Praxiswissen Logopädie 2 Laryngektomie Von der Stimmlosigkeit zur Stimme Bearbeitet von Mechthild Glunz, Cornelia Reuß, Eugen Schmitz, Hanne Stappert 2. Aufl. 2011. Buch. 232 S. ISBN 978 3 642 14949 8 Format (B x L): 0 x 0 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Logopädie, Sprachstörungen & Stimmtherapie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. 1 2 3 4 5 4 Kapitel 1 · Präoperative Phase 1.1 Anatomie des Kehlkopfes Im Laufe der Evolution des Menschen kommt der Entwicklung des Kehlkopfes eine besondere Bedeutung zu. Seine Fähigkeiten ermöglichen die menschliche Kommunikation auf Basis des stimmlichen Ausdrucks. Die Kenntnis der Anatomie des Kehlkopfes (Larynx) und seiner Funktionen ist grundlegend für das Verständnis der Situation eines Menschen nach einer Kehlkopfentfernung (Laryngektomie). 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Der Larynx liegt vor der Halswirbelsäule. Er ist von dieser nur durch eine dünne Muskelhaut (prävertebrale Faszie), den Schlund (Hypopha­ rynx) und Speiseröhreneingang (Ösophagus­ sphinkter) getrennt. Das Kehlkopfgerüst besteht aus den hyalinen Schild-, Ring- und Stellknorpeln (Thyreoid, Cricoid, Arytaenoid) sowie dem wich­ tigen fibroelastischen Knorpel des Kehldeckels (Epiglottis) und den akzessorischen Santoriniund Wrisbergknorpeln. Muskeln, Bänder und Membranen zwischen den Knorpeln gewährlei­ sten das funktionell wichtige Bewegungsspiel der Kehlkopfteile untereinander. . Abb. 1.1 verdeut­ licht die Lage der einzelnen Bestandteile. Epiglottis aryepiglottische Falte Recessus piriformis Taschenfalte 17 Ventriculus MORGAGNI 18 Stimmband 19 supraglottischer Raum Schildknorpel Stimmlippe mit M. vocalis Glottis subglottischer Raum Ringknorpel 20 Trachealspange . Abb. 1.1. Kehlkopfinneres von hinten (Boenninghaus 2000) Zur räumlichen Orientierung des Kehlkopf­ inneren wird er in drei Ebenen unterteilt: ESupraglottis: Kehlkopfeingang einschließlich der Taschenfalten bis zum Sinus Morgagni, EGlottis: Stimmlippenoberfläche bis 1 cm nach unten (caudal), ESubglottis: 1 cm unterhalb der Stimmlippen bis Unterkante des Cricoids. Wichtigste Struktur für die Phonation sind die Stimmlippen. Sie bestehen aus Stimm­ band (Ligamentum vocale), Stimmlippenmus­ kel (Musculus vocalis), Reinkeschem Raum und der darüber verschiebbaren Schleimhaut (ver­ hornendes Plattenepithel). 1.1.1Kehlkopfmuskulatur Die Kehlkopfmuskulatur setzt sich zusammen aus einem äußeren Muskel und inneren Muskeln. Sie öffnen, schließen und spannen die Stimmlippen. EGlottisöffnung: – Musculus cricoarytaenoideus posterior (Musculus posticus) EGlottisschluss: – Musculus cricoarytaenoideus lateralis – Musculus interarytaenoideus (Musculus transversus) – Musculus thyreoarytaenoideus (Pars late­ ralis) EStimmlippenspannung – Musculus cricothyreoideus (äußerer Kehl­ kopfmuskel) – Musculus vocalis 1.1.2Kehlkopfinnervation Die nervale Steuerung des Kehlkopfes erfolgt durch den X. Hirnnerven (Nervus vagus). Dieser unterteilt sich in N. laryngeus superior und N. laryngeus inferior (N. recurrens). Der N. laryn­ geus superior versorgt mit einem äußeren Ast motorisch den M. cricothyreoideus und mit einem inneren Ast sensibel die Kehlkopfschleim­ haut bis zu den Stimmlippen. Der N. larynge­ us inferior versorgt motorisch die innere Kehl­ kopfmuskulatur sowie sensibel die Schleimhaut der subglottischen Region (. Abb. 1.2). A. thyroidea sup. A. laryngea sup. Lymphknoten versorgung !Beachte Die Ausdehnung der Lymphgefäße innerhalb des Kehlkopfes lässt je nach Lokalisation eines Tumors Aussagen über die Prognose zu. So ist z. B. eine Tumorerkrankung auf den Stimmlippen unter anderem deswegen prognostisch günstig, da die Stimmlippen keine Lymphkapillaren besitzen. Dies erschwert den Transport von Tumorzellen und damit eine mögliche Metastasierung. . Übersicht 1.1 zeigt die anatomischen Struk­ turen des Kehlkopfes. 1.2 Funktionen des Kehlkopfes Mit dem Wissen um Aufbau und Struktur des Kehlkopfes sind seine verschiedenen Funktionen leicht nachzuvollziehen. N. vagus N. laryngeus sup. sensibel motorisch 1.1.3 Blut- und Lymphgefäß- Die supraglottische Blutzufuhr wird durch die Arteria laryngea superior, die subglottische Blutversorgung durch die A. laryngea inferior gewährleistet. Der venöse Abfluss erfolgt über die Vena jugularis interna und über die V. thyreoidea inferior (. Abb. 1.2). Die Stimmlippen besitzen keine Lymph­ kapillaren. Der Lymphabfluss des supraglot­ tischen Raumes in die tiefen Halslymphkno­ ten erfolgt über Nodi lymphatici cervicales profundi. Die prä- und paratrachealen Lymphknoten sorgen für den Abfluss aus dem subglottischen Raum. 1 5 1.1 · Anatomie des Kehlkopfes N. laryngeus inf. (N. recurrens) R. cricothyroideus V. jugularis int. A. carotis comm. . Abb. 1.2. Übersicht über die nervale, arterielle und lymphatische Versorgung des Kehlkopfes (Boenninghaus 2000) Atmung. Um die Atmung zu gewährleisten, wer­ den die Stimmlippen bei der Inspiration maximal nach lateral gestellt. Der Atemreflex ist abhängig von der Sauerstoff- und Kohlendioxidkonzentra­ tion und dem Säure-Basen-Haus­halt des Blutes. Schutz der tiefen Atemwege beim Schlucken. Der Schluckvorgang wird durch Kontakt zwi­ schen Zunge und Rachenhinterwand oder den Gaumenbögen ausgelöst. Dies sorgt für einen reflektorischen Atemstillstand: das Schließen der aryepiglottischen Falten, der Taschenbän­ der und der Stimmlippen. Gleichzeitig hebt und zieht die suprahyoidale Muskulatur den Kehlkopf nach vorne oben. Die Epiglottis über dem Kehlkopf kippt. Somit wird das Eindrin­ gen von Nahrung in den Kehlkopf- und Atem­ wegsbereich verhindert. Bei Übertritt von Nah­ rungsbestandteilen in den Larynx kommt es zu einem reflektorischen Hustenstoß. Thoraxstabilisierung mittels Glottisschluss. Durch die geschlossene Glottis wird das Atem­ system abgedichtet und der intraabdominale sowie -thorakale Druck erhöht. Dies ermög­ 6 1 2 3 4 5 6 7 8 Kapitel 1 · Präoperative Phase . Übersicht 1.1: Die anatomischen Strukturen des Kehlkopfes Kehlkopfgerüst Kehlkopfmuskeln 5 5 5 5 5 5 Stimmlippenspannung: Schildknorpel (Thyreoid) Ringknorpel (Cricoid) zwei Stellknorpel (Arytaenoid) Kehldeckel (Epiglottis) Santorini- und Wrisbergknorpel Kehlkopfebenen 5 Supraglottis: Kehlkopfeingang bis einschließlich zum Sinus Morgagni 5 Glottis: Stimmlippen bis 1 cm caudalwärts 5 Subglottis: 1 cm unterhalb der Stimmlippen bis Unterkante des Cricoids 12 5 5 5 5 Stimmband (Ligamentum vocale) Blutversorgung 5 Blutzufuhr: – A. laryngea inferior 5 Venöser Abfluss: Stimmlippenmuskel (M. vocalis) – V. jugularis interna Reinke-Raum – V. thyreoidea inferior darüber verschiebbare Schleimhaut Lymphabfluss Kehlkopfmuskeln 13 5 Glottisöffnung: 14 5 Glottisschluss: 15 5 N. vagus 5 N. laryngeus superior 5 N. laryngeus inferior (N. recurrens) – A. laryngea superior Aufbau der Stimmlippen 11 muskel) – M. vocalis Nervenversorgung 9 10 – M. cricothyreoideus (äußerer Kehlkopf­ 5 Nodi lymphatici cervicales profundi 5 Prä- und paratracheale Lymphknoten – M. cricoarytaenoideus posterior – M. cricoarytaenoideus lateralis – M. interarytaenoideus (M. transversus) – M. thyreoarytaenoideus (Pars lateralis) 16 17 18 19 20 licht Husten, Erbrechen, Stuhlgang und Pressen bei der Geburt etc. Stimmgebung (Phonation). Gemäß der myo­ elastisch-aerodynamischen Theorie werden die Stimmlippen über das Zentralnervensys­ tem eingestellt und durch den subglottischen Anblasedruck in Schwingung gehalten (Relaxa­ tionsschwingung). Subglottischer Druck, Strö­ mungsgeschwindigkeit und Glottiswiderstand sind die entscheidenden Parameter für die pri­ märe Stimmbildung (Bernoulli-Gesetz) (Ham­ mer 2003). !Beachte Nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist die Krebserkrankung die zweithäufigste Todesur­ sache. 1.3 · Ätiologie maligner Kehlkopftumoren 1.3 Ätiologie maligner Kehlkopftumoren 1.3.1 Pathogenetische Faktoren Weltweit sind 25–30 % aller Krebsfälle mit Todesfolge auf das Rauchen zurückzuführen. Die Beziehung zwischen Rauchen und Lun­ genkrebs ist besonders auffallend. Dass die an Kehlkopfkrebs erkrankten PatientInnen in aller Regel Raucher sind (88–98 %), bleibt in der Literatur unbestritten und bewahrheitet sich in der Praxis. Nikotin. Dieser Stoff ist nur einer unter meh­ reren 1000 Inhaltsstoffen des Tabakrauchs. Die wichtigsten bisher nachgewiesenen oder stark verdächtigen krebserzeugenden Substanzen im Tabak sind die Nitrosamine sowie einige Metalle oder Metallsalze (z. B. Nickel, Cadmi­ um). Durch die chronische Reizung der Kehl­ kopfschleimhaut und die Infiltration der in der Zigarette enthaltenen Teerprodukte in die Keimschicht des Stimmlippenepithels kann über viele Jahre hinweg ein Larynxkarzinom entstehen. Alkohol. Die schädigende Wirkung des Alko­ hols hängt stark von dem Konsumverhalten ab, v. a. von Menge und Qualität. Insbesonde­ re hochprozentiger Alkohol greift die Schleim­ haut an. Sie wird anfälliger für die Noxen des Tabakrauches. Dies verstärkt vermutlich die karzinogene Wirkung des Rauchens. Die Qua­ lität (»billiger Fusel«) und die Trinkmenge ver­ stärken diesen Effekt zusätzlich. Abgesehen von den spezifischen lokalen Wirkungen ist all­ gemein bekannt, dass Alkoholabusus (-miss­ brauch) die Immunabwehr des Körpers herab­ setzt. Noxeninhalation. Immer wieder wird bei der Entstehung maligner (bösartiger) Tumoren auch die Inhalation berufsbedingter Schad­ stoffe (Schwermetallstäube) diskutiert. Neben 7 1 Chrom, Nickel, Uran und Asbest (Hagen 1988) zählen u. a. Lösungsmittel, Lacke, Farben zu möglichen Verursachungskomponenten. Daraus resultiert eine Vielzahl an Berufsgrup­ pen, denen ein grundsätzlich höheres Risiko an Kehlkopfkrebs zu erkranken, anhaftet. Eine Auflistung der gefährdeten Branchen findet sich bei Kürvers (1997). Vieles weist darauf hin, dass eine Kombination von Tabak- und Alkoholabu­ sus mit jahrelanger beruflich bedingter Staubund Hitzeeinwirkung zu einem erhöhten Risi­ ko, an Kehlkopfkrebs zu erkranken, führt. Infekte. Infekte der laryngealen Schleimhaut können einen monate- oder jahrelangen Ver­ lauf nehmen. Als ätiologische Faktoren für Ver­ änderungen innerhalb des Kehlkopfes kommen z. B. in Frage: EArbeiten in staubreicher Umgebung oder bei ungünstigen Witterungsverhältnissen, ENikotinabusus, ELaryngitis bei mangelnder Stimmschonung, Ebehinderte Nasenatmung mit ständiger Mund­atmung, Emangelnde Mundhygiene, Eweitergeleitete Entzündungen der Schleim­ häute der Atemwege mit chronischer Rhini­ tis, Sinusitis, Adenoiditis oder Bronchitis, Elang andauernde Dysphonie (Boenninghaus 1980) oder ERefluxproblematik. Als Gewebeveränderung mit Krebsrisiko (Präkanzerose) werden die chronischen Laryngiti­ den, Pachydermien, Leukoplakien und Papil­ lome des Erwachsenen eingestuft (Boenning­ haus 1980, Biesalski u. Frank 1982). Ernährung. Die Bedeutung einer mangelhaften Ernährung bei der Krebsentstehung wird seit Jahren in der Medizin, in Fachkreisen (Ökotro­ phologen) und auch in den Medien heftig dis­ kutiert. 30–40 % der Krebserkrankungen in Deutschland könnten möglicherweise pro Jahr durch eine richtige Ernährung verhindert wer­ 8 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Kapitel 1 · Präoperative Phase den. Wissenschaftler des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung (DIfE) und des World Cancer Research Fund (WCRF) forschten auf diesem Gebiet und leiteten aus dem aktuellen Forschungsstand konkrete Hinweise zur Aus­ wahl von Lebensmitteln sowie grundsätzlichen Aspekten des Lebensstils wie Körpergewicht, körperliche Aktivitäten und Tabakkonsum ab. Dass demnach ein Zusammenhang zwischen bestimmten Ernährungs- bzw. Lebensgewohn­ heiten und der Entwicklung von Tumoren besteht, belegen vielfältige und fundierte Stu­ dien. Eine Beziehung zwischen hohem Fettver­ zehr und der Bildung von z. B. Dickdarm-, Brustund Prostatakarzinomen kann als sicher ange­ nommen werden. Stark gesalzene oder gepö­ kelte Speisen tragen dagegen zur Entstehung von Magenkrebs bei. Verschiedenen Vi­taminen werden Schutzwirkungen bei der Entstehung von Krebs zugesprochen. Auch Beta-Karotin und Retinol scheinen das Krebsrisiko zu ver­ ringern. !Beachte Man kann davon ausgehen, dass durch die Kombination von Alkoholabusus und Fehlernährung dem Körper Vitamine entzogen oder nicht ausreichend zugeführt werden sowie die Entstehung von Nitrosaminen angekurbelt wird (s. Kap. 3.7.6 Ernährungsberatung). 1.3.2 Demografische und soziologische Daten Häufigkeit, Geschlechts- und Alters­ verteilung der an Kehlkopftumor Erkrankten Bei dem Versuch feste statistische Größen anzu­ geben in Bezug auf Häufigkeit, Geschlechtsund Altersverteilung bei Kehlkopftumoren stößt man auf die Schwierigkeit, verbindliche Angaben zu finden. Ein einheitliches deutsches Krebsregister fehlt zur Zeit. Daher beziehen sich die folgenden Angaben auf Schätzungen des Robert-Koch-Institutes. Nach Daten, die das Robert-Koch-Institut in einer gemein­ samen Berichterstattung mit dem Bund veröf­ fentlicht, kommt es jährlich zu ca. 3000 Neu­ erkrankungen bei Männern und ca. 400 bei Frauen, die zu einer Laryngektomie führen (rki 2010). !Beachte Die Diagnose Kehlkopfkrebs ist nicht gleichbedeutend mit einer Kehlkopftotalentfernung. Bezüglich der Altersverteilung decken sich in der Literatur die Zahlen. Das mittlere Erkran­ kungsalter liegt sowohl bei Männern als auch bei Frauen bei 63 Jahren (rki 2010). Die zuneh­ mende Zahl der weit unter 50-jährigen Pati­ entInnen lässt sich durch den immer früher einsetzenden Zigaretten- und Alkoholabusus bereits im Kindes- und Jugendalter erklären. !Beachte Je nach Erkrankungsalter ergeben sich auch für die Rehabilitation unterschiedliche Schwerpunkte. Soziologische Angaben Erfahrungen aus der Praxis zeigen eine Häu­ fung an Kehlkopftumorerkrankungen in der Arbeiterschicht. Gründe können die exogenen Giftstoffe am Arbeitsplatz in einer möglichen Kombination mit Nikotin- und Alkoholkonsum sowie einer schlechten Ernährung sein. Hin­ zu kommen eine mangelnde Körperwahrneh­ mung und Verdrängung der ersten Krankheits­ zeichen. So wird z. B. Heiserkeit über Monate, teilweise Jahre nicht zum Anlass genommen, zum Arzt zu gehen. Berufsgruppen wie z. B. Anwälte, Architekten, Manager sind durchaus auch betroffen, aber in einer bedeutend gerin­ geren Zahl. 9 1.4 · Symptomatik und ärztliche Diagnostik des Larynxkarzinoms Zusammenfassung Die pathogenetischen Faktoren für Kehlkopfkrebs: 5Tabakkonsum, 5 übermäßiger Alkoholkonsum, 5Noxen, 5 chronische Infekte, 5 mangelhafte Ernährung. Demografische/soziologische Daten: 5 Jährlich ca. über 3400 Neuerkrankungen, 5 sinkendes Durchschnittsalter, 5 Häufung in niedrigeren sozio­ ökonomischen Schichten. 1 anderer Beschwerden im HNO-Bereich auf, die nicht im Zusammenhang mit einer Erkrankung des Kehlkopfes stehen. Eine Diagnosefindung zu einem späten Zeitpunkt kann häufig bei Men­ schen mit subglottischem Karzinom oder einem hohen Verdrängungsmechanismus auftreten. Trotz eindeutiger Anzeichen einer ernst zu neh­ menden Erkrankung sucht diese Klientel den HNO-Arzt erst mit heftigen Beschwerden auf. !Beachte Je nach Lokalisation eines Karzinoms bemerken die PatientInnen unterschiedlichste Symptome. Die ersten vom Patienten wahrzunehmenden Frühsymptome des glottischen Larynxkarzinoms 1.4 Symptomatik und ärztliche Diagnostik des Larynxkarzinoms Die Erkrankungsverläufe des Kehlkopfes gehen mit verschiedenen Symptomen einher, die neben der Lokalisation des Tumors auch von der Wahrnehmungsbereitschaft bzw. -fähigkeit des Patienten abhängen. Eine differenzierte Diagnostik ist Voraussetzung für die gezielte Therapie. 1.4.1Symptome Um die unterschiedlichen Krankheitsverläufe der PatientInnen besser nachvollziehen zu kön­ nen, ist es hilfreich, sich die Verschiedenartigkeit der Persönlichkeiten klar zu machen. Prämorbid körperbewusste Menschen be­merken Symptome zu einem frühen Zeit­ punkt, so dass eine frühzeitige Diagnose gestellt werden kann. Bei einer weiteren Gruppe der PatientInnen ergibt sich die Diagnose des Kehl­ kopfkarzinoms als Zufallsbefund. Ursprünglich suchen diese Personen den HNO-Arzt wegen können eine brüchige, zeitweise raue Stimme, Umschlagen der Stimme sowie Räusperzwang, ebenso Trockenheit im Hals sein. Je nach Vor­ erkrankung des Patienten (z. B. in Form einer chronischen Laryngitis) können die oben genannten Symptome bereits über Monate bis Jahre bestehen bis ein Kehlkopfkrebs nachweis­ bar ist. Ein Larynxkarzinom kündigt sich häufig durch Heiserkeit an. Sie gilt als Hauptsymptom der Stimmlippenkarzinome, wobei im Früh­ stadium der Erkrankung die Veränderungen der Stimme inkonstant sind und daher oft vom Patienten nicht genügend beachtet werden. Die Symptomatik umfasst neben den audi­ tiven Anzeichen ebenso körperlich wahrzuneh­ mende Symptome für den Patienten wie Schluck­ störungen, Globusgefühl, Kratzen im Hals sowie Schmerzen, die in Richtung Ohr ausstrahlen, zunehmende Atemnot oder Gewichtsabnahme. Sowohl kleine Karzinome als auch fortgeschrit­ tene Tumoren weisen durch tastbare Knoten am Hals auf Metastasen hin. Je nach Lokalisation des Karzinoms kann ausschließlich eine Schluckstörung (Dysphagie) im Vordergrund stehen, wobei die PatientInnen z. B. über Probleme beim Schlucken von Spei­ chel klagen. 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Kapitel 1 · Präoperative Phase >Exkurs Das Gefühl, Nahrungsreste blieben beim Schlucken stecken, von Schmerzen beim Schlucken bis hin zum Verschlucken (Aspiration), ausstrahlender Schmerz zum Ohr sowie Stimmlippenstillstand sind dringende Anzeichen für ein Hypopharynxkarzinom. Oft bestehen die aufgeführten Symptome bei den PatientInnen bereits seit mehreren Wochen bis hin zu Monaten, bevor sie einen Haus- oder HNO-Arzt aufsuchen. Der Grund dafür liegt darin, dass die ersten Symptome grippeähnlich unspezifisch sind, so dass Patient und Hausarzt zunächst einen Infekt vermuten. Die Verschlep­ pungszeit wird daher zum Teil auch durch Ärzte verursacht (Hagen 1988). Eine Frühdiagnose ist erst dann mög­ lich, wenn Symptome, die länger als 3 Wochen andauern, den Patienten zum Facharzt führen. Wird die Gewebsveränderung mit Krebsrisi­ ko (Präkanzerose) oder das Karzinom sofort erkannt, kann von einer besseren Prognose aus­ gegangen werden. Werden die Symptome des Patienten vom Arzt richtig interpretiert und demzufolge eine umfassende Diagnostik eingeleitet, verläuft der Weg des Patienten in der Regel über den Hausoder HNO-Arzt, der an eine entsprechende Kli­ nik weiter verweist. 1.4.2 Medizinische Untersuchungs- methoden bei Verdacht auf Kehlkopfkarzinom Eingehende und sorgfältige diagnostische Unter­ suchungen sind bei einem Verdacht auf eine bös­ artige Geschwulst (Malignom) am Kehl­kopf drin­ gend notwendig. Sie geben Informationen über: EArt, Sitz und Ausmaß pathologischer Verän­ derungen inner- und außerhalb des Kehl­ kopfes und EStörungen der Kehlkopf-Funktion (Becker et al. 1989) Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ent­ wickelte Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und HalsChirurgie (1997)), die einen Qualitätsstandard in der Diagnostik der Kehlkopfkarzinome dar­ stellen sollen. Im Folgenden wird das diagnos­ tische Prozedere vorgestellt: Neben den speziellen laryngologischen Unter­suchungsmethoden des Hals-NasenOhren-Arztes erfolgt zunächst die Aufnahme eines kompletten HNO-Status. Dieser beinhal­ tet neben der Anamnese die folgenden Organ­ systeme: EOhr (einschließlich Hörtest), ENase/Nasenrachen, EMundhöhle und Rachenraum, Eunterer Oropharynx, Hypopharynx und Larynxregion, EHalsregion und Halsweichteile. !Beachte Eine verminderte Hörfähigkeit kann sich für die logopädische Therapie als hinderlich he­rausstellen. Daher sollte der Hörbefund von LogopädInnen unbedingt beachtet werden. Spezielle laryngologische Untersuchungsmethoden Inspektion und Palpation Die äußere Betrachtung des Larynx (visuell und palpatorisch) gehört zur ärztlichen Grunddia­ gnostik. Sie gibt Informationen über Prozesse, die sich auf das gesamte Kehlkopfgerüst ausge­ breitet haben und durch Verdickungen am Hals sichtbar werden. Die Beweglichkeit (Motilität) des Kehlkopfes beim Schlucken (Kehlkopfeleva­ tion) wird von außen inspiziert, da normalerwei­ se der Larynx mit der Schilddrüse unter der Haut aufwärts steigt (Inspektion). Die Tastuntersu­ chung (Palpation) der Halsweichteile umfasst die Suche nach tastbaren Lymphknotenmetastasen (Sitz, Ausdehnung und Verschieblichkeit) sowie nach einem eventuellen Tumordurchbruch. Laryngoskopie Die Betrachtung des Kehlkopfinneren kann durch die indirekte und direkte Laryngoskopie erfolgen. Indirekte Laryngoskopie Eine Ansicht des Larynx kann mit Hilfe eines angewärmten Kehlkopfspiegels oder unter Ver­ wendung optischer Systeme (z. B. Lupenendo­ skop mit 90° Winkeloptik oder flexiblem Endo­ skop) durch den Arzt durchgeführt werden. Aufgrund der medizintechnischen Entwick­ lung wurde der Kehlkopfspiegel nahezu kom­ plett durch fiberendoskopische Systeme (70– 90° Optiken oder flexibles Endoskop) abgelöst. Diese Untersuchung wird historisch als indi­ rekt bezeichnet, da mit dem Spiegel die Sicht auf den Kehlkopf nur über einen Winkel mit Hil­ fe einer Spiegelung möglich war. Streng genom­ men ist jedoch die endoskopische Untersuchung direkt.Vorne und hinten gelegene Kehlkopfstruk­ turen bzw. die Seiten werden korrekt abgebildet. Die Laryngoskopie ermöglicht dem Arzt einen Überblick über folgende Strukturen: EEpiglottis, Earyepiglottische Falten, EAryknorpel, ETaschenfalten, EStimmlippen (je nach Funktion in Respira­ tions- oder Phonationsstellung), EVorderwand der Trachea einschließlich obe­ rer Trachealknorpel. Zusätzlich können Eder linguale Anteil der Epiglottis und Edie Valleculae (Oropharynx) sowie Edie Sinus piriformes beidseits (Hypopharynx) eingesehen werden. Morphologische Gegeben­ heiten wie Farbe, Form und Oberflächenstruk­ tur des Kehlkopfes sind feststellbar. Während der Phonation ist eine Beurteilung der Funktion durch die Analyse von EStimmlippenmotilität, EAryknorpelstellung und -beweglichkeit sowie 1 11 1.4 · Symptomatik und ärztliche Diagnostik des Larynxkarzinoms EEntfaltung der Recessus piriformes beim Valsalva-Manöver möglich. !Beachte Mit Hilfe der indirekten Laryngoskopie können Aussagen über die Tumorausdehnung und den Tumorsitz getroffen werden. Stroboskopie. Eine besondere diagnostische Bedeutung hat die indirekte Laryngoskopie mit Hilfe stroboskopischer Lichtblitze. Diese Unter­ suchung stellt die schnellen Schwingungsab­ läufe auf Glottisebene durch Ausnutzung eines optischen Effektes dar. Während der Laryngo­ skopie erfolgt eine Beleuchtung der Stimmlippen durch Lichtblitze, die der Schwingungsfrequenz der Stimmlippen entsprechen kann (stehendes Bild) oder zeitlich differiert (bewegtes Bild). So kann die Feinmotorik der Stimmlippen beurteilt werden, nämlich die Verschiebung des Epithels auf dem M. vocalis. Bei einer Infiltration des M. vocalis durch Tumorwachstum ist die Randkan­ tenverschiebung der Stimmlippen reduziert oder aufgehoben. Wendler empfiehlt daher, dass Risi­ kopatientInnen mit chronischer Laryngitis in rechts links Epiglottis Taschenfalte Stimmband aryepiglott. Falte Aryknorpel Tracheavorderwand Recessus piriformis a b . Abb. 1.3a, b. Kehlkopfspiegelbilder a. Respirationsstellung, b. Phonationsstellung (Boenninghaus 2000) 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Kapitel 1 · Präoperative Phase systematische Vorsorgeuntersuchungen einbe­ zogen werden sollten, die auch regelmäßige stro­ boskopische Kontrollen gewährleisten. Auf diese Weise könnten maligne Gewebeumwandlungen frühzeitig erkannt werden (Wendler 1993). Direkte Laryngoskopie Die Untersuchung des Larynx und Hypopha­ rynx erfolgt bei dieser Untersuchungsmetho­ de (. Abb. 1.4) über ein auf der Brust des Pati­ enten abgestütztes und über den Mund vorge­ schobenes Metallrohr unter Vollnarkose (Stütz­ laryngoskopie). Dieses Verfahren wird sowohl zur Sicherung der Diagnose als auch therapeu­ tisch zur Entfernung von Raumforderungen (Tumorwachstum) eingesetzt. Die Methode ermöglicht direkten Einblick in die laryngealen Strukturen, wobei die zusätz­ liche Verwendung des Operationsmikroskops mit 6- bis 40-facher Vergrößerung die Diagnos­ tik und Therapie von Kehlkopfveränderungen verbessert. Diese Mikrolaryngoskopie bietet dem Operateur eine stereoskopische Sicht. Dem Arzt stellt sich das gesamte Kehlkopfinnere, die obere Trachea und der Hypopharynx ein­ schließlich aller »toter« Winkel dar. Eine Beur­ teilung der Tumorausdehnung sowie der Infil­ tration ist ebenso möglich wie die Durchfüh­ rung einer Gewebeprobe (Biopsie) oder ande­ rer endolaryngealer Eingriffe. Weitere Untersuchungsmethoden Röntgenverfahren Nativaufnahmen dienen der Übersicht des Kehl­ kopfes in frontaler und sagittaler Richtung, wobei Überlagerungen (Projektion der Hals­ wirbelsäule) nur begrenzte Aussagen erlauben. Sie sind daher heutzutage ebenso wie die kon­ ventionellen Tomografien (Schichtaufnahmen) von der Computertomografie abgelöst worden. Röntgenuntersuchungen des Thorax sollten bei dem Verdacht auf Kehlkopfkrebs dringend erfol­ gen, da tumoröse Absiedelungen in die Lun­ gen und das Mediastinum unbedingt frühzeitig erkannt und therapiert werden müssen. Hier hat sich der Nachweis von Zweitkarzinomen durch den Einsatz der CT deutlich verbessert. Ultraschall Die Ultraschalluntersuchung (B-Sonografie) der Halsweichteile ist eine wertvolle Ergänzung der klinischen Untersuchung. Bei der Tumorerstdi­ agnose sollte sie durch eine zusätzliche Com­ putertomografie der Halsweichteile mit Kon­ trastmittelgabe und ggf. durch eine Kernspin­ tomografie (MRT) des Halses ergänzt werden. Da von der Sonografie keine Strahlenbelastung ausgeht, sind Verlaufskontrollen von verdächti­ gen Strukturen in 4- bis 6-wöchigen Interval­ len möglich. In der Tumornachsorge erlaubt die Sonografie neben den jährlichen computer­ 15 16 17 18 19 20 . Abb. 1.4. Direkte Laryngoskopie zur Mikrochirurgie des Kehlkopfes (Boenninghaus 2000) 1.4 · Symptomatik und ärztliche Diagnostik des Larynxkarzinoms tomografischen Kontrollen eine engmaschige Darstellung der Lymphabflussbahnen. Panendoskopie Um Zweittumoren im Aerodigestivtrakt aus­ zuschließen und die Tumorausdehnung zu beurteilen, wird eine Panendoskopie durchge­ führt. Es erfolgt zunächst die Endoskopie des Tracheo­bronchialsystems und der Speiseröh­ re. Anschließend wird mit dem starren Rohr die Schleimhaut von Larynx und Hypopharynx beurteilt. Es schließt sich dann die Inspektion und Palpation von Oropharynx und Mundhöhle an. Die Palpation beim narkotisierten Patienten in muskulärer Entspannung kann gelegent­ lich submukös wachsende Tumoren in Zunge oder Zungengrund aufdecken. Zum Abschluss erfolgt die Inspektion des Nasenrachens. Hier­ bei können Blindbiopsien aus optisch toten Winkeln entnommen werden. Biopsie Im Rahmen der Panendoskopie werden von verdächtigen Strukturen, vom Tumor und sei­ ner Umgebung Gewebeproben entnommen. Die histologische Aufarbeitung der Biopsie dient der Diagnosestellung sowie der Tumoreintei­ lung (s. Kap. 1.5.1 »Einteilung nach Ausdeh­ nung – TNM-Klassifikation«). Das histologische Ergebnis der bei der Panendoskopie entnom­ menen Biopsie dient zusammen mit den übrigen Staging-Untersuchungen der Stadieneinteilung des Tumors und ermöglicht die Festlegung des medizinisch-therapeutischen Vorgehens. CT/MRT Die Computertomografie (CT) des Halses (ggf. unter Einschluss des oberen Mediastinums (Raum in der Brusthöhle), hochauflösende CT des Larynx in /e/-Phonation und die MagnetResonanz-Tomografie (MRT) des Halses und Kopfes) geben wichtige Informationen über die Ausdehnung von laryngealen Malignomen und dienen der genauen Feststellung der Tumoraus­ dehnung, eines möglichen Tumordurchbruchs 13 1 und möglicher regionärer Metastasen. Insbe­ sondere die Infiltration des Knorpelgerüstes kann durch das CT besser beurteilt werden als durch die Endoskopie. Heutzutage stellt das CT die Standardmethode der bildgebenden Dia­ gnostik dar. Interdisziplinäre Untersuchungen: Tumorstaging Um weitere Absiedlungen tumoröser Zellen frühzeitig feststellen zu können, sind fachü­ bergreifende Untersuchungen z. B. des Thorax, des Abdomens und des Skelettsystems notwen­ dig. . Übersicht 1.2 stellt den chronologischen Ablauf der Untersuchungen in der HNO-Praxis und in der Klinik dar. Liegen sämtliche Ergebnisse der verschie­ denen Untersuchungen vor, erfolgt die Thera­ pieplanung und Durchführung in der behan­ delnden Klinik. . Übersicht 1.2: Chronologischer Ablauf der Untersuchungen 1. In der HNO-Praxis (Verdachtsdiagnose) 5 HNO-Status (einschließlich Inspektion und Palpation), 5 indirekte Laryngoskopie/Stroboskopie, 5 Ultraschall (B-Sonografie). 2. In der Klinik (Diagnosesicherung und Tumorstaging) 5 CT/MRT des Halses, 5 direkte Laryngoskopie im Rahmen einer Panendoskopie mit Biopsie, 5 Röntgen Thorax (Brustkorb), Abdomen (Bauch)-Sonografie, Skelettszintigrafie (Ausschluss von Fernmetastasen), 5 weiterführende Bildgebung oder Biopsie (bei verdächtigem Befund). 14 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Kapitel 1 · Präoperative Phase 1.4.3 Differenzialdiagnose des Larynxkarzinoms Die möglichen Erkrankungen des Kehlkopfes reichen von angeborenen Fehlbildungen (Ano­ malien) über nervale Störungen (z. B. Läh­ mungen), funktionelle Dysphonien, Kehlkopf­ traumen und Entzündungen bis hin zu den gut­ artigen (benignen) bzw. bösartigen (malignen) Tumoren. Bei den benignen Tumoren ist zu beach­ ten, dass gutartige Neubildungen innerhalb des Larynx Vorstadien für eine Krebserkran­ kung sein können (Präkanzerose), wenn exo­ gene Noxen weiter einwirken. Aus einer län­ ger bestehenden präkanzerösen Veränderung kann dann ein Plattenepithelkarzinom entste­ hen. Daher ist die Frühdiagnose durch optima­ le Diagnostik und sofort einsetzende adäquate Therapie von besonderer Bedeutung, um die laryngealen Strukturen und deren Funktionen für die Atmung, das Schlucken und die Phona­ tion soweit wie möglich zu erhalten. Auch prä­ kanzeröse Veränderungen sollten durch den HNO-Arzt mit Laryngoskopie überwacht wer­ den. Zu den möglichen Präkanzerosen zählen: EPapillome beim Erwachsenen, ELeukoplakie, Erythroplakie, Pachydermie, Echronische Laryngitis, EFibroepitheliom, ECarcinoma in situ der Kehlkopfschleimhaut. !Beachte Grundsätzlich gilt: Eine über 3 Wochen anhaltende Heiserkeit muss immer vom Facharzt abgeklärt werden! Letztendlich sind es die ausgedehnten oder an ungünstiger Stelle sitzenden bösartigen Tumo­ ren des Larynx und des Hypopharynx, die auch heute noch eine Laryngektomie notwen­ dig machen. In einigen wenigen Fällen sind es traumatische Einwirkungen wie z. B. Autoun­ fälle oder Strangulationen, die eine totale Ent­ fernung des Kehlkopfes erfordern. Obwohl die Laserchirurgie des Kehlkopfes die endolaryn­ geale Resektion von großen Tumoren möglich macht (s. Kap. 2.2.4 »Teilresektion/minimalinvasive Verfahren«), kann eine Laryngektomie nicht in allen Fällen vermieden werden. Zusammenfassung Je früher der Patient einen Arzt aufsucht, desto aussichtsreicher ist eine Therapie. 5Die Früherkennung hängt neben der Lokalisation des Tumors auch von der Wahrnehmungsfähigkeit sowie der Handlungsbereitschaft und -fähigkeit des Patienten und Hausarztes ab. 5 Symptome wie Heiserkeit, Schluckstörungen, Globusgefühl, Kratzen im Hals, Schmerzen in Richtung Ohr und Atemnot, die länger als 3 Wochen andauern, können ein Hinweis auf ein bestehendes Larynxkarzinom oder Hypopharynkarzinom sein. 5 Für die Diagnosestellung sind eine Reihe von Untersuchungen notwendig, die Informationen über Lokalisation und Ausmaß des Kehlkopftumors geben. In Abhängigkeit von den Ergebnissen und im Gespräch mit dem Patienten kann die Behandlung anhand von Leitlinien individuell geplant werden. Folgende Untersuchungen stehen zur Diagnosefindung zur Verfügung: –Anamnese, – Inspektion und Palpation, –Laryngoskopie/Stroboskopie, –Röntgenuntersuchungen, –Ultraschall, –Panendoskopie, –Biopsie, –CT/MRT –Tumorstaging. 15 1.5 · Staging des Larynxkarzinoms 1.5Staging des Larynxkarzinoms Die Einteilung des Larynxkarzinoms unter verschiedenen Aspekten (TNM-Klassifikation und Einteilung nach anatomischen Zonen) wird vorgestellt. Histologie. Bei den bösartigen Kehlkopftumo­ ren handelt es sich i. d. R. um Plattenepithelkarzi­ nome (95 %). Die Entwicklung eines Karzinoms ist meist mit inhalativen exogenen Noxen assozi­ iert (s. Kap. 1.3.1 »Pathogenetische Faktoren«). Lokalisation. Die Lage des Larynxkarzinoms bestimmt die Symptome und den Metasta­ sierungsweg. Die Lokalisation des Karzinoms bestimmt das operative Vorgehen sowie die Prognose der Erkrankung. Anatomische Zonen. Um die Operationsindika­ tion korrekt zu stellen, muss eine Einteilung nach Ausdehnung des Tumors sowie der anatomischen Zonen des Larynx erfolgen, da sich das Karzinom in verschiedene Richtungen ausbreiten kann und sich demzufolge bei Metastasierung unterschied­ lich verhält. Die Einteilung nach Ausdehnung (TNM-Klassifikation) sowie die Zoneneinteilung des Kehlkopfes (s. Kap. 1.1 »Anatomie des Kehl­ kopfes«) helfen bei der Klassifizierung der Tumo­ ren und bestimmen das weitere Vorgehen. 1.5.1 Einteilung nach Ausdehnung – TNMKlassifikation Die Klassifizierung der Kehlkopfmalignome nach ihrer Ausdehnung (TNM-System) ist für die Behandlung und Prognose von großer Bedeu­ tung und muss bei Diagnosestellung vorgenom­ men werden. Diese Stadieneinteilung erfolgt nach der TNM-Klassifikation maligner Tumo­ ren (Wittekind et al. 2010). 1 Das TNM-System zur Beschreibung der Ausdehnung der Erkrankung beruht auf der Feststellung von: ET = Tumor – Ausdehnung des Primärtumors, EG = Grad der histologischen Differenzie­ rung (G1-G4), EN = Nodulus – Zustand/Befall der regio­ nären Lymphknoten, EM = Metastasen – Fehlen (M0) oder Vorhanden­sein von Fernmetastasen (M1), EC = Certainty – Grad der Zuverlässigkeit der Diagnostik. Das Ausmaß und die Beschreibung des malig­nen Tumors wird durch das Hinzufügen von Index­ zahlen zu diesen Komponenten ergänzt. Bei einem ausgedehnten Tumor der Größe T4 wird durch die Indexbuchstaben a-b potenziell operabel (a) bzw. inoperabel (b) kenntlich gemacht. . Tabelle 1.1 stellt die Einteilung nach dem TNM-System dar. 1.5.2 Einteilung nach anatomischen Zonen Supraglottisches Karzinom 33–45 % aller Kehlkopfmalignome zählen zu den supraglottischen Karzinomen. Sie werden häufig erst im fortgeschrittenen Stadium erkannt, da lange Zeit keine Symptome auftreten. In 35–45 % erfolgt eine beidseitige (bilaterale) Metastasie­ rung in die Lymphknoten. Aufgrund der späten Diagnose und der frühen Metastasierung ist die Prognose der supraglottischen Tumoren im Ver­ gleich zum glottischen Karzinom schlechter. Bei ausgedehnten supraglottischen Tumoren mit Befall des Zungengrundes ist eine Laryngek­ tomie notwendig. Die Gesamt-5-Jahres-Überle­ bensrate liegt bei ca. 60 % (Boenning­haus 2007). Glottisches Karzinom Mit ca. 66 % zählt das glottische Karzinom zu den häufigsten Kehlkopfkarzinomen. Die häufig bila­ teral auftretenden Veränderungen im Bereich der Glottis führen zu einer frühzeitigen Stimm­ 16 1 2 3 Kapitel 1 · Präoperative Phase . Tabelle 1.1. TNM-System – Larynx (in Anlehnung an Kürvers 1997) ergänzt durch die 7. Auflage der TNM-Klassifika­ tion maligner Tumoren (Wittekind 2010) Regionen Supraglottis Bereiche Epiglottis (einschl. Grenzzone) Suprahyoidale Epiglottis – einschl. f­ reiem Epiglottisrand, lingualer ­(vorderer) und laryngealer Oberfläche, Aryepiglottische Falte, laryngeale Oberfläche, Arythenoidgegend Supraglottis ohne Epilarynx Infrahyoidale Epiglottis Taschenfalten 4 5 6 Glottis 7 Subglottis 8 9 10 11 12 13 Tumor – Ausdehnung des Primärtumors Supraglottis Glottis Subglottis TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden T0 kein Anhalt für Primärtumor Tis Carcinoma in situ TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden T0 kein Anhalt für Primärtumor Tis Carcinoma in situ TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden T0 kein Anhalt für Primärtumor Tis Carcinoma in situ T1 Tumor auf einen Unterbezirk der Supraglottis begrenzt mit normaler Stimmlippenbeweglichkeit (jedoch stroboskopisch keine Randkantenverschiebung) T1 Tumor auf Stimmlippe(n) begrenzt (kann auch vordere oder hintere Kommissur befallen), mit normaler Beweglichkeit T1aTumor auf eine Stimmlippe begrenzt T1bTumorbefall beider Stimmlippen T1 Tumor auf die Subglottis begrenzt T2 Tumor infiltriert Schleimhaut von mehr als einem benachbarten Unterbezirk der Supraglottis, der Glottis oder eines Areals außerhalb der Supraglottis (z. B. Schleimhaut von Zungengrund, Vallecula, mediale Wand des Sinus piriformis), ohne Fixation des Larynx T2 Tumor breitet sich auf Supraglottis u/o Subglottis aus u/o Tumor mit eingeschränkter Stimmlippenbeweglichkeit T2 Tumor breitet sich auf eine oder beide Stimmlippen aus, diese mit normaler oder eingeschränkter Beweglichkeit T3 Tumor auf den Larynx begrenzt, mit Stimmlippenfixation u/o Tumor mit Infiltration des Postcricoidbezirks, des präepiglottischen Gewebes u/o geringgradiger Erosion des Schildknorpels T3 Tumor auf den Larynx begrenzt, mit Stimmlippenfixation u/o Invasion der Postcricoidgegend u/o des präepiglottischen Gewebes u/o des paraglottischen Raumes mit geringgradiger Erosion des Schildknorpels T3 Tumor auf den Larynx begrenzt mit Stimmlippenfixation 14 15 16 17 18 19 20 Stimmlippen vordere Kommissur Hinterwand 17 1.5 · Staging des Larynxkarzinoms 1 . Tabelle 1.1. Fortsetzung Tumor – Ausdehnung des Primärtumors Supraglottis Glottis Subglottis T4a Tumor infiltriert durch den Schildknorpel u/o breitet sich außerhalb des Kehlkopfes aus, z. B. Trachea, Weichteile des Halses eingeschlossen äußere Muskulatur der ­Zunge, gerade Halsmuskulatur, Schild­ drüse, Ösophagus T4a Tumor infiltriert durch den Schildknorpel u/o breitet sich außerhalb des Kehlkopfes aus, z. B. Weichteile des Halses eingeschlossen äußere Muskulatur der Zunge, gerade Halsmuskulatur, Schilddrüse, Ösophagus T4a Tumor infiltriert durch den Schildknorpel u/o breitet sich außerhalb des Kehlkopfes aus, z. B. Weichteile des Halses eingeschlossen äußere Muskulatur der Zunge, gerade Halsmuskulatur, Schilddrüse, Ösophagus T4b Tumor infiltriert den Prävertebralraum, die mediastinalen Strukturen oder umschließt die Arteria carotis interna T4b Tumor infiltriert den Prävertebralraum, die mediastinalen Strukturen oder umschließt die Arteria carotis interna T4b Tumor infiltriert den Prävertebralraum, die mediastinalen Strukturen oder umschließt die Arteria carotis interna Nodulus – Zustand/Befall der regionären Lymphknoten NX N0 N1 N2 N2a N2b N2c N3 Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden Keine regionären Lymphknotenmetastasen Metastase(n) in solitärem ipsilateralem Lymphknoten, 3 cm oder weniger in größter Ausdehnung Metastase(n) wie nachfolgend beschrieben Metastase(n) in solitärem ipsilateralem Lymphknoten mehr als 3 cm, aber nicht mehr als 6 cm in größter Ausdehnung Metastasen in multiplen ipsilateralen Lymphknoten, keiner mehr als 6 cm in größter Ausdehnung Metastasen in bilateralen oder kontralateralen Lymphknoten, keiner mehr als 6 cm in größter Ausdehnung Metastase(n) in Lymphknoten, mehr als 6 cm in größter Ausdehnung Metastasen – Fehlen oder Vorhandensein von Fernmetastasen M0 M1 Keine Fernmetastasen Fernmetastasen störung (Dysphonie), die oft die Diagnose im Frühstadium und daher einen frühen Behand­ lungsbeginn ermöglicht. Metastasierungen tre­ ten aufgrund der wenigen Lymphbahnen in den Stimmlippen selten oder erst spät auf. Daher ist die mikrolaryngoskopische Chirurgie (konven­ tionell oder mit Laser) in Form der Dekortika­ tion oder Teilresektion der Stimmlippe(n) die Therapie der Wahl. Bei sehr kleinen Tumoren (T1) kommt auch die alleinige Strahlentherapie in Frage. Im fortgeschrittenen Stadium (T3), das mit Fixation einer oder beider Stimmlippen ein­ hergeht, erfolgt häufig eine Laryngektomie. Auf­ grund der verbesserten Induktions-Chemothe­ rapie und Strahlentherapie wird zunehmend versucht, auch fortgeschrittene Tumoren im Hinblick auf den funktionellen Organerhalt zu therapieren. Insgesamt ergibt sich eine Gesamt5-Jahres-Überlebensrate von ca. 90 % (Boen­ ninghaus 2007). Subglottisches Karzinom Weniger als 5 % aller Larynxkarzinome sind sub­ glottisch lokalisiert. Sie bleiben lange Zeit symp­ tomlos und sind auch bei einer HNO-Untersu­ chung aufgrund der Lokalisation schlecht zu dia­ 18 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Kapitel 1 · Präoperative Phase gnostizieren. Erst beim Einbruch in die glottische Region verursachen sie Heiserkeit und mögliche Luftnot. Bei fortgeschrittenem Wachstum kann beim Durchbruch durch das Knorpelskelett nach ventral die Schilddrüse infiltriert werden. Die Prognose ist ungünstig. Die 5-Jahres-Über­ lebensrate wird je nach Tumorausdehnung auf 35–60 % geschätzt (Strutz u. Mann 2001). Anzahl und Größe der Metastasen. Auch hier wird mit Hilfe der TNM-Klassifikation eine Einteilung der Lymphknotenmetastasierung vorgenommen. Metastasenverdächtige Halslymphknoten erfordern zwingend eine ausführliche Diagnos­ tik und die histologische Sicherung der Diagno­ se. Treten sie als Erstbefund auf, muss der Pri­ märtumor lokalisiert werden. Hypopharynxkarzinom !Beachte Zu einem späten Zeitpunkt verursacht das Hypo­ pharynxkarzinom beim Patienten uncharakteri­ stische Symptome (Schluckbeschwerden, Ver­ schlucken, Kloßgefühl). Häufig bemerken Patien­ tInnen als Erstsymptom schmerzlose Lymphkno­ tenmetastasen im Bereich der Halsgefäßscheide. Aufgrund der Missachtung der frühen Sym­ ptome seitens des Patienten und der begrenzten Einsehbarkeit des Hypopharynx wird die Diag­ nose meist spät gestellt. Bei operablen Befun­ den ist eine Laryngektomie mit Neck dissection (s. Kap. 2.2.7 »Halsweichteilausräumung (Neck dissection)«) erforderlich. Durch die frühzeitige Metastasierung ergibt sich insgesamt eine sehr schlechte Prognose für den Patienten. 1.5.3Lymphknotenmetastasen Je nach Lokalisation und Ausdehnung eines Larynxkarzinoms kommt es zur Metastasie­ rung des Primärtumors in die entsprechenden Lymph­abflusswege (s. Kap. 1.1.3 »Blut- und Lymphgefäßversorgung«). Halslymphknotenmetastasen werden in der Regel als ein- oder beidseitige schmerzlose Schwel­ lungen bemerkt, die mehr oder weniger schnell wachsen (meist innerhalb von Wochen bis Mona­ ten). Mangelnde Verschieblichkeit eines Lymph­ knotens deutet auf einen ernst zu nehmenden Prozess hin, weil der Knoten vermutlich mit dem umgebenden Gewebe bereits verwachsen ist. Die Palpation durch den HNO-Arzt und die B-Sono­ grafie des Halses mit zusätzlichem CT und/oder MRT des Halses geben genaue Informationen über Die Prognose verschlechtert sich mit Auftreten von Metastasen deutlich. 1.5.4Fernmetastasen bei Larynxkarzinom Es besteht eine enge Korrelation zwischen dem Sitz bzw. der Ausdehnung des Tumors und der Rezidivhäufigkeit bzw. Metastasierung. 80 % aller Rezidive treten innerhalb von 24 Mona­ ten nach der Operation auf, alle weiteren in den kommenden 3 Jahren. Überlebt der Patient die ersten fünf Jahre tumorfrei, sind es noch 80 % der PatientInnen, die weitere zehn Jahre überle­ ben (Strutz u. Mann 2001). Wird ein Larynxkarzinom erstmalig festge­ stellt, muss auch das Vorhandensein von Fernmetastasen abgeklärt werden, die in ca. 10 % aller Fälle vorkommen. Die Fernmetastasie­ rung findet überwiegend auf dem Blutweg (hämatogen), seltener aber auch lymphogen statt. In der Regel sind die Lungen und die zum Brustfell gehörenden Lymphknoten (mediasti­ nale Lymphknoten) betroffen, weitere mögliche Metastasierungen treten in der Leber, den Kno­ chen, der Haut oder selten auch im Herzen auf (Kürvers 1997). 1.5 · Staging des Larynxkarzinoms Zusammenfassung Eine Einteilung des Kehlkopfkarzinoms erfolgt anhand verschiedener Gesichtspunkte: 5 95 % der Kehlkopftumoren sind Platten­ epithelkarzinome. 5 Die Karzinome können entweder nach ihrer Ausdehnung (TNM-Klassifikation) oder ihren anatomischen Zonen unterteilt werden in – supraglottisches Larynxkarzinom, – glottisches Larynxkarzinom, – subglottisches Larynxkarzinom, –Hypopharynxkarzinom. 5 Neben dem Primärtumor können Lymphknoten und/oder Fernmetastasen auftreten. 19 1