Singen macht und erhält gesund ! eine Betrachtung des Singens mit seinen Auswirkungen auf das körperliche, seelische und geistige Befinden des Menschen. von Dieter Konz – aktiver Sänger in zwei Männerchören. Einleitung: Liebe Leserin, lieber Leser, was bewegt einen aktiven Sänger, die Hintergründe des Singens in der Gemeinschaft zu beleuchten? Ein Grund ist sicherlich die Sorge, dass unsere Chöre immer weniger Zulauf haben, immer kleiner werden und schließlich aufgeben müssen. Hier sind gewiss in der Vergangenheit Fehler gemacht und zu spät erkannt worden. Erwähnt seien nur zwei Punkte: die Änderung der Vermittlung von Musik in den Schulen Das aktive Singen und die Freude daran sind in unseren Schulen leider (fast) vollständig verschwunden, obwohl viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Singen und das Ausüben der Musik mit Instrumenten die Konzentrationsfähigkeit fördert, im Gehirn neue neuronale Verbindungen (Synapsen) bildet und vielen gehandicapten Kindern ( z.B. ADHS) spürbar helfen kann. die Auswahl der Chorliteratur: Damit wir uns richtig verstehen: Klassische Chöre wie z.B. von Beethoven, Schubert …, Operund Operettenmelodien u.ä. müssen nach wie vor zum Repertoire eines jeden Gesangvereins gehören. Moderne Gesangsformationen haben ihre eigenen (berechtigten) Ziele. Aber die traditionellen Chöre unserer Zeit dürfen auf die moderne Literatur – auch in einer anderen Sprache – nicht verzichten. Hier müssen durch mutige Schritte auch alte Zöpfe abgeschnitten werden. Geschieht das nicht, dürfen wir uns über das Desinteresse der jüngeren Generation am aktiven Singen oder als Zuhörer nicht wundern. Außerdem haben mich die vielen positiven Auswirkungen des Chorgesangs bewogen, etwas genauer auf die Wirkzusammenhänge zu schauen. Mich haben die Einflüsse auf die körperliche, seelische und geistige Verfassung der Singenden interessiert. Letztendlich bin ich von den überwältigenden Vorteilen des Singens in einer wie auch immer gearteten Singgemeinschaft so überzeugt, dass ich sie gerne auf diesem Wege weitergeben möchte. Lesen Sie die Ausführungen bitte aufmerksam durch. Ich hoffe, Sie überzeugen zu können, damit Sie noch lange aktiver Sänger oder aktive Sängerin bleiben und versuchen, andere Menschen durch das direkte Gespräch mit ihnen für den Chorgesang zu gewinnen. Vielleicht entwickelt gerade Ihr Verein eine Strategie, Nichtsänger(innen) anzusprechen und für den Chorgesang zu begeistern. Liebe Sängerinnen und die, die es werden sollen! Ich habe Sie alle in meinen Ausführungen nicht vergessen, schreibe aber der Einfachheit halber immer nur von „den Sängern“. Sie alle sind in diese Terminologie mit eingeschlossen. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Dieter Konz im Februar 2012 Wie reagiert unser Körper auf das Singen? In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben schwedische Forscher 12000 Sänger(innen) über Jahre untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Mitglieder von Chören und Gesangsgruppen eine deutlich höhere Lebenserwartung haben als Nichtsänger. Was ist also bei Sängern anders als bei Nichtsängern? Der Wiener Musik- und Kommunikationspsychologe Thomas Biegl hat erkannt, dass 30-minütiges Singen eine vermehrte Ausschüttung der Glückshormone Dopamin und Serotonin zur Folge hat. Gleichzeitig vermindern sich Stresshormone wie z.B. Adrenalin. Außerdem stärkt Singen das Immunsystem durch den Abwehrstoff Immunglobulin A (Dr. Gunter Kreuz, Musikwissenschaftler an der Universität Frankfurt). Wie wirken die einzelnen Hormone in unserem Körper? Hatten Sie schon einmal Angst? Wurde dabei Ihr Herzschlag schneller? Das ist die Wirkung des Adrenalins. Es verengt die Blutgefäße in der Haut und in den Organen und zwingt so das Herz, die Schlagfrequenz zu erhöhen. Wir werden aggressiv oder wollen – da wir uns in einer Gefahrensituation wähnen – davonlaufen, der Gefahr entfliehen. Daher wird Adrenalin auch als „Fluchthormon“ bezeichnet. Es ist ein uralter Instinkt, der immer noch in uns wirksam ist. Wenn Singen nun den Adrenalinspiegel senkt, erfährt der Sänger die positive Wirkung durch eine wohltuende Entspannung der Gefäße und Organe. Gleichzeitig entfaltet der Glücksbotenstoff Serotonin seine heilsame Wirkung. Es unterstützt gewissermaßen das Absenken des Adrenalinspiegels und reguliert die Spannung der Blutgefäße. Dadurch erfährt der Körper das wohlige Gefühl der Gelassenheit, Ruhe und Ausgeglichenheit. (Wenn der Körper zu viel Serotonin bekommt wie z.B. durch die Droge Ecstacy, so wird er von einem äußerst überstiegenen Glücksgefühl überschwemmt.) In einem natürlichen Maß, wie es also das Singen bietet, kann unser Körper von diesem wunderbaren Hormon in wohltuender Weise profitieren. Und Dopamin? Es ist ein sogenannter Neurotransmitter, also ein Botenstoff. Er erzeugt Glücksempfindung, Begeisterung, Freude, Lust und Aufmerksamkeit. Er bewirkt eine Motivationssteigerung und erhöht die Gedächtnisleistung. Dopamin wird medizinisch und therapeutisch bei Lernschwächen und Erinnerungsstörungen eingesetzt. Somit können Sänger Besserungen in den Bereichen erhoffen, über die im Alter häufig geklagt wird: Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens und Schwierigkeiten beim Lernen. Texte und Melodien können also besser gelernt und behalten werden. Dadurch erfahren auch viele Dinge des täglichen Lebens eine deutliche Qualitätssteigerung. Bleibt noch das Immunglobulin A. Es ist ein Antikörper, also eine Abwehrbarriere gegen Krankheitserreger und zwar eine bedeutende, denn es macht bis zu 17% aller Antikörper aus. Das Immunglobulin A lässt sich in den Schleimhäuten der Nase, des Rachens und des Darmes nachweisen. So hat der Musikwissenschaftler Gunter Kreuz (und eine Reihe anderer Wissenschaftler) festgestellt, dass sich die Konzentration des Immunglobulins A durch das Singen im Speichel in bedeutender Weise erhöht. ( In der Muttermilch ist dieses Hormon überreichlich vorhanden, um das Baby vor Infektionen zu schützen.) Ganz bemerkenswert ist die Feststellung von Robert Beck (University of California), dass sich im Speichel der Sänger der Missa Solemnis von Beethoven der Spiegel des Immunglobulins A um 240% erhöht hatte! Richtige Atemtechnik fördert die Gesundheit: Wenn wir gesund sein wollen, müssen wir nicht nur regelmäßig, sondern auch richtig atmen. Der Sänger beteiligt beim Singen vier Organe: die Lunge, den Kehlkopf, die Stimmlippen und die Resonanzräume. Diese Organe können ihre Wirkung nur dann richtig entfalten, wenn der Sänger richtig atmet. Wie geht das bzw wie ist es falsch? Sagen wir gleich, wie es nicht sein darf: Es darf nicht nur in den Brustkorb geatmet werden, da diese Atmung flach ist und der untere Teil der Lunge abgeschnürt wird. Zu erkennen ist diese Falschatmung daran, dass der Sänger die Schultern hochzieht. Das Hochziehen der Schultern ist also immer das Zeichen dafür, dass der Sänger dadurch die Brust einengt und zum Singen dann zu wenig Luft zur Verfügung steht. Wir sollten uns merken, dass es eine schlechtere Atemtechnik für einen Sänger gar nicht geben kann! Wer richtig atmet, atmet in den Bauch hinein. Dabei wird das Zwerchfell nach unten gedrückt und gibt dadurch der Atemluft Raum und die Gelegenheit, tief und in reichlichem Maße in die Lunge einzuströmen. Der Bauch wölbt sich dabei nach vorne und zieht sich beim Ausatmen wieder zusammen, weil das Zwerchfell sich in seine höhere Stellung zurückzieht. Das ist sehr gut zu kontrollieren, wenn man seine Hand auf den Bauch legt. Diese hilfreiche Geste wird so lange empfohlen, bis sich der Atemvorgang automatisiert hat. Wer nun nicht nur für eine gute Stimme, sondern auch für seine Gesundheit atmen will, der zieht die Luft durch die Nase ein und lässt sie tief einströmen. Das Ausatmen soll die zweifache, am besten sogar die dreifache Zeit des Einatmungsvorgangs dauern. Dabei lässt man die Luft gleichmäßig durch die zu einem Spalt verengten Lippen ausströmen. Besonders wirksam ist diese Atemtechnik, wenn man zwischen dem Ausatmen und dem erneuten Einatmen eine kleine Pause eintreten lässt, weil sich die Organe in dieser kurzen Zeit erholen können. Auf diese Art wird der Körper bestens mit Sauerstoff versorgt und die verbrauchte Luft, das Kohlendioxyd, kann aus dem Körper herausgepumpt werden. Bedenken wir: Sauerstoff ist Leben und ohne genügend Sauerstoff können die Organe ihre volle Leistung nicht bringen! Diese sogenannte Zwerchfellatmung stärkt die Lunge und die Rückenmuskulatur und bringt das Herz-Kreislauf-System in einen gesunden Rhythmus. Die Auf- und Abbewegung des Zwerchfells übt einen Massagereiz auf die Verdauungsorgane aus. Die so ausgelöste peristaltische Bewegung des Darmes befördert den Darminhalt schneller. Dadurch verbessert sich die Verdauung, weil die Giftstoffe so keine Zeit finden, sich im Darm festzusetzen . Es leuchtet ein, dass auf diese Weise Krankheiten des Magen- Darmtraktes gemildert, vielleicht sogar geheilt oder – noch besser – überhaupt vermieden werden können. Außerdem baut diese Art der Atmung Ängste ab und entspannt. So lernen u.a. Asthmapatienten, in Krisensituationen tief, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Wir sagen ja nicht umsonst, in schwierigen Phasen erst einmal tief durchzuatmen und erst dann zu reagieren, da wir durch diese Technik wieder ein Stück innerer Ruhe gewonnen haben und der Kopf klarer denken kann. So ist eine gute Atmung für unseren Körper sehr wichtig. Sie wirkt sich aber nicht nur auf die Funktion unserer Organe aus, sondern auch in hohem Maße auf unser Seelenleben. Davon soll im nächsten Kapitel die Rede sein. Die Auswirkungen des Singens auf unseren Gemütszustand: Tiefes Atmen in den Bauch hinein und Singen wirken sich also sehr heilsam auf das körperliche Befinden aus. Aber ebenso groß und gesundheitsfördernd sind die Einflüsse auf unser Gemüt, unser Seelen- und auch Geistesleben. Da der Mensch eine Einheit aus Körper, Seele und Geist ist, leuchtet es ein, dass der Mensch sich wohlfühlt, wenn diese drei Teilbereiche im Einklang miteinander stehen und den Menschen so zu einer einheitlichen Ganzheit machen. Wie wir bereits erfahren haben, tut Singen dem körperlichen Befinden gut. Genauso intensiv sind die Auswirkungen auf die Seele. Der Musiktherapeut Bossinger hat das Singen als „Anti – Depressivum“ bezeichnet. Er schreibt: „Ich habe immer wieder erlebt, dass es Menschen mit seelischen Problemen sehr helfen kann, wenn sie in der Gruppe singen.“ Wir müssen nicht unbedingt große seelische Probleme haben, und doch schleppen wir viele Sorgen und Fragen des Alltags mit uns herum. Das ist zwar normal und aus unserem Leben nicht wegzudenken. Die moderne Forschung hat aber die gesundheitsaufhellende Wirkung des Singens – vor allem in der Gruppe – in vielfältigen Untersuchungen nachgewiesen. Schon nach 30 – minütigem Singen produziert unser Gehirn erhöhte Anteile an Beta – Endorphinen, Serotonin (s.o.) und Noradrenalin (den Gegenpart von Adrenalin (s.o.). Stresshormone werden bei diesen Vorgängen praktischerweise mit abgebaut. Der Sänger fühlt sich also ruhiger, ausgeglichener, zufriedener, auch selbstbewusster. Wie sagen wir doch so oft? „Du musst mal abschalten, du musst mal auf ganz andere Gedanken kommen.“ Das können wir durch Singen in einer Gemeinschaft sehr gut erreichen, denn dabei werden die Alltagsprobleme ausgeschaltet und Körper, Geist und Seele in einen wohltuenden Zustand versetzt. Diese positiven Auswirkungen hören nach dem Singen nicht abrupt auf, sie wirken noch eine Zeit lang weiter. So können wir durch regelmäßiges Singen unseren Seelenzustand permanent positiv beeinflussen. Das gestärkte Seelenleben macht uns belastbarer, so dass wir den Anforderungen des Alltags besser gewachsen sind. Auswirkungen auf unsere geistigen Fähigkeiten Uns wird allenthalben – besonders im Alter – empfohlen, geistig aktiv zu bleiben, am gesellschaftlichen Leben regen Anteil zu nehmen, möglichst in Kontakt mit anderen Menschen zu bleiben, ja sogar Rätselaufgaben verschiedenster Art zu lösen, um unseren Geist zu trainieren und „die kleinen grauen Zellen nicht einrosten zu lassen“. Alle diese positiven Auswirkungen erfahren wir durch das Singen in der Gruppe! Es fördert die Konzentration. Dadurch bilden sich im Gehirn neue Synapsen, also Verbindungsleitungen zu anderen Gehirnteilen. Sie machen geistig reger, lassen uns besser denken und stärken in erheblichem Maße unsere Erinnerungsfähigkeit, auch als Kurzzeit – und Langzeitgedächtnis bekannt. Wir können uns besser an Gelesenes und Gehörtes erinnern, uns entfallen Namen und Zahlen nicht mehr so schnell, wir behalten Texte besser und länger im Gedächtnis. So verbessert sich durch das ständige Lernen von Texten und Melodien unser Kurzzeitgedächtnis, über dessen Verlust im Alter immer mehr geklagt wird. All dies erfährt noch eine bemerkenswerte Steigerung, wenn die genannten Aktivitäten auf ein besonderes Ziel hin ausgerichtet sind, etwa auf den nächsten Auftritt beim befreundeten Gesangverein oder gar auf die Vorbereitung und Durchführung des geplanten Weihnachts – oder Jubiläumskonzertes. Da darf auch durchaus einmal das eine oder andere Lied in einer fremden Sprache dabei sein; auch das hält geistig rege und verbessert die Gehirnleistung. Wenn wir uns dann so geschult haben, dass wir unsere Lieder auswendig vortragen können, fällt die Konzentration auf den Dirigenten leichter und verbessert die Qualität unserer Vorträge. Geistig rege und aktiv bleiben – gibt es denn noch bessere Möglichkeiten als durch Singen in einer Gemeinschaft? Soziale Kontakte – Gruppendynamik: Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, er ist auf die Gesellschaft mit anderen Menschen angewiesen. Ein Mensch ohne diese Kontakte ist isoliert und kann körperlich, seelisch und geistig schnell verarmen und verkümmern. Wir gehören zuvörderst einem Familienverband an, aus dem wir zeitweise heraus müssen, um andere Kontakte zu pflegen. Diese Kontakte nach außen sind wichtig, sie bringen uns Abwechslung und neue Erfahrungen. Im Austausch mit anderen Personen können wir unseren Horizont erweitern, unsere Sorgen für eine Zeit vergessen oder sie im Gespräch verbalisieren und ihnen so den Druck nehmen. Um wieviel wichtiger sind dann die Kontakte für alleinstehende Menschen?! Der Eintritt in einen Verein schafft stabile Kontakte. Der regelmäßige Besuch der Zusammenkünfte bringt Struktur in unser Alltagsleben und setzt im Wochenverlauf Fixpunkte, die uns somit anzustrebende Ziele vorgeben, die wir nicht vergessen wollen. Sie helfen besonders alten und alleinstehenden Menschen, sich nach festen Terminen zu richten und darauf hin zu leben. Die Vorfreude auf das nächste Treffen hält Geist und Körper lebendig. In der Gemeinschaft erfahren wir dann durch unsere gemeinsamen Interessen und Ziele ein wertvolles und aufbauendes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Wir planen gemeinsam, bereiten uns gemeinsam auf unsere Ziele vor und führen gemeinsam die Pläne aus. Wie wertvoll kann da z.B. die Zugehörigkeit zu einem Gesangverein sein! Gerade in dieser Gemeinschaft ist das Zusammengehörigkeitsgefühl besonders ausgeprägt, weil die Sänger naturgemäß gemeinsam proben, sich gemeinsam auf die Konzerte vorbereiten und dann auf der Bühne beim Vortragen der eingeübten Chöre ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl erfahren. Der Beifall der Zuhörer ist noch einmal ein zusätzliches Gemeinschafts – und Glücksgefühl. Das kann nur der würdigen, der diese Erfahrung schon gemacht hat. Dieses Erleben rechtfertigt allen Einsatz, den jeder bei den Proben bringen muss. Das ist die Droge des Sängers: das gemeinsame Erfolgserlebnis und der Beifall der Besucher! Doch auch Aktivitäten anderer Art bereichern das Vereinsleben: Es gibt gemeinsame Ausflüge, Konzertbesuche, Grillabende, mehrtägige Vereinsfahrten, der Fantasie der einzelnen Vereine sind hier keine Grenzen gesetzt. Auch das sind Höhepunkte in einem Vereinsleben – besonders in Gesangsgemeinschaften. Wer aktives Mitglied eines Chores oder einer anders gearteten Gesangsgruppe ist, weiß alle aufgeführten Vorzüge zu schätzen. Versuchen wir doch, durch unsere Überzeugungskraft und die Qualität unserer Vorträge zu begeistern und neue Mitglieder für unsere Chöre zu gewinnen. Am überzeugendsten ist das persönliche Gespräch mit den Menschen. Vielleicht versuchen wir es einmal.