MARIA IM ISLAM. Von Joseph Schumacher, Freiburg Der Islam ist im Aufwind. Die viel beklagte Säkularisierung in der modernen Welt gilt einstweilen jedenfalls - nicht für den Islam und auch nicht für die anderen Weltreligionen. Der Islam repräsentiert sich heute selbstbewusst und entfaltet eine rege Missionstätigkeit. Bemerkenswert ist sein wachsender Einfluss in den islamischen Ländern. Mindestens jeder Achte bekennt sich heute zu ihm. Bedingt durch die Migration, ist er uns nahegerückt. Überall in unseren Städten leben und arbeiten Moslems und Christen nebeneinander und miteinander. Das ist eine neue Situation für uns. Die Religionen erheben stets einen Öffentlichkeitsanspruch. Das ist in ihrem Wesen begründet. Im Islam hat er eine ganz spezifische Gestalt. Dadurch entstehen nicht wenige Konflikte, etwa wenn es um den Religionsunterreicht geht oder um den Bau von Moscheen. Mancherorts hat sich diese Situation in verhängnisvoller Weise zugespitzt. Das muss gesehen werden auf dem Hintergrund der Tatsache, dass die Situation der Christen in den islamischen Ländern durchweg mehr oder weniger gespannt ist, dass dass es in den verschiedenen islamischen Ländern Christenverfolgungen gibt und dass man in den islamischen Ländern im allgemeinen nicht dem Öffentlichkeitsanspruch des Christentums gerecht wird1. Wie das II. Vatikanische Konzil mit Nachdruck hervorhebt, gebietet uns der Glaube Toleranz und Dialog. Die Voraussetzung für beides ist das Bemühen um die geistigen Inhalte dieser Religion. Man muss wissen, was man tolerieren und über was man den Dialog führen soll. Unbekanntes läßt Unsicherheit, Skepsis und Ablehnung entstehen. Daraus gehen Vorurteile hervor. Die Toleranz des Andersdenkenden und das Gespräch mit ihm setzen Wissen voraus über ihn und sein Denken und Empfinden. Toleranz meint Respekt vor dem Andersdenkenden. Dabei muss man wissen, was anders ist in diesem Denken, ohne dass man gleichzeitig seine eigenen Auffassungen oder Überzeugungen in Frage stellt. Erst auf dieser Basis gibt es einen sinnvollen Dialog, der schon ein wesentliches Ziel erreicht hat, wenn er 1 Vgl. W. Polzer, Christenverfolgung in aller Welt, in: Welt am Sonntag vom 28. Dezember 1997. 2 zum religiösen Frieden und zur Zusammenarbeit in einigen Bereichen des Lebens führt2. Das II. Vatikanische Konzil findet außergewöhnlich positive Worte für die Moslems, weil sie sich wie die Christen zum Glauben Abrahams bekennen, den einen Gott als den Schöpfer anerkennen und ihn anbeten und das Endgericht erwarten. Zum ersten Mal wurde damit eine Lehräußerung über den Islam ausgesprochen3. Während Juden und Christen im Islam einen Sonderstatus haben, weil sie Schrift - oder Buchreligionen oder auch himmlische Religionen sind4 - Mohammed lehrte, Juden und Christen seien bereits im Besitz des Korans, wenn auch eines mehr oder weniger deformierten -, wird gegen die Anhänger der übrigen Religionen zum Kampf aufgerufen. So sagt etwa die Sure 9 des Korans in Vers 29: Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift erhalten haben - (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand (das heißt jeder für seine Person oder freiwillig) Tribut entrichten!5. Damit sind dann aber auch die Juden und die Christen angesprochen. Sie glauben zwar an Gott und an den Jüngsten Tag, aber sie verbieten nicht, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und gehören auch nicht der wahren Religion an. Das wird unterstrichen, wenn es in den folgenden Versen der gleichen Sure in Vers 30 und 31 heißt: Die Juden sagen: Esra ist der Sohn Gottes, und die Christen sagen Christus ist der Sohn Gottes. So etwas wagen sie offen auszusprechen. Sie tun es (mit dieser ihrer Aussage) denen gleich, die früher ungläubig waren. Die gottverfluchten (Leute)! Wie können sie nur so verschroben sein! Sie haben sich ihre Gelehrten und Mönche sowie Christus, den Sohn der Maria, an Gottes statt zu Herren genommen. Dabei ist (ihnen) doch nichts anderes befohlen 2 A. Th. Khoury, Christen und Muslime, in: J. Dörmann, Hrsg. Weltmission in der Weltkrise, St. Augustin 1978, 51 f. 3 Lumen gentium, Nr. 16. 4 Sure 2,62. 5 Sure 9,29. 3 worden, als einem einzigen Gott zu dienen, außer dem es keinen Gott gibt6). Einige Verse weiter heißt es dann: Ungläubig sind diejenigen, die sagen: Gott ist Christus, der Sohn der Maria ..., wer (dem einen) Gott (andere) Götter beigesellt, dem hat Gott (von vornherein) den Eingang in das Paradies versagt. Das Höllenfeuer wird ihn (dereinst) aufnehmen ... . Ungläubig sind diejenigen, die sagen: Gott ist einer von dreien. Es gibt keinen Gott außer einem einzigen Gott ... . Christus, der Sohn der Maria, ist nur ein Gesandter. Vor ihm hat es schon (verschiedene andere) Gesandte gegeben7. Die Absolutheit des Islam steht für den Moslem außer Frage. Alle wahren Propheten Gottes haben die gleiche Botschaft verkündet, die Botschaft des Korans8. Diese ist jedoch immer wieder von den Menschen, von den Zeitgenossen der Propheten und von deren Nachkommen, verfälscht worden. Deswegen musste Gott immer wieder neue Propheten senden. Auch die Lehre Jesu ist verfälscht worden. Deswegen sandte Gott nach ihm noch einmal einen Propheten, den letzten, Mohammed, der im Koran der Welt die endgültige Offenbarung Gottes präsentieren sollte. Somit steht der Islam einen absoluten neuen Anfang Gottes mit der Menschheit dar9. Gerade die Nichtanerkennung dieses Anspruchs durch das Judentum und durch das Christentums belastet das Verhältnis zwischen diesen Religionen und dem Islam. Zu keiner Zeit haben Christen und Juden Mohammed als Prophet und den Koran als Offenbarung Gottes anerkannt. Die Moslems sehen darin ihrerseits einen Ausdruck der Manipulierung des Alten und des Neuen Testamentes, wie sie von Anfang an für das Judentum und für das Christentum bestimmend ist10. Die Moslems halten dagegen, dass 6 Sure 9,30-31. 7 Sure 5,72-75. 8 Sure 5,75. 9 M. Fitzgerald, Der Koran und die islamische Theologie, in: ders. u. a., Moslems und Christen - Partner? Graz 1967, 43 ff; L. Gardet, Islam, Köln 1968, 39 ff; F. Köster, Jesus im Islam, in: H. Fries u. a., Jesus in den Weltreligionen (Kirche und Religionen - Begegnung und Dialog, 1), St. Ottilien 1981, 60 f. 73 f. 10 L. Gardet, 336 f; F. Köster, 61 f. 4 Mohammed im Alten und Neuen Testament erwähnt und angekündigt wird11. Die Überzeugung Mohammeds, der letzte Prophet Gottes zu sein und die endgültige und unüberholbare Offenbarung Gottes zu bringen, ist unangefochten im Islam. Und sie ist auch von politischer Relevanz. Faktisch ist des Anspruch Mohammeds nicht widerlegt worden, denn nach ihm ist keine meue Weltreligion mehr entstanden. Der Islam hat zwar ganze Völker für sich gewinnen können, die früher christlich oder manichäisch, buddhistisch oder hinduistisch ... waren, aber kein Volk, das den Islam einmal angenommen hat, ist ihm ... wieder untreu geworden, nur da und dort haben sich einzelne Volksteile, übrigens vielfach unter starkem Druck, von ihm ab- und z. B. dem Christentum zugewandt, so unter den Tartaren in Russland und unter den Andalusieren nach der spanischen Rückeroberung. Der Islam hat bisher keine ins Gewicht fallende Verluste an eine andere Religion gehabt, hat nie den Abfall eines ihm gehörenden Volkes zu einer anderen Religion gesehen12. Wohl aber hat er ganze Völker einverleibt, die einstmals christlich waren. Nie sind größere Massen vom Islam zum Christentum übergetreten, wenn man einmal von den zwangsweise bekehrten Mauren in Spanien absieht. In der organisierten Mission - für die Moslems eine dem Christentum entnommene Idee - ist die Zahl der Einzelkonversionen zum Islam unvergleichlich höher als jene zum Christentum13. Hier wirken sich nicht zuletzt das einfache Glaubensbekenntnis aus und die nicht weniger einfache, leicht über- schaubare Moral14. Das Toleranzverständnis des Islam ist von besonderer Eigenart. Es ist hier zu berücksichtigen, dass für den Moslem die Religion und die Politik eine Einheit bilden. Noch zu Lebzeiten des Stifters dieser Religion konnte sie ihr ideales Leitbild verwirklichen, die Theokratie. Der Moslem unterscheidet nicht zwischen religiös und profan. Für ihn ist nur der islamisch 11 So etwa: Dt 18,15; 18,18 f; Joh 15,26; Joh 16,7. 12 B. Spuler, Der Islam, in: G.Günther, Hrsg., Die großen Religionen, Göttingen 1961, 82. 13 Ebd., 88. 14 Ebd., 89; vgl auch A. Anwander, Die Religionen der Mensch-heit. Einführung in Wesen und Geschichte der außerchristlichen Gottesvorstellungen, Freiburg 1927, 275 f. 5 geprägte und geführte Staat legal, einen religiös neutralen Staat kann es für ihn nicht geben15. Vor einigen Jahren nahm ich an einer Kongress von Religionsgeschichtlern teil. Maria als Brücke zwischen Juden, Christen und Moslems. Das war damals das Thema. Es waren evangelische und katholische und islamische Theologen zugegen. Jüdische Theologen waren zwar nicht vertreten. Ich selber hatte ein Referat über Maria im Judentum. Das war eine andere Situation als jene der Begegnung im Alltag. Immerhin konnte man den Eindruck großer Aufgeschlossenheit bei den Moslems gewinnen. Es wurde auf diesem Kongress auch ein gemeinsamer Gebetsgottesdienst gefeiert. Nachdrücklich betonten die Moslems, und zwar mit Berufung auf den Koran, die Notwendigkeit des wohlwollenden Gespräches im interreligiösen Dialog, verbunden mit dem Zeugnis für den eigenen Glauben. Sie beriefen sich dabei auf die Sure 2 des Korans, in der es heißt: Jeder hat eine Richtung, auf die er eingestellt ist. Wetteifert nun nach den guten Dingen!16 Darin siehen sie die bessere Werbung für ihre religiösen Überzeugungen. Die islamische Theologen befürworten heute in großer Zahl den Dialog mit den Christen17, zumindest halten sie ihn für zulässig. Vielfach vertreten sie die Meinung, dass der Absolutheitsanspruch des Islam den Dialog geradezu erfordert, weil ihrer Meinung nach das Evangelium ein Teil ihres eigenen Absolutheitsanspruches ist, ein Teil der göttlichen Wahrheit, wenn auch ein noch wenig entwickelter. Das Evangelium erhält seine richtige Deutung erst im Lichte des Koran. In diesem Zusammenhang berufen sie sich auch darauf, dass unsere Welt immer enger zusammenrückt und dass daher alle Religionen und alle religiösen Menschen gemeinsam aufgerufen sind, eine humanere Welt zu bauen. 15 B. Spuler, 90. 16 Sure 2,148; vgl. Sure 3,64 und Sure 5,48. 17 H.-J.Loth, M. Mildenberger, U. Tworuschka, Hrsg., Christentum im Spiegel der Weltreligionen. Kritische Texte und Kommentare, Stuttgart 31986, 68 ff. 6 Man kann nicht sagen, dass der Absolutheitsanspruch in sich naiv oder töricht oder lieblos oder überheblich oder unduldsam sei. Diese Auffassung wird in neuerer Zeit immer wieder vertreten. Man fordert daher Offenheit und Pluralismus18. Faktisch läuft das auf einen verschwommenen Relativismus hinaus. Der Islam vertritt einen Absolutheitsanspruch. Auch das Christentum. Im Grunde vertreten ihn alle Religionen, die sich selber treu bleiben. Es ist der Absolutheitsanspruch der Wahrheit, der uns hier begegnet. Die Wahrheit ist immer absolut, notwendigerweise. Das wird jeder einsehen, der das Widerspruchsprinzip nicht in Frage stellt. Im übrigen ist die kategorische Ablehnung eines jeden Absolutheitsanspruchs nicht weniger absolut als die Erhebung dieses Anspruchs. Falsch wird der Absolutheitsanspruch der Religionen allerdings, wenn er zur Schwertmission greift, wenn er militant wird - wir müssen hier freilich unterscheiden zwischen der faktischen Militanz und der prinzipiellen -, wenn er die Augen verschließt vor den Wahrheitselementen, die sich stets mit dem Irrtum verbinden und wenn er die subjektive Überzeugung des Anderesgläubigen nicht respektiert. Das aber ist eine wesentliche Forderung des Christentums. Der authentische christliche Absolutheitsanspruch wird im tiefsten verfälscht, wenn er sich nicht mit der Toleranz verbindet, wenn er vergisst, dass die Freiheit der Zustimmung zur Wahrheit des Christentums ein Wesenskonstitutiv des christlichen Glaubens ist. Diese Toleranz bezieht sich freilich auf denn irrenden Menschen, nicht auf seinen Irrtum. Überwiegend sind die islamischen Theologen der Meinung, dass der Dialog letztlich eine Frage des Überlebens des Islam sei. Man dürfe sich nicht isolieren und in seinen Positionen verhärten19. Zuweilen ist man hinsichtlich des interreligiösen Dialogs im Islam freilich zögernd, weil 18 I. Puthiadam, Christlicher Glaube und christliches Leben in einer Welt religiöser Pluralität, in: Conc. 16, 1980, 367-378; W. Bühlmann, Wer Augen hat zu sehen...Was Gott heute mit den Christen vorhat, Graz 1989, 138 ff. Erinnert sei hier auch an die sog. pluralistische Religionstheologie (P. Schmidt-Leukel, Das pluralistische Modell in der Theologie der Religionen. Ein Literaturbericht, in: Theologische Revue 1993, 89, 353-370). 19 Vgl. auch: Christen und Moslems in Deutschland, Essen 1977, 68. 7 momentan angeblich noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen sei, und möchte sich auf die praktische Zusammenarbeit beschränken. Man weist dann darauf hin, dass die islamischen Gesprächspartner noch nicht genügend vorbereitet seien für eine solche geistige Begegnung, weil die islamischen Völker intellektuell unterentwickelt, weil sie im Mittelalter steckengeblieben seien und noch nicht genügend die Entwicklung des modernen Denkens wahrgenommen hätten. Dieses Bedenken ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn tatsächlich haben die Moslems den zahlreichen christlichen fachkundigen Islamologen keine kompetenten Kenner des Christentums entgegenzusetzen. Es gibt allerdings auch islamische Theologen, eher einzelne, die einen Dialog grundsätzlich ablehnen, zum einen, weil sie meinen, der Dialog sei eine Gefahr für die Moslems und für ihre Überzeugung - durch den Dialog könnten sie ihre Identität verlieren -, zum anderen, weil sie davon ausgehen, dass der Islam die endgültige und vollkommene Form der Religion sei. Oder sie sagen einfach, das religiöse Gespräch habe, wie die Vergangenheit beweise, nichts gebracht, im übrigen gebe es heute andere Probleme, nämlich die Probleme des praktischen Lebens, und diese hätten den Vorrang. 20 Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Verhältnis des Islams zu Christentum durch mannigfache geschichtliche Auseinandersetzung en und viele ungute Begegnungen belastet ist, obgleich es auch in der Geschichte nicht wenige Beispiele positiver Zusammenarbeit zwischen Moslems und Christen gibt. Belastend ist hier allerdings auch, dass die Religion des Islam als solche in manchem fragwürdig ist, das heißt: gravierende Mängel aufweist, formal wie auch inhaltlich21 - nicht nur die Religion, auch die Persönlichkeit des Religionsstifters weist solche Mängel auf22 -, und dass das Christentum sich innerlich aufreibt und ihm die Gläubigen vielfach davonlaufen. Mit Berufung darauf darf man sich selbstverständlich nicht 20 A. Th. Khoury, Christen und Muslime, 52-58. 21 Verbindung von Religion und Politik, der heilige Krieg, Polygamie, Stellung der Frau, grausame Rechtsmittel, die sinnenhafte Darstellung des Jenseits. 22 Sinnlichkeit, religiöse Unwissenheit, Gewaltanwendung, Rach-sucht. 8 dem Dialog entziehen, das ist klar, aber man muss die Lage nüchtern sehen. Es sind daher im wesentlichen typische Legendenmotive, die uns in der Biographie Mohammeds begegnen. Wie bei anderen Religionsstiftern beginnt die Legende bereits bei der Empfängnis des Propheten durch seine Mutter Amina. Schon bei der Zeugung des Propheten geschahen allerlei Wunderzeichen [46], die das kosmische Ereignis ankündigen. Wie Maria die Geburt Jesu durch einen Engel verheißen wird, so hatte auch Amina eine Erscheinung, die ihr die Geburt des Propheten ihres Volkes in Aussicht stellte [47]. Die Geburt selbst geschah nach einem legendarischen Bericht der Mutter Mohammeds [48] in wunderhafter Weise. Das Kind wird von Engeln über die ganze Erde geführt, damit diese ihn als Herrn erkennt. Auch bei der Geburt geschehen allerlei Zeichen [49]: Engel verkünden sie, Gabriel kommt mit der Freudenbotschaft, Vögel aus dem Garten Eden lassen in Aminas Wohnung Perlen aus ihren Schnäbeln fallen und Amina selbst sieht nach der Geburt Mohammeds ein Licht, von dem die Schlösser Basras erglänzen23. Die Konkurrenz Jesus und Mohammed wird immer wieder im Koran und bei den islamischen Theologen thematisiert, aber nicht minder die Trinitätslehre des Christentums. Scharf polemisiert der Koran gegen sie als eine Negierung des Monotheismus24 Damit wird Jesus zum Gesandten oder Propheten oder Diener Allahs herabgestuft. In der Trinitätslehre geht es ja in erster Linie um die Jesusgestalt. Wiederholt berichtet der Koran über Maria und über ihren Sohn, aber phantastisch, im Geist der apokryphen Evangelien25. Überhaupt sind die biblischen Überlieferungen bei Mohammed durchweg entstellt. Bis heute weiß man nicht, woher Mohammed sie sowie die Kenntnisse 23 G. Mensching, Leben und Legende der Religionsstifter, Darmstadt o. J., 136 ff. 142 ff. die [...] beziehen sich auf die Quellennachweise. 24 Vgl. Suren 4,48; 72,3; 6,101; 2,117; 19,35; 4,172; 5,73; 6,101; 72,3. 25 A. Th. Khoury, Hrsg., Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum-Christentum-Islam, Graz 1987, 668. 9 über das Judentum und das Christentum bekommen hat. Die größere Wahrscheinlichkeit ist die, dass er dieses Wissen der Volksfrömmigkeit verdankt, einer Volksfrömmigkeit, die nicht authentisch war. Immer wieder begegnen uns in der Darstellung der biblischen Überlieferungen gravierende Entstellungen, etwa in der Geschichte Abrahams, Davids und Salomons oder in der Geschichte des Johannes des Täufers und in den übrigen Geschichten des Neuen Testamentes26. Dafür, dass Mohammed hier aus trüben Quellen geschöpft hat, spricht auch seine Auffassung, die Christen verehrten Maria als Göttin, sie sei für die Christen die dritte Person in der Trinität. Der Koran wendet sich ausdrücklich gegen die Auffassung, Maria sei ein Teil der Trinität. Möglicherweise ist Mohammed christlichen Sekten mit übertriebener Marienverehrung begegnet. Dass es solche gegeben hat, dafür haben wir eine Reihe von Belegen in alter Zeit. Angesichts des strengen Monotheismus des Islams ruft bereits die Trinitätslehre den Widerspruch Mohammeds heraus, um so mehr die Vergötterung Mariens27. Es gibt auch im Islam das Vertrauen zu Maria und den Glauben an Marienerscheinungen, wie es das katholische Leben prägt, und zwar legitimerweise, speziell in Ägypten - unter dem Einfluss des Christentums oder einer gemeinreligiösen Sehnsucht -, aber offiziell wird das als Aberglaube verworfen28. Es gibt im Islam die kultische Verehrung Mariens und ihre Anrufung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Heiligenverehrung dem Islam durchaus nicht fremd ist, obwohl es in ihm keine Kultbilder und keine Sakramente gibt. Mohammed selber wurde schon bald als Heiliger verehrt, als Vorbild und Fürsprecher, bedeutende Vertreter seiner Familie wurden als Heilige verehrt, Ali, Fatima, Hasan und Husain, ebenso die ersten drei Kalifen, Abu Bekr, Omar und Osman, und im Sufismus entwickelte sich aus der Verehrung frommer Männer oder auch frommer Frauen, die heiligmäßig gelebt hatten, vor allem die Verehrung der zahlreichen Ordensstifter und der Leiter der Orden, der Ordensmeister, ein lebendiger Heiligenkult, vor allem in den unteren Schichten, wenngleich 26 Vgl. Sure 37; 12; 18; 32,20 ff; 27,15 ff; 38,36 ff; 19,1 ff. Vgl. auch A. Anwander, 502. 27 Ebd. 28 Ebd. 10 speziell das mittlerische Wirken der Heiligen vielfach von den islamischen Theologen als unislamisch verworfen wird. Dennoch setzt man auch darauf in dieser Heiligenverehrung29. Ja, die ganze Heiligenverehrung wird durch die Wahhabiten in Arabien, der eigentlichen Heimat des Islam, die die Religion Mohammeds in ihrer ursprünglichen Reinheit und Unverfälschtheit wiederherstellen wollen, zurückgewiesen, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg30. Wir finden sie heute in der ganzen moslemischen Welt, auch im Ursprungsland des Islam31. Ursprünglich gibt es keine Heiligenverehrung im Islam. In der Sure 18 des Korans wird sie ausdrücklich als Vielgötterei ver-worfen32. Mohammed wollte und duldete sie nicht33. Aber schon bald hat sie prinzipiell die allgemeine Billigung der Lehrer gefunden und wird heute von allen vier Schulrichtungen anerkannt34. Und sie finden dafür gar eine Begründung im Koran, wenn sie auf die 10. Sure verweisen, in der es heißt: Fürwahr, Allahs Heilige befällt weder Furcht noch Trauer35. Der Islam ist anpassungsfähig und hat sich in den verschiedenen Ländern und bei den verschiedenen Völkern immer wieder umgebildet36. Heute spielen Heiligengeschichten und Heiligenverehrung im Islam eine große Rolle. Sie geben ihm Farbe und lebendige Konturen und lassen stärker das Gefühl zur Geltung kommen. Oft verbindet sich die Heiligenverehrung mit heiligen Plätzen, uralten Kultstätten, Gräbern frommer und heiligmäßiger Personen und Gedächtniskapellen. Zu ihnen pilgert das gläubige Volk, ihnen 29 H. Waldenfels, Hrsg., Lexikon der Religionen, Phänomene-Geschichte-Ideen (Herder/Spektrum, 4090), Freiburg 1987, 279; B. Spuler, 87 f. 30 F. Babinger, 505 f. 31 G. Simon, Die Welt des Islam und ihre Berührungen mit der Christenheit, Gütersloh o. J., 263. 32 Sure 18,102. Vgl. auch A. Schall, Art. Islam I, in: Theologische Realenzyklopädie XV, Berlin 1987, 329. 33 G. Simon, 257. Engelverehrung gab es für ihn, nicht aber Heiligenverehrung (A. Anwander, 266). 34 F. Babinger, Der Islam, in: C. Clemen, Hrsg., Die Religi-onen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte. München o. J., 480 f. 35 Sure 10, 63. 36 Ebd., 505. 11 vertraut es sich an in seinen Nöten und Drangsalen, um Erbauung, Erhörung und Stärkung zu finden, und ihrer Fürbitte empfiehlt es seine Verstorbenen. Auch die Reliquienverehrung hat hier ihren Ort. Vielfach wird das Leben der Heiligen romanartig ausgestaltet und mit einer Fülle von bizarren Wundern versehen. Auch christliche Heilige leben hier fort. Es gibt nicht wenige Heilige, die von Moslems und Christen verehrt werden, zu deren Kultstätten Christen und Moslems wallfahren, christliche Heilige, die muslimisch umgestaltet wurden, christliche Heilige in einem muslimischen Gewand. Man spricht von utraquistischen Heiligen. Solche sind etwa der heilige Georg, der heilige Nikolaus, der Säulenheilige Simeon und die heilige Thekla37 Auch heilige Quellen gibt es in der islamischen Welt, die von Moslems und Christen um ihrer angeblichen Heilwirkungen aufgesucht werden. Am geringsten ist die Bedeutung der Heiligenverehrung noch in der Heimat Mohammeds, in Arabien, aber auch dort begegnet sie uns. Um so üppiger wird sie jedoch, je weiter wir nach Osten kommen. Das gilt vor allem für Persien38. Es ist bezeichnend für dem Islam, dass Heilige, die ursprünglich nur in einem der vom Islam beherrschten Länder verehrt wurden später in der ganzen islamischen Welt veerehrt werden39. Man muss unterscheiden zwischen dem theoretischen Islam, dem Islam der Theologen und der Religion des Volkes40. Dabei ist diese Heiligenverehrung freilich nicht selten stark von abergläubischen Elementen durchsetzt. Dabei ist zu bedenken, dass da nicht die Nachahmung des Tugenden des Heiligen und die Bitte um seine Fürsprache bei Gott im Vordergrund stehen, sondern das Bemühen, an der Kraft des Heiligen teilzuhaben, in sein Kraftfeld einzutreten, im Sinne eines magischen Weltverständnisses, wie es charakteristisch ist für die Esoterik. Das ist ein Heiligenkult, wie er uns zuweilen auch in der Kirche begegnet 37 Ebd., 497; G. Simon, 263; A. Anwander, 262. 266 f; F. König, Hrsg., Christus und die Religionen der Erde. Handbuch der Religionsgeschichte, Bd. III, Freiburg 1951, 67. 38 F. Babinger, 496 - 498. 39 F. König, 67. 40 G. Simon, 257. 12 als Ausdruck einer nicht legitimen Volksfrömmigkeit41. Eines steht indes fest. Nicht Jesus ist am Kreuz gestorben, sondern sein Doppelgänger42. In der Sure 4 heißt es: Sie (die Juden) sagen: Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Allahs getötet! - Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn uneins sind, sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen über ihn, gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet (das heißt: sie können nicht mit Gewissheit sagen, dass sie ihn getötet haben). Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Allah ist mächtig und weise43. Die Sonderstellung Jesu im Vergleich mit den Propheten wird anerkannt im Koran. Der Koran und die islamische Überlieferung sprechen mit hoher Ehrerbietung über Jesus und stellen ihn über alle Propheten, Mohammed selbstverständlich ausgenommen44. Mehr noch tritt er in der Volksfrömmigkeit hervor, wenn er als der vollkommene Wandermönch verehrt wird, der radikal der Welt entsagt hat, als Vorbild der Frömmigkeit, der Erfüllung des göttlichen Willens und der Selbstkasteiung. In der Gegenwart gibt es nicht wenige islamische Theologen, die sich ihm mit besonderem Interesse zuwenden45. Die christliche Trinitätslehre wird im Koran nicht eindeutig vorgetragen. Mal erscheint dort der Heilige Geist, mal Maria als die dritte Person der Trinität. Mohammed selber war 41 A. Anwander, 267. 42 Sure 4,157. 43 Sure 4,157 f. 44 H. Fries u. a., Jesus in den Weltreligionen (Kirche und Religionen - Begegnung und Dialog, 1), St. Ottilien 1981, 13; A. Anwander, 503; H.-J.Loth, M. Mildenberger, U. Tworuschka, 68 f. 45 Ebd., 70 ff. 13 jedenfalls der Auffassung, Maria würde von den Christen als Göttin verstanden und sie sei die dritte Person in der Trinität. Diese irrtümliche Auffassung verdankt er möglicherweise der Volksfrömmigkeit bzw. irgendwelchen christlichen Sekten, für deren Existenz uns in damaliger Zeit alte Belege vorliegen. Die Trinität wird im Islam in jedem Fall polytheistisch verstanden und dementsprechend zurückgewiesen46. Dennoch ist Maria in der Sicht des Islam eine der vier besten Frauen, die je gelebt haben. Die anderen drei sind, die biblische Tochter Pharaos - im Koran heißt sie Asiya und wird als Frau Pharaos bezeichnet -, Khadidja, die erste Frau Mohammeds und Fatima, seine Lieblingstochter, der Ehefrau Alis, des vierten Kalifen. Maria erschien bei der Geburt Mohammeds zusammen mit Asiya. So stellt es die Legende dar47. Dreiunddreißigmal begegnet uns im Koran für Jesus die Bezeichnung Sohn Mariens . Auch darin dürfte eine besondere Bedeutung Mariens angedeutet sein. 48 Wie sollte sie da nicht verehrt werden im Islam, zumal die anderen drei Frauen und viele andere Frauen und Männer im Islam als Heilige verehrt werden? Der Koran weiß, dass Maria die Tochter betagter Eltern ist, die gemäß einem Gelübde das Kind einem Tempel weihen. Der Name des Vaters ist Imran, der Name der Mutter Hanna. Der Vater stirbt vor der Geburt des Kindes und das Kind wird von seinem Onkel Zacharias in einer Nische des Tempels auf wunderbare Weise mit Essen versorgt, so oft er die Nische betritt. Diese Geschichte hat seinen Niederschlag darin gefunden, dass in den meisten Gebetsnischen der Moscheen jener Koranvers angeschrieben ist, der davon berichtet49. 46 M. Eliade, Geschichte der religiösen Ideen III,1 (Herder /Spektrum, 4200), Freiburg 1983, 83. 47 G. Simon, 131. 48 G. C. Anawati, Die Botschaft des Koran und die biblische Offenbarung, in: A. Paus, Hrsg., Jesus und die Religionen, Graz 1980, 145 f; F. Köster, 66. 49 Sure 3,32. Vgl. R. Gramlich, Die Wunder der Freunde Gottes. Theologien und Erscheinungformen des islamischen heilungswunders, 1987, 74-77; A. Th. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, 668 f. 14 Nicht weniger phantastisch ist die Geschichte von der Verkündigung, die der Erzählung von der Geburt Jesu vorausgeht. Der Erzengel Gabriel kündet Maria an einem Ort des Gebetes die wunderbare Geburt eines Sohnes an. Vor ihrer Niederkunft hält sie sich 40 Tage in einer entlegenen Höhle auf. Dann gebiert sie ihren Sohn unter einem Palmbaum. Später trägt sie ihn zu den Menschen, die sich darüber entsetzen, dass er keinen Vater hat, worauf das neugeborene Kind zu sprechen beginnt und den Tatbestand der Jungfrauengeburt erläutert, um so die Ehre der Mutter wieder herzustellen. Dieses Sprechen des Kindes ist für den Koran das erste Wunder Jesu. Es ist aufschlussreich, dass Maria hier mit Maria, der Schwester des Mose verwechselt wird50. 12 Jahre dauert der Aufenthalt der heiligen Familie in Ägypten gemäß der islamischen Überlieferung. Der Koran berichtet berichtet allerdings nicht über diesen Lebensabschnitt Mariens, auch nicht über ihren Tod. Aber um so intensiver hat sich die Legende mit ihm befasst. Gott soll ihr bis zum Ende ihrer Tage mit seiner Gnade nahe gewesen sein und sie durch die Öffnung der Erde dem gewaltsamen Tod durch ihre römischen Verfolger entrissen haben51. Darüber hinaus wird Maria immer wieder in der islamischen volksliteratur und Mystik erwähnt. Gerade im Rahmen der Heiligenviten ist ihre Stellung sehr bedeutsam, ohne dass ihr freilich ein dogmatischer Stellenwert zukommt52. Auch wird uns von Wallfahrten der Moslems zu dem angeblichen Grab Mariens in der Nähe von Ephesus berichtet53. 50 Sure 19. 51 A. Th. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, 668 f. 52 R. Bäumer, L. Scheffczyk, Hrsg., Marienlexikon III, St. Ottilien 1991, 325. 53 Ebd. 15 Eine Reihe von christlichen Dogmen wird im Koran ausdrücklich anerkannt, vor allem die jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu54. Diesen Tatbestand hat Johannes von Damaskus ( 754) bereits dazu veranlasst, den Islam als eine christliche Häresie zu bezeichnen. Mohammed und der Islam haben allerdings aus der Jungfrauschaft Mariens keine Folgerungen für die Stellung des weiblichen Geschlechtes gezogen55. Der wunderbare Eintritt Jesu ins Dasein unterstreicht im Koran seine einzigartige Stellung. Davon spricht die Sure 21,91. Der Koran spricht vom Besuch des Geistes Gottes bei Maria unter der Gestalt eines würdigen Mannes, womit der Erzengel Gabriel gemeint sein dürfte. Verkündigung und Empfängnis fallen zusammen, nicht anders als bei Lk 1,26-28. Islamische Theologen sagen von daher, Jesus sei neben Adam der einzige Mensch, der keinen Vater hatte56. Maria hat Jesus unter einer Palme geboren und bringt ihn ins Dorf, wo ihr der Argwohn entgegenschlägt, ein uneheliches Kind zur Welt gebracht zu haben. Maria braucht sich aber nicht selbst zu verteidigen, sondern das neugeborene Kind ergreift selbst das Wort und stellt fest, als Diener Allahs sei er gesegnet. Also bereits in der Wiege kann dieses Kind wie ein erwachsener Mensch reden57. Im Koran findet sich auch die merkwürdige Geschichte von der Formung von Vögeln, denen Jesus als Knabe das Leben eingehaucht habe58, eine Geschichte, die sich wiederholt in apokryphen Evangelien findet, etwa im ThomasEvangelium59, im arabischen Kindheitsevangelium 54 60 und im armenischen Buch der Sure 19; 4,171. 52 A. Anwander, 275; vgl. H. Bobzin, Art. Islam II, in: Theologische Realenzyklopädie XV, Berlin 1987, 337 f. 56 Vgl. Sure 3,59. F. Köster, 57 f. 57 Sure 3,41. 58 Sure 3,43. 59 Kapitel 2. 60 Kapitel 36 und 46. 16 Kindheit61. Andererseits steht der Koran in strikter Opposition zur Gottessohnschaft Jesu und zum Geheimnis des trinitarischen Gottes. Gott ist nur einer62, und Jesus ist ein Mensch63, und einer Erlösung bedurfte es nicht, weil es keine Erbsünde gibt64. Jesus ist auch nicht am Kreuz gestorben. Er hat vielmehr einen Doppelgänger gehabt, der für ihn am Kreuz gestorben ist65. Das Gheimnis des Kreuzes war für ihn, wie für die Juden und Heiden, Ärgernis und Torheit. Dass ein Prophet im Tod siegt, dass er zum leidenden Gottesknecht wird, dieser Gedanke war für Mohammed unvollziehbar. Der Prophet von Nazareth ist für Mohammed auch nicht von den Toten auferstanden, wohl aber wurde er von Gott in den Himmel erhoben66. Es gibt nur die allgemeine Auferstehung der Toten am Ende der Zeit. Vorher wird der in den Himmel entrückte Jesus auf die Erde zurückkommen. In Damaskus wird er erscheinen, den Antichristen vernichten und dann mit seinen Getreuen nach Jerusalem ziehen. Er wird die Synagogen und Kirchen zerstören und alle Ungläubigen, wozu in diesem Fall auch die Juden und die Christen gerechnet werden, töten und sie der einzig wahren Religion, dem Islam zuführen. Dann wird er noch vierzig Jahre auf der Erde leben, er wird eines natürlichen Todes sterben und in Medina neben Mohammed begraben. Bei der dann erfolgenden allgemeinen Auferstehung der Toten wird Jesus nicht als Richter erscheinen, er wird vielmehr beim Gericht assistieren und Zeugnis ablegen gegen all jene Christen, die ein falsches Christentum 61 Kapitel 18. 62 Sure 1. 63 Sure 19,35 f; Sure 112. 64 Sure 7,18-22; Sure 20,122. 65 Sure 4,157. In den Kommentaren der islamischen Theologen wird dieser Doppelgänger für gewöhnlich mit Simon von Cyrene identifiziert. Vgl. auch F. Köster, 59. 73. 66 A. Anwander, 274 f. 17 gelebt und nicht daran geglaubt haben, dass das wahre Christentum im Koran gegeben ist67. Wie alle wahren Propheten war auch Jesus ein Moslem68. Jesus wird im Islam - anders als im Christentum - nicht als der Sohn Gottes verstanden, dennoch sieht man ih ihm einen großen Propheten. Zum Beweis seiner besonderen Prophetenrolle hat er gemäß dem Koran Blindgeborene und Aussätzige geheilt69, er hat Tote auferweckt70 und auf die Bitte der Apostel einen Tisch mit Speisen vom Himmel herabsteigen lassen71. Er war ganz vom Geist Gottes erfüllt, wenngleich er wie viele Propheten vor ihm Ablehnung erfahren hat72. Der Koran berichtet an mehreren Stellen von Maria. Er berichtet von der Geburt Mariens, von der Verkündigung und von Ihrer Niederkunft. Die Weise, in der hier berichtet wird, ist im Unterschied zu den Evangelien stark legendär. Die Berichte sind stark geprägt von den Apokryphen73. Eine weitere Quelle scheinen nestorianisch-monophysitische Vorstellungen zu sein, die bereits im vorislamischen Arabien verbreitet waren74. Der Koran betont nachdrücklich, dass Maria nicht von göttlicher Natur ist. Er wendet sich 67 O. Havek, Le Christ et lIslam, Paris 1959, 265 ff; H. Michaud, Jesus selon le Coran, Neuchâtel 1960, 60 ff; F. Köster, 59.73. 68 Sure 5,75. 69 Sure 5,110. 70 Sure 5,110; Sure 3,43. 71 Sure 5,111-114. 72 Sure 2,87. Vgl. F. Köster, 59 f. 73 A. Th. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, 668 f. 74 R. Bäumer, L. Scheffczyk, Hrsg., Marienlexikon III, 325. 18 damit gegen die Marjamiten und einige andere Gruppen von Christen, die in der Zeit der Entstehung des Korans Maria als Teil der Trinität verehrten und sie so vergötterten75. Der Koran legt Jesus folgende Worte in den Mund: Siehe, ich bin Allahs Diener. Gegeben hat er mir das Buch, und er machte mich zum Propheten. Und er machte mich gesegnet, wo immer ich bin, und befahl mir Gebet und Almosen, solange ich lebe, und Liebe zu meiner Mutter; und nicht machte er mich hoffärtig und unselig. Und Heil auf den Tag meiner Geburt und den Tag, da ich sterbe, und den Tag, da ich erweckt werde zum Leben76. Jesus nennt sich hier also selber Prophet und Diener Allahs. Der Zusammenhang ist hier folgender: Maria hat Jesus unter einer Palme geboren und bringt ihn ins Dorf, wo ihr der Argwohn entgegenschlägt, ein uneheliches Kind zur Welt gebracht zu haben. Maria braucht sich nicht zu verteidigen, denn das neugeborene Kind ergreift das Wort und stellt fest, als Diener Allahs sei es gesegnet. Allah habe ihm das Buch gegeben. Es werde nun das rituelle Gebet verrichten, die Armensteuer bezahlen und sich so als wahrer Moslem bewähren77. Halten wir also fest: Jesus ist ein Prophet, wie es im Alten Testament viele gegeben hat. Er ist sogar ein besonders großer Prophet, denn er wird vor seiner Geburt angekündigt und er tritt auf wunderbare Weise ins Dasein, nämlich durch seine Geburt aus der Jungfrau Maria78. [Der Koran von dem Besuch des Geistes Gottes bei Maria unter der Gestalt eines würdigen Mannes, womit der Erzengel Gabriel gemeint sein dürfte. Verkündigung und Empfängnis fallen zusammen wie bei Lk 1,26-28. Das hat islamische Theologen zum Teil dazu veranlasst zu behaupten, der Erzengel Gabriel sei der Vater Jesu, obwohl an einer anderen Stelle des Koran ausdrücklich betont wird, Jesus sei neben Adam der einzige Mensch, der keinen Vater gehabt habe79. 75 A. Th. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, 668. 76 Sure 19,30-33. 77 Vgl. G. Jasper, Jesus im Koran und im Neuen Testament, in: G. Jasper, Muslime, unsere Nachbarn. Beiträge zum Gespräch über den Glauben, Frankfurt 31980, 31 ff. 78 Sure 21,91. 79 Vgl. Sure 3,59. 19 Der Koran berichtet über Maria, aber ein Interesse an Maria hat der Islam im allgemeinen nicht. Das II. Vaticanum rühmt die Verehrung Mariens im Islam in seiner Erklärung über die nichtchristlichen Religionen80. Es würde aber missverstanden, wenn man diese Verehrung im strikten Sinne verstehen würde, etwa so, wie Maria in der katholischen Kirche verehrt wird, sofern sie angerufen und nachgeahmt, sofern Gott für die Gnaden gepriesen wird, die er ihr verliehen hat. Das gibt es in rudimentärer Weise hin und wieder, wird aber offiziell als Aberglaube gebrandmarkt81. Es gibt bedeutende Parallelen zwischen Moslems und Christen. Diese liegen nicht nur im Ursprung des Islam. Viele von ihnen gründen in den dem Menschen natürlichen religiösen Vorstellungen. Der Islam verkündet den Glauben an einen einzigen Gott, der geistig zu denken ist, allmächtig und allgütig, der die Welt geschaffen hat, der den Menschen in Gerechtigkeit vergilt, er lehrt die unsterbliche Geistseele des Menschen, die Tugenden des Gebetes und der Verantwortlichkeit, der Wohltätigkeit und der Gastfreundschaft und hat darin nicht selten das Christentum beschämt, er lehrt das Weltgericht und die Auferstehung der Toten82, aber eine Frohbotschaft ist er nicht, wie es der Koran etwa behauptet83. Er ist vor allem fragmentarisch. Aber er könnte ein Weg zur Frohbotschaft des Eingeborenen vom Vater (Joh 1,14) sein84. In diesem Sinne sollte der Christ die Toleranz gegenüber dem Moslem und den Dialog mit ihm verstehen. 80 Nostra aetate, n. 3. 81 A. Th. Khoury, Lexikon religiöser Grundbegriffe, 668. 82 Vgl. Nostra aetate, n. 3. 83 Sure 27,2. 84 Anwander, 276.