Lex Provinciae - Lise-Meitner

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Das römische Bundesgenossensystem in Italien
Rom und seine Bundesgenossen in Italien bildeten keinen ,Bund', denn es gab keinen
Bundeswillen und keine Bundesorganisation. Rom war in diesem Verhältnis nicht Partner,
sondern Vormacht und die verbündeten Staaten keine Genossen, sondern abhängige Städte
und Stämme. Dies drückte sich u.a. sehr scharf darin aus, dass alle Vertragspartner einzeln
mit Rom verbunden waren, sie untereinander keinerlei vertragliche Verbindungen besaßen
und die Verträge mit Rom unauflöslich waren. Die Bundesgenossen standen aber nicht nur
einzeln Rom gegenüber; sie besaßen zudem sehr verschiedene Rechtsstellungen. Die
Römer hatten für die Gesamtheit der Beziehungen keinen besonderen Namen. Sie sprachen
es durch die Nennung seiner einzelnen Teile an: „Die Römer, die Bundesgenossen und die
Latinischen Kolonien".
Die Römer (romanus) selbst setzten sich aus den Bewohnern der Stadt Rom und den
Angehörigen aller in ihr im Laufe der Zeit voll integrierten Städte zusammen. Zahlreiche
dieser kleinen Gemeinden besaßen eine geringe Selbstverwaltung und das volle
Bürgerrecht (Zivil- und Stimmrecht) bei Anwesenheit in Rom. Zu ihnen gehörten auch all
die Städte auf dem römischen Kerngebiet, das sich in der Mitte des 3. Jh. v. Chr. über das
westliche Mittelitalien (Latium, Kampanien, Sabinerland) bis zur Adriatischen Küste
erstreckte, die von Rom aus gegründet wurden und als Flottenbasen dienten (Ostia, Antium,
Tarracina). Neben diesen gab es Städte, die ihre volle innere Autonomie behielten und über
ein eingeschränktes römisches Bürgerrecht (Zivil- ohne Stimmrecht = civitas sine
suffragio) verfügten. Sie gehörten damit zum römischen Bürgergebiet und waren insoweit
mit dem römischen Staatswesen verbunden, als ihre waffenfähige Mannschaft wie römische
Soldaten in den Bürgerlegionen diente.
Die Masse der Bundesgenossen (socii) waren Städte und Stämme Italiens, mit denen Rom,
seien sie Freunde oder besiegte Feinde, im Laufe der Zeit Vertragsverhältnisse eingegangen
war. In ihren Bundesverträgen war festgelegt worden, dass sie dieselben Freunde und
Feinde haben sollten wie Rom und wie ihr militärischer Beitrag im Falle eines Krieges
aussehen sollte. Alle äußeren Beziehungen waren damit auf Rom konzentriert und also die
Außenpolitik und Wehrpolitik zugunsten der römischen Vormacht aufgehoben worden,
doch blieb die innere Autonomie der Verbündeten, welche die Römer schon wegen des
Fehlens eines bürokratischen Herrschaftsapparates gar nicht antasten konnten, gewahrt. Die
Bundesgenossen waren folglich abhängige Staaten, die teilweise auch Steuern zu leisten
hatten.
Die Latinischen Kolonien (coloniae Latinae) umfassten die von Rom aus mit römischen
Bürgern etablierten Festungen, deren Bewohner alle einheitlich ein Latinisches Bürgerrecht
erhielten. Sie lagen in ihrer Mehrzahl rund um das samnitische Gebiet, standen alle auf
Boden, der dem Feind abgenommen worden war, und galten als die Bollwerke Roms in
Italien. Die Latinischen Kolonien sind kein Stadttyp, der sich historisch gebildet hat,
sondern eine Erfindung' der Römer im Sinne einer künstlichen Konstruktion. Der
Bewohner einer Latinischen Kolonie war nicht nur und nicht einmal in erster Linie Bürger
einer bestimmten Stadt, etwa Bürger von Venusia, sondern vor allem Träger eines
Bürgerrechts, das er mit allen anderen Städten eines Typs, eben den Latinischen Kolonien,
gemeinsam hatte. Zog der Bewohner einer Latinischen Kolonie nach Rom zurück, lebte
sein altes, römisches Bürgerrecht wieder auf. Die Latinische Kolonie war also eine
selbständige Stadt und trotzdem eine nicht nur wegen ihrer exponierten Lage in
Feindesland auf Gedeih und Verderb mit Rom verbundene, sondern auch eine ihrem ganzen
inneren Wesen und dem Fühlen ihrer Bewohner nach zu Rom gehörige Stadt.
Nach: J. BLEICKEN: Geschichte der römischen Republik. München 1999.
Lex Provinciae
1. Interpretiert von E. Meyer
Die Rechtsstellung der Provinzen ist dadurch charakterisiert, daß sie rechtlich ebenso
Ausland, nicht römisches Territorium waren wie die „Verbündeten", daß also römisches Recht
in ihnen nicht galt, daß sie aber im Gegensatz zu den Verbündeten der eigenen Staatlichkeit
entbehrten, theoretisch rechtlose Untertanengebiete waren. Im einzelnen wurden die
Verhältnisse in den Provinzen durch das von Rom erlassene Provinzstatut, die lex provinciae,
geregelt. Dieses Statut war für die einzelnen Provinzen zum Teil sehr verschieden, und je nach
Kulturstand der Provinz und den Umständen ihrer Erwerbung kamen für die Verwaltung
verschiedene Systeme zur Anwendung. Der einschneidendste Unterschied zu den abhängigen
Bundesgenossen bestand darin, daß die Provinzen an Rom steuerpflichtig waren. Sie hatten
einmal ihre festen Abgaben in Geld oder Naturalien zu zahlen [. . .], ferner gingen die
indirekten Abgaben, Zölle, Regalien und ähnliches an Rom, und endlich unterlagen sie dem
Requisitionsrecht des Statthalters für die Zwecke seiner Verwaltung. Im einzelnen war das
System der Steuerveranlagung und -erhebung verschieden. Die wichtigsten Formen waren die
Ertragssteuer vom Bodenertrag, meistens in Form des Zehnten, also in wechselnder Höhe,
dessen Erhebung in Sizilien an private Steuerpächter vergeben wurde, wobei die
Versteigerung der Steuererhebung auf der Insel selbst vor sich ging und auch Einheimische
pachten konnten, während die Verpachtung der Steuereinnahmen der Provinz Asien und
anderer in Rom durch die Zensoren geschah und daher nur römische Kapitalgesellschaften,
die publicani, „Steuerpächter", die Ausbeutung in den Händen hatten. Daneben gab es wie in
den spanischen Provinzen auch die Auferlegung einer festnormierten Steuer, die durch den
Statthalter eingezogen wurde. [. . .] Die lokale Selbstverwaltung mußte den Gemeinden in den
Provinzen belassen bleiben, da Rom durch seinen Praetor und Quaestor mit ihrem Gefolge nur
die Oberaufsicht ausübte. Sie war in dem Provinzstatut geregelt und umfaßte auch die niedere
Gerichtsbarkeit für die Provinzialen. [... ]
E. Meyer: Römischer Staat und Staatsgedanke. Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 21961. S. 233, 234, 245
2. Interpretiert von J. Vogt
Daß die in die Provinzen entsandten Magistrate das volle Imperium erhielten, also zivile und
militärische Gewalt vereinigten, ist charakteristisch für die römische Staatsordnung. Auf diese
Weise war in der Provinz, ebenso wie in Rom, ein einheitliches Regiment gesichert. Der
Statthalter hatte das Kommando der in der Provinz stehenden Besatzung und übte die
Rechtsprechung aus. Seiner Kriminalgerichtsbarkeit unterstanden alle Bewohner der Provinz,
von der Zivilgerichtsbarkeit waren die Bürger der freien Gemeinwesen ausgenommen. So
hatte das Regiment des Statthalters eine umfassende Ausdehnung, es war zugleich durch
besondere Unabhängigkeit ausgezeichnet. Die Rechtsprechung des Prätors in der Provinz war
in der Regel nicht durch das Recht der Berufung an das Volk (provocatio) eingeschränkt. Der
Statthalter war auch nicht durch die Kollegialität gehemmt, die für die Magistrate in Rom galt;
denn der Quästor, der ihm beigegeben wurde, war nur sein Gehilfe.
J. Vogt: Die Römische Republik. Freiburg/München 61973
1 149 v. Chr. wurde ein Gerichtshof für Provinzbewohner eingerichtet, vor dem sie Anklage
gegen römische Beamte nach deren Amtsführung in den Provinzen erheben konnten.
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