Bundesgenossenkrieg - Lise-Meitner

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DIE KRISE DER RÖMISCHEN REPUBLIK IV
Der Bundesgenossenkrieg 91-88 v.Chr.
Die Anlage der latinischen und römischen
Bürgerkolonien in Italien (s. S. 191) sowie
die jahrhundertealte Kampfgemeinschaft
Roms mit seinen italischen Bundesgenossen
hatten die zersplitterten Volker Italiens
allmählich zur Anpassung an Rom geführt.
Die Provinzialen außerhalb Italiens sahen
dies eher und schärfer als die Betroffenen
selbst: Die Griechen nannten alle aus Italien
in den Osten kommenden Personen
„Römer und nahmen damit vorweg, was
erst in der Zeit nach Sulla Wirklichkeit
werden sollte.
Seit den Gracchen und den Auseinandersetzungen in der Agrarfrage war das künftige
Verhältnis Roms zu den Italikern in den Sog
der inneren Machtkämpfe gerissen worden:
Die gracchischen Gesetze forderten auch
das von italischen Honoratioren ebenso wie
von den römischen Eliten okkupierte
Staatsland zurück schlossen jedoch die italischen Bauern von der Landverteilung aus.
Erst dadurch erhielt der Prozeß der
Anpassung Italiens an Rom eine neue,
nunmehr politische Dynamik, die in der
Forderung nach dem römischen Bürgerrecht
für die Latiner und die italischen
Bundesgenossen
(socii)
ihr
programmatisches Ziel erhielt.
Gehäuft und gezündet wurde der italische
Sprengstoff in Rom, dessen populare
Politiker die Bürgerrechtsfrage immer
wieder in der Hoffnung anheizten, durch
die Verleihung des Bürgerrechts an
möglichst viele Bundesgenossen eine starke
Anhängerschaft zu gewinnen, die große
Karrieren
versprach.
Hinzu
kamen
Übergriffe römischer Magistrate in den
italischen Städten, die den Konflikt
verstärkten.
Als 91 der Versuch des Volkstribunen
Livius Drusus scheiterte, den Konflikt
durch eine umfassende Italikergesetzgebung
auf gesetzlichem Wege zu lösen, war dies
das Signal zum Aufstand. Er wurde
vornehmlich
getragen
von
oskischsabellischen Stämmen, also von den
Marsern im Norden bis zu den Samniten und
Lukanern im Süden; nach den ersten
Anfangserfolgen der Aufständischen erfaßte
der Krieg auch das südliche Kampanien von
Nola bis Salernum (Salerno). Rom treu
blieben die Mehrzahl der latinischen
Kolonien, die Griechen Süditaliens und
weite Teile Etruriens und Umbriens. Die
Aufständischen schufen sich eine eigene
Organisation mit Bundesversammlung,
Exekutivorganen und einer eigenen
Hauptstadt Italia (Corfinium in Mittelitalien); ihre Soldaten kämpften mit derselben
Erfahrung und derselben Kriegstechnik wie
ihre römischen Gegner und konnten entsprechend der römischen Wehrordnung Italiens schnell mobilisiert werden. Pardon
wurde in diesem Krieg nicht gegeben: Unbeeindruckt von den Niederlagen des ersten
Kriegsjahres kämpften die römischen Feldherrn, Pompeius Strabo im Norden, Sulla
im Süden, bis zur bedingungslosen Kapitulation ihrer Gegner. Aus der Sicht der
Provinzialen mußten die Vorgänge wie ein
Wunder erscheinen: Rom, die übermächtige
Herrin der Welt, schickte sich zum Selbstmord an.
In Rom begriff man sehr schnell, daß dieser
Aufstand nur niederzuschlagen war, wenn
die oskisch-sabellischen Stämme isoliert
blieben. Noch im Jahre 90 gewährte daher
ein Gesetz des Konsuls L. Julius Caesar
(lex Julia) den treu gebliebenen Städten
und Stämmen korporativ das volle
Bürgerrecht, wenn sie bereit waren, dies
durch
Beschluß
ihrer
zuständigen
Rechtsorgane anzunehmen. Die lex Julia
(und die ihr in den kommenden Jahren
folgenden Gesetze) verwandelte also alle
Gemeinden, die das römische Angebot
annahmen, in municipia, was bedeutete,
daß sie ihre staatsrechtliche Autonomie
verloren, ihre Selbstverwaltung, die
Finanzverwaltung sowie entsprechende
Organe
(Magistrate,
Senat,
Volksversammlung) jedoch behielten. Das
municipium stellte also weiterhin eine
rechtliche Einheit dar. Mit diesem
Angebot und den Erfolgen der römischen
Waffen wandte sich das Kriegsglück
wieder Rom zu: Der Krieg verebbte, auch
wenn Teile der Samniten noch bis Ende
der achtziger Jahre kämpften und vom
Traum nach Unabhängigkeit nicht lassen
wollten.
Das „Stadtgebiet" von Rom umfaßte jetzt
ganz Italien. Die dem Stadtstaat angemessene Zentralisierung des politischen
Lebens in Rom war damit weitgehend
sinnlos geworden. Insbesondere die
Volksver
sammlungen hatten ihre Funktion als
politische Organisation des Gesamtvolkes
verloren, da die fern von Rom Lebenden an
ihnen gar nicht teilnehmen konnten und
statt ihrer die hauptstädtische Menge den
Ton angab. Die Zeit war reif, um den
Munizipien und Kolonien ein hohes Maß
an Selbstverwaltung zu geben und die
Verwaltung Italiens neu zu regeln. Das
anbrechende Zeitalter der Bürgerkriege ließ
für diese Aufgaben zunächst wenig
Spielraum.
Der Italische Stier wirft die römische Wölfin nleder.
Denar mit dem Namen des C. Papius Mutilus, Anführer
der Samniten im Bundesgenossenkrieg. Einige
samnitische Stämme verstanden den Krieg als
Befreiungskrieg von der römischen Herrschaft und
lehnten das angebotene römische Bürgerrecht ab. Sie
wurden Ende der 80 Jahre v. Chr. von Sulla ausgerottet.
Versuch eines innerrömischen und römlsch-italischen Ausgleichs
Nach jenen beiden Männern versprach auch der Volkstribun Livius Drusus, ein
Mann von erlauchtem Geschlecht, den Italikern auf ihr Bitten hin, das Gesetz
über ihr Bürgerrecht abermals zur Abstimmung vorzulegen. Dies war ihr
Hauptwunsch, denn sie sahen es als das einzige Mittel an, aus Untergebenen
Herrscher zu werden. Livius bearbeitete vorerst das Volk für diesen Zweck
und machte es sich ergeben durch die Gründung vieler Kolonien in Italien
und Sizilien, die zwar längst beschlossen, aber noch nie ausgeführt worden
war. Danach versuchte er, Senat und Ritter, die gerade um diese Zeit wegen
der Gerichte am erbittertsten gegeneinander standen, durch ein gegen beide
gleich billiges Gesetz zu versöhnen. Weil er dem Senat die Gerichtsstellen
nicht offen wieder zuwenden konnte, so ersann er für beide folgenden
künstlichen Ausweg: Da die Senatoren wegen der früheren Unruhen jetzt
kaum noch ihrer dreihundert waren, so trug er darauf an, es sollten noch
genauso viele aus den Rittern, und zwar aus den besten, dazu gewählt
werden; aus der Gesamtheit sollten künftig die Gerichte hervorgehen. Bei
diesen, setzte er hinzu, sollten auch die Untersuchungen über Bestechungen
vorgenommen werden, Vergehen, bei denen man beinahe gar keine Klage
mehr kannte, so ungescheut waren sie im Schwange. Livius hatte dabei
beide Seiten im Auge gehabt; der Erfolg aber war das Gegenteil von dem, was
er wollte: Denn der Senat war äußerst erbittert darüber, daß auf einmal so
viele : Neugewählte in seine Mitte kommen und daß diese vom Ritterstand
aus zur höchsten Würde erhoben werden sollten, indem er es nicht für unwahrscheinlich hielt, daß sie, zu Senatoren geworden, als eigene Gruppe sich
mit aller Macht gegen die älteren Senatoren auflehnen würden. Die Ritter
dagegen argwöhnten, daß durch die Maßnahme die Gerichtsstellen für die
Zukunft von ihrem Stande wieder auf den Senat allein übertragen werden
sollten. Und weil sie die damit verbundenen großen Vorteile und die
Machtausübung schon gekostet hatten, so war ihnen bereits der Verdacht
schmerzlich. Da sie eine so große Zahl darstellten, entstand überdies
Verlegenheit und Spannung unter ihnen selbst, wer denn die Würdigsten für
die Wahl unter die Dreihundert wären. Neid gegen Auserkorenen erwachte bei
den übrigen. Am meisten aber wurden sie dadurch aufgebracht, daß die Klage
über Bestechungen wieder aufkommen sollte, die sie doch bisher nach Kräften
mit der Wurzel ausgerottet zu haben glaubten.
Appian, Bürgerkriege 1, 35 (übers, von F. Dillenius, S. 922 f., überarb. von A. Mehl)
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