Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde St

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Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde St. Gallen C
Pfarramt Riethüsli-Hofstetten
Pfr. Virginio Robino
Gerhardtstrasse 9
9012 St. Gallen 071 278 37 20
Predigt über das Thema „Sind wir echte Kirche?“
Sonntag, 26. August 2007
Text:
Kirche Riethüsli - Hofstetten
Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Schosse. Wer in mir
bleibt und ich in ihm, der trägt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts
tun.“
Johannes 15, 5
Liebe Gemeinde
Die Zeit der Ferien ist vorbei. Das alltägliche Leben ist zurückgekehrt. Alles nimmt wieder
seinen gewohnten Gang. Auch bei uns in der Kirche ist die Zeit der ausgedünnten Angebote wieder vorbei. Das kirchliche Leben hat ebenfalls wieder Fahrt aufgenommen. Ein
geeigneter Zeitpunkt für die Besinnung auf die Aufgabe, die uns als Kirche obliegt. Wofür
sind wir eigentlich da? Was ist unsere Funktion als Kirche? Diese Fragestellung fällt in
eine Zeit, in welcher die religiöse Ausrichtung vieler Menschen nicht mehr so klar definiert
ist. Das hat seine Auswirkungen. Man spricht in diesem Zusammenhang aber nicht einfach von einer unreligiösen Zeit oder von unreligiösen Menschen, sondern von “Patchworkreligionen“. Umfragen haben gezeigt, dass die Menschen selbst sich keineswegs als
unreligiös einstufen. Sie gehen nur anders damit um. Genauso, wie ein grosses Stück
Tuch aus verschiedenen Stoffen und Farben zusammengesetzt sein kann – eben englisch (oder „neudeutsch“) Patchwork, so setzen sich die religiösen Ausrichtungen von
immer mehr Menschen aus verschiedenen Elementen zusammen. Man sucht sich aus
der Fülle von religiösen und quasi-religiösen Angeboten das zusammen, was beliebt und
fügt alles zu einem grossen Konglomerat zusammen. Ob dann alles zusammen am
Schluss irgendwie aufgeht und einen grösseren Sinn bringt, ist für die meisten zunächst
ziemlich unerheblich. Hauptsache, man hat seine eigene religiöse Meinung, auch wenn
diese letztlich nicht kohärent (= zusammenhängend, „aufgehend“) ist.
Dieser Umstand zeigt in aller Deutlichkeit die Problematik der Religion. Ist sie Ausdruck
einer eigenen Überzeugung, die auf einer tieferen, religiösen Einsicht und Erkenntnis
beruht, oder ist sie einfach da, um ein latent vorhandenes, schlechtes Gewissen irgendeiner höheren Macht gegenüber zu befriedigen, oder ist sie einfach ein Ergebnis dessen,
dass der Mensch an sich grundsätzlich ein religiöses Wesen ist, das insofern nach irgendeiner religiösen Erfüllung sucht? Letzteres kann sich dann durchaus in wirren Zusammenstellungen an religiösen Versatzstücken zum Ausdruck bringen. Es erhebt sich
dann natürlich schon die Frage, was das im Endeffekt bringen soll. An sich ist es ja schon
der eigentliche Sinn der Religion, dass sie in irgendeiner Form eine Erfüllung des Lebens
oder eine übersinnliche, überzeitliche Zuordnung oder gar Erlösung in sich tragen sollte.
Irgendwie hat das alles immer auch etwas mit Erkenntnis eines Angebotes zu tun, das
von aussen her dem Menschen zukommt. Nicht einfach etwas, was sich der Mensch
selbst so „zusammengebastelt“ hat, sondern ein Erkennen einer Botschaft oder Offenbarung, die nicht zuletzt auch göttlichen Ursprungs ist. Dieser Grund- und Erkenntnisgehalt ist grundsätzlich allen grossen und anerkannten Religionen eigen. Ob es sich um
Buddha handelt, dessen tiefgreifendes Erlebnis in Benares vor zweieinhalbtausend Jahren die wesentlichen Inhalte der buddhistischen Religion hervorgebracht hat. Ob es sich
im Islam um die Einsichten des Propheten Mohammed handelt, der damit seine Erkenntnis Allahs formuliert hat. Ob es sich um die christliche Weisheit handelt, mit der abschliessenden Offenbarungs- und Erlösungstat Gottes in Jesus Christus. Immer geht es dabei
um göttlich motivierte Inhalte, die dazu angetan sind, das irdische Leben zu überhöhen
und in einem letzten Sinn in einer jenseitigen Form zur Erfüllung zu bringen. Ohne, dass
wir diese Ansätze zunächst werten wollen, geht es darum, dass sowohl in der einen, wie
der anderen Form dem Menschen etwas von ausserhalb seiner selbst, von einem irgendwie göttlich gearteten Ursprung etwas zukommt, das ihm angeboten wird, das er nicht
selbst nachvollziehen oder gar verifizieren (= nachprüfen, auf Gehalt hin kontrollieren)
kann. Er wird zur Zustimmung eingeladen, je nach Religion vielleicht auch gedrängt,
dieses anzunehmen. Er hat es sich aber nicht selbst ausgesucht, nicht quasi nach eigenem „Gusto“ zurecht gelegt.
Genau das aber macht vielen heutigen Menschen zu schaffen. Sie wollen selbst bestimmen. Sie wollen nicht von aussen, von „oben“ her, von einem Gott her diktiert werden. Sie
empfinden sich damit als „emanzipierte“ Menschen, die eine göttliche Leitung nicht nötig
zu haben meinen. Ob das aufgeht, und ob das in dieser Form der menschlichen Situation
gemäss und zuträglich ist, ist für sie zunächst nicht von Bedeutung. Sie wollen einfach
hier und jetzt leben, mit oder ohne irgendwelche Prinzipien. Sie meinen damit ungehindert
viel aus ihrem Leben herausholen zu können und nehmen sich Leitgedanken, woher sie
irgend kommen. So kann religiöses Verhalten heute sein. Aber das ist natürlich meilenweit weg von einem sinnerfüllten Glauben. Das ist das Problem. Schon Karl Barth, der
grosse Schweizer Theologe, hat zu seiner Zeit diesem Umstand Rechnung getragen,
indem er klar unterschieden hat zwischen einfach Religion und einem religiösen Lebensstil und einem klar formulierten, aus einer göttlichen Offenbarung begründbaren Glauben.
Glauben ist für ihn unbedingt mehr als blosse Religion. Man hat sich darüber immer einmal etwa gewundert und hat Barth eine gewisse Enge vorgeworfen. Aber gerade in der
heutigen Zeit mit ihrer Patchworkreligiosität erweist sich diese Barthsche Abgrenzung als
goldrichtig und weitsichtig. Sie erlaubt zu unterscheiden, was von einer tiefen, überzeitlichen Qualität ist, und was einfach oberflächliche Form einer diffusen Lebensbewältigung.
Auf diesem Hintergrund wird auch deutlich, was in unserem heutigen Predigttext im Johannes - Evangelium von Jesus Christus zum Ausdruck gebracht wird. – Wer in Ihm ist
und bleibt, wie die Reben mit dem Weinstock verbunden sind, dem wird eine ganz ausserordentliche Qualität vermittelt. Sie ist eben nicht einfach menschlich und menschlich
nachvollziehbar und damit irdisch, sondern sie ist göttlich und direkt von Gott her initiiert.
Der Mensch nimmt auf, was ihm die göttliche Offenbarung anbietet und zusagt. Er realisiert damit ein Ziel, das, jenseits alles Menschlichen, bei Gott Ursprung und Ausgangspunkt hat und von diesem auch zugleich zur Erfüllung gebracht wird. Wichtig ist zu sehen:
Er kann das nicht einfach selber. Auch durch ein noch so grosses Bemühen kommt er
nicht dazu. Er kann es eben nur von Gott her und bei Gott bekommen. Er muss und darf
sich insofern von Gott beschenken lassen. Das ergibt sich daraus: „Wer in mir bleibt und
ich in ihm, der trägt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Diese Ausschliesslichkeit kann irritieren oder gar Widerspruch auslösen. Es ist aber trotzdem so. Das Ge-
heimnis ist die innere Verbindung mit Jesus Christus und seinen Taten und Verheissungen und der durch ihn als Sohn Gottes geschehenen Offenbarung dieses Gottes. Sie
führt den Menschen in ein sinnvolles Leben, das geprägt ist von Verantwortung im umfassenden Sinn. Insbesondere geht es auch um die Erkenntnis, dass es in unserem Leben nicht nur um ein Hier und Jetzt geht, sondern um ein eingebettet sein in einen grösseren Zusammenhang mit der übergeordneten Wirklichkeit Gottes. Diese kumuliert und
findet ihren letzten Sinn und ihre überzeitliche Erfüllung im Reich Gottes, einer eschatologischen, will heissen, jenseitigen, umfassenden, überweltlichen Grösse. Darum zu wissen
und davon geleitet zu sein, ist ein wesentliches Element unseres Glaubens. Es wendet
unseren Blick weg vom problematischen, irdischen Umfeld auf diese grössere Bestimmung hin. Zugleich sind wir von dorther für unser Leben hier und jetzt gerüstet und motiviert. Wir erkennen dahinter Gott, der von sich her in diese Welt hineinwirkt und schon in
dieser Welt und Wirklichkeit uns Kraft und Hilfe zum Leben gibt. Insofern erfahren wir zugleich eine umfassende Geborgenheit für hier in diesem Leben bis hin zur Erfüllung im
transzendenten Bereich. Daran sich zu halten und von dorther sich zu orientieren, das
meint Glaube, Vertrauen, Vertrautsein mit Gott. Das ist zugleich Frucht, die im täglichen
Lebensvollzug zum Ausdruck kommt. Wir leben als Glaubende alle davon und wissen,
was wir an diesem Glauben haben!
Diese kurz gefasste Erkenntnis des Glaubens ist als Grundlage wichtig, um auch die eingangs gestellte Frage anzugehen. Wofür sind wir eigentlich da? Was ist unsere Funktion
als Kirche? Ganz klar dazu, die vorgängig skizzierten Glaubenszusammenhänge zu vermitteln. Begegnung mit Gott zu ermöglichen und Ort des gemeinsam gelebten Glaubens
an diesen Gott zu sein. In diesem Umfeld lassen wir uns zugleich zu immer neuem Glauben ermutigen und ausrüsten. Wir lernen die Zusammenhänge zu verstehen und unterstützen uns miteinander und gegenseitig in unserem Glauben. Und wir vermitteln gemeinsam und weitergehend jene ethischen und moralischen Werte, die von diesem Glauben
ausgehen und das Zusammenleben der Menschen untereinander ermöglichen und erleichtern, nach aussen. Wenn wir all dies tun, sind wir Gott-gemässe Kirche, die durch die
Frucht, die sie bringt und die wir damit gemeinsam hervorbringen, ihre Daseinsberechtigung begründet und immer neu erweist. Das und nur das ist entscheidend. Es ist aber absolut notwendig, solches wieder einmal mit aller Deutlichkeit darzutun und zu bekräftigen.
Das zudem auch auf dem aktuellen Hintergrund der Tatsache, dass durch entsprechende
Äusserungen aus dem Umfeld des katholischen Papstes während den Sommerferien,
begünstigt auch durch das Verhalten der Medien, wieder einmal ein entsprechender Wirbel entstanden ist. In diesem Zusammenhang habe ich viele besorgte Fragen gehört, interessanterweise sowohl von evangelischer, wie auch von katholischer Seite. Was ist
geschehen und wie müssen wir das werten? Lassen Sie es mich kurz zusammenfassen:
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Der Papst hat an sich überhaupt nichts Neues gesagt. Er hat nur das betont, was
schon seit insgesamt 500 Jahren aus römischer Sicht Gültigkeit hat. Darum ist
eigentlich die Aufregung völlig umsonst. Rom hat damit nur gezeigt, dass die katholische Kirche noch immer nicht lernfähig geworden ist und an alten Dogmen stur
festhält. Man kann eben nicht nur von Evangelischen Bewegung erwarten. Auch
Rom müsste sich endlich entscheidend vorwärts bewegen. Dazu ist dieses aber
nicht in der Lage. Das ist für Evangelische (speziell Reformierte) ärgerlich, aber
auch für viele aufgeschlossene Katholiken.
Wir unsererseits haben keinen Anlass, nach Rom zu schielen. Wir müssen uns unsere Daseinsberechtigung nicht dort holen wollen. Wir geben damit dem Papst nur
eine ihm völlig unangemessene Stellung. Er ist das katholische Oberhaupt, als
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welches wir ihn anerkennen, aber für die Evangelischen damit in keiner Weise verbindlich.
Wir orientieren uns allein an Gott und an Aussagen seines Evangeliums, wie eben
beispielsweise an Johannes 15, 5. Solche Texte sind für uns allein bedeutsam.
Diesen Voraussetzungen müssen wir genügen.
Was bedeutet das für die Oekumene? – Eigentlich nur eines, dass wir damit getrost weitermachen! Wir können nicht unsere katholischen Freunde hier verantwortlich machen für die gegenwärtigen Vorgänge. Das wäre der falsche Weg. Aussagen von katholischen Amtskollegen, die davon reden, dass wir weitermachen,
wie bis anhin, sind darin allein entscheidend. Darum halten wir an der Oekumene
grundsätzlich fest und fördern sie. Die praktische Wirklichkeit ist nämlich schon
weit fortgeschritten gegenüber dem, was Rom heutzutage zum Ausdruck bringt.
Wichtig dabei ist unsere eigene Haltung. Als Evangelische (insbesondere auch als
Reformierte!) können wir selbstbewusst und eigenständig bleiben. Wir müssen
nicht dem Papst in Rom gefallen. Unsere Legitimation beziehen wir nicht von dort,
sondern allein von Gott!
Sind wir echte Kirche? Das ist ja das Thema, das über dieser Predigt steht und damit
natürlich die Aussagen aus Rom thematisch mit einbezieht. Selbstverständlich, aber
dann, wenn wir die Kriterien erfüllen, die wir in dieser Predigt formuliert haben. Das Evangelium allein ist uns dafür Richtschnur – das ist zugleich das reformatorische Erbe.
Dann kann es uns eigentlich ziemlich egal sein, was ein Papst in Rom gerade davon hält.
Der Glaube an Gott muss uns erfüllen. Die Verbundenheit mit Gott ist entscheidend, und
dass wir miteinander in der Kirche als Glaubende unterwegs sind, zur Erfüllung für uns
selbst und als Zeichen nach aussen. Dann haben wir alles, was wir brauchen. Dann sind
und bleiben wir echte Kirche!
Amen
St. Gallen, 7. September 2007
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