Erstes Gesetz für den Katholiken: der katholische Glaube

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Rundschreiben
„SINGULARI QUADAM“
unseres Heiligen Vaters
Pius X.
durch göttliche Vorsehung Papst
an Kardinal Georg Kopp, Bischof von Breslau,
und an die anderen Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands
über die katholischen und gemischten
Arbeitervereinigungen
24.9.1912
Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Utz + Birgitta Gräfin von Galen,
XIX 1-9, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.
Die Nummerierung folgt der englischen Fassung. . Die Rechtschreibung ist der gegenwärtigen Form angeglichen.
Entnommen bei: www.kathtube.com
Einleitung:
Warnung vor einem interkonfessionellen Christentum,
Sorge des Papstes um den Frieden zwischen den Katholiken
1 Eine besonders wohlwollende Liebe erfüllt Uns gegenüber den Katholiken Deutschlands, die
diesem Apostolischen Stuhle in großer Treue und Ergebenheit verbunden sind und für die Kirche
hochherzig und tapfer zu kämpfen pflegen. Dadurch fühlen Wir Uns angetrieben, Ehrwürdige
Brüder, allen Eifer und alle Sorgfalt aufzubieten, um jene Streitfrage zu behandeln, welche unter
ihnen wegen der Arbeitervereinigungen besteht. Über diese Streitfrage haben Uns in den letzten
Jahren des öfteren sowohl die meisten von Euch als auch besonnene und bedeutende Vertreter
beider Anschauungen Aufschluss gegeben. Der Drang, Uns mit dieser Sache zu befassen, war
um so größer, als Wir es im Gewissen als Unsere Apostolische Amtspflicht erkannten,
nachdrücklich dahin zu wirken, dass diese Unsere geliebten Söhne die katholische Lehre rein
und unverkürzt bewahren, und unter keiner Bedingung zuzulassen, dass ihr Glaube gefährdet
werde. Denn wenn sie nicht rechtzeitig zur Wachsamkeit angeregt werden, dann droht ihnen
offenbar die Gefahr, dass sie nach und nach und sozusagen unversehens sich mit einer
allgemeinen und unbestimmten Art christlicher Religion zufrieden geben, die man
interkonfessionell zu nennen pflegt und die man mit nichtigen Gründen als christliche
Gemeinschaft zur Verbreitung empfiehlt, während gerade nichts der Predigt Christi mehr
widerspricht als sie. Dazu kommt, dass es Unser innigster Wunsch ist, die Eintracht der
katholischen Christen zu fördern und zu befestigen. Daher wollen Wir alle Anlässe zu
Streitigkeiten beseitigen, welche nur die Kräfte der Guten zersplittern und den Gegnern der
Religion Nutzen bringen. Wir wünschen zugleich auch, dass die Unsrigen mit dem nicht
katholischen Teil ihrer Mitbürger für jenen Frieden wirken, ohne welchen weder die
gesellschaftliche Ordnung noch die Wohlfahrt des Staates Bestand haben kann. – Wiewohl Wir
indessen, wie schon gesagt wurde, den Stand dieser Angelegenheit kannten, beschlossen Wir
doch, ehe Wir über sie entschieden, Eure Meinung, Ehrwürdige Brüder, einzuholen. Und Ihr habt
alle auf Unsere Anfrage mit der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit geantwortet, welche die
Bedeutung der Frage erforderte.
Erstes Gesetz für den Katholiken: der katholische Glaube
2 An erster Stelle erklären Wir nun also, dass es eine von allen Katholiken sowohl im Privatleben
als in der Gemeinschaft und Öffentlichkeit heilig und unverletzlich zu befolgende Pflicht ist, die
Grundsätze der christlichen Wahrheit treu festzuhalten und unerschrocken zu bekennen, welche
das Lehramt der Katholischen Kirche vorlegt, vor allem jene, die Unser Vorgänger im
Rundschreiben Rerum novarum mit so viel Weisheit dargelegt hat. Dies sind auch die
Grundsätze, welche die 1900 zu Fulda versammelten preußischen Bischöfe, wie Wir wissen, in
ihren Beratungen vorzüglich befolgt haben und die Ihr selbst in Eurer Uns vorgelegten
Beurteilung dieser Angelegenheit der Hauptsache nach, wie Wir sehen, zusammengefasst habt.
Orientierung am kirchlichen Lehramt auch in Fragen der gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Ordnung
3 Es ist danach dem Christen, was immer er tut, auch in der Ordnung der irdischen Dinge, nicht
erlaubt, die übernatürlichen Güter zu vernachlässigen, vielmehr muss er alles auf das höchste
Gut als sein letztes Ziel hinordnen gemäß den weisen Vorschriften der christlichen Wahrheit. Alle
seine Handlungen unterstehen hinsichtlich ihres Charakters der sittlichen Güte oder Bosheit, d. h.
hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem natürlichen und göttlichen Recht, dem Urteil und der
Gesetzgebung der Kirche. - Alle, die sich des christlichen Namens rühmen, Einzelpersonen wie
ganze Vereinigungen, sollen, wenn sie ihrer Pflicht eingedenk sind, nicht Feindschaften und
Eifersüchteleien unter den bürgerlichen Ständen schüren, sondern Frieden und gegenseitige
Liebe fördern. - Die soziale Frage und die mit ihr verbundenen Meinungsverschiedenheiten über
die Art und Dauer der Arbeit, die Höhe des Lohnes, die willkürliche Einstellung der Arbeit sind
nicht rein wirtschaftlicher Natur und daher nicht solcher Art, dass sie ohne Rücksicht auf die
kirchliche Autorität entschieden werden dürften. „Ist es doch im Gegenteil wahr, dass sie (die
soziale Frage) in erster Linie eine religiöse und sittliche Angelegenheit ist und somit eine solche,
die vor allem nach dem Sittengesetz und den Gesichtspunkten der Religion entschieden werden
muss" (Leo XIII., Enzyklika Graves de communi, 13.Januar 1901, AAS XXXIII [1901]).
Priorität der katholischen Arbeiterverbände, soweit diese sich mit religiösen
und sittlichen Fragen befassen.
4 In bezug auf die Arbeitervereinigungen ist folgendes zu sagen. Ihr Ziel geht zwar auf irdische
Vorteile ihrer Mitglieder, doch verdienen gewisse unter ihnen besondere Empfehlung und sollen
vor allen anderen als am besten geeignet angesehen werden, um die wahren und dauernden
Interessen ihrer Mitglieder sicherzustellen. Es sind dies jene, die vor allem auf das Fundament
der katholischen Religion gegründet sind und offen der Kirche Gefolgschaft leisten. Wir haben
dies selbst des öfteren erklärt, wenn die Gelegenheit in diesem oder jenem Lande sich bot. Es
folgt hieraus die Notwendigkeit, diese Art von sogenannten katholisch-konfessionellen
Vereinigungen zu gründen und sie auf jede Weise zu begünstigen. Dies vorab in katholischen
Gegenden und dann auch in allen andern Landesteilen, überall, wo es möglich erscheint, mit ihrer
Hilfe die verschiedenen Anliegen der Mitglieder zu befriedigen. Und wenn es sich um solche
Vereinigungen handelt, bei denen direkt oder indirekt Angelegenheiten der Religion oder der
Moral berührt werden, wäre es unverantwortlich, wollte man in den soeben erwähnten Gegenden
gemischte Vereinigungen begünstigen und verbreiten, d. h. solche, die sich aus katholischen und
nichtkatholischen Mitgliedern zusammensetzen. Denn, um nur davon zu sprechen, wegen der
Vereinigungen dieser Art gerät tatsächlich oder doch möglicherweise die Reinheit des Glaubens
und der gerechte Gehorsam gegen die Gesetze und Vorschriften der Katholischen Kirche bei den
Unsrigen in große Gefahr. In mehreren aus Eurer Mitte, Ehrwürdige Brüder, ergangenen
Antworten haben Wir darüber auch unverhohlene Andeutungen entnommen.
Mögliche Zusammenarbeit von katholischen und nichtkatholischen
Arbeiterverbänden
5 Die rein katholischen Arbeitervereinigungen, wie sie in Deutschland bestehen, möchten Wir
gerne mit allem Lob auszeichnen, und Wir wünschen, dass ihnen alle Bestrebungen zum Vorteil
des arbeitenden Volkes gelingen und dass sie sich eines stetigen glücklichen Wachstums
erfreuen. Indem Wir dies erklären, verwehren Wir aber den Katholiken nicht das Recht – um
Verbesserung der Lage der Arbeiter und günstigere Lohn- und Arbeitsverhältnisse oder
irgendwelche andere ehrenhafte Vorteile anzustreben - gemeinsam mit den Nichtkatholiken,
jedoch mit der gebotenen Vorsicht, für das allgemeine Wohl zu arbeiten. Wir würden es aber
lieber sehen, wenn zu diesem Zweck katholische und nicht katholische Vereinigungen unter sich
ein Bündnis eingingen vermittels jener praktischen Einrichtung, die man „Kartell" nennt.
Mitgliedschaft der Katholiken in sogenannten christlichen (gemischten)
Gewerkschaften zulässig unter der Voraussetzung, dass die Katholiken in
katholischen Arbeitervereinen organisiert sind.
6 Nicht wenige unter Euch, Ehrwürdige Brüder, bitten Uns, dass es Euch durch Uns gestattet
werde, die sogenannten christlichen Gewerkschaften, wie sie gegenwärtig in Eueren Diözesen
bestehen, zu dulden, weil sie eine viel größere Zahl von Arbeitern umfassen als die rein
katholischen Gewerkschaften und weil große Nachteile entstünden, wenn dies nicht erlaubt
würde. Im Hinblick auf die besondere Lage des katholischen Lebens in Deutschland glauben Wir,
dieser Bitte willfahren zu sollen und erklären, dass sie geduldet werden können und es den
Katholiken erlaubt werden kann, auch gemischten Vereinigungen anzugehören, wie sie in Eueren
Diözesen bestehen, soweit diese Duldung nicht infolge veränderter Verhältnisse aufhört,
zweckmäßig und gerecht zu sein. Es sollen jedoch geeignete Maßnahmen getroffen werden, um
jenen Gefahren vorzubeugen, die, wie Wir erklärt haben, mit Vereinigungen dieser Art verbunden
sind. Die hauptsächlichsten Maßnahmen dieser Art sind die folgenden: In erster Linie ist dafür zu
sorgen, dass die katholischen Arbeiter, die Mitglieder dieser Gewerkschaften sind, zugleich auch
den katholischen Arbeitervereinigungen angehören, die „Arbeitervereine" heißen. Sollten sie aus
diesem Grunde ein Opfer zumal an Geld erleiden müssen, so sind Wir gewiss, dass sie es bei
ihrem Eifer für die Unversehrtheit ihres Glaubens gerne bringen werden. Denn glücklicherweise
können diese katholischen Vereine mit Unterstützung des Klerus, dessen Führung und Schutz
sie genießen, zum Schutz des Glaubens und der Sittenreinheit bei ihren Mitgliedern sehr viel tun,
ebenso auch zur Belebung des religiösen Geistes durch die Veranstaltung mannigfacher
Übungen der Frömmigkeit. Die Leiter dieser Vereinigungen, vertraut mit den Anforderungen der
Zeit, werden ohne Zweifel daher die Arbeiter besonders in Hinsicht auf die Pflichten der
Gerechtigkeit und Liebe über jene Gebote und Vorschriften belehren, deren sichere Kenntnis für
sie nötig und nützlich ist, damit sie an den Gewerkschaften in rechter Weise und im Einklang mit
den Grundsätzen des katholischen Glaubens teilnehmen können.
Bedingungen, die durch die gemischten Gewerkschaften zu erfüllen sind
7 Außerdem müssen diese Gewerkschaften - sollen sie so beschaffen sein, dass Katholiken bei
ihnen Mitglieder sein können - sich von allem enthalten, was theoretisch oder praktisch mit den
Lehren und Geboten der Kirche oder der jeweiligen kirchlichen Obrigkeit nicht übereinstimmt.,
Die Bischöfe müssen es daher für ihre heilige Pflicht ansehen, eifrig über die Haltung dieser
Vereinigungen zu wachen und zu verhüten, dass Katholiken durch ihre Mitgliedschaft bei ihnen
Schaden leiden. Die katholischen Gewerkschaftsmitglieder selbst aber dürfen es niemals
zulassen, dass die Gewerkschaften, sofern sie als solche tätig werden, in Wahrnehmung der
irdischen Interessen ihrer Mitglieder Grundsätze vertreten oder Schritte unternehmen, welche
irgendwie den vom obersten Lehramt der Kirche überlieferten Geboten, insbesondere den von
Uns oben berührten zuwider sind. So oft daher Fragen aufgeworfen werden, welche die
Sittenlehre berühren, d. h. Fragen im Gebiet der christlichen Gerechtigkeit und Nächstenliebe,
werden die Bischöfe auf das sorgfältigste wachen, dass die Gläubigen nicht die katholische
Sittenlehre außer acht lassen oder von ihr um Haaresbreite abweichen.
Ermahnung zur Beendigung der Diskussionen zwischen den Katholiken
8 Wir sind fest überzeugt, Ehrwürdige Brüder, dass Ihr für die gewissenhafte und genaue
Befolgung der von Uns hier erlassenen Vorschriften Sorge tragen und Uns in dieser
hochbedeutsamen Sache sorgfältig und oft Bericht erstatten werdet. Da Wir nun einmal diese
Angelegenheit an Uns gezogen haben und das Urteil nach Anhörung der Bischöfe Uns zustehen
muss, so geben Wir nun die alle Katholiken, welche als gutgesinnt gelten wollen, verpflichtende
Weisung, dass sie sich nunmehr jeder Diskussion über diese Angelegenheit in ihren Kreisen
enthalten. Wir dürfen Uns der Hoffnung hingeben, dass sie in brüderlicher Liebe und voll
Gehorsam gegen Uns und ihre Oberhirten Unsere Anordnungen ganz und willig ausführen. Sollte
sich unter ihnen eine Diskussionsfrage einstellen" so liegt der Weg, sie zu lösen, offen: sie mögen
sich um Rat an die Bischöfe wenden, diese werden die Sache dem Heiligen Stuhl vortragen, von
wo die Entscheidung ergehen wird. Noch ein Punkt ist zu erwähnen. Aus dem oben Gesagten
ergibt er sich unschwer. Jene, welche standhaft die Lehren und Rechte der Kirche verteidigen,
andererseits aus guter Absicht Mitglieder der gemischten Gewerkschaften sein wollen und es
auch sind, wo die kirchliche Behörde nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse solche
Gewerkschaften mit gewissen Vorsichtsmaßregeln zugelassen hat, dürfen nicht angeklagt
werden, als sei ihr Glaube verdächtig, noch dürfen sie unter diesem Vorwand bekämpft werden.
Andererseits aber würde der Versuch, ebenfalls sehr zu missbilligen sein, die rein katholischen
Vereine feindselig zu verfolgen - während diese vielmehr mit aller Kraft zu stützen und zu fördern
sind - und die sogenannten interkonfessionellen einzuführen und gleichsam aufzudrängen, und
zwar unter dem Vorwand, alle katholischen Vereinigungen der einzelnen Diözesen nach einer
und derselben Form einzurichten.
Schluss
9 Indem Wir für das katholische Deutschland den Wunsch hegen, es möge im religiösen und
bürgerlichen Leben große Fortschritte machen, rufen Wir um einen glücklichen Erfolg die
besondere Hilfe des allmächtigen Gottes und den Schutz der jungfräulichen Gottesmutter, die die
Königin des Friedens ist, für das geliebte Volk an und erteilen als Unterpfand der göttlichen
Gnade und zugleich als Zeichen Unseres Wohlwollens, Dir, geliebter Sohn, und Euch,
Ehrwürdige Brüder, Eurem Klerus und Volk in aller Liebe den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 24. September 1912,
im zehnten Jahr Unseres Pontifikats.
Pius X. Papst
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