Einführung - Art Station

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art station, isabella lanz, hochstrasse 28, 8044 zürich
Vernissage: Freitag, 5. Dezember 2008
Roland Schär, Bilder
Margrit Schärli, Objekte
Einführung
Mit „so near so far“ betitelte einst ein Jazz-Musiker seine CD. Wie jene Klänge, die in
fernen Weiten zu verebben schienen, während sie einem unter die Haut fuhren,
entziehen sich Roland Schärs Bilder der Greifbarkeit. Wo wir eine Sache, eine Form
zu wissen meinen, entzieht sie sich gleichzeitig in eine nur zu ahnende
schemenhafte Ferne, eine Tiefe, die so ungewusst bleibt wie die Konturen der
Träume. Wie die zahllosen Versuche der Menschen, die Fülle, den Fluss der
Erscheinungen mit Gedankenkonstruktionen zu erfassen, muten die scharf
abgegrenzten Setzungen im Vordergrund an. Hinter ihrer Klarheit und Einfachheit
lauert das Ungewisse einer Wirklichkeit, der man sich mit Beschreibungen und
Vorstellungen zwar annähern, die man mit diesem Wissen aber nie berühren kann.
Da bleibt immer diese Sehnsucht, die der Liebende kennt, ganz im Unerreichbaren
anzukommen. Im Oszillieren dieser Unschärfen, in der Tiefe des Unberührbaren,
Nicht-Einzuholenden atmet das Geheimnis, das die beidseitig bemalten transluziden
Plexiglasplatten mit Faszination auflädt, uns hinter den klar umrissenen Formen im
Vordergrund im Sog einer Dreidimensionalität versinken lässt, die sich laufend weiter
ausdehnt, als die Dicke der Gläser vermuten liesse. Da ist etwas unendlich
Anmutendes in diesen Tiefen, man ginge meilenweit und wäre doch keinen Schritt
weiter. Was da in der Ferne leuchtet, bleibt eine Vision, die in den Vordergrund
gerückt möglicherweise in der vermeintlichen Bekanntheit des Klaren verblasste.
Nicht nur die Positionierung der Farbe vor und hinter den Gläsern, auch ihre
Materialität, die Art ihres Auftrags trägt wesentlich zur Entstehung dieser räumlichen
Tiefenillusionen bei, Gegensätze stehen dicht beieinander, scharf umrissene, zum
Teil pastos gemalte intensive Farbflächen überlagern hingehauchte, mit ihrer
Nichtvorhandenheit kokettierende tuschefeine Farbspuren, die manchmal an sehr
unscharfe Abzüge von Fotografien erinnern, Schleier von mit der breiten Seite eines
flachen Pinsels backsteinartig gesetzen perlmutt schimmernden Zonen schaffen in
manchen Bildern zusätzliche Zwischenebenen.
Davor, dahinter, dazwischen. Ganz dahinter kommt man nicht. Selbst dort nicht, wo
das Dahinter wie in den meisten Bildern Roland Schärs einmal greifbar gewesen zu
sein schien, denn meist befragt der Maler seine Erinnerung an öffentliche und
persönliche Räume, die ihm einmal wichtig waren: Museumsräume,
Wunderkammern, Häuser und oft auch die Unbegrenztheit suggerierende Weite der
Landschaft. Einer Architektur der Erinnerung ist der Pinsel auf der Spur, das zu
Erreichende ist längst vergangen und lockt doch wie ein künftig zu Eroberndes.
Übertrifft denn die Erinnerung in ihrer Vielschichtigkeit das Wirkliche, fragen wir uns,
und wünschten uns doch, diese Schemen, diese fata-morgana-artig flirrenden, in
Traumnähe schwankenden Spiegelungen des Bewusstseins berühren zu können.
Der Traum, die Illusion scheint das Wirkliche zumindest zu überhöhen, dort etwa, wo
ein Ultramarin aus der räumlichen Tiefe besonders leuchtend eine ungeahnte
Strahlkraft entfaltet, vielleicht auch unverzichtbarer Teil der Wirklichkeit zu sein.
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Zumindest Teil jeder individuellen Wirklichkeit, denn wer könnte es leugnen, dass die
inneren Bilder permanent mit den äusseren interagieren, wir uns im Inneren
bewegen, während wir uns im Äusseren wähnen? Wieviel Raum man dem Traum zu
gewähren bereit ist, bleibt ein Detail, wir träumen auch ohne es zu wollen. Die
Gleichzeitigkeit von Aussen und Innen, gelebt und geträumt zu visualisieren ist ein
Verdienst von Roland Schärs Bildern, die ein Entweder – Oder als eine
Vereinfachung entlarven. Sie nähern sich der Sehnsucht, das Wirkliche als Ganzes
zu umfassen. Wie das Du, wie das Erinnerte ist das Wirkliche zum Geheimnis
geworden, das sich nicht begreifen lässt, aber vielleicht umarmen und bergen.
In seinen Phasen so unberührbar wie das Geheimnis, wenn auch von Astronauten
betretbar, ist der Mond. Mal ist er da, mal ist er nicht da. In Asien steht er für das
umfassende, in den Erscheinungen sich ausfaltende Geheimnis, die Wirklichkeit, wie
sie ist. Da ist auch diese Gleichzeitigkeit des Da und Nicht-Da, offenbar und
verborgen. Mit den Mondphasen, diesen Zustandsveränderungen einer Kugel, war
Roland Schär beschäftigt, als er in Asien Margrit Schärli begegnete. Einmal sind es
auch zwei Kugeln oder eine Kugel und der Schatten einer Kugel, die in ihrem SichÜberschneiden die bekannte Sichel formen. Sie ruhen still in sich, diese
Himmelskörper, sie drehen sich unendlich leise, unmerklich, sie werden plastisch
modelliert vom Licht und vibrieren in derselben Spannung von Nähe und Ferne wie
die Raumbilder, ohne uns so sehr in die Tiefe zu ziehen, vielleicht, weil der Mond eh
weit entfernt ist und in diesen Bildern der Nähe der Bildträger wegen selten nah. Der
Mond, dieser in seiner Allgegenwart so unstet wirkende Trabant, trägt uns hinüber
nach Asien.
Von Reisen durch Thailand, Laos und Kambodscha inspiriert sind die fragilen,
leichten, filigranen Objekte von Margrit Schärli. An Östliches erinnern verwendete
Materialien wie Bambusstäbe, handgeschöpftes Papier aus Laos und von der
Künstlerin selbstgeschöpfte Papiere, an die aufgehende Sonne denken lassen
planzen- und pagodenhafte Formen, Türme. Manches scheint einen Tempel
anzudeuten und manches sein Inneres: verborgene, Geheimnisse verkörpernde
Schätze. Doch der Tempel birgt nicht die Traditionen einer bestimmten Religion, er
beherbergt einige Geheimnisse eines einzelnen Menschen. Geheimnisse, die ihrer
Individualität zum Trotz auch ins Überindividuelle münden, denn in jenen
Innenräumen, die uns allen gemeinsam sind, verschwimmen zuweilen die Grenzen,
das Du wird zum Ich und den eigenen Traum träumte zuvor oder gleichzeitig eine
andere. Kultisch und einer kollektiven Überlieferung entstammend wirkt deshalb
manches Objekt gerade dort, wo es Persönlichstes berührt. Mit unsichtbaren Fäden
bleibt jede individuelle Mythologie mit den kollektiven, Kulturen übergreifenden
Bildern verknüpft. Rührt von daher jene Ehrfurcht, die manches dieser Objekte zu
gebieten scheint, wo es in dieser Intimität der Nähe zu sich selbst Persönliches
übersteigt? Wir glauben das Ritual zu kennen, von dem manche Gegenstände
Relikte sind, erinnern uns vielleicht daran aus frühen Kindertagen, in denen unser
Spiel mit einer Blume die Weiten des Kosmos umspannte, erinnern uns vielleicht aus
fernen Seelentiefen, die Bedeutungen erkennen, von denen wir längst nichts mehr
wissen.
Unser Wissen angesichts dieser Gegenstände ist ähnlich beschränkt wie vor Roland
Schärs Raumtiefen. Es geht das Wesentliche über das Denk- und Wissbare hinaus,
wir brauchen die ganze unbekannte Weite unseres Seelenraumes, all unsere
Wahrnehmunsorgane und Erkenntnisinstrumente, brauchen die manchem Denker so
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suspekte Intuition, es zu erahnen und fühlen uns ertappt, zutiefst berührt, wo wir im
Fremden dem Eigenen begegnen. Es wartet die Krone auf die Königin, die merkt,
dass es ihre ist. Dort, wo sie es merkt, sind wir im Innersten des Tempels, in jener
kunstvollen Schachel, jenem prunkvollen Schrein des Geheimnisses. Bei uns selbst
angelangt, sind die Tempel und Türme, die im Wind sich drehenden Schirme
allenfalls Wegweiser zu etwas, das wir bestens kennten, hätten wir es nicht so
gründlich vergessen gelernt. Die Bauten und tradierten Formen sind Teile von uns
selbst, Teile unseres Körpers. In diesem freudigen Wiedererkennen vergisst man
leicht, dass die weit stärker als die westliche auf das Kollektive ausgerichtete
asiatische Kultur den eigenen Weg so sehr betont wie das Einmünden ins
Überindividuelle. Tradierte Formen sind Sprachen, Hilfsmittel, sich über dieses
höchst persönliche Unterwegssein und jenes Persönliches tranzendierende
Wiedererkennen auszutauschen. Seltsam berührend, wie nah die Ferne dann wird,
man verständigt sich über ein Bild, ein Gedicht über Jahrtausende, über Kulturräume
hinweg. Was für ein Glück des Menschseins, dass es diese Begegnungen und diese
Versuche des Mitteilens gibt.
Wenn eine Krone oder ein Schrein vielleicht ein Ziel andeuten, lassen uns die
Tagebücher, Produkte schlafloser Nächte, mit ihren bemalten Zwischenkartons sehr
nah am Puls des individuellen Unterwegsseins, an der Bewegung zwischen den
Formen. Strukturen, Rhythmen, Formen tauchen auf, fliessen, entwickeln sich,
verschwinden wie innere Bilder, Träume, Denkprozesse. Wir sind in diesen Blättern,
die eine Ausstellung in der Ausstellung sind, in dieses Unterwegssein einbezogen,
erleben mit, wie die zeichnende oder malende Hand, die Kreide, der Filzstift, der
Pinsel denkt. Da und dort schwanken wir zwischen Weitergehen und Verweilen. Es
ist kein Stillstand, es ist Rhythmus, Fluss in dieser dichten Abfolge von Bildern, sie
sind ein Film von Befindlichkeiten, Aggregatszuständen, momentanen Bedingungen,
auf den Augenblick, die flüchtige Zeit fokussiert, die Fragmente des Gegenwärtigen
in den von innen strukturierten Ablauf der Zeit einbindend. Die Bücher bleiben dem
Moment näher als die grösseren Objekte, die aus serieller Gegenwart wie dem
Schöpfen einer bestimmten Papierform oder dem Aufschichten, Aufreihen von
Orangen- oder Zitronenschalen eine Verdichtung von Zeit formen, die den Blick eher
auf das Ganze des Objekts ausrichtet als auf die einzelnen Zeitfragmente. Etwas die
Gegenwart Übergreifendes, aus Gegenwart Zeit Formendes, ist in beiden Arten des
Unterwegsseins. Die Türme könnten Tempeltürme sein, doch sie ähneln oft auch
sehr exotischen Pflanzen, modernen geometrischen Skulpturen, gewissen Bauten
von Insektenvölkern und kühnen neuen Hochhausprojekten wie dem nicht gebauten
Doppelhelixturm von Basel. Führen uns die Tempeltürme ins Innere oder eine
imaginäre Vergangenheit, verkörpern die Hochhäuser eine zukunftsträchtige
Dimension der Gegenwart.Sie uns bewohnt vorzustellen, beflügelt unsere Phantasie
der Weiterentwicklung städtischer Lebensräume. Eine Architektur des Wandels,
mögliche Architekturen der Zukunft stellt Margrit Schärli der Architektur der
Erinnerung gegenüber. Aus skylines hervorquellende neue Formen von Geschäftsund Wohntürmen, die den Primat des rechten Winkels durchbrechend organisch
wirken, wie gewachsen in einer an Bambuskonstruktionen erinnernden Leichtigkeit
dastehen. Sie sind nicht so warm wie die Tempeltürme, und doch bewohnte man sie
gern. Dass da eines der Gesichter der Zukunft ist, weckt auch Aufbruchstimmung,
Drang nach Vorwärts, Aussen. Auch wenn die pflanzenhaften Formen von innen her,
aus dem Verborgenen wachsen.
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Nach Innen weisen die Altare, die Opferstätten. Abrupt lassen sie die Zeit stillstehen,
in kondensierte Gegenwart zusammenfallen, auch wenn sie Zeitabläufe verdichten
wie andere Werke Margrit Schärlis. Die Gegenwart wird, wo wir uns vor ihr verneigen
und in sie eingehen mögen, umwerfend intensiv. Wem geopfert wird, und was,
wissen die Königinnen, die sich überraschend erinnern, wer sie sind. Wer sich
bücken musste, um eine Teehütte zu betreten, weiss möglicherweise etwas darüber.
In Asien pfeifen es die Spatzen von den Tempeldächern, doch auch dort kommt
keiner und keine darum herum, sich selbst, sein oder ihr tiefstes Geheimnis zu
befragen, worum es hier eigentlich geht. Mag sein, dass dort, in unserer innersten
Herzkammer, alles ein wenig leichter wird, unsere Existenz, die Weltgeschichte, die
Relativitätstheorie, Ja und Nein, die Erklärungen und Fragen locker im Wind
schwingen wie die schwerelos wirkenden Bambuspanels vor den Fenstern, kleine
Schirme drehen sich daran.
Eine angeregte Entdeckungsreise durch diese einander überlagernden, ineinander
verschachtelten, ineinander übergehenden, vielleicht wie der Raum oder die Räume
in sich gekrümmten Welten wünsche ich Ihnen, Euch. Aussen und Innen und vor
allem beides gleichzeitig. Wo die fernste Ferne zur nächsten Nähe wird, endlos
scheinende Distanz in sich zusammenfällt, versuchen wir vielleicht wieder darüber zu
reden, auch wenn, wie Timothy Leary einst schrieb, jedes menschliche Wesen ein
Raumschiff ist, Lichtjahre entfernt. Schauen wir durch die Fenster der anderen öffnet
sich vielleicht eine Tür in einen gemeinsamen Raum.
Thomas G. Brunner
Zürich, 4.12.2008
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