite 5 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Obwohl diese Quelle umfangreicher ist als Einhards Darstellung, bleibt auch hier weiterhin im Dunkeln, ob Karl von seiner Krönung wusste oder überrascht worden ist. Letztlich wird explizit nur beschrieben, dass Karl zum römischen Kaiser ausgerufen wurde. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass der entsprechende Beitrag aufgrund seiner zeitlichen Nähe zur Kaiserkrönung von Karl selbst in Auftrag gegeben wurde, da auch frühere Teile von den jeweiligen Herrschern in Auftrag gegeben worden seien. Wäre dies tatsächlich der Fall, wären die Reichsannalen ebenso subjektiv wie Einhards Schilderung. Anzunehmen ist, dass die Vorbereitungen für das Zeremoniell einen größeren Zeitraum in Anspruch genommen haben müssen, so wie das Einstudieren der Akklamation der Römer und die Anfertigung der Kaiserkrone. Auch sei Karl samt seiner Gefolgschaft bei der Ankunft in Rom intensiver gefeiert worden, als gewohnt. Waren dies nicht bereits Gelegenheiten für ihn, Verdacht zu schöpfen? Hinzu kommt, dass Karl mit seinen Söhnen in Rom anreiste, was sonst recht selten beschrieben ist; es bleibt jedoch zu spekulieren, ob er sie aus Zufall oder gar aus Gründen der Berechnung mitbrachte, in der Hoffnung, auch die Söhne könnten etwas von der Kaisererhebung abbekommen, beispielsweise durch eine Salbung oder Ähnliches. Karl brachte Weihgeschenke mit und legte sie am Altar nieder, was einige Historiker als Indiz dafür deuten, dass Karl vorbereitet war und von der Krönung gewusst haben könnte. Letztlich obliegt es jedoch der freien Deutung der Quellen, ob Karl von den gewiss seitens des Papstes stattgefundenen Vorbereitungen für die Zeremonie etwas mitbekommen hat. Ausgehend von Einhards Behauptung, Karl hätte die Krönung am liebsten vermieden, hätte er davon gewusst, wäre es interessant, nach Gründen zu suchen, die Karl gegen eine Autoritätserhebung hätte einwenden können. Könnte es ihm bei der Ablehnung des Kaisertitels etwa um die Verhinderung einer Auseinandersetzung mit dem oströmischen Kaisertum gegangen sein? Hatte Karl womöglich Hemmungen, sich in die Reihe weströmischer Kaiser in Opposition zu Byzanz einzureihen, vermutete er Konflikte? Einhards Beschreibungen zufolge, verübelten die oströmischen Kaiser ihm die Annahme des Kaisertitels; Karls hingegen sei mit diesem Zustand gelassen umgegangen und schien an dem Groll der Byzantiner keinen Anstoß zu nehmen – Behauptungen Einhards, die es zu prüfen gilt. Seine Erhebung sollte für das Verhältnis zu Byzanz nämlich nicht ohne Folgen bleiben. Seite 6 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Quellen- und Literaturverzeichnis Einhard: Vita Karoli Magni, übersetzt von E. Scherabon Firchow, Stuttgart 1994, Kap. 28. Reichsannalen, in: Hartmann, W. (Hg.): Frühes und hohes Mittelalter 750-1250 (Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellungen 1), Stuttgart 1995. Classen, P.: Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums, in: H. Fuhrmann/ C. Märtl (Hg.): Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 9, Sigmaringen 1985. Hägermann, D.: Karl der Große, Reinbek/ Hamburg 2003. Schieffer, R.: Das Attentat auf Papst Leo III., in: P. Godman/ J. Jarnut/ P. Johanek (Hg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002, S. 75- 85. Schneider, R.: Das Frankenreich (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 5), 4. Aufl., München 2001. Seite 7 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Papst Leo III. und das Papsttum zur Zeit Karls des Großen Dominik Klippel 1. Einleitung In diesem hier vorliegenden Essay möchte ich das Thema „Papst Leo III. und das Papsttum zur Zeit Karls des Großen“ darstellen. Die Arbeit beginne ich mit einer kurzen Biographie über den Pontifex Leo III., darin enthalten ist seine Ernennung zum Oberhaupt der Kirche und die Probleme die seinerzeit aufgetreten sind. Im weiteren Verlauf gehe ich auf die Gegenspieler des Pontifex Maximus ein und wie diese versuchten den amtierenden Papst aus dem Amt zu entfernen. Diese oppositionellen Unruhen in der ewigen Stadt am Tiber gipfelten letztlich in der Flucht des Papstes nach Paderborn im Jahre 799 und in der Kaiserkrönung Karls im Jahre 800. Der Inhalt dieser Arbeit reiht sich in das Oberthema „Rom im Mittelalter“ und in das Teilthema „Das Rom der Kaiser“ ein. Es soll deutlich werden, dass in den Wirren der Stadt Rom, Ende des 8. Jahrhunderts, die Karolingerkönige eine Vorzugstellung vom Papsttum erhielten. Das Verhältnis zwischen den fränkischen Herrschern und dem Papsttum verbesserte sich zunehmend. Die päpstlichen Beziehungen zu Karl dem Großen stellten eine aufsteigende Bedeutung für die Legitimation des Papstes und die Stadt Rom dar. Dieses Verhältnis ermöglichte es letztlich dem Karolingerkönig die kaiserlichen Insignien im Jahre 800 zu erhalten. 2. Papst Leo III. und Karl der Große 2.1. Leo III. und seine Papsternennung Leo III. wurde am 26. Dezember im Jahre 795 einstimmig zum Oberhaupt der Kirche gewählt. Die Wahlanzeige wurde zusammen mit dem Schlüssel zum Petersgrab, sowie dem Banner Roms an Karl den Großen verschickt. Damit bot Papst Leo III. Karl Treueide an und die Anerkennung als Patricius der Stadt Rom. Karls Antwort auf das römische Schreiben kam umgehend und machte die Aufgaben der weltlichen und kirchlichen Macht Seite 8 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ deutlich. Er, als Frankenkönig, sei für den „äußerlichen Kirchenschutz sowie die innere Glaubenssorge“ zuständig, der Papst habe die Aufgabe des Betens.1 Der neue Pontifex empfing die Papstweihe am Begräbnistag seines Vorgängers Hadrian I. Dieser hatte gute Beziehungen zu den fränkischen Herrschern aufgebaut. Karl wurde unter Hadrian I. die Ehre zuteil „den weltlichen Schutz des Papstes und der Stadt Rom“ zu übernehmen.2 Leo III. war ein nicht-aristokratischer Römer und arbeitete vor seiner Papstwahl als Kleriker im Lateran. Die Wahl zum Papst hatte er sich aufgrund seines Dienstes in der römischen Kirche erarbeitet. Seine nicht-aristokratische Abstammung wurde dem Papst schon bald nach seiner Ernennung zum Verhängnis. Es kam zu Spannungen zwischen der in Rom herrschenden aristokratischen Oberschicht und Leo III. Diese Streitigkeiten werden im nächsten Punkt näher erläutert. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch flüchtete Papst Leo III. ins Frankenreich nach Paderborn, um sich bei Karl dem Großen Schutz gewähren zu lassen. Nach der Rückkehr in die Ewige Stadt ließ der Pontifex im Triclinium des Lateran ein Mosaik anbringen, welches Leo als Nachfolger Petri und Karl als Nachfolger Konstantins darstellt. Dieses Mosaik sollte ein Beweis der Macht von Papst Leo III. demonstrieren. Das Oberhaupt der Kirche gipfelte die Anerkennung der fränkischen Schutzmacht in der Krönung Karls zum Kaiser am Weihnachtstag im Jahre 800. 804 suchte Leo ihn nochmals in Quierzy auf und blieb auch weiterhin mit Kaiser Karl in Kontakt. Im Jahre 808/ 809 hatte Karl das Ansinnen die filioque3 in das Apostolische Glaubensbekenntnis aufnehmen zu lassen. Diesen Vorschlag, dass der Hl. Geist vom Vater und dem Sohn ausgehen würde, hat Leo III. verworfen. Er reagierte auf diese Einmischung in klerikale Fragen mit der Anbringung von Bronzetafeln im Vatikan, worauf der traditionelle Text des Niceano-Constantinopolitanum von 381 zu lesen war. Das Liber Pontificalis, das Buch der Päpste, worin die Biographien aller Päpste verzeichnet sind, rühmt Leo III. als Restaurator von vielen Kirchen.4 Leo III. hat durch diese großen Bauvorhaben, im kirchlichen und öffentlichen Bereich, der Stadt Rom ein päpstliches Gepräge verliehen. Papst Leo III. verstarb am 12. Juni 816 in Rom. Angenendt, Arnold: Art. „Leo III.“, in: LThK, Bd. 6 Kirchengeschichte bis Maximianus, hg. v. Walter Kasper (u. a.), Freiburg im Breisgau (u. a.) 1997, Sp. 822. 2 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 13. 3 Hauck, Friedrich/ Schwinge, Gerhard: Theologisches Fach- und Fremdwörterbuch. 10. Auflage. Göttingen 2005, S. 72. 4 Hauck, Friedrich/ Schwinge, Gerhard: Theologisches Fach- und Fremdwörterbuch. 10. Auflage. Göttingen 2005, S. 121. 1 Seite 9 Das Rom der Kaiser: Karl der Große 2.2. Seminar „Rom im Mittelalter“ Opposition in Rom und Attentatsversuch Als Papst Hadrian I. 795 verstarb und Leo III. einstimmig zum Papst gewählt wurde kam es zu ersten Spannungen im Vatikan. Es ging in erster Linie um die „Verteilung von Macht und Einfluss“5. Anstößig war auch die Abstammung des neu gewählten Papstes. Denn er war „nicht (aus) den adligen Führungsschichten der Stadt Rom“.6 Dies wurde wie eine Provokation hingenommen. Da es kein offizielles Verfahren gab, welches rechtlich begründet war, um den Pontifex aus seinem Amt zu entfernen, war es üblich die Rivalitäten unter den verschiedenen Adelsgruppen in offenen Gewaltakten auszutragen. Hiermit wurden auch „Aversionen gegen von außen gekommene Emporkömmlinge“ ausgetragen.7 Die Anführer der Verschwörer waren Paschalis, ein Neffe Hadrians und Campulus. Beide waren hochrangige päpstliche Verwaltungsbeamte, die schon unter Hadrian eingesetzt worden sind.8 Diese unzufriedene Gruppierung, die sich um die Anführer der Verschwörer scharte, entlud ihre Aggressionen gegen den Papst am 25. April 799. Es war der Markustag. An diesem Tag wurde eine Bittprozession durchgeführt. Dieses Ereignis wurde zum Anlass genommen, um den Papst gefangen nehmen zu lassen und ihn zu misshandeln. Obwohl mehrere Quellen darauf verweisen, dass Leo III. bei diesem Attentat den „Verlust des Augenlichts und der Zunge“ erlitten habe, kann dies so nicht hingenommen werden. Da Papst Leo III. nach diesem Attentat am Weihnachtstag 800 einen Reinigungseid abgelegt hat und noch weitere 17 Jahre im Amt blieb. Der Vita Leonis III zufolge, welche im Liber Pontificalis enthalten ist, hat Leo III. sein Augenlicht und seine Zunge durch „göttliches Eingreifen“ wiedererlangt.9 Aus dieser Sichtweise heraus waren die Verstümmelungen gerechtfertigt, denn erst aufgrund dieser konnte die göttliche Macht wirksam werden. Ein Beweis für die mittelalterlichen Bürger Roms, den päpstlichen Status und die Rechtmäßigkeit Leos nicht in Frage zu stellen. Alkuin, dem Gelehrten am fränkischen Hof, kamen im Mai 799 die Vorgänge in Rom zu Ohren. Er bekam diese Informationen aus einem Gespräch mit dem spanischen Bischof Felix von Urgel und schrieb sogleich einen Brief an Karl, um ihn von seinem nahenden 5 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 14. Ebd. 7 Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002, S. 75. 8 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 14. 9 Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002, S. 78. 6 Seite 10 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Sachsenfeldzug abzuhalten und zu einem Eingreifen in Rom zu bewegen.10 Die ersten Meldungen Alkuins „lösten in Aachen Erschrecken aus“.11 Jedoch wurden die anfänglichen Befürchtungen von den Misshandlungen Papst Leos III. aufgelöst, als er im Juli/ August 799 in Paderborn unversehrt erschien. 2.3. Flucht nach Paderborn 799 Errettet wurde der Pontifex von „in der Nähe weilenden fränkischen Missi“, die ihn aus seiner Gefangenschaft befreiten. Da sich die Situation, für die fränkischen Abgesandten, kompliziert und komplex darstellte sollte Karl selbst über die Angelegenheit entscheiden. Daraufhin wurde der Papst und eine Abordnung der Verschwörer „nach Norden geleitet, um ihre Standpunkte am fränkischen Hof zu verteidigen.“12 Karl verbrachte den Sommer in seiner Residenz, der Pfalz zu Paderborn, als Papst Leo III. und die Verschwörer dort eintrafen. Im Epos „Karolus magnus et Leo Papa“ wird erwähnt, dass „Karl den höchsten Hirten auf Erden mit Fußfall“ begrüßt hat.13 „Der Tag gipfelt[e] in einem feierlichen Papstamt im neu errichteten Paderborner Dom.“14 Der Papst verweilte „vermutlich drei Monate“ in der Stadt.15 Am Königshof standen der Papst und sein Amt selbst zur Debatte, auch durch die römischen Verschwörer, die dort als Ankläger auftgetreten sind. Die vorgetragenen Beschuldigungen waren sehr brisant. Meineid und Ehebruch wurden ihm vorgeworfen. Die Verteidiger des Papstes setzten sich allerdings durch. Sie hatten schließlich einen Trumpf von beachtlichem Wert in ihrer Hand – die Verleihung der kaiserlichen Würde an das fränkische Königshaus.16 Doch stellte sich die Frage, ob und inwiefern ein fränkischer König würdig war, diesen Kaisertitel zu tragen? Ein Kandidat musste sich ausweisen, er musste „1. als Schutzherr und Mehrer der Kirche sowie 2. als Herrscher mit politischer Führungsqualität über „gentes“, d. h. über die Völker insgesamt.“ auftreten. „Karl demonstrierte dem Papst in Pader- 10 Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002, S. 80. 11 Ebd. S. 81. 12 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 15. 13 Hengst, Karl: Karl der Große und Papst Leo III. 799 in Paderborn – Dichtung und Wahrheit. in: Meyer zu Schlochtern, Josef/ Hattrup, Dieter (Hg.): Geistliche und weltliche Macht. Das Paderborner Treffen 799 und das Ringen im den Sinn von Geschichte, Paderborn 2000, S. 32. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 15. Seite 11 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ born genau diese Qualitäten.“17 Karl gewährte Leo III. Obdach und stand ihm in seiner schwersten Stunde bei. Mehrer der Kirche konnte er durch die Neubekehrung der Sachsen aufweisen. Paderborn wurde zum „Zentrum der Sachsenmission“.18 Leo III. hielt während seines Aufenthaltes in der Stadt an der Pader eine Papstsynode ab. Somit kommt der Stadt eine historisch bedeutende Stellung zu. Karl und Leo gründeten während des päpstlichen Aufenthaltes mehrere Bistümer im Frankenreich, darunter Münster, Osnabrück, Paderborn, Minden, Verden und Bremen.19 Am 29. November 799 kehrte Papst Leo III. mit einer fränkischen Abordnung wieder nach Rom zurück. Es zeigt sich, dass Leo III vom fränkischen Königshaus abhängig wurde, denn „Nur mit fremder Hilfe konnte dieser zurückkehren, und seine rechtliche Stellung blieb noch über ein volles Jahr ungeklärt, bis Karl der Große selbst in Rom erschien, eine Synode abhielt, und der Papst sich mittels eines Eides von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen reinigte.“20 Dieser Reinigungseid wurde erst am 22. Dezember im Jahre 800 abgelegt, also mehr als anderthalb Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf den Pontifex, d. h. dass erst mit diesem Schwur die rechtmäßige Position Papst Leos wieder vollständig hergestellt wurde.21 Ende November im Jahre 800 setzte Karl zum Romzug an. Der fränkische Herrscher wurde bereits am 12. Meilenstein vor der Ewigen Stadt, vom Oberhaupt der Kirche persönlich begrüßt. Diese Ehre wurde normalerweise nur dem kaiserlichen Würdenträger zuteil. Am Weihnachtstag, dem 25. Dezember 800, wurde dem Frankenkönig von Papst Leo III. eine Krone aufgesetzt. Den anwesenden römischen Bürgern war die Bedeutung dieser Zeremonie bewusst. Der fränkische König Karl wurde zum Kaiser ausgerufen und begründete damit den Beginn des mittelalterlichen Kaisertums, welches sich in Form des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis zum Jahre 1806 fortsetzte.22 Hengst, Karl: Karl der Große und Papst Leo III. 799 in Paderborn – Dichtung und Wahrheit. in: Meyer zu Schlochtern, Josef/ Hattrup, Dieter (Hg.): Geistliche und weltliche Macht. Das Paderborner Treffen 799 und das Ringen im den Sinn von Geschichte, Paderborn 2000, S. 33. 18 Ebd. 19 Ebd. S. 35. 20 Becher, Matthias: Die Reise Papst Leos III. zu Karl dem Großen. in: Godman, Peter… S. 89. 21 Angenendt, Arnold: Art. „Leo III.“, in: LThK, Bd. 6 Kirchengeschichte bis Maximianus, hg. v. Walter Kasper (u. a.), Freiburg im Breisgau (u. a.) 1997, Sp. 822. 22 Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004, S. 13. 17 Seite 12 Das Rom der Kaiser: Karl der Große 3. Seminar „Rom im Mittelalter“ Bewertung/ Schluss Abschließend lässt sich sagen, dass der Person Papst Leo III. eine Schlüsselposition in der mittelalterlichen Geschichte zukommt. Durch seine Autoritätsprobleme in Rom löste er eine historisch wichtige Begebenheit im damaligen Europa aus. Die Ereignisse des Attentatsversuchs 799 stellen „die unmittelbare Vorgeschichte des abendländischen Kaisertums“ dar.23 Es kann daher zu Recht von einem „welthistorischen Ereignis[ses]“ gesprochen werden.24 Der Paderborner Sommer 799 und das römische Weihnachtsfest 800 sind in Verbindung zu bringen, da Karl sich in Paderborn als kaiserwürdig präsentiert hat. Der Empfang der kaiserlichen Insignien von Karl dem Großen durch Leo III. stellt die rechtliche Legitimation der weltlichen und geistlichen Macht dar. Papst- und Kaisertum wurden durch diese Krönung auf das engste miteinander verknüpft. Die Kaiserkrönung stellt im Leben und in der Regierungszeit des Karolus Magnus den Höhepunkt seines Lebens dar. 4. Quellen- und Literaturverzeichnis Angenendt, Arnold: Art. „Leo III.“, in: LThK, Bd. 6 Kirchengeschichte bis Maximianus, hg. v. Walter Kasper (u. a.), Freiburg im Breisgau (u. a.) 1997, Sp. 822f. Becher, Matthias: Die Reise Papst Leos III. zu Karl dem Großen. Überlegungen zu Chronologie, Verlauf und Inhalt der Paderborner Verhandlungen des Jahres 799, in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002. S. 87 – 112. Becher, Matthias: Karl der Grosse. 4., durchgesehene Auflage. München 2004. Fuhrmann, H.: Art. „Leo III.“, in: RGG, Bd. 4, hg. v. Kurt Galling (u. a.), Tübingen 1960, Sp. 318. Hauck, Friedrich/ Schwinge, Gerhard: Theologisches Fach- und Fremdwörterbuch. 10. Auflage. Göttingen 2005. 23 Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002, S. 76. 24 Ebd. Seite 13 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Hengst, Karl: Karl der Große und Papst Leo III. 799 in Paderborn – Dichtung und Wahrheit. in: Meyer zu Schlochtern, Josef/ Hattrup, Dieter (Hg.): Geistliche und weltliche Macht. Das Paderborner Treffen 799 und das Ringen im den Sinn von Geschichte, Paderborn 2000. S. 20 – 39. Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. in: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg/ Johanek, Peter (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung. Das Epos „Karolus Magnus et Leo Papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002. S. 75 – 85. Seite 14 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Aachen – ein neues Rom? Markus Junghans/ Judith Rupp 1. Einleitung Nachdem im vorangegangen Essay die Kaiserkrönung Karls des Großen und ihre Auswirkungen behandelt wurden, wird nun der Frage nachgegangen, inwiefern Aachen unter Karl dem Großen zu einem neuen Rom ausgebaut werden sollte, oder nicht? Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, wird zuallererst Aachen und Rom zur Zeit Karls vorgestellt, um den Kontext für den Ausbau zu verdeutlichen. Daran anschließend wird der Ausbau Aachens zur Kaiserpfalz, insbesondere im Hinblick auf die Marienkirche näher erläutert. Hierbei wird aus kunsthistorischer Perspektive der Aufbau der Marienkirche mit Bauwerken aus Ravenna, Rom und Konstantinopel verglichen. Abschließend wird der Essaybeitrag zu dem Themenkomplex „Das Rom der Kaiser: Karl der Große und die Erneuerung des abendländischen Kaisertums“ versuchen, die diskutierte Fragestellung, ob Karl der Große mit dem Ausbau der Aachener Pfalz ein neues Rom errichten wollte oder ob das Bauvorhaben die Absicht hatte sein neu entstandenes abendländische Kaisertum zu legitimieren, versucht, nach den bisherigen Kenntnissen, zu beantworten. 2. Hauptteil 2.1. Aachen und Rom zur Zeit Karls des Großen In diesem Abschnitt der Erarbeitung werden die beiden Städte Aachen und Rom kurz vorgestellt und in den Kontext der Regierungszeit Karls des Großen eingeordnet. Begonnen wird mit Aachen. 2.1.1. Aachen zur Zeit Karls des Großen Aachens erste historische Nennung ist den Jahren 765/66 zu datieren. Die Nennung steht im Hintergrund des Aufenthalts Pippin des Jüngeren im Winter. Ab 794 wurde Aachen dauerhafte Winterresidenz Karls des Großen. Unter seinem Nachfolger Ludwig des Frommen sogar feste Residenz und gleichzeitig Hauptsitz der fränkischen Könige. Seit den 780er Jahren wurden die Pfalzgebäude Aachens neugebaut. Zu der Seite 15 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Bedeutung Aachens ist des Weiteren von Interesse, dass Aachen Krönungsort deutscher Kaiser wurde und in seiner Geschichte von vielen Herrschaftsaufenthalten geprägt ist. Die Rolle Aachens im Frankenreich bestand insbesondere darin, dass die Stadt eine der wichtigsten Städte im Zuge des Reisekönigtums wurde. Ein Grund für diesen Sachverhalt ist, dass Karl der Große an Aachen seine „heißen Quellen“ schätzte.25 Nach dem bereits oben angedeuteten Neubau Aachens von der Landpfalz entwickelt sich Aachen zum Kristallisationspunkt im Reich Karls des Großen. Zu dem Ausbau Aachens und besonders des Marienstiftes, der übrigens durch den erplünderten Schatz der Awaren im Jahre 796 finanziert wurde, soll an dieser Stelle nur angemerkt werden, dass eine funktionale und repräsentative Kulisse des Herrschers mit zahlreichen Monumentalbauten entstand. Über die „herausragenden Großbauprojekte“ des Kaisers informiert Einheit in seiner Vita.26 Zudem wurde der Hof im folgenden Dienstort für Funktionsträger des gesamten Reiches, Anziehungspunkt für Bittsteller sowie Kaufleute. Dieser Hintergrund verdeutlicht sehr gut die Abhängigkeit Aachens durch die Präsenz von Herrschern in der Stadt. Den Höhepunkt seines imperialen Repräsentationsprogramms fand Aachen bei der Weihe der Marienkirche am 17.7 802. Am Dreikönigsfest 805 war sogar Papst Leo III. zur Konsekration in Aachen zu Gast. Abschließend wird noch auf den Mythos Aachens eingegangen werden. 27 Hierbei ist zu konstatieren, dass zahlreiche Herrschergeschlechter, Aachen wieder ins reichsweite Rampenlicht brachten. Die Ottonen verliehen, als Otto I. 936 in Aachen gekrönt wurde, zuallererst der Stadt wieder Bedeutung. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Aachen in der Regierungszeit Karls des Großen von einem Winterquartier bis hin zur festen Residenz aufstieg und insbesondere nach dem Neubau der Pfalzgebäude in den 780iger Jahren, eine kurze Blütezeit im beginnenden 9. Jahrhundert erlebte. 2.1.2. Rom zur Zeit Karls des Großen Nachdem im Vorherigen die Bedeutung Aachens zur Zeit Karls des Großen dargestellt wurde, wird nun Roms Stellenwert in dieser Zeit verdeutlicht. Um die Rolle Roms in der 25 Vgl. Einhard, Das Leben Karls des Großen (Vita Caroli Magni), in Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, S. 157-211, cap.22. 26 Vgl. Einhard, Das Leben Karls des Großen (Vita Caroli Magni), in Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, S. 157-211, cap.17 und 26. 27 Näheres zum Mythos Aachens und dem Karlsmythos allgemein ist dem Essay von Herrn Wenig im Gesamtreader zu entnehmen. Seite 16 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Zeit zu verstehen, werden nun wichtige Hintergründe für das Gesamtverständnis dargestellt. Zeitlich eingesetzt, wird in der Periode zwischen 730 und 880. In dieser Zeit festigte das Papsttum in Rom seine politische und territoriale Kontrolle über Rom und das Umland (Latium) durch eine neue Diözesanorganisation. Des Weiteren wurde die Bibel als ideologisches Instrument verwendet, um die Herrschaft über ehemalige byzantinische Gebiete in Mittelitalien zu sichern. Zudem versuchten die römischen Päpste durch große Bauvorhaben im kirchlichen und öffentlichen Bereich ihr Papsttum zu festigen. Diese Bauten trugen dazu bei, dass das Papsttums in der römischem Gesellschaft immer mehr als Angelpunkt angesehen wurde. Dieser Hintergrund verdeutlicht das Problem des römischen Papsttums. Denn die Päpste mussten ihre Herrschaft immer wieder neu legitimieren. Rom stand in dieser Zeit zum einen in einem Abhängigkeitsverhältnis „nach außen“ mit den Langobarden und Byzanz. In diesem Zusammenhang werden die Franken aktiv. Pippin, der Vater Karls des Großen, kam nach der Eroberung der Langobarden dem Papst zuhilfe. Zum anderen standen die Päpste „im inneren“ in einem Abhängigkeitsverhältnis mit dem römischen Stadtadel, der die faktische Macht im Stadtgebiet inne hatten. Aus diesem Grund ist von einem Adelspapsttum in Rom sprechen. In diesem Abhängigkeitsverhältnis „von außen und innen“ kehrt nun Karl der Große auf die römische Bildfläche. 799 nach zahlreichen vorigen RomBesuchen in den Jahren 774, 781 und 787 hilft er dem nicht aus aristokratischen römischen Kreisen stammenden Papst Leo III. bei einem Attentatsversuch seiner Gegner.28 In Folge der Hilfedienste Karls krönt Papst Leo III. Karl den Großen 800 zum Kaiser. Außerdem geht Karl gegen die Attentäter Leos vor. Das neue abendländische Kaisertum Karls des Großen wird jedoch noch nicht von allen Seiten legitimiert29, die Byzantiner empfinden sein Kaisertum als eine „barbarische Anmaßung“.30 Vor dem Hintergrund der Nichtanerkennung des Kaisertums Karls, versucht der Frankenherrscher infolgedessen seinen Status als Imperator Ausdruck zu verleihen, indem er kostbare Materialimporte aus Ravenna sowie im Allgemeinen sich auf römische Ursprünge christlicher Kunst in den Neubau seiner Aachener Pfalz verwendet, um seine westliche Herrscherwürde zu veranschaulichen und zu legitimieren. 28 Näheres zu den genauen Gegebenheiten ist dem Essay von Herrn Klippel im Gesamtreader zu entnehmen. Näheres zu der Kaiserkrönung und ihren Auswirkungen ist den Essays von Frau Kaune und Frau Homann im Gesamtreader zu entnehmen. 30 Schieffer, Rudolf: Die europäische Welt um 800: Byzanz-Rom-Islam und die Kaiserkrönung in Rom, in: Kramp, Mario (Hg.): Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos (Katalog der Ausstellung in zwei Bänden), Mainz 2000, S. 192. 29 Seite 17 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass Rom und das Papsttum zur Zeit Karls des Großen unter „inneren und äußeren“ Legitimationsproblemen zu leiden hatte hatten und schlussfolgernd als geschwächt zu charakterisieren ist. 2.2. Die Marienkirche Aachens als Versuch der Herrschaftslegitimation 2.2.1 Einleitung Aachen- neues Rom? Um dieser Frage nachzugehen, befasst sich das vorliegende Kapitel des Gesamtessays mit der Marienkirche der Pfalz. Sie war das überragendste Bauwerk in der Regierungszeit Karls des Großen und stellt auch heute noch eines der bedeutendsten Bauwerke Aachens dar. Nach ihrer Fertigstellung wurde sie kontinuierlich als Stiftskirche genutzt und dient heute als Bischofskirche. Die vorliegenden Betrachtungen beziehen sich zunächst auf den entstehungsgeschichtlichen Aspekt. Dabei soll aufgezeigt werden, dass Rom bereits einen entscheidenden Anstoß zum Bau der Marienkirche gab. Dem folgend wird der Versuch unternommen den Aufbau der Kirche darzustellen. Als Grundlage dient sowohl der Aufsatz von Matthias Untermann,Professor für Europäische Kunstgeschichte in Heidelberg, als auch die Monographie von Günther Binding. Dieser hat den Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Stadterhaltung in Köln inne. Zur besseren Veranschaulichung sind Bildquellen im Anhang eingefügt. Grundlegend sind hierbei die Fragen nach ihren Besonderheiten sowie Perspektiven in der künstlerischen Ausgestaltung, die einen möglichen Vergleich, kirchlicher Bauten mit anderen Städten, zulassen. Abschließend soll auf die Funktionen hingewiesen werden, um ihr Kontinuitätssymbol zu untermauern. 2.2.2. Entstehungsgeschichtlicher Aspekt Wie bereits zuvor erwähnt, kann Rom als ´Motor´ für Karls Bautätigkeiten gesehen werden. Die Stadt verkörperte den Ursprung der „karolingischen Renaissance“, die von etwa 780 bis 820 ihre kulturelle Blüte hatte. Denn Rom blieb trotz des langsamen Abnabelungsprozesses von Byzanz, in der Periode zwischen 730 und ca. 880, von den religiösen und damit auch den architektonischen Einflüssen nicht unbeeinflusst. Durch Papst Hadrian I. und Leo III. kam es in Rom zu neuem Aufschwung. Sie führten umfangreiche Sanierungen alter Kirchen sowie den Bau zahlreicher neuer durch, die Seite 18 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ „Rom als Sitz der Nachfolger Petri in neuem Glanz erstrahlen“31 lassen sollten. Dies bekam Karl in seinen ersten Italienzügen durchaus mit, sodass dies als möglicher Antrieb Karls zum Ausbau seiner Bauten in Aachen gesehen werden kann. 2.2.3. Aufbau der Marienkirche Betrachtet man heute die Pfalzkirche, so ist festzustellen, dass sie größtenteils erhalten geblieben ist. Jedoch ist sie im Innern durch Ausstattungen um 1900 verfälscht und im Äußeren durch Anbauten verstellt. Durch Bezug auf Matthias Untermann soll deshalb der ursprüngliche Bau nachskizziert werden. Dabei stellt sich zunächst das Problem der zeitlichen Einordnung. Es gibt weder einer genaue Datierung des Baubeginns noch der Fertigstellung. Historiker wie Harald Müller gehen aber davon aus, dass ihr Bau schon vor der Kaiserkrönung Karls im Jahre 800 im Gange war. Auch nennt er als möglichen Weihetermin den 17. Juli 802 , wobei er sich auf die Festkalender der Region stützt. Die Kirche wurde auf einer römischen Tempelanlage, mit einer im ca. 6. Jahrhundert angebauten Apsis (halbrunde, oder auch viereckige Altarnische), errichtet. Den sich darin befindlichen Reliquenaltar übernahm Karl als Hauptaltar. Dieser wurde genau nach Osten ausgerichtet. Hierin zeigt sich bereits seine Hinwendung zu Rom. Betrachtet man nun genauer die Architektur, so richtet sich der Blickpunkt sofort auf den achteckigen Zentralbau, der schon von den damaligen Zeitgenossen bewundert wurde. Der Raum ist von acht gleichartigen Wandfeldern umschlossen. Des Weiteren wird er von einem zweigeschossigen Umgang umschlossen, sodass er nach außen hin sechzehneckig wirkt. Beleuchtet wird der Raum durch hochsitzende Fenster. Ein Kappengewölbe schließt ihn. Binding erwähnt, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dieses zunächst figürlich bemalt, später mit Mosaiken geschmückt wurde. Das Mosaik zeigte, bis zur einer Gewölbeauswechslung im 12. Jahrhundert, das Bild von den 24 Ältesten der Apokalypse, welche sich von ihrem Thron erhoben und Christus frönten. Hierbei kann eine Stellungnahme zum byzantinischen Ikonklasmus (Bilderstreit) hergeleitet werden. Im „Originalbau“ befanden sich zusätzlich am Zentralbau ein turmüberhöhter Eingangsbau im Westen und ein kleiner Altarraum im Osten. Weiterhin führt Untermann an, dass zur 31 Effenberger, Arne: Die Wiederverwendung römischer, spätantiker und byzantinischer Kunstwerke in der Karolingerzeit, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 644. Seite 19 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Kirche ebenfalls das Atrium im Westen sowie ergrabene mehrteilige Anbauten im Norden und Süden zählten. Den Kircheneingang ist gekennzeichnet durch einen hohen, steilen Bogen. Von der Kapelle gelangte man über eine niedrige Vorhalle zum Atrium. Hierbei verweist Untermann auf das Tonnengewölbe, das die Vorhalle überspannte, und über dem sich ein Emporenraum befand, welcher später umgebaut wurde. „Das Emporengeschoss öffnet sich in sehr hohen Rundbögen, denen jeweils ein horizontal geteiltes „Säulengitter“ eingestellt ist (...)“.32 Des Weiteren wurden die Säulengitter der Arkaden (auf zwei Säulen oder Pfeilern ruhender Bogen) durch gegossene Emporengitter, mit unterschiedlicher Ornamentik, ergänzt, so die Feststellung des Autors. Auf der Empore blieben große Reste von Platten und Stiftböden erhalten. Diese stammten laut Untermann zum Teil von römischen Bauten, zum Teil bildeten sie römische Techniken nach. Über die Fußbodengestaltung im Erdgeschoss gibt es keinerlei Zeugnisse mehr. Weiterhin zählten zu den Ausstattungstücken fünf Bronzeportale, die sich im Westportal und in den Erd- und Obergeschosseingängen befanden. Heute sind vier von ihnen erhalten, eine befindet sich sogar am ursprünglichen Platz. Die dazugehörigen Türflügel weisen antike Gliederungsmotive auf. 2.2.4. Kunsthistorische Vergleiche zu Ravenna und Konstantinopel Bei nun näherer Betrachtung ergeben sich zahlreiche Vergleiche zu der Kirche Hagia Sophia in Konstantinopel sowie der San Vitale in Ravenna. Erstere stellt die Hauptkirche des byzantinischen, oströmischen Kaiserreichs dar. Die Kirche galt als der größte christliche Zentralbau der damaligen Welt. Die Kirche ist gekennzeichnet durch einen Zentralraum, einen zweigeschossigen Umgang, eine hohe Kuppel sowie zahlreichen Säulen. Die San Vitale ist ein byzantinisches Bauwerk aus der Zeit Kaiser Justinians. Sie gilt als gültiges Abbild der byzantinischen Kirche und war direktes Vorbild für den Innenraum der Marienkirche. Ravenna gewann zunächst Bedeutung in der römischen Kaiserzeit. Nach einer Herrschaft des Ostgoten Theoderich 494 ging sie in eine byzantinische Herrschaft über. Die byzantinische Macht wurde im Jahre 540 von Behsar etabliert. Im Jahre 751 fand ein erneuter ReUntermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 155. 32 Seite 20 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ gierungswechsel unter dem Langobardenkönig Aistulf statt. Knapp 20 Jahre später unterlagen die Langobarden Karl dem Großen, der Ravenna unter seiner Herrschaft vereinigte. Hierbei ist zu vermuten, dass er sich Ideen für den Bau der Marienkirche in Aachen abschaute. Denn Ravenna war gekennzeichnet durch die Nachahmung der Hauptstadt Konstantinopels, zum Ziel der Gleichstellung. So ist auch ein byzantinischer Einfluss in der Architektur und der Wanddekoration zu vermerken. Vermutlich aus diesem Grund importierte Karl Säulen- und Marmorplatten aus Ravenna. Diese wurden bereits 798 in die Pfalzkapelle integriert. Nach Effenberger stellt dies eine Kontroverse dar. Denn Karl der Große hätte die antiken Säulen- und Marmorkapitelle auch in Aachen oder in nahe gelegenen Orten wie Köln finden können. 33 Weiterhin argumentiert er, dass allein „die verbürgte Herkunft aus den kaiserlichen Residenzen Karls Anspruch auf angemessene Repräsentation seines Herrschertums genügen konnte“.34 Auch muss in Betracht gezogen werden, dass die verschiedenen Spezialisten, die für die Arbeiten an der Marienkirche notwendig waren aus dem Mittelmeerraum stammten. All seine Bemühungen können als Hochgefühl erlangter Ebenbürtigkeit gedeutet werden. „Die Nachahmung bedeutender Vorbilder, die Überführung und gezielte Verwendung originaler Bauglieder erklären sich aus dem Bewusstsein ungebrochener Teilhabe an einer ruhmvollen Vergangenheit, die in Karls Gegenwart wieder auflebte und schließlich in der Kaiserkrönung von 800 eine letzte Bestätigung fand“.35 2.2.5. Funktionen der Marienkirche Die Kirche war Pfarrkirche im Fiskus Aachens gewesen. Diese Position behielt sie im gesamten Mittelalter hindurch. Des Weiteren war sie als Kanonikerstift verfasst. Folglich besaß der Marienstift eine feste Klerikergemeinschaft, die kirchliche Aufgaben wahrnahm. Die Kleriker bezogen dabei ihren Unterhalt aus den Erträgen des Stiftungsvermögens. Die Ausstattung der Kriche und deren Verfassung weisen jedoch über die Funktion einer bloßen Fiskalkirche hinaus. Auch diese Gründe trugen dazu bei, dass die Marienkirche als Kontinuitätssysmbol gelten kann. Denn sowohl durch ihre Verfassung als auch ihre Funktion als Pfarrkirche war sie relativ unabhängig von der Präsenz des Herrscherhofes. 33 Vgl. Ebd., S. 650. Vgl. Ebd. 35 Vgl. Ebd. 34 Seite 21 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ 2.2.6. Zusammenfassung und Fazit Karl der Große hat sich bei seinem Ausbau der Pfalzkirche stark an Rom, Konstantinopel und Ravenna orientiert. Gerade die materielle Aneignung älterer Kunstwerke, bezüglich des Imports der Säulen- und Marmorplatten aus Ravenna, sowie die erheblichen Ähnlichkeiten in der Architektur, verdeutlicht dies. Die Anführungen zeigen, dass die Marienkirche, als bedeutendstes Bauwerk in der karolingischen Zeit, nicht gerade ein neues Rom schaffen, aber doch eine Gleichwertigkeit erlangen wollten. 3. Zusammenfassung Bezüglich des Ergebnisses der Fragestellung ist zuallererst auf die Kontroversität dieser Frage in der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu verweisen. Verschiedene Vertreter des Faches vertreten die These, dass Karl der Große in Aachen ein „zweites, neues Rom schaffen wollte“.36 Als prominenter Vertreter der These wäre vor allem Krautheimer zu nennen. Die These stützt sich auf die Annahme, dass Karl der Große bei dem Ausbau des Aachener Pfalzbezirkes, eine Übertragung der Herrschaft vom römischen Imperium auf das fränkische Reich anstrebte, die sogenannte „Translatio imperii“. Dies versinnbildlicht sich in der Bronzewölfin „Lupa“37, die als Wahrzeichen der Stadt Rom heute im inneren der Pfalzanlage steht und früher am Eingang des Münsters stand oder auch in dem folgenden Zitat aus den Reichsannalen: „Als der König gerade am hl. Weihnachtstag sich vom Gebet vor dem Grab des sel. Apostels Petrus zur Messe erhob, setzte ihm Papst Leo eine Krone aufs Haupt, und das ganze Römervolk rief dazu: dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten großen und friedenbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg! und nach den lobenden Zurufen wurde er vom Papst nach Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan, unter Weglassung des Titels Patricius, Kaiser Augustus genannt.“38 Andere Historiker vertreten hingegen die Position, dass Karl der Große Aachen als Regierungssitz seiner fränkischen Hauptstadt als altehrwürdiges Herrschaftszentrum ausbauen wollte, um sein neu entstandenes abendländisches Kaisertum zu legitimieren. Dieses Legitimationsstreben kam dadurch zustande, dass Karls Kaisertum unter anderem von den Byzantinern als „barbarische Anmaßung“39 empfunden wurde. Die Vertreter dieser AuffasUntermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 164. 37 Vgl. Abbildung im Anhang. 38 Reichsannalen, in: Hartmann, Wilfried (Hg.): Frühes und hohes Mittelalter 750-1250 (Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung 1), Stuttgart 1995, S.52 f. 39 Schieffer, Rudolf: Die europäische Welt um 800, S. 192. 36 Seite 22 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ sung sind auch der Meinung, dass Aachen kein realistisches Bild von Rom vermittelt, sondern nur ein eklektisches, bei dem der König würdig repräsentiert werden sollte und somit einer imperialen Erwartungshaltung gerecht wird, sowie seinem Streben nach einer allgemein anerkannten römischen Kaiserwürde. Dieses Argument wird darin gestärkt, dass Karl 812 in Aachen byzantinische Gesandte empfängt und schließlich als Kaiser von Byzanz akklamiert wird und Byzanz somit seine neuen Würden seines weströmischen Kaisers anerkannt. Abschließend ist zu der Fragestellung, ob Karl der Große in Aachen ein neues Rom errichten wollte, anzumerken, dass beide Auffassungen gute Argumente beinhalten, trotzdem ist in Anbetracht der bisherigen Kenntnissen zu der Thematik die zweite These, dass Karl der Große ein Rom ähnliches Aachen errichtete, um sein weströmisches Kaisertum zu legitimieren, nachvollziehbarer. Karl der Große konnte mit seiner sehr schnell erreichten Stellung nach seinem Regierungsantritt im Jahre 768 und den darauf folgenden siegreichen Konflikten gegen die Langobarden 774 sowie dem Awarenfeldzug in den 790iger Jahren mit seiner „erreichten Position höchst zufrieden“ sein und hatte genug damit zu tun seine für das frühe Mittelalter einmalig Stellung aufrechtzuerhalten. Welches Interesse sollte er außerdem haben in Aachen eine Konkurrenzmacht zu Rom aufzubauen? Da gerade das römische Papsttum durch seine Kaiserkrönung im Jahre 800 seine Herrschaft als König der Franken und Langobarden festigte und bei seinen Untertanen für eine verstärkte Akzeptanz und Legitimation seines Herrschaftsanspruches sorgte. Des Weiteren ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass sich Karl der Große sehr geschickt auf Elemente des ehemaligen römischen Imperium bezieht, um sein abendländisches Kaisertum zu legitimieren. 4. Quellen- und Literaturverzeichnis 4.1. Quellen Einhard, Das Leben Karls des Großen (Vita Caroli Magni), in Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Erster Teil, neu bearb. Von Reinhold Rau, Darmstadt 1955, ND 1980 und 1993 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr von Stein Gedächtnisausgabe 5) S. 157-211. Reichsannalen, in: Hartmann, Wilfried (Hg.): Frühes und hohes Mittelalter 750-1250 (Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung 1), Stuttgart 1995, S.52 f. Reichsannalen: in Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Erster Teil, neu bearb. Von Reinhold Rau, Darmstadt 1955, ND 1980 und 1993 (Ausgewählte Quellen Seite 23 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr von Stein Gedächtnisausgabe 5), S. 1-155. 4.2. Literaturverzeichnis Arnaldi, Girolamo/Marazzi, Federico: Rom, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, S. 967–971. Becher, Matthias: Karl der Große, 4. durchgelesene Auflage, München 2004. Binding, Günther: Deutsche Königspfalzen von Karl dem Großen bis Friedrich II. (7651240), Darmstadt 1996. Cavanna, Adriano: Benevent, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München 1980, S. 1909– 1910. Effenberger, Arne: Die Wiederverwendung römischer, spätantiker und byzantinischer Kunstwerke in der Karolingerzeit, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. 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J.: Die Acht als christliche und imperiale Zahl, in: Müllejans, Hans (Hg.): Karl der Große und sein Schrein in Aachen, Aachen 1988, S. 136-143. 5. Anhang Kopf der sog. Lupa. Aachen, Dom (Quelle: Effenberger, Arne: Die Wiederverwendung römischer, spätantiker und byzantinischer Kunstwerke in der Karolingerzeit, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 652.) Ravenna, San Vitale, Grundriss (Quelle: Untermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Seite 25 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 159.) Istanbul Hagia Sophia, Innenansicht (Quelle: Untermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 160.) Aachen, Pfalzkapelle, Innenansicht nach Osten (Quelle: Untermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 156.) Aachen, Pfalzbezirk (Quelle: Untermann, Matthias: „opere mirabelli constructa“. Die Aachener „Residenz“ Karls des Großen, in: Steigemann, Christoph/ Wemhoff, Matthias (Hg.): 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Katalog der Ausstellung Paderborn 1999), Mainz 1999, S. 153.) Seite 26 Seminar „Rom im Mittelalter“ Das Rom der Kaiser: Karl der Große Die Folgen der Kaiserkrönung Karls für das Verhältnis Ostrom- Rom –Westrom Jelena Kaune 1. Einleitung Im Anschluss an die Darstellung der Kaiserkrönung Karls des Großen sowie der Frage, ob es sich dabei um eine geplante oder nicht geplante Durchführung gehandelt hat, soll es im Folgenden um die Situation nach 800 gehen, genauer gesagt um die (byzantinischen) Reaktionen, die mit der Erhebung zum Kaiser einhergingen. Dabei wird im Sinne einer Vorarbeit das Augenmerk zunächst auf das byzantinische Kaiserverständnis gelegt, sowie – passend zum Oberthema – auf die Bedeutung Roms, die, wie wir sehen werden, in einer langen Tradition steht und mit der Kaiseridee auf das Engste Verflochten ist. Der Hauptteil des Essays soll die Diskussion um das so genannte „Zweikaiserproblem“, das sich durch ein Nebeneinander eines fränkischen Kaisers Karls und eines byzantinischen Kaisers Nikephoros 802 ergeben hatte, implizieren. Wie es schließlich zu einer Lösung des Problems kam, oder ob es zu einer solchen Lösung kam, sprich: inwieweit Karls Kaisertum letztendlich nach 800 akzeptiert worden ist, wird im letzten Abschnitt thematisiert. Ich werde also, sowohl territorial, als auch thematisch über die Grenzen des (karolingischen) Frankenreiches hinausgehen und Karls Verhältnis zu Rom (und insbesondere Ostrom) figurieren. Da in der Sekundärliteratur oft Uneinigkeit in der Terminologie besteht, lege ich, da mein Fokus auf Ostrom liegt, explizit fest, die oströmische ´Hauptstadt` als „Konstantinopel“ zu bezeichnen, das Adjektiv bleibt aufgrund der fehlenden Entsprechung allerdings „byzantinisch“. Dies erscheint aufgrund der schon eingangs erwähnten Umbenennung der Residenz durch Konstantin logisch. 2. Hauptteil 2.1. Byzantinischer Bezug zu Rom und die Kaiseridee (Translatio Imperii) Über die Bedeutung Roms für die Byzantiner ist in geschichtlichen Quellen wenig erwähnt. Dies mag daran liegen, dass es sich anscheinend um „eine Selbstverständlichkeit [handelt], die gar nicht der Erörterung bedarf; [nämlich der,] dass die Geschichte von Byzanz die geradlinige, im Weltplan Gottes beschlossene Fortsetzung der römischen Geschichte ist.“40 40 Dölger 1964, S. 74. Seite 27 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Diese unter dem Begriff der „translatio imperii“ in die Forschung eingegangene Theorie (Translationstheorie) besagt, dass sich das oströmische Reich in unmittelbarer Tradition des Imperium Romanum sah, das im Westen 476 untergegangen war.41 Demnach hatte Kaiser Konstantin (306-337), der Byzanz zur Kaiserresidenz umbauen ließ und ihr den Namen Konstantinopel gab – neben Rom zur zweiten Hauptstadt des Reiches avancierend – den Ausgangspunkt geliefert. Aus seiner Tradition heraus begründete sich der „Brauch, alle Staaten der Welt in ein abgestuftes System geistiger42 Verwandtschaft zum byzantinischen Kaiser einzureihen“43, was u.a. zur Folge hatte, dass sich Relationsbegriffe wie „Brüder“, „Söhne“ und „Freunde“ bzw. „Untertanen“44 (des Kaisers) etablierten. Aus dieser fiktiven Verwandtschaftskonstruktion erwächst der byzantinische Kaiser als (einzig) legitimiertes Oberhaupt eines römisch- christlichen Gottesreiches; berufen zur universellen Weltherrschaft, versehen mit dem Streben nach der pax romana. Der Begriff der Universalität sollte an dieser Stelle im Hinterkopf behalten werden. Werfen wir einen schnellen Blick auf die Jahrzehnte unmittelbar vor Karls Kaisererhebung, sind auf byzantinischer Seite Kaiserin Eirene sowie ihr Sohn Konstantin VI. zu nennen. Diese lieferten sich einen Machtkampf, der sich dadurch ausdrückte, dass Eirene zunächst die Herrschaft für ihren nicht-volljährigen Sohn übernahm. Nachdem Konstantin seine Mutter jedoch 797 entmachtet hatte, gelang es dieser wenig später wiederum, ihn zu entmachten sowie zu blenden. Neben diesem, nennen wir es Eklat, ist zu betonen, dass Eirene die erste Kaiserin des byzantinischen Reiches war und sich deshalb in einer Sonderstellung befand. Sie sah sich in der Position der unangefochtenen Alleinherrscherin. Bezogen auf die Westpolitik hatte es im Besonderen bezogen auf das Frankenreich bisher keine Probleme gegeben, dies sollte sich jedoch bald ändern. Auf den Bilderstreit, der sich während des 8. und 9. Jahrhunderts entfachte und unter der Herrschaft der Kaiserin seinen Höhepunkt fand, soll hier als spezieller Teilaspekt nicht näher eingegangen werden. 2.2 Die Situation nach 800 oder „Das Zweikaiserproblem“ Dass die Kaiserhebung 800 im Allgemeinen als endgültiger Bruch mit dem oströmischen Reich zu sehen bzw. das „Ende des gerade in den Jahren des 8. Jahrhunderts erreichten 41 Vgl. Becher 2001, S. 74. Auch „geistlicher“: Dölger 1964,S. 56. 43 Ohnesorge 17 44 Dölger 1964, S. 51 42 Seite 28 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Friedenszustandes mit Byzanz“45 ist, legt nachfolgender Satz nahe: „Die Kaiserkrönung Karls des Großen, in byzantinischer Sicht eine Usurpation, schafft das Zweikaiserproblem (bis 1204)“46. Neben der historischen Einordnung, tritt ein weiterer, problemorientierter Gedanke: der einer usurpatio, der der wörtlichen Übersetzung nach so viel bedeutet wie „Gebrauch, Benutzung“47, auf die Staatspraxis bezogen allerdings negativ konnotiert ist. Die, nennen wir sie Auflehnung oder Rebellion, war keinesfalls die erste in byzantinischen Verständnis gewesen. Bereits die Jahrzehnte davor hatte es in Italien und sogar in Rom selbst Gegenkaiser gegeben. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Karl dem Großen und Byzanz muss man sich darüber im Klaren werden, was die Kaiserkrönung Karls bewirkte bzw. wie die Reaktionen waren, um zu einem Verständnis des so genannten und sich nach 800 entwickelnden, sich aus der Existenz eines westlichen und eines östlichen Kaisers ergebenden „Zweikaiserproblems“ zu gelangen. 2.2.1 Allgemeine Vorgänge Nach der Kaisererhebung verbreitete sich in Byzanz ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit. Man fürchtete, Karl wolle das byzantinische Reich angreifen, um „Konstantinopel, die wahre Hauptstadt des Römischen Reiches, zu erobern und so seine Usurpation mit letzter Konsequenz zu Ende zu führen“48. Um dies zu erkunden, wurde rasch eine Gesandtschaft von päpstlichen Legaten ins Frankenreich geschickt49. Der aus heutiger Sicht befremdliche Gedanke, dass diese die Idee eines möglichen Eheprojekts zwischen der byzantinischen Kaiserin Eirene und Karl mit im Gepäck hatten, wurde mit ihrer Absetzung, die durch eine Verschwörung des Logotheten tu geniku50 Nikephoros zustande kam, 802 unmöglich. Eine Ehe wäre zweifellos die Lösung des Problems gewesen. Nun war aber eine völlig veränderte Situation entstanden: „die päpstliche Spekulation war falsch gewesen, das Zweikaiserproblem war entstanden“51. 2.2.2 Folgen und Auswirkungen Das, was scheinbar wie ein bloßes Nebeneinander zweier Kaiser, Karl und Nikephoros, aussah, war mit zahlreichen Problemen verbunden und muss, bezogen auf das byzantinische Kaiserverständnis (siehe 1), als eine harsche Provokation aufgefasst worden sein. Ein 45 Ohnesorge 1947, S. 22. Der Große Ploetz. Die Datenenzyklopädie der Weltgeschichte. Köln 2002, S.639. 47 Langenscheidts Taschenwörterbuch Latein. 5. Auflage. Berlin/München 2003, S.543. 48 Becher 2001, S. 86. 49 Vgl. Becher 2001, S. 86./ Ohnesorge 1947, S. 26. 50 Finanzminister 51 Ohnesorge 1947, S. 27. 46 Seite 29 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Kaiser, der nicht in direkter Verbindung zu Rom stand, hatte es bis dahin nicht gegeben. Schon unter der Kaiserin Eirene hatte der Grundsatz gegolten, dass sich jener, der sich gegen das byzantinische Kaisertum auflehnte einen Namen als Rebell aufbürgte. Diejenigen, die sich bis dato aufgelehnt hatten, hatten dies allerdings noch in gemäßigtem Maße getan, sie hatten sich niemals als „Kaiser“, sondern als „Könige“ bezeichnet. So muss Karls Kaisererhebung gleich doppelt provokativ gewesen sein. Was genau ließ aber den Zorn Konstantinopels auf Karl wirken? – Nach seiner Kaisererhebung setzte sich Karl dafür ein, seinem Frankenvolk die Anerkennung als einer Byzanz ebenbürtigen Macht zu erreichen52. Fortan war er nicht mehr „Sohn“, sondern so zu sagen geistiger Bruder des byzantinischen Kaisers. Einhard meint allerdings zu wissen, dass Karl keinesfalls die Absicht hatte, Byzanz das römische Kaisertum zu entreißen, vielmehr habe er an ein friedliches Nebeneinander gedacht. Wie beurteilte Karl allerdings selbst seinen Kaisertitel? – Er entwertete ihn, indem er zu dem Kaisertitel „Augustus ...Imperator“ den Zusatz „Romanum gubernans Imperium“53 setzte, wobei nicht klar war, ob Karl damit meinte, Kaiser der gesamten Bürgerschaft des römischen Reiches oder der Stadt Rom zu sein.54 Weiterhin legte er aber Wert darauf, den Titel „Rex Francorum et Langobardorum“55 zu behalten, wobei hierbei besonders zu betonen ist, dass die Rede immer noch von „Rex“ (König) ist und nicht etwa von „Imperator“ . Dieses Prozedere stellte den Versuch dar, den römischen Kaisertitel [...]nach Möglichkeit zu entrömisieren, und zielt bereits daraufhin, einen Kaisergedanken zu schaffen, der vom römischen unabhängig ist [...]“56. Vor 800 war der Kaisertitel immer unmittelbar mit Rom verbunden gewesen. Eines war klar: Die politische Praxis erforderte, in Byzanz für Karl einen neuen Kaiserbegriff einzuführen. 2.3 Anerkennung des westlichen Kaisertums in Byzanz Der Sohn des Nikephoros, Michael I., erkannte nach dessen Tod (812) Karls Kaisertum in Aachen zu bestimmten Bedingungen an. Die Beendigung des Zweikaiserproblems? So einfach ist die Sachlage leider nicht. Mit bestimmten Bedingungen war nämlich gemeint, 52 Vgl. ebd. S. 23. Der das römische Kaiserreich verwaltet 54 Vgl. Ohnesorge 1947, S. 25. 55 Innerhalb des vollen Kaisertitels: Karolus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator , Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum 56 Ohnesorge 1947, S. 24. 53 Seite 30 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ dass der byzantinische Kaiser Karls Kaisertum lediglich als Rangerhöhung (seines RexTitels) akzeptierte, Karls Kaisertum so zu sagen lediglich ein „Titularkaisertum“57 gewesen sei; das byzantinische Kaisertum aber nunmehr das römische Attribut im Titel trug („Kaiser der Römer“). Was sich hier andeutet ist das unmittelbare Streben Konstantinopels nach der Weltherrschaft. Dieses Streben ergibt sich einerseits aus dem byzantinischen Kaiserverständnis (siehe 2.1), andererseits aus der gefühlten Bedrohung in Folge des Jahres 800. Ohne darüber diskutieren zu müssen, ob Karl den Anspruch auf ein römisches Kaisertum hatte und sich selbst in der Tradition eines römischen Kaisers im Sinne der Translationstheorie sah, ist zu bemerken, was der Frankenkönig bis hierhin erreicht hatte: einerseits, dass der Papst sich nunmehr seiner politischen Herrschaft beugt, andererseits dass der byzantinische Kaiser ihn, in welcher Form auch immer, als gleichberechtigt anerkannt hatte. An das, was 476 mit der Absetzung des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus abgebröckelt war, knüpfte Karl an und konnte sich nunmehr als Repräsentant eines westlichen Kaisertums sehen. 3. Zusammenfassung Das Verhältnis Karls des Großen zu Ostrom ist durchaus kritisch zu beäugen. Da sich Konstantinopel in der Tradition von Rom sieht, Karl der Große allerdings genau an diesen Herrschaftsanspruch anknüpfen will, ist ein Konflikt kaum zu vermeiden. Auch wenn Karl scheinbar versucht, die Eskapade mit seinem Rex-Titel wieder wettzumachen bzw. großen Wert darauf legt, weiterhin als König der Franken und Langobarden betitelt zu werden, mildert dies die Provokation nicht. Musste sich Ostrom doch von Westrom hintergangen gefühlt haben, als feststand, dass der Papst mit Karl sympathisierte und auch machtpolitisch eher ein Abstieg als ein Aufstieg zu verzeichnen war. Dieser Versuch eines Aushebelungsverfahrens Ostroms durch Westroms wirkte auch nicht dadurch überzeugender, dass Karl, jedenfalls nach Einhard, hinter dem Paritätsgedanken stand und nicht universalistisch eingestellt war. Das Expansionsstreben der Franken konnte jedoch nicht von der Hand gewiesen werden und Rom, mit dem man im Mittelalter „Herrschaft und Macht, Reich und Kaisertum, Weltglück und Weltuntergang“58 assoziierte, bot sich gerade als perfekter Ort für dieses Vorhaben an. 57 58 Zit. nach Ohnesorge 1947, S. 28. Dölger 1964, S.71. Seite 31 Das Rom der Kaiser: Karl der Große 4. Seminar „Rom im Mittelalter“ Quellen- und Literaturverzeichnis Becher, Matthias: Karl der Große. München 2004, S. 74-89. Dölger, Franz: Byzanz und die europäische Staatenwelt. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze. Darmstadt 1964. Lilie, Ralph-Johannes: Byzanz unter Eirene und Konstantin VI. (780-802). Berliner byzantinische Studien; Bd.2. Frankfurt a. M. 1996. Norden, Walter: Das Papsttum und Byzanz. Die Trennung der beiden Mächte und das Problem ihrer Wiedervereinigung bis zum Untergang des byzantinischen Reichs (1453). Berlin 1903. Ohnesorge, Werner: Das Zweikaiserproblem im frühen Mittelalter. Die Bedeutung des byzantinischen Reiches für die Entwicklung der Staatsidee in Europa. Hildesheim 1947, S. 15-31. Bild 1: www.layline.de Seite 32 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Karlsmythos Steffen Wenig 5. Einleitung „Karl war kräftig und stark, dabei von hoher Gestalt, die aber das rechte Maß nicht überstieg. Es ist allgemein bekannt, dass er 7 Fuß groß war. Er hatte einen runden Kopf, seine Augen waren sehr groß und lebhaft, die Nase etwas lang; er hatte schöne graue Haare und ein heiteres fröhliches Gesicht. Seine Erscheinung war immer imposant und würdevoll, ganz gleich ob er stand oder saß. […] Die christliche Religion, mit der er seit seiner Kindheit vertraut war, hielt er gewissenhaft und fromm in höchsten Ehren.“59 Mit diesen Worten, entnommen der „Vita Karoli Magni“, beschreibt der fränkische Gelehrte Einhard Karl den Großen, jenen karolingischen König und Kaiser, welcher das ganze Mittelalter hinweg wie kein Zweiter als grenzenloses Vorbild und nachahmenswerte Herrschergestalt gelten sollte. In mehr als 120 Handschriften erhalten, liefert die „Vita“ ein für mittelalterliche Herrscher ungewöhnlich genaues Bild des Frankenkönigs; überdies bildete sie gleichsam den Auftakt einer Glorifizierung des Lebens und der Taten Karls des Großen. Die in dieser Schrift augenscheinliche Wertschätzung und Verehrung Karls fand in vielen literarischen Werken und bedeutenden Kaisern des Mittelalters seine Fortsetzung. So stellten sich die deutschen Könige bewusst in die Tradition des Frankenkönigs, indem sie sich ab dem 10. Jahrhundert in eben jener Kirche, in der Karl seine letzte Ruhe fand, zum „Rex Romanorum“ krönen ließen, wodurch sie verdeutlichten, dass sie sich auch als König der Römer sahen. Im Folgenden sollen zunächst die Besonderheiten und Leistungen der Herrschaft Karls beschrieben werden, welche zweifelsohne die Grundlage für das spätere legendenumwobene Bild Karls bildeten. Im Anschluss soll auf das literarische Nachleben Karls eingegangen werden, um dann anhand politischer Handlungen späterer Herrscher den Mythos und die Ausnahmestellung Karls des Großen im Mittelalter und darüber hinaus zu beleuchten. 59 Einhard, Vita Karoli Magni. Das Leben Karls des Großen, Stuttgart 2004, S. 45 u. 51. Seite 33 Das Rom der Kaiser: Karl der Große 6. Seminar „Rom im Mittelalter“ Hauptteil Um die grenzelose Verehrung im Mittelalter sowie die heutige Bekanntheit Karls nachvollziehen zu können, sollte zunächst ein kurzer Abriss der augenscheinlichen Leistungen des Frankenkönigs erfolgen. 2.1 Grundlagen der Mythisierung Karls Karl wurde im Jahre 768 zusammen mit seinem Bruder Karlmann zum König erhoben und regierte ab 771 allein. In seiner 46 Jahre währenden Herrschaft vermochte er eine ganze Epoche zu prägen. Karl verdoppelte durch eine aggressive Außenpolitik nahezu die Größe des Frankenreiches, wobei die in den eroberten Gebieten ansässige Bevölkerung erfolgreich christianisiert werden konnte. So vollbrachte er es, die zahlreichen aus der Zeit der Völkerwanderung entsprungenen Reiche und damit einen Großteil Europas unter seiner Herrschaft zu einen. Des Weiteren war die Herrschaftszeit Karls stets von einem positiven Verhältnis zum römischen Papsttum geprägt. So unterstütze Karl den Papst im Kampf gegen das verfeindete Langobardenreich, indem er militärisch eingriff. Den Höhepunkt seiner Herrschaft markierte zweifelsohne die Kaiserkrönung durch Papst Leo III. in Rom während des Weihnachtsfestes des Jahres 800. Karl erstrebte hiermit Gleichrangigkeit mit dem byzantinischen Kaisertum an, was er schließlich im Jahre 812 mit der offiziellen Anerkennung durch den byzantinischen Kaiser erreichte. Neben diesen Erfolgen führte Karl auch erfolgreiche innenpolitische Reformen durch. 2.2 Literarische Glorifizierung Karl verbrachte die letzten Jahre seines Lebens zumeist in seiner Residenz in Aachen, wo er im Januar 814 starb. Noch am gleichen Tag wurde er (sehr wahrscheinlich) im Westteil der Aachener Marienkirche in einem römischen Proserpina-Sarkophag bestattet. Schon bald nach seinem Tode begann die Stilisierung Karls zum Mythos bzw. Idealherrscher, zunächst durch literarische Darstellung. So rühmten die Mitglieder der Hofschule Karls, Alkuin, Theodulf von Orleans und nicht zuletzt Einhard die Taten und Eigenschaften des Verstorbenen in ihren Schriften. Karl wurde gleichsam als tollkühner Herrscher dargstellt, welcher das abendländische Kaisertum wiedererrichtet habe und überdies ein würdiger Führer der Christenheit gewesen sei. Als Notker der Stammler im Jahre 883 in seiner „Gesta Karoli“ Volkserzählungen über das Leben Karls verarbeitete, beschrieb er diesen schon als legendenumwobene Gestalt. So ergänzte er Fakten mit anekdotischem und erzählerischem Material, was „eine Umformung des Bildes von Karl in Richtung zum Seite 34 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ übermenschlichen großen, strahlenden Sonnenkönig, teils zum frommen, gerechten und braven, um alles, auch um Kleines und Kleinstes sich kümmernden Hausvater seiner Untertanen und zum wachsenden Hüter der kirchlichen Ordnung […] bewirkte“.60 Überdies sorgten die anekdotischen Erzählungen dafür, dass Karl im Mittelalter selbst in volkstümlichen Schichten der Bevölkerung in Frankreich und dem Reich eine allseits bekannte Persönlichkeit war. In zahlreichen Werken der mittelalterlichen Sage und Literatur wurde Karl nun im Zuge einer poetischen Erhöhung als idealer Herrscher beschrieben, welcher in Bezug auf Tapferkeit, Heldenmut und Weisheit von niemandem übertreffen worden sei. Ein Beispiel hierfür sind die französischen „Chansons de gestes“ und insbesondere das Rolandslied, welches sich an den erfolglosen Feldzug Karls gegen die Mauren in Spanien im Jahre 778 anlehnt und bewusst historische Tatsachen verdreht; Karl gleichsam als heldenhaften Kämpfer und Anführer kennzeichnet. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde im Zuge der Heiligsprechung Karls eine zweite „Vita Karoli Magni“ in Aachen verfasst. Durch die Zeit der Kreuzzüge geprägt, zeichnet sie das Bild eines legendären christlichen Glaubenskämpfers, welcher nach Palästina gezogen sei und dort Reliquien erworben habe; der Spanien von den Heiden befreit, es für das Christentum wiedergewonnen und gar Wunder vollbracht habe. Diese zweite „Vita“ glorifiziert einmal mehr die Lebensgeschichte Karls durch legenden- und mythenhafte Ausführungen. 2.3 Die Verehrung Karls auf politischer Ebene Auch Handlungen auf politischer Ebene trugen zur Mythisierung des Frankenkaisers bei. Unter der Herrschaft Karls des Großen erlebte das Karolingerreich seinen Höhepunkt. Schon gegen Ende des 9. Jahrhunderts geriet es jedoch in eine schwere Krise. 887 wurde Karl III. von Verschwörern u.a. aus Bayern und Sachsen abgesetzt, ein Nachfolger aus dem Hause der Karolinger war nicht vorhanden. So wurden ab 888 Männer aus fränkischem Adel zum Königtum erhoben, deren Väter jedoch keine Könige gewesen waren, wodurch es keinem von ihnen gelang, eine unbestrittene Königsherrschaft zu errichten. Damit zerfiel das Karolingerreich als Ganzes bzw. befand es sich im Begriff der Auflösung, bis schließlich 919 mit Heinrich I. ein sächsischer Adeliger zum neuen König ernannt wurde. Dieser veränderte die Nachfolgeregelung insofern, als dass er nur noch einen Nachfolger ernannte, seinen Sohn Otto I. 60 Zit. nach: Karl Ernst Geith, Carolus Magnis. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, München 1977, S. 35. Seite 35 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ 2.3.1 Die Königserhebung Ottos I. in Aachen Somit wurde erneut ein Sachse König des Ostfränkischen Reiches. Mit der Krönung Ottos I. fünf Wochen nach dem Tode seines Vaters begann am 7. August 936 eine Tradition, welche bis 1531 nahezu durchgängig Bestand haben sollte: Die Stadt Aachen sollte von nun an Krönungsort deutscher Könige werden. Seit Lothar I. hatte sich kein König mehr für längere Zeit in der alten Pfalz Karls des Großen aufgehalten, wodurch sich die Stadt im Allgemeinen im Niedergang befand. Mit der Wahl Aachens als Krönungsort wollte sich Otto I. nun mit großer Wahrscheinlichkeit bewusst in die Tradition Karls des Großen stellen. Hierfür ergeben sich Anhaltspunkte aus den Einzelheiten der Prozedur der Krönung in der Marienkirche zu Aachen, welche aus drei Teilen bestand. Die Krönung begann mit einer Thronsetzung Ottos im Atrium, der Säulenhalle Karls des Großen, genau an der Stelle, wo einst der Thron Karls und seiner Nachfolger gestanden hatte. Durchgeführt wurde diese durch die Herzöge und Grafen, welche nun einen Treueid auf Otto I. leisteten. Somit banden sie sich als Vasallen an den König. Im Anschluss an die Thronsetzung sowie der Lehnshuldigung zog Otto I. in die Basilika ein, wo die Akklamation durch das anwesende Volk erfolgte. Nun wurde Otto I. vom Erzbischof zum Altar geführt, auf dem die königlichen Insignien lagen (Schwert, Mantel und Stab und Diadem). Nach der feierlichen Übergabe erfolgte die kirchliche Weihe durch die Salbung mit Öl und die Krönung durch zwei Erzbischöfe. Ottos Vater Heinrich I. hatte bei seiner Krönung noch auf die kirchliche Salbung verzichtet, Otto ließ sie hingegen vollziehen, so wie es stets fränkische Tradition gewesen war. Die Salbung und Krönung fanden überdies in dem von Karl erbauten Münster statt, was gewiss kein Zufall war. Zuletzt wurde Otto I. zum Thron im oberen Gang des Münsters geführt, von wo er die Krönungsmesse verfolgte. In gewisser Weise nahm er an dieser Stelle, gegenüber dem Altarraum, den Platz Karls ein, auch ergriff er in jedem Fall vom Karlsthron Besitz. Diese vielfältigen Auffälligkeiten hinsichtlich einer Anlehnung an den großen Herrscher Karl bei der Krönung Ottos I. werden noch dadurch verstärkt, dass Otto I. während der Prozedur fränkische Tracht trug, wodurch er zeigen wollte, dass er mit dem fränkischen Königsornat auch das fränkische Herrschertum weitertrug. Die Summe dieser Anlehnungen an Karl den Großen lässt also den Schluss zu: Die Wahl Aachens als Ort der Königskrönung sowie die genaue Prozedur waren eine bewusste Anknüpfung an karolingische Seite 36 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Tradition.61 Otto I. sah sich demzufolge nicht nur als Deutscher Kaiser, sondern wohl auch in der Nachfolge Karls des Großen als fränkischer Herrscher. Die Königskrönung Ottos I. in Aachen setzte in mehrerer Hinsicht einen Maßstab, nicht nur dass bis in das Jahr 1531 an Aachen als Krönungsort der allermeisten Könige festgehalten wurde, auch war der Karlsthron von da an das spezifische Merkmal für die deutsche Krönungstradition. Überdies sollte das Königtum bald imperiale Züge annehmen und das von Karl gegründete abendländische Kaisertum wiedererrichtet werden. Im Jahre 962 wurde Otto I. in Rom zum römischen Kaiser gekrönt, wodurch die Kaiserkrone bis zum Ende des alten Reichs im Jahre 1806 mit dem ostfränkisch-deutschen Königtum verbunden sein sollte. Der römische Kaisertitel veränderte auch den Königstitel. In der Folgezeit der Kaiserkrönung tauchte bei den Königskrönungen in Aachen vermehrt der Titel „Rex Romanorum“ - „König der Römer“, auf, womit zum Einen verdeutlicht werden sollte, dass seit Otto I. die in der Marienkirche Karls des Großen in Aachen erworbene Königswürde eine Vorstufe zur römischen Kaiserwürde war sowie dass der deutsche König auch als König der Römer angesehen wurde. 2.3.2 Die Graböffnung im Auftrag Ottos III. Otto III. strebte in seiner Herrschaftszeit eine kontinuierliche Aufwertung Aachens an. Die Stadt war nach Rom der von Otto III. am meisten geschätzte Ort, so hielt er sich nicht weniger als fünf Mal über meist längere Zeit in Aachen auf, gründete drei Kirchen und beschenkte diese reichlich. Überdies lag ihm die Marienkirche als Grabstätte Karls besonders am Herzen, zielgerichtet erstrebte er die Erneuerung und Erhöhung der Kirche und beschenkte sie, ihren Stiftstab und ihre Kanoniker in gigantischem Ausmaße. Das eigentliche Ziel dieser Maßnahmen war schlichtweg die Erhöhung des Ansehens Karls des Großen, welche Otto III. mit großem Nachdruck verfolgte. Während des Pfingstfestes ließ er schließlich das Grab Karls suchen, öffnen und Reliquien entnehmen, um es anschließend wieder zu verschließen. Über die Gründe ist sich die Forschung gemeinhin uneinig. So habe Otto III. mit diesem Vorgehen an antike Bräuche anknüpfen wollen und gewissermaßen römische Sitten wiederbelebt. In der neueren Forschung wird mitunter gar der Standpunkt vertreten, Otto III. habe mit dieser Handlung eine Kanonisation des Frankenkaisers vorbereiten und damit einen Karlskult begründen wollen. 61 Vg. Gerd Althoff/ Hagen Keller, Heinrich I. und Otto der Große. Neubeginn aus karolingischem Erbe, 2. verbesserte Aufl., Göttingen, Zürich 1994, S. 113- 119. Seite 37 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ Die Gründe für die Graböffnung mögen unklar sein, eine Wirkung hat diese gewiss gehabt. Otto III. hat mit der „mystischen Graböffnung“ das Andenken an Karl den Großen auf außerordentliche Weise neu entfacht und dessen Ausnahmestellung indirekt manifestiert, gleichzeitig dürfte der gezielte Rückgriff auf den Begründer des westlichen Kaisertums der Steigerung der kaiserlichen Autorität gedient haben. 2.3.3 Die Heiligsprechung durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa Die nächste Stufe der Mythisierung wurde schließlich am 29. Dezember 1165 erreicht: Kaiser Friedrich I. Barbarossa ließ Karl den Großen mit der Zustimmung von Papst Paschalis III. heilig sprechen. Das Grab Karls wurde hierbei erneut geöffnet und Karls Gebeine aus dem Proserpinarkophag in eine hölzerne Lade übertragen. Quellen rechtfertigen die Kanonisation Karls mit dessen Verdiensten für Kirche und Glauben, so habe dieser nicht nur Bischofsitze, Abteien und Kirchen errichtet, außerdem habe er die Heiden bekämpft und den christlichen Glauben gemeinhin ausgebreitet. Kaiser Friedrich I. Barbarossa werden mehrere Gründe zu diesem Schritt bewegt haben. Zum Einen dürfte die Aktion seine Position gegen Papst Alexander III. während der Epoche des kaiserlichen Schismas gestärkt, bzw. die Würde des Reiches gegenüber den päpstlichen Machtansprüchen gehoben haben. Des Weiteren schätzt man heute neben der persönlichen Frömmigkeit des Kaisers die aufkommende, von Frankreich ausgehende Stilisierung Karls zum unermüdlichen Kämpfer gegen Ungläubige als ausschlaggebend ein. In der Zeit der Kreuzzüge dürfte eine Stilisierung Karls zum „Reichsheiligen“ neben dem Frankenkönigs auch Friedrichs I. Ansehen bereitet haben. Mitunter wird überdies die These vertreten, der Stauferkaiser habe mit der Heiligsprechung auf Versuche französischer Könige reagiert, den „Idealherrscher“ Karl für sich zu beanspruchen. Im Jahre 1215 ließ Kaiser Friedrich II. im Zuge seiner Kaiserkrönung das Grab Karls ein letztes Mal öffnen und die Gebeine in den Karlschrein des Aachener Münsters umbetten. 2.3.4 Karlsverehrung in jüngerer Zeit. Karl der Große blieb also viele Jahrhunderte nach seinem Tode noch ein Thema, gleichsam ein Mythos, auf den sich nachfolgende Herrscher bezogen, in dessen Tradition sie sich zu stellen ersuchten. Selbst Napoleon befasste sich zur Legitimation seines Kaisertums mit dem Frankenherrscher, so suchte er bewusst Karls alte Pfalz Aachen auf und hegte einen gewissen Karlskult. Er sah sich als ein Herrscher, welcher das Imperium Karls des Großen Seite 38 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ erneuert habe. In seinem Größenwahn ließ er gar verlauten: „[…] Je suis Charlemagne62„Ich bin Karl der Große.“ In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Karl zunächst als „Sachsenschlächter“ verschrien, letztlich jedoch zum Germanen und ersten Deutschen hochstilisiert. Nach dem 2. Weltkrieg begann sich schließlich einer weiterer Karlsmythos durchzusetzen: Im Zuge des Zusammenwachsens Europas wurde und wird Karl mitunter als „erster Europäer“ bezeichnet und gleichsam als Symbolfigur der Europaidee gesehen. So wird er beispielsweise bei der jährlichen Verleihung des Aachener Karlspreises als Vordenker der europäischen Einigung gepriesen, der Mythos eines Begründers der abendländischen Kultur und Wegbereiter Europas ist zweifelsohne Teil des gegenwärtigen Karlsbildes. 7. Zusammenfassung Karl der Große gehört zu den wenigen mittelalterlichen Herrschern, welche nie in Vergessenheit geraten sind. Über Jahrhunderte galt er im Mittelalter und darüber hinaus als tadelloser, gerechter, heldenmütiger sowie überaus christlicher Anführer der Franken, welcher den idealen Typ eines Herrschers verkörperte. Dafür haben neben zahlreichen literarischen Werken auch etwaige Handlungen späterer mittelalterlicher Könige und Kaiser gesorgt. Karl wurde zum Mythos, zur legendenumwobenen Gestalt, an dessen Taten sich nachfolgende Herrscher stets messen lassen wollten und mussten. Folgerichtig stellten sich die deutschen Kaiser bewusst in die Tradition Karls, beriefen sich auf ihn und nutzen ihn als Legitimationsgrundlage. So prägte Karl nach seinem Tode spätere Zeiten wie wohl kein anderer. Sich auf den großen Frankenherrscher beziehend, ließen sich die deutschen Könige bis in das Spätmittelalter in eben jener Kirche, in der Karl seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, zum „Rex Romanorum“, König der Römer krönen. Die imperiale Königswürde besaß somit gleichsam eine gewisse Bindung zum legendären Frankenkaiser und wurde ab Otto I. bewusst auch auf die ewige Stadt am Tiber bezogen. Auch heute hat der Mythos Karl der Große nichts an Aktualität eingebüsst, betrachtet man die Bestrebungen, den Frankenkönig zum „Vater Europas“ zu stilisieren. 62 Zit. nach: Max Kerner, Karl der Große. Leben und Mythos, München 2004, S. 162. Seite 39 Das Rom der Kaiser: Karl der Große Seminar „Rom im Mittelalter“ 8. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Einhard, Vita Karoli Magni. Lateinisch./Deutsch. Übers.,. Anm. u. Nachw. v. Firchow, Evelyn, Stuttgart 2004. Literatur Althoff, Gerd, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, 2., erw. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln 2005. Althoff, Gerd/ Keller, Hagen, Heinrich I. und Otto der Grosse. Neubeginn auf karolingischem Erbe, 2., verbesserte Aufl., Göttingen, Zürich 1994. Becher, Matthias, Karl der Große, München 1999. Beumann, Helmut, Otto III. 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