MARIENVEREHRUNG IM ISLAM Von Joseph Schumacher (Vortrag, gehalten in der CV-Verbindung Hercynia in Freiburg am 27. Juni 2013) Es gibt keine geschichtliche Persönlichkeit, über die, wenn wir einmal von der Person Jesu von Nazareth absehen, so viele Bücher und Abhandlungen verfasst worden sind, wie über Maria von Nazareth. In Mexiko haben die Marianisten eine Bibliothek über marianische Literatur aufgebaut, sie kommen dabei bis auf an die 40 000 Bände. Der Orden der Marianisten wurde Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet. Er hat heute etwa 1 500 Mitglieder, die in 34 Ländern wirken. Der Islam ist im Aufwind. Die viel beklagte Säkularisierung in der modernen Welt gilt einstweilen jedenfalls - nicht für den Islam und auch nicht für die anderen Weltreligionen. Der Islam repräsentiert sich heute selbstbewusst und entfaltet eine rege Missionstätigkeit. Bemerkenswert ist sein wachsender Einfluss in den islamischen Ländern. Mindestens jeder Achte bekennt sich heute zu ihm. Bedingt durch die Migration, ist der Islam uns näher gerückt als je zuvor. Überall in unseren Städten leben und arbeiten Moslems und Christen nebeneinander und miteinander. Das ist eine ganz neue Situation. Nun erheben die Religionen stets einen Öffentlichkeitsanspruch. Das ist in ihrem Wesen begründet. Im Islam zeigt er sich in einer ganz besonderen Gestalt, sofern er nicht zwischen Religion und Politik unterscheidet. Dadurch entstehen nicht wenige Konflikte, etwa wenn es um den Religionsunterreicht geht oder um den Bau von Moscheen. Zudem wirkt sich hier der Islamismus belastend aus. Mancherorts haben sich die Konflikte in verhängnisvoller Weise zugespitzt. Das muss gesehen werden auf dem Hintergrund der Tatsache, dass die Situation der Christen in den islamischen Ländern durchweg mehr oder weniger gespannt ist, dass man in den islamischen Ländern im Allgemeinen nicht dem Öffentlichkeitsanspruch des Christentums gerecht wird und dass es in einigen islamischen Ländern gar Christenverfolgungen gibt1. 1 Vgl. Wolfgang. Polzer, Christenverfolgung in aller Welt, in: Welt am Sonntag vom 28. Dezember 1997. 2 Wie das II. Vatikanische Konzil mit Nachdruck hervorhebt, gebietet der christliche Glaube Toleranz und Dialog, das gilt natürlich auch im Blick auf den Islam. Die Voraussetzung für die Toleranz einer Religion wie auch für den Dialog mit ihr ist das Bemühen um die geistigen Inhalte der jeweiligen Religion. Man muss wissen, was man tolerieren und über was man den Dialog führen soll. Unbekanntes lässt Unsicherheit, Skepsis und Ablehnung entstehen. Daraus gehen Vorurteile hervor. Die Toleranz des Andersdenkenden und das Gespräch mit ihm setzen Wissen voraus über ihn und sein Denken und Empfinden. Toleranz meint Respekt vor dem Andersdenkenden. Dabei muss man wissen, was anders ist in diesem Denken, was indessen nicht bedeutet, dass man seine eigenen Auffassungen oder Überzeugungen in Frage stellt, eine Meinung, die nicht selten vertreten wird. Erst auf dieser Basis gibt es einen sinnvollen Dialog, der schon ein bedeutendes Ziel erreicht hat, wenn er zum religiösen Frieden und zur Zusammenarbeit in einigen Bereichen des Lebens führt2. Das II. Vatikanische Konzil findet außergewöhnlich positive Worte für die Muslime und betont, dass sie sich wie die Christen zum Glauben Abrahams bekennen, dass sie den einen Gott als den Schöpfer anerkennen und ihn anbeten und dass sie das Endgericht erwarten. So heißt es in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“. Damals wurde zum ersten Mal eine Lehräußerung über den Islam ausgesprochen durch ein höchstes kirchliches Dikasterium3. In der Erklärung „Nostra aetate“ des II. Vatikanischen Konzils heißt es dann: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie biswei- 2 Adel Theodor Khoury, Christen und Muslime, in: Johannes Dörmann, Hrsg. Weltmission in der Weltkrise, St. Augustin 1978, 51 f. 3 Lumen gentium, Nr. 16. 3 len auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten“4. Während Juden und Christen im Islam einen Sonderstatus haben, weil sie Schrift - oder Buchreligionen oder auch „himmlische Religionen“ sind, wie es im Koran heißt5 - Mohammed lehrte, Juden und Christen seien bereits im Besitz des Korans, wenn auch eines mehr oder weniger deformierten -, wird im Koran gegen die Anhänger der übrigen Religionen zum Kampf aufgerufen. So sagt etwa die Sure 9 des Korans in Vers 29: „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören … (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand (das heißt jeder für seine Person oder freiwillig) Tribut entrichten!“6. De facto sind mit dieser Kampfansage allerdings auch die Juden und die Christen angesprochen. Sie glauben zwar an Gott und an den Jüngsten Tag, aber sie verbieten nicht, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und gehören auch nicht der wahren Religion an. Das wird unterstrichen, wenn es vorwurfsvoll in den folgenden Versen der gleichen Sure in Vers 30 und 31 heißt: „Die Juden sagen: ‚Esra ist der Sohn Gottes’, und die Christen sagen ‚Christus ist der Sohn Gottes’. So etwas wagen sie offen auszusprechen. Sie tun es (mit dieser ihrer Aussage) denen gleich, die früher ungläubig waren. Die gottverfluchten (Leute)! Wie können sie nur so verschroben sein! Sie haben sich ihre Gelehrten und Mönche sowie Christus, den Sohn der Maria, an Gottes statt zu Herren genommen. Dabei ist (ihnen) doch nichts anderes befohlen worden, als einem einzigen Gott zu dienen, außer dem es keinen Gott gibt“7. Weiter heißt es dann: „Ungläubig sind diejenigen, die sagen: ‚Gott ist Christus, der Sohn der Maria’ ..., wer (dem einen) Gott (andere) Götter beigesellt, dem hat Gott (von vornherein) den Eingang in das Paradies versagt. Das Höllenfeuer wird ihn (dereinst) aufnehmen ... Ungläubig 4 Nostra aetate, Nr. 3. 5 Sure 2, 62. 6 Sure 9, 29. 7 Sure 9, 30 - 31. 4 sind diejenigen, die sagen: ‚Gott ist einer von dreien’. Es gibt keinen Gott außer einem einzigen Gott ... . Christus, der Sohn der Maria, ist nur ein Gesandter. Vor ihm hat es schon (verschiedene andere) Gesandte gegeben“8. In solchen Versen wird die Sympathie für Juden und Christen gleichsam wider zurückgenommen. Die Absolutheit des Islams steht für die Muslime außer Frage. Dabei sind sie der Meinung, dass alle wahren Propheten die gleiche Botschaft verkündet haben, eben die Botschaft des Korans9, dass diese jedoch immer wieder von den Menschen, von den Zeitgenossen der Propheten und von deren Nachkommen, verfälscht worden ist und dass Gott deshalb immer wieder neue Propheten gesandt hat. Auch die Lehre Jesu ist ihrer Meinung nach verfälscht worden. Deshalb habe Gott nach Jesus noch einmal einen Propheten gesandt, nämlich Mohammed, damit er der Welt die endgültige, nicht mehr zu verfälschende Offenbarung Gottes überbringe. Der Islam versteht sich von daher als absolut neuen Anfang, den Gott mit der Menschheit gemacht hat10. Gerade die Nichtanerkennung des islamischen Anspruchs, die Offenbarung Gottes zu vollenden, durch das Judentum und durch das Christentum belastet das Verhältnis zwischen diesen Religionen und dem Islam aufs Äußerste. Es kommt hinzu: Während die Muslime das Alte und das Neue Testament immer als Offenbarung Gottes verstanden haben, haben Juden und Christen den Koran zu keiner Zeit als Offenbarung verstanden. Zudem haben sie auch Mohammed niemals als einen Propheten angesehen. Darin sehen die Moslems einen Ausdruck der Manipulierung des Alten und des Neuen Testamentes, wie sie von Anfang an in den Augen der Muslime für das Judentum und für das Christentum bestimmend war11. Zur Rechtfertigung ihres Anspruchs, auch der Koran sei göttliche Offenbarung 8 Sure 5, 72 - 75. 9 Sure 5, 75. 10 Michael Fitzgerald, Der Koran und die islamische Theologie, in: Ders. u. a., Moslems und Christen - Partner? Graz 1967, 43 ff; Louis Gardet, Islam, Köln 1968, 39 ff; Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen (Kirche und Religionen - Begegnung und Dialog, 1), St. Ottilien 1981, 60 f. 73 f. 11 Louis Gardet, Islam, Köln 1968, 336 f; Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 1981,.61 f. 5 und er sei gar ihre Vollendung, betonen die Moslems mit Nachdruck, wiederholt werde Mohammed im Alten wie auch im Neuen Testament erwähnt und gar vorherverkündigt12. Die Überzeugung Mohammeds, der letzte Prophet Gottes zu sein und die endgültige und unüberholbare Offenbarung Gottes zu bringen, ist indessen unangefochten im Islam. Sie ist im Islam nicht nur religiös relevant, sondern auch politisch. Man betont dabei, dass der Anspruch Mohammeds, die endgültige und unüberholbare Offenbarung Gottes zu bringen, auch durch die Wirklichkeit nicht widerlegt worden ist, sofern nach Mohammed de facto keine neue Weltreligion mehr entstanden ist. In diesem Zusammenhang weist man auch darauf hin, dass der Islam zwar „ganze Völker für sich (hat) gewinnen können, die früher christlich oder manichäisch, buddhistisch oder hinduistisch ... waren“, dass aber kein „Volk, das den Islam einmal angenommen hat, … ihm ... wieder untreu geworden“ ist, dass nur „da und dort … sich einzelne Volksteile … unter starkem Druck von ihm ab- und … dem Christentum zugewandt (haben), so unter den Tartaren in Russland und unter den Andalusiern nach der spanischen Rückeroberung“. In der Tat hat der Islam „bisher keine ins Gewicht fallende Verluste an eine andere Religion gehabt, hat (er) nie den Abfall eines ihm gehörenden Volkes zu einer anderen Religion“13 erlebt. Wohl aber hat er sich ganze Völker einverleibt, die einstmals christlich waren. Und zu keiner Zeit sind größere Massen vom Islam zum Christentum übergetreten, wenn man einmal von den Mauren in Spanien absieht. Zudem ist in der organisierten Mission des Islams - für die Moslems ist das eine dem Christentum entnommene Idee - die Zahl der Einzelkonversionen zum Islam unvergleichlich höher als jene zum Christentum14. Hier wirkt sich nicht zuletzt das einfache GlauSo etwa: Dt 18, 15: „Einen Propheten wie mich wird der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte heraus, aus deinen Stammesbrüdern erwecken, auf ihn sollt ihr hören“; 18, 18 f: „Einen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Stammesbrüder erstehen lassen, meine Worte will ich in seinen Mund legen …“; Joh 15, 26: „Wenn der Helfer kommt, den ich vom Vater her euch senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird er von mir Zeugnis geben“; Joh 16, 7: „ …es ist gut für euch, dass ich fortgehe, denn wenn ich nicht ginge, würde der Helfer nicht zu euch kommen, wenn ich aber gehe, werde ich ihn euch senden“. 12 13 Bertold Spuler, Der Islam, in: Gerhard Günther, Hrsg., Die großen Religionen, Göttingen 1961, 82. 14 Ebd., 88. 6 bensbekenntnis aus sowie die nicht weniger einfache, leicht überschaubare Moral des Islams15. Heute scheint die Zahl der Einzelkonversionen vom Islam zum Christentum in den westlichen Ländern jedoch sehr viel größer zu sein als die Zahl der Konversionen vom Christentum zum Islam. Das Toleranzverständnis des Islam ist von besonderer Art. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass für den Moslem Religion und Politik eine Einheit bilden. Noch zu Lebzeiten des Stifters dieser Religion konnte sie die Theokratie als ihr ideales Leitbild verwirklichen. Der Prophet war gleichzeitig ein Feldherr. Demgemäß unterscheidet der Moslem nicht zwischen religiös und profan, ist für ihn im Grunde nur der islamisch geprägte und geführte Staat legal, kann es für ihn eigentlich einen religiös neutralen Staat nicht geben16. Zu Anfang der neunziger Jahre nahm ich an einem Kongress von Religionsgeschichtlern teil. „Maria als Brücke zwischen Juden, Christen und Moslems“. Das war damals das Thema. Es waren evangelische und katholische und islamische Theologen zugegen. Weil jüdische Theologen auf dem Kongress nicht vertreten waren, hatte ich ein Referat über Maria im Judentum übernommen. Die anwesenden Muslime waren auf dem Kongress sehr aufgeschlossen, tolerant und dialogfreudig. Es wurde damals auch ein gemeinsamer Gebetsgottesdienst gefeiert. Unteren anderen war auf dem Kongress auch eine Vertreterin des Islams zugegen, die vom Katholizismus zum Islam übergetreten war, eine Rheinländerin, die vor allem bei den Gesängen der Koranverse hervortrat. Nachdrücklich betonten die Moslems auf dem besagten Kongress, mit Berufung auf den Koran, die Notwendigkeit des wohlwollenden Gesprächs im interreligiösen Dialog, verbunden mit dem Zeugnis für den eigenen Glauben. Sie beriefen sich dabei auf die Sure 2 des Korans, in der es heißt: „Jeder hat eine Richtung, auf die er eingestellt ist. Wetteifert nun nach den gu15 Ebd., 89; vgl auch Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 275 f. 16 Bertold Spuler, Der Islam, in: Gerhard Günther, Hrsg., Die großen Religionen, Göttingen 1961, 90. 7 ten Dingen!“17 In dieser Haltung sahen sie die bessere Werbung für ihre religiösen Überzeugungen als in der Polemik. Eine wachsende Zahl von islamischen Theologen befürwortet heute den Dialog mit den Christen18, die Theologen, die ihn nicht befürworten, halten ihn zumindest für zulässig. Jene, die den Dialog befürworten, vertreten nicht selten die die Meinung, der Absolutheitsanspruch des Islams erfordere den Dialog geradezu, und zwar deshalb, weil das Christentum mit seinen heiligen Büchern einen Teil ihres eigenen Absolutheitsanspruchs darstelle, sofern darin die göttliche Wahrheit enthalten sei, wenn auch in einer noch wenig entwickelten Form. Im Verständnis des Islams erhält das Evangelium ja seine richtige Deutung erst im Lichte des Korans. Die islamischen Theologen rechtfertigen den Dialog mit den Christen auch gern damit, dass unsere Welt immer enger zusammenrückt und dass daher alle Religionen und alle religiösen Menschen zusammenhalten müssen und aufgerufen sind, eine humanere Welt zu bauen. Den Absolutheitsanspruch des Islams darf man als solchen nicht verdächtigen. Auch das Christentum vertritt einen Absolutheitsanspruch. Im Grunde vertreten ihn alle Religionen, die sich selber treu bleiben. Im Absolutheitsanspruch der Religionen begegnet uns der Absolutheitsanspruch der Wahrheit als solcher. Immer ist die Wahrheit absolut, und zwar notwendigerweise. Das wird jeder einsehen, der das Widerspruchsprinzip nicht in Frage stellt. Im Übrigen ist die kategorische Ablehnung eines jeden Absolutheitsanspruchs nicht weniger absolut als die Erhebung dieses Anspruchs. Daher ist es unangemessen zu behaupten, der Absolutheitsanspruch sei als solcher naiv oder 17 18 Sure 2, 148; vgl. Sure 3, 64 und Sure 5, 48. Heinz.-Jürgen.Loth, Michael Mildenberger, Udo Tworuschka, Hrsg., Christentum im Spiegel der Weltreligionen. Kritische Texte und Kommentare, Stuttgart 31986, 68 ff. 8 töricht oder lieblos oder überheblich oder unduldsam, wie es in neuerer Zeit immer wieder geschieht. Die Offenheit und der Pluralismus, die man da an die Stelle des Absolutheitsanspruchs setzen möchte19, laufen auf einen verschwommenen Relativismus hinaus, der sich allerdings heute großer Plausibilität und Beliebtheit erfreut. Papst Benedikt XVI erklärt am 7. Dezember 2012 in einer Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission: Wenn die Möglichkeit abgelehnt wird, sich auf eine objektive Wahrheit zu beziehen, „wird der Dialog unmöglich und die erklärte oder verborgene Gewalt zur Regel der menschlichen Beziehungen“20. Falsch und inakzeptabel wird der Absolutheitsanspruch der Religionen allerdings, wenn er zur Schwertmission greift, wenn er militant wird - wir müssen hier freilich unterscheiden zwischen der faktischen Militanz und der prinzipiellen -, falsch und inakzeptabel wird der Absolutheitsanspruch, wenn er die Augen verschließt vor den Wahrheitselementen, die sich immer mit dem Irrtum verbinden, und wenn er die subjektive Überzeugung des Andersgläubigen nicht respektiert. Das aber ist eine wesentliche Forderung des Christentums. Der authentische christliche Absolutheitsanspruch wird im Tiefsten verfälscht, wenn er sich nicht mit der Toleranz verbindet, wenn er vergisst, dass die Freiheit der Zustimmung zur Wahrheit des Christentums ein wesentliches Element des christlichen Glaubens ist. Recht verstanden bezieht sich die Toleranz freilich auf den irrenden Menschen, nicht auf seinen Irrtum. Darauf hat schon der Kirchenvater Augustinus (+ 430) mit Nachdruck hingewiesen. Ich betonte bereits, dass ein Großteil der islamischen Theologen heute den Dialog mit dem Christentum möchte, und im Allgemeinen bejaht er auch die Toleranz in dem geschilderten 19 Ignatius Puthiadam, Christlicher Glaube und christliches Leben in einer Welt religiöser Pluralität, in: Conc. 16, 1980, 367-378; Walbert Bühlmann, Wer Augen hat zu sehen...Was Gott heute mit den Christen vorhat, Graz 1989, 138 ff. Erinnert sei hier auch an die sog. pluralistische Religionstheologie (Perry Schmidt-Leukel, Das pluralistische Modell in der Theologie der Religionen. Ein Literaturbericht, in: Theologische Revue 1993, 89, 353-370). 20 Internet: Kath.net v. 7. 12. 2012. 9 Sinn. Faktisch ist ein Großteil der islamischen Theologen heute der Meinung, dass man sich nicht isolieren und in seinen Positionen verhärten darf und dass der Dialog mit den anderen Religionen, vor allem mit dem Christentum, letztlich eine Frage des Überlebens auch für den Islam ist.21. Zuweilen ist man hinsichtlich des interreligiösen Dialogs im Islam freilich zögernd, weil man der Meinung ist, momentan sei der richtige Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen, weshalb man sich einstweilen auf die praktische Zusammenarbeit beschränken möchte. Man weist dann auch gern darauf hin, dass die islamischen Gesprächspartner noch nicht genügend vorbereitet seien für einen Dialog mit den Christen, weil die islamischen Völker intellektuell unterentwickelt, weil sie im Mittelalter steckengeblieben seien und noch nicht genügend die Entwicklung des modernen Denkens wahrgenommen hätten. Zudem ist es nicht zu bestreiten, dass die Moslems den zahlreichen christlichen fachkundigen Islamologen keine kompetenten Kenner des Christentums entgegenzusetzen haben. Es gibt allerdings auch islamische Theologen, eher einzelne, die einen Dialog grundsätzlich ablehnen, zum einen, weil sie meinen, der Dialog sei eine Gefahr für die Moslems und für ihre Überzeugung - durch den Dialog könnten sie ihre Identität verlieren -, zum anderen, weil sie davon ausgehen, dass der Islam die endgültige und vollkommene Form der Religion ist. Oder sie sagen einfach, das religiöse Gespräch habe, wie die Vergangenheit beweise, nichts gebracht und es gebe heute andere Probleme, die Probleme des praktischen Lebens, diese aber hätten den Vorrang22. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Verhältnis des Islams zum Christentum durch mannigfache geschichtliche Auseinandersetzungen und viele ungute Begegnungen belastet ist, obgleich es auch in der Geschichte nicht wenige Beispiele positiver Zusammenarbeit zwischen 21 22 Vgl. auch: Christen und Moslems in Deutschland, Essen 1977, 68. Adel Theodore Khoury, Christen und Muslime, in: Johannes Dörmann, Hrsg. Weltmission in der Weltkrise, St. Augustin 1978, 52 - 58. 10 Moslems und Christen gibt. Belastend ist hier schließlich auch, dass die Religion des Islams als solche in Manchem fragwürdig ist, das heißt: gravierende Mängel aufweist, formal wie auch inhaltlich23. Das gilt nicht nur für die Religion, das gilt auch für die Persönlichkeit des Stifters dieser Religion24. Nicht zuletzt ist der Dialog des Christentums mit dem Islam auch dadurch belastet, dass das Christentum sich heute innerlich aufreibt in tausend Querelen und dass ihm die Gläubigen weithin davonlaufen, bei den Protestanten mehr noch als bei den Katholiken. Das rechtfertigt allerdings nicht, dass man sich dem Dialog entzieht. Man muss jedoch die Lage nüchtern sehen. In der Biographie Mohammeds finden sich nicht wenige Nachbildungen aus dem Leben Jesu in legendärer Ausschmückung. Durch sie soll Mohammed als der Größere und Bedeutendere ausgewiesen werden. Das beginnt bereits bei der Empfängnis des Propheten durch seine Mutter Amina, wenn schon bei seiner Zeugung allerlei Wunderzeichen geschehen, die das kosmische Ereignis seiner Geburt ankündigen. Wie Maria die Geburt Jesu durch einen Engel verheißen wird, so hat auch Amina eine Erscheinung, die ihr die Geburt des Propheten in Aussicht stellt. Engel verkünden seine Geburt, der Erzengel Gabriel kommt mit der Freudenbotschaft, Vögel aus dem Garten Eden lassen in Aminas Wohnung Perlen aus ihren Schnäbeln fallen, und Amina selbst sieht nach der Geburt des Propheten ein Licht, von dem die Schlösser Basras erglänzen. Das Kind aber wird, wie Amina berichtet, von Engeln über die ganze Erde geführt, damit diese ihn als Herrn erkennt25. Der Koran spricht vom Besuch des Geistes Gottes bei Maria „unter der Gestalt eines würdigen Mannes“, womit der Erzengel Gabriel gemeint sein dürfte. Verkündigung und Empfängnis fallen hier zusammen, nicht anders als im Lukas-Evangelium (Lk 1, 26 - 28). Islamische Theologen sagen, Jesus sei neben Adam der einzige Mensch, der keinen Vater hatte26. 23 Verbindung von Religion und Politik, der heilige Krieg, Polygamie, Stellung der Frau, grausame Rechtsmittel, die sinnenhafte Darstellung des Jenseits. 24 Sinnlichkeit, religiöse Unwissenheit, Gewaltanwendung, Rachsucht. 25 Sure 19; vgl. Gustav Mensching, Leben und Legende der Religionsstifter, Darmstadt o. J., 136 ff. 142 ff. 26 Sure 3, 59; vgl. Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 1981, 57 f. 11 Die Konkurrenz „Jesus und Mohammed“ wird immer wieder im Koran und bei den islamischen Theologen thematisiert, das gilt nicht weniger für die Trinitätslehre des Christentums, gegen die schon der Koran schärfstens polemisiert, sofern sie als Negierung des strengen Monotheismus des Islams verstanden wird27. In der Frontstellung gegen die christliche Trinitätslehre wird Jesus immer wieder zum Gesandten oder Propheten oder Diener Allahs herabgestuft. Der Koran legt Jesus folgende Worte in den Mund: „Siehe, ich bin Allahs Diener. Gegeben hat er mir das Buch (den himmlischen Koran), und er machte mich zum Propheten. Und er machte mich gesegnet, wo immer ich bin, und befahl mir Gebet und Almosen, solange ich lebe, und Liebe zu meiner Mutter, und nicht machte er mich hoffärtig und unselig“28. Der Prophet von Nazareth ist für Mohammed nicht der Erlöser, denn für ihn bedurfte es keiner Erlösung, weil es seiner Meinung nach keine Erbsünde gibt29. Wie der Koran lehrt, ist Jesus ist auch nicht am Kreuz gestorben. Er hat vielmehr einen Doppelgänger gehabt, der an seiner Stelle den Kreuzestod gestorben ist30. Dass ein Prophet im Tod siegt, dass er zum leidenden Gottesknecht wird, dieser Gedanke war für Mohammed unvollziehbar. Darum ist Jesus auch, wie der Koran lehrt, nicht von den Toten auferstanden, wohl aber ist er von Gott 27 Vgl. Suren 4, 48; 72, 3; 6, 101; 2, 117; 19, 35; 4, 172; 5, 73; 6, 101; 72, 3. 28 Sure 19, 30 ff. Der Zusammenhang ist hier folgender: Maria hat Jesus unter einer Palme geboren und bringt ihn ins Dorf, wo ihr der Argwohn entgegenschlägt, ein uneheliches Kind zur Welt gebracht zu haben. Maria braucht sich nicht zu verteidigen, denn das neugeborene Kind ergreift das Wort und stellt fest, als Diener Allahs sei es gesegnet. Allah habe ihm „das Buch“ gegeben. Es werde nun das rituelle Gebet verrichten, die Armensteuer bezahlen und sich so als wahrer Moslem bewähren (vgl. auch Gerhard Jasper, Jesus im Koran und im Neuen Testament, in: Gerhard Jasper, Muslime, unsere Nachbarn. Beiträge zum Gespräch über den Glauben, Frankfurt 21980, 31 ff). 29 Sure 7, 18 - 22; Sure 20, 122. Sure 4, 157. Da heißt es: „Sie (die Juden) sagen: Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Allahs getötet! - Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn uneins sind, sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen über ihn, gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet (das heißt: sie können nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihn getötet haben). Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Allah ist mächtig und weise“ (Sure 4, 157 f). In den Kommentaren der islamischen Theologen wird dieser Doppelgänger für gewöhnlich mit Simon von Cyrene identifiziert. Vgl. auch Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 1981, 59. 73. 30 12 in den Himmel erhoben worden31. Wie der Koran lehrt, hat Jesus Blindgeborene und Aussätzige geheilt32, Tote auferweckt33 und auf die Bitte der Apostel einen Tisch mit Speisen vom Himmel herabsteigen lassen34. Er war ganz und gar vom Geist Gottes erfüllt, hat aber gerade deshalb wie viele Propheten vor ihm nicht wenig Ablehnung erfahren35. Vor der allgemeinen Auferstehung der Toten am Ende der Zeit wird der in den Himmel entrückte Jesus gemäß der Lehre des Islams auf die Erde zurückkommen. In Damaskus wird er erscheinen, den Antichrist vernichten und mit seinen Getreuen nach Jerusalem ziehen. Er, der wie alle wahren Propheten ein Moslem gewesen ist36, wird sodann die Synagogen und christlichen Kirchen zerstören und alle Ungläubigen, wozu in diesem Fall auch die Juden und die Christen gerechnet werden, töten oder sie der einzig wahren Religion, dem Islam, zuführen. Dann wird er noch vierzig Jahre auf der Erde leben, um schließlich eines natürlichen Todes zu sterben und in Medina neben Mohammed begraben zu werden. Bei der sodann erfolgenden allgemeinen Auferstehung der Toten wird er nicht als Richter erscheinen, vielmehr wird er beim Gericht als Assistent fungieren und Zeugnis ablegen gegen all jene Christen, die ein falsches Christentum gelebt und nicht daran geglaubt haben, dass das wahre Christentum im Koran gegeben ist37. 31 Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 274 f. 32 Sure 5, 110. 33 Sure 5, 110; Sure 3,43. 34 Sure 5, 111-114. 35 Sure 2, 87. Vgl. Fritz Köster, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 1981, 59 f. 36 Sure 5, 75 Michel Hayek, Le Christ et l Islam, Paris 1959, 265 ff; Henri Michaud, Jesus selon le Coran, Neuchâtel 1960, 60 ff; Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 37 13 Im Vergleich mit den alttestamentlichen Propheten und mit Johannes, dem Täufer, wird dem Propheten von Nazareth im Koran eine außergewöhnliche Stellung zuerkannt. Und in der Tat sprechen der Koran und die islamische Überlieferung mit großer Ehrerbietung über ihn und stellen ihn über alle Propheten38. Mehr noch als im offiziellen Islam tritt er indessen in der Volksfrömmigkeit hervor, hier vor allem auch praktisch, wenn er da verehrt wird als der vollkommene Wandermönch, der radikal der Welt entsagt hat, und als Vorbild der Frömmig-keit, der Erfüllung des göttlichen Willens und der Selbstkasteiung. Es ist bemerkenswert, dass sich in der unmittelbaren Gegenwart nicht wenige islamische Theologen mit besonderem Interesse der Person Jesu zuwenden, nicht nur theoretisch, auch praktisch39. Wiederholt berichtet der Koran detailliert auch über die Mutter Jesu, aber in phantastischer Ausgestaltung und ganz im Geist der apokryphen Evangelien40. Das gilt allgemein: Die biblischen Überlieferungen sind im Koran durchweg entstellt. Bis heute weiß man nicht, woher Mohammed sie und, allgemeiner gesprochen, die Kenntnisse über das Judentum und das Christentum bekommen hat. Die größere Wahrscheinlichkeit ist die, dass er dieses Wissen der Volksfrömmigkeit verdankt, einer nicht authentischen Volksfrömmigkeit. Immer wieder begegnen uns im Koran in der Darstellung der biblischen Überlieferungen gravierende Entstellungen, etwa in der Geschichte Abrahams, Davids und Salomons oder in der Geschichte des Johannes des Täufers und in beinahe allen weiteren Geschichten des Alten und des Neuen Testamentes41. Mohammed hat hier offenbar aus trüben Quellen geschöpft. Dafür spricht auch 1981, 59. 73. 38 Heinrich Fries, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen (Kirche und Religionen - Begegnung und Dialog, 1), St. Ottilien 1981, 13; Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 503; Heinz-Jürgen Loth, Michael Mildenberger, Udo Tworuschka, Christentum im Spiegel der Weltreligionen, Stuttgart 31986, 68 f. 39 Ebd., 70 ff. 40 Adel Theodore Khoury, Hrsg., Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum-Christentum-Islam, Graz 1987, 668. 41 Vgl. Sure 37; 12; 18; 32, 20 ff; 27, 15 ff; 38, 36 ff; 19, 1 ff. Vgl. auch Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 502. 14 seine Auffassung, die Christen verehrten Maria als Göttin und sie sei für die Christen die dritte Person in der Trinität. Gegen diese Auffassung wendet sich der Koran mit besonderem Nachdruck. Möglicherweise ist der Prophet hier christlichen Sekten mit übertriebener Marienverehrung begegnet. Dass es solche gegeben hat in der Zeit Mohammeds bzw. in der Zeit der Entstehung des Korans, dafür haben wir eine Reihe von Belegen aus alter Zeit42. Angesichts des strengen Monotheismus ruft bereits die Trinitätslehre des Christentums den besonderen Widerspruch Mohammeds und des Islams hervor, umso mehr die angebliche Vergötterung Mariens43. Im Unterschied zu einer solchermaßen negativen Wertung der Mariengestalt gibt es im Islam jedoch auch eine intensive religiöse Verehrung der Mutter Jesu. Es gibt in ihm die Anrufung Mariens und das Vertrauen zu ihr und gar den Glauben an Marienerscheinungen, wie sie das gesunde katholische Leben prägen, und zwar mit einer gewissen Legitimität, speziell in Ägypten. Das erklärt sich zum einen durch den Einfluss des Christentums, zum anderen als Frucht natürlicher religiöser Vorstellungen und einer gemeinreligiösen Sehnsucht. Offiziell spricht man hier allerdings von Aberglauben44. Maria, die Mutter Jesu, wird im Islam kultisch verehrt und um ihre Fürsprache angerufen. Dieser Kult steht ganz im Kontext der außergewöhnlichen Wertung der Jesusgestalt und vor allem der Heiligenverehrung, die als solche dem Islam durchaus nicht fremd ist, wenngleich es in ihm keine Kultbilder und keine Sakramente gibt. Mohammed selber wurde, obwohl er gegen die Heiligenverehrung war, schon bald nach seinem Tod als Heiliger verehrt, als Vorbild und Fürsprecher. Ebenso wurden schon bald bedeutende Vertreter seiner Familie als Heilige verehrt, so Ali, Fatima, Hasan und Husain, desgleichen die ersten drei Kalifen, Abu Bekr, Omar und Osman. Im Sufismus entwickelte sich sodann aus der Verehrung frommer 42 Adel Theodor Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, Wiebaden 2007, 668. 43 Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 502. 44 Ebd. 15 Männer oder auch frommer Frauen, die heiligmäßig gelebt hatten, vor allem aus der Verehrung der zahlreichen Ordensstifter und Leiter der Orden, der Ordensmeister, ein besonders lebendiger Heiligenkult, speziell in den unteren Volksschichten. Dabei setzte man nicht zuletzt auch auf das mittlerische Wirken der Heiligen, ungeachtet der Tatsache, dass dieses und die Heiligenverehrung allgemein vielfach von den islamischen Theologen als unislamisch verworfen wurden45. Besonders stark ist die Gegnerschaft gegen die Heiligenverehrung noch heute bei den Wahhabiten in Arabien, der eigentlichen Heimat des Islams, die die Religion Mohammeds in ihrer ursprünglichen Reinheit und Unverfälschtheit wiederherstellen wollen, ohne dass ihnen dabei jedoch nachhaltiger Erfolg beschieden ist46. Wir finden die Heiligenverehrung heute eigentlich in der ganzen muslimischen Welt, auch im Ursprungsland des Islams47. Das gab es ursprünglich nicht im Islam. In der Sure 18 des Korans wird die Heiligenverehrung dezidiert als Vielgötterei verworfen48. Und Mohammed hatte sich, wie gesagt, ausdrücklich gegen sie gewandt49. Dennoch entfaltete sie sich schon bald nach dessen Tod, und schon sehr bald fand sie auch eine gewisse Billigung der Lehrer des Islams. Heute wird sie 45 Hans Waldenfels, Hrsg., Lexikon der Religionen, Phänomene-Geschichte-Ideen (Herder/Spektrum, 4090), Freiburg 1987, 279; Bertold.Spuler, Der Islam, in: Gerhard Günther, Hrsg., Die großen Religionen, Göttingen 1961, 87 f. 46 Franz Babinger, Der Islam, in: Carl Clemen, Hrsg., Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte, München o. J., 505 f. 47 Gottfried Simon, Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit, Gütersloh o. J., 263. 48 Sure 18, 102. Vgl. auch Anton Schall, Art. Islam I, in: Theologische Realenzyklopädie XV, Berlin 1987, 329. 49 Gottfried Simon, Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit, Gütersloh o. J., 257. Engelverehrung gab es für den Propheten, aber keine Heiligenverehrung (Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 266). 16 von allen vier Schulrichtungen anerkannt50. Sie finden dafür gar eine Begründung im Koran, wenn sie auf die 10. Sure verweisen, in der es heißt: „Fürwahr, Allahs Heilige befällt weder Furcht noch Trauer“51. In der Heiligenverehrung und in der Marienverehrung zeigt sich, dass der Islam anpassungsfähig ist. Diese seine Anpassungsfähigkeit bedingt die Tatsache, dass sich diese Religion auch sonst, in den verschiedenen Ländern und bei den verschiedenen Völkern, immer wieder umgebildet hat52. Um das Thema Heiligenverehrung und Marienverehrung im Islam noch ein wenig weiterzuführen: Eine nicht geringe Rolle spielen im Islam heute auch die Heiligengeschichten. Zusammen mit der Heiligenverehrung und der Marienverehrung geben sie dem Islam Farbe und lebendige Konturen. Zudem lassen sie in der islamischen Frömmigkeit stärker das Gefühl zur Geltung kommen. Oft verbindet sich mit solcher Devotion die Verehrung heiliger Plätze und uralter Kultstätten sowie die Verehrung von Gräbern und Gedächtniskapellen frommer und heiligmäßiger Personen. Zu ihnen pilgert das gläubige Volk und vertraut sich den Heiligen an in seinen Nöten und Drangsalen, um Erbauung, Erhörung und Stärkung zu finden. Nicht zuletzt empfiehlt es dabei auch seine Verstorbenen der Fürbitte der Heiligen. In diesem Kontext hat gar auch die Reliquienverehrung einen Ort gefunden im Islam. Immer wieder wird in den islamischen Heiligengeschichten auch die Mutter Jesu erwähnt, vor allem im Kontext der islamischen Mystik. Ja, sie nimmt in ihnen geradezu einen bedeutsamen Platz ein53. Daher ist es nicht überraschend, wenn uns von Wallfahrten der Moslems zu dem 50 Franz Babinger, Der Islam, in: Carl Clemen, Hrsg., Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte, München o. J., 480 f. 51 Sure 10, 63. 52 Franz Babinger, Der Islam, in: Carl Clemen, Hrsg., Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte, München o. J., 505. 53 Remigius Bäumer, Leo Scheffczyk, Hrsg., Marienlexikon III, St. Ottilien 1991, 325. 17 angeblichen Grab Mariens in der Nähe von Ephesus berichtet wird54. In den frommen Schriften der islamischen Hagiographie wird das Leben der Heiligen romanartig ausgestaltet und mit einer Fülle von bizarren Wundern versehen. Neben der Mutter Jesu leben hier auch andere christliche Heilige fort. Dabei gibt es auch Heilige, die von Moslems und Christen gemeinsam verehrt werden, zu deren Kultstätten Christen und Moslems gemeinsam wallfahren. Bei ihnen handelt es sich um christliche Heilige, die muslimisch umgestaltet wurden, denen man gleichsam ein muslimisches Gewand angezogen hat. Man spricht in diesem Zusammenhang von utraquistischen Heiligen. Solche sind, um einige Beispiele zu nennen, der heilige Georg, der heilige Nikolaus, der Säulenheilige Simeon und die heilige Thekla55 Auch heilige Quellen gibt es in der islamischen Welt, die um ihrer angeblichen Heilwirkungen von Moslems wie auch von Christen aufgesucht werden. Zwar ist die Bedeutung der Heiligenverehrung in der Heimat Mohammeds geringer als andernorts, aber auch dort begegnet sie uns, wie bereits betont wurde. Sie wird umso üppiger, je weiter wir nach Osten kommen. Besonders auffallend ist sie in Persien56. Es ist bemerkenswert, dass Heilige, die ursprünglich nur in einem der vom Islam beherrschten Länder verehrt werden. später in der ganzen islamischen Welt verehrt werden57. 54 Ebd. 55 Franz Babinger, Der Islam, in: Carl Clemen, Hrsg., Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte, München o. J., 497; Gottfried Simon, Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit, Gütersloh o. J., 263; Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 262. 266 f; Franz König, Hrsg., Christus und die Religionen der Erde. Handbuch der Religionsgeschichte, Bd. III, Freiburg 1951, 67. 56 Franz Babinger, Der Islam, in: Carl Clemen, Hrsg., Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte, München o. J., 496 - 498. 57 Franz König, Hrsg., Christus und die Religionen der Erde. Handbuch der Religionsgeschichte, Bd. III, Freiburg 1951, 67. 18 Dabei ist die islamische Heiligenverehrung nicht immer frei von abergläubischen Elementen. Da geht es dann nicht mehr in erster Linie um die Nachahmung der Tugenden des Heiligen und um die Bitte um seine Fürsprache bei Gott, sondern um das Bemühen, an der Kraft des Heiligen teilzuhaben und im Sinne eines magischen Weltverständnisses in sein Kraftfeld einzutreten. Das ist nicht überraschend, denn ein solcher Heiligenkult begegnet uns zuweilen auch in der katholischen Volksfrömmigkeit, speziell an Wallfahrtsorten58. Als die Mutter Jesu ist Maria in der Sicht des Islams eine der vier besten Frauen, die je gelebt haben. Die anderen drei, die da genannt werden, sind die biblische Tochter Pharaos - im Koran heißt sie Asiya und wird da fälschlicherweise als Frau Pharaos bezeichnet -, Khadidja, die erste Frau Mohammeds, und Fatima, die Lieblingstochter Mohammeds, die Ehefrau Alis, des vierten Kalifen59. Dreiunddreißigmal wird Jesus im Koran der „Sohn Mariens“ genannt. Nicht zuletzt darin dürfte die besondere Bedeutung Mariens für den Islam ihren Ausdruck finden, und darin dürfte letztlich ihre Verehrung in dieser Religion ihren Grund haben60. Der Koran weiß, dass Maria die Tochter betagter Eltern gewesen ist und dass sie gemäß einem Gelübde im Tempel Gott geweiht wurde. Der Name des Vaters des Kindes ist nach Auskunft des Korans Imran, der Name seiner Mutter Hanna. Der Vater stirbt vor der Geburt des Kindes, so der Koran, und das Kind wird von seinem Onkel Zacharias in einer Nische des Tempels auf wunderbare Weise mit Essen versorgt, so oft dieser die Nische betritt. Diese Geschichte hat ihren Niederschlag darin gefunden, dass in den meisten Gebetsnischen der Mo58 Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 267. 59 Gottfried Simon, Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit, Gütersloh o. J., 131. 60 Georges C. Anawati, Die Botschaft des Koran und die biblische Offenbarung, in: Ansgar Paus, Hrsg., Jesus und die Religionen, Graz 1980, 145 f; Fritz Köster, Jesus im Islam, in: Heinrich Fried, Hrsg., Jesus in den Weltreligionen, St. Ottilien 1981, 66. 19 scheen jener Koranvers angeschrieben ist, der davon berichtet61. Nicht weniger phantastisch stellt sich im Koran die Geschichte von der Verkündigung an Maria dar, die der Erzählung von der Geburt Jesu vorausgeht: Der Erzengel Gabriel kündet Maria an einem Ort des Gebetes die wunderbare Geburt eines Sohnes an. Vor ihrer Niederkunft hält sie sich 40 Tage in einer entlegenen Höhle auf. Dann gebiert sie ihren Sohn unter einem Palmbaum. Später trägt sie ihn zu den Menschen, die sich darüber entsetzen, dass er keinen Vater hat, worauf das neugeborene Kind zu sprechen beginnt und den Tatbestand der Jungfrauengeburt erläutert, um so die Ehre der Mutter wieder herzustellen. Bereits in der Wiege kann das Kind wie ein erwachsener Mensch reden 62. Das Sprechen des Kindes ist für den Koran das erste Wunder, das Jesus gewirkt hat, aber nicht das einzige. Aufschlussreich ist, dass Maria hier mit Mirjam oder Maria, der Schwester des Mose, verwechselt wird63. Gemäß der islamischen Überlieferung dauert der Aufenthalt der heiligen Familie in Ägypten zwölf Jahre. Über diesen Lebensabschnitt Mariens berichtet der Koran allerdings nicht, wie er auch nicht über den Tod Mariens berichtet. Umso intensiver hat sich jedoch die spätere Legende mit ihm befasst. Da heißt es dann, Gott sei Maria bis zum Ende ihrer Tage mit seiner Gnade nahe gewesen und habe sie durch die Öffnung der Erde dem gewaltsamen Tod durch ihre römischen Verfolger entrissen64. Eine Reihe von christlichen Dogmen wird im Koran ausdrücklich anerkannt, unter anderen 61 Sure 3, 32. Vgl. Richard Gramlich, Die Wunder der Freunde Gottes. Theologien und Erscheinungformen des islamischen Heilungswunders, 1987, 74-77; Adel Theodor Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, Wiesbaden 2007, 668 f. 62 Sure 3, 45: Hier findet sich auch die merkwürdige Geschichte von der Formung von Vögeln, denen Jesus als Knabe das Leben eingehaucht hat (Sure 3, 48), eine Geschichte, die sich wiederholt in apokryphen Evangelien findet, im Thomas-Evangelium (Kap. 2), im arabischen Kindheitsevangelium (Kap. 36 und 46) und im armenischen Buch der Kindheit (Kap. 18). 63 Sure 19. 64 Adel Theodor. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, Wiesbaden 2007, 668 f. 20 die jungfräuliche Empfängnis Jesu und seine wunderbare Geburt65. Dieser Tatbestand hat den Kirchenvater Johannes von Damaskus (+ 754) bereits dazu veranlasst, den Islam als eine „christliche Häresie“ zu bezeichnen. Mohammed und der Islam haben allerdings aus der Jungfrauschaft Mariens und aus ihrer Bedeutung für den Islam keine Folgerungen gezogen für die Stellung des weiblichen Geschlechtes. Der Koran berichtet nicht wenig über Maria, aber ein Interesse an ihr hat der offizielle Islam nicht, umso mehr hat es die Volksfrömmigkeit im Islam, wie gezeigt wurde. Darauf bezieht sich das II. Vaticanum, wenn es in seiner Erklärung über die nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ die Verehrung Mariens im Islam eigens hervorhebt. Sie, die Muslime, ehren die „jungfräuliche Mutter“ Jesu, heißt es da, „die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen“66. Der Islam steht dem Christentum einerseits sehr nahe, andererseits wiederum sehr fern. Es gibt hier viele Gemeinsamkeiten67, dennoch widersprechen sich die Lehren des Christentums und die Aussagen des Islam, wie sie in der theologischen Tradition formuliert worden sind, in zentralen Punkten. Der Islam weist den Glauben der Christen an den dreifaltigen Gott sowie ihren Glauben an die Gottheit Christi und an die Erlösung dezidiert zurück. Das Christentum erkennt hingegen die Offenbarungsqualität und die Autorität des Korans und auch die verbindliche göttliche Sendung Mohammeds nicht an. Das erschwert den Dialog, berechtigt aber nicht dazu, ihn aufzugeben. Im Dialog ist schon viel erreicht, wenn Missverständnisse geklärt werden, wenn eine genauere Kenntnis der jeweiligen anderen Lehre erreicht wird und die Übereinstimmungen und die Grundintentionen der verschiedenen Religionen klar erkannt werden. Nicht zuletzt ist der Dialog der Religionen eine grundlegende Voraussetzung für ihre 65 66 Sure 19. Nostra aetate, Nr. 3. 67 Es ist hier zu erinnern an den Monotheismus, an die biblische Tradition, an die Anerkennung Jesu Christi als Prophet und an die Anerkennung des Evangeliums als göttliche Offenbarung und an wichtige Grundsätze der Moral.. 21 Zusammenarbeit im Dienst einer humaneren Welt68. Der Islam ist nicht eine Frohbotschaft, wie der Koran behauptet69. Gerade unter diesem Aspekt ist er äußerst fragmentarisch. Er könnte aber ein Weg zur Frohbotschaft „des Eingeborenen vom Vater“ (Joh 1, 14) werden, wenn der besondere Segen Gottes auf dem Dialog der Christen mit ihm ruhen würde70. 68 69 Adel Theodor Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, Wiesbaden 2007, XXXVI f. Sure 27, 2. Anton Anwander, Die Religionen der Menschheit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 276. 70