Dr. Jürgen Beyer Vorlesung zur Stilistik der deutschen Sprache der Gegenwart Teile I und II 1. Stil (Definition, System – Text) 2. Stilelemente als variable sprachliche Mittel - Kommunikationsgegenstand und Thema - Kommunikationsverfahren und Darstellungsperspektive - Kommunikationssituation - Satzarten und Modaladverbien als Stilelemente 3. Stiltypen, Stilklassen 4. Stilmerkmale / Stilzüge und ihre Klassifizierung 5. Stilistik und Nachbardisziplinen Teil III = Wiederholung /Zusammenfassung von Teil I und II Folie: Stil – griech.: stylos (Säule, Pfahl) - latein.: stilus , jeder oben zugespitzte, säulenartige Gegenstand, darunter auch: Schreibgriffel. Übertragene Bedeutung: Art und Weise des Schreibens: mündlicher und schriftlicher Sprachausdruck. Stil – Text – Sprachsystem „Stil“ – Erscheinung und Wesensbestimmung Den Ausdruck Stil finden wir in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, und er wird auf verschiedene Erscheinungen bezogen: auf Sprache, schöngeistige Literatur, bildende Kunst und andere Formen der Kunst, auf Mode, Sport, Leitungstätigkeit (Führungsstil) usw. Die engste Beziehung hat der Stilbegriff in der Geschichte der Wissenschaften zu Fragen der Rhetorik, der Poetik und der (allgemeinen) Ästhetik, also zu Fragen, bei denen es um das spezifische Problem der Ausdrucksweise eines Subjekts geht. 1 Dass die Sprache in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielt, ist verständlich, da sie das umfassendste Kommunikationsmittel in der Gesellschaft ist. Entsprechend den Traditionslinien der antiken Rhetorik wird unter Stilistik – und das ist durchaus berechtigt! – oft eine Lehre verstanden, die sich vorrangig beschäftigt mit Fragen des wirkungsvollen Sprachgebrauchs. In diesem Sinne ist dann die Stillehre vor allem eine Anleitung zu sprachlicher Meisterschaft im öffentlichen Auftreten. Dies ist stets gesellschaftlich-historisch determiniert, denn der Aspekt der Sprachbeherrschung und Sprachwirkung richtete sich im Altertum in erster Linie auf die mündliche Rede als Mittel der praktischen Politik. In der antiken Stilistik liegt der Akzent ursprünglich auf der Redekunst und dem Sprachkönnen. In der bürgerlichen Wissenschaft des 19. und 20. Jh. entwickelt sich einerseits der Begriff Stil als „Sprachkunst“, und zwar in einem Sinn, der den Gegenstand der Stilistik auf das Ästhetische bzw. auf das ÄsthetischKünstlerische einschränkt. Andererseits entwickelt sich seit Mitte des 19. Jh. die Stilistik allmählich zu einer eigenständigen Teildisziplin. Praktisch sah das vor allem so aus, dass Regeln formuliert und Beispiele gegeben wurden, wie ein Lebenslauf oder ein Geschäftsbrief abzufassen ist, welche Sprach- und Stilmängel zu bekämpfen sind, welche Ausdrucksweisen bevorzugt werden sollten. Dabei kam es natürlich entsprechend dem erreichten Entwicklungsstand der Stilistik teilweise zu Simplifizierungen und Übertreibungen bzw. Verabsolutierungen: z.B. die Forderung der Verwendung ausschließlich kurzer Sätze, anstatt auf die Ausdrucksmöglichkeiten längerer Sätze hinzuweisen, oder ausschließlich verbale Ausdrucksweise anstelle der nominalen, generelles Vorziehen des Aktivs gegenüber dem Passiv, des einheimischen Wortes gegenüber dem Fremdwort usw. Es besteht kein Zweifel daran, dass teilweise solche Regeln durchaus berechtigt sind, jedoch herrscht heute in der Wissenschaft längst Einigkeit darüber, dass kein sprachliches Ausdrucksmittel grundsätzlich „verboten“ werden darf. Entscheidend ist vielmehr die Frage, in welcher gesellschaftlichen Sphäre, in welcher konkreten Kommunikationssituation und in welchem Kontext (z.B. Wissenschaft/Technik; offizielle oder familiäre Sphäre; kolorierend, ironisierend, zitierend usw.) ein Ausdrucksmittel verwendet wird. Stilregeln müssen also ausreichend begründet sein und in ihrem Geltungsbereich gekennzeichnet sein!! 2 Für die Wesensbestimmung der Erscheinung „Stil“ bzw. „Stilistik“ gibt es eine Vielzahl von Definitionen, die mehr oder weniger inhaltlich und auch in der Formulierung differieren, teilweise jedoch auch in wesentlichen Inhaltsmomenten übereinstimmen, z.B.: Folien: Fleischer: Gegenstand der Stilistik ist die funktional bestimmte Nutzung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten auf allen Gebieten der gesellschaftlichen Praxis. Immer geht es um spezifische Fragen der Sprachverwendung (= Sprachstilistik). E. Riesel: „Stil“ = die Verwendungsweise der Sprache im Sprech- und Schreibakt – ein System von Gesetzmäßigkeiten der Ausdrucksgestaltung. Also: Wie werden die sprachlichen Möglichkeiten in der konkreten Rede (parole) mündlich oder schriftlich genutzt? Individualstil des Menschen und Funktionalstil(e) = die historisch veränderliche, funktional und expressiv bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem bestimmten Gebiet der menschlichen Tätigkeit: 1. 2. 3. 4. 5. Stil des öffentlichen Verkehrs (Amtsstil) Stil der Wissenschaft Stil der Publizistik und der Presse Stil des Alltagsverkehrs Stil der schöngeistigen Literatur (Belletristik) Der Gegenstand der Stilistik umfasst 4 große Forschungsgebiete: 1. Lehre von der Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel. 2. Geschichte des Stils. 3. Lehre von den Individualstilen (Einzelstile von Persönlichkeiten) 4. Lehre von den sprachlichen Individualstilen in der Belletristik. Heusinger: Pragmatisch orientierte Auffassung: 1. Der Stil ist eine kommunikativ-pragmatische Kategorie, denn er zielt in der Kommunikation auf Wirkungen beim Empfänger. 2. Der Stil enthält sprachliche Besonderheiten einer individuellen Diktion. 3 3. Den Stil kennzeichnen sprachliche Spezifika, die in einer bestimmten Kommunikationssituation und in einer gewählten Textsorte benötigt werden. 4. Über den Stil wird das vom Sprecher/Schreiber Gemeinte (Intention) zum Ausdruck gebracht. Diese Auffassung vertritt die Meinung: Stil ist nur Merkmal der parole, nicht der langue. Definition Stil: Stil ist die sprachliche Beschaffenheit eines (mündlichen oder schriftlichen) Textes, in der sich die sozial bedeutsame Art der sprachlichen Handlungsführung spiegelt. Pragmatisch orientierte Auffassung des Gegenstandes der Stilistik: Gegenstand der Stilistik ist der Textstil und seine Beschreibung. Die Stilistik fragt - nach der Textbeschaffenheit im kommunikativen Zusammenhang, indem sie Stilelemente erfasst, ihre Funktion bei der Darstellung des Inhalts ermittelt, die Verflechtung im Text aufzeigt und die Textkomposition untersucht; - nach der Stilwirkung in Bezug auf die Kommunikationssituation, die Intentionen des Sprechers/Schreibers und in Bezug auf die der Textsorte angemessene Textbeschaffenheit; - nach dem Stiltyp (z.B. Nominalstil, Verbalstil, Epochenstil usw.); - nach den Charakteristika des Stils (Stilzüge wie z.B. anschaulich / bildhaft, bildlich, lapidar, sachlich, locker .....). Wenn man diese Definitionen (und es gibt noch viel mehr!) genauer betrachtet, stellt man leicht fest, dass die übereinstimmenden Momente den Kern des Bereichs der linguistischen Stilistik bilden. Zu solchen Kernpunkten der Stilistik sowie zu einer wissenschaftlichen Stildefinition gehören folgende Sachverhalte: (1) Der Begriff „Stil“ bezieht sich auf den Gebrauch der Sprache. Dabei muss man aber immer die dialektische Einheit von Sprachsystem und Sprachgebrauch beachten (2) Den Begriff „Sprachgebrauch“ kann man prozessual verstehen als Gestaltungsakt und resultativ als „Gestaltungsprodukt“, also als mündlichen oder schriftlichen Text. „Stil“ jedoch wird im Allgemeinen nur auf das Gestaltungsprodukt – also den Text – bezogen. Das bedeutet: Nicht das, was im Kopf des Menschen vor sich geht, ist Stil, sondern 4 welche Ausdrucksweise den Text als geäußerte (exteriorisierte) Sprache kennzeichnet und vom Kommunikationspartner erkannt wird. (3) Der Stilbegriff schließt immer die Möglichkeit und manchmal sogar den Zwang zur Auswahl ein, d.h., der Sprachbenutzer kann bzw. muss – automatisiert oder bewusst – aus einer großen Menge äquivalenter sprachlicher Mittel und Konstruktionen, Muster und Modelle spezifische Ausdrucksvarianten auswählen, die nach seinen Erfahrungen und nach seinem Könnensniveau optimal sind für die Realisierung seiner Kommunikationsabsicht (Intention). (4) Die Wahl der optimalen Ausdrucksvariante ist stets determiniert durch die äußeren Bedingungen: - Tätigkeitssituation - soziale Situation - Umgebungssituation und durch die inneren Bedingungen: - die eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Gewohnheiten, Interessen, Einstellungen, Motive usw. - die dadurch bedingte Art der Widerspiegelung der Kommunikationssituation im Bewusstsein des Sprachbenutzers. (5) Als Stil verstehen wir also nicht ein einzelnes Sprachelement oder eine Summe sprachlicher Mittel, die auf eine bestimmte Anwendungssphäre spezialisiert sind, sondern eine auf eine spezifische Weise zusammenwirkende und strukturierte Gesamtheit sprachlicher Elemente in bestimmten Gebrauchssphären. Deshalb unterscheiden wir auch zwischen Stil einerseits und solchen Termini, die nur bestimmte Merkmale oder Seiten des Stils erfassen wie z.B. Stilelemente, Stilzüge, Stilschichten, Stilnormen, Stiltypen. Neben diesen Kernpunkten und Übereinstimmungen in den Meinungen der Linguisten gibt es jedoch auch Unterschiede und theoretisch noch ungenügend geklärte Fragen. Immer wieder steht dabei im Mittelpunkt das Verhältnis des Begriffes Stil zu den Begriffen „Sprachsystem“ (also langue) und „Text“ (also parole). Sehr verbreitet ist die Meinung, dass von Stil nur auf der Ebene Text gesprochen werden kann und dass Stil in diesem Sinne eine Kategorie der Textlinguistik ist. Stil betrifft also nur die mündliche oder schriftliche Äußerung, den gesprochenen oder geschriebenen Text. Unter diesem Gesichtspunkt wird Stil als Redestil verstanden. Das Sprachsystem als Ganzes, eine Sprache als solche, z.B. die deutsche oder russische, hat keinen Stil, und es wäre unwissenschaftlich zu sagen, dass z.B. 5 das Französische stilvoller als das Deutsche ist. Aber darüber herrscht eigentlich heute auch schon Einigkeit in der Fachwelt. Diskutiert wird jedoch immer wieder, ob nicht innerhalb einer Sprache als System bestimmte Stile von vornherein als Subsysteme festgelegt sind. Eine Meinung, die durchaus Unterstützung findet, z.B. auch bei der Einteilung in bestimmte Funktionalstile. Daraus resultiert auch die Forderung, dass ein modernes Wörterbuch die Lexeme nicht nur semantisch und grammatisch, sondern auch weitgehend stilistisch charaktersiert. Solche stilistischen Kennzeichen sind z.B. die bevorzugten Gebrauchssphären eines Lexems, also jene Anwendungsbereiche, in denen die sprachliche Erscheinung nach den Gesetzen der relativen Wahrscheinlichkeit häufig vorkommt. Dazu später noch genauere Ausführungen. Einige Gedanken zum Zusammenhang von Stil und Text Ausgehend von dem bisher Gesagten, können wir an dieser Stelle bereits sagen – und das müsste uns allen auch klar sein! - , dass wir niemals den Zusammenhang von Stil – parole und langue außer Acht lassen dürfen, jedoch der Zusammenhang von Stil und Text die dominierende Rolle spielt. Folie: Stil ist ein bestimmtes Merkmal von Texten, eine Komponente, die jeder Text hat, unabhängig davon, ob es sich um einen guten oder schlechten, einen angemessenen oder nicht angemessenen Stil handelt. Außer der Komponente Stil weist ein Text noch andere Komponenten auf, die wichtige Seiten des Inhalts und der Form des Textes bilden: - der Kommunikationsgegenstand (= worüber gesprochen/geschrieben wird), - das Thema (= unter welchem Leitgedanken der Kommunikationsgegenstand behandelt wird, welche Seiten und Aspekte besonders hervorgehoben werden), - das Kommunikationsverfahren / der Sprachhandlungstyp (= ob sich der Sprecher / Schreiber über den Gegenstand erzählend, berichtend, beschreibend, erörternd oder in anderer Weise äußert), - die Darstellungsperspektive (= aus welcher Blickrichtung der Autor die Kommunikationsgegenstände darstellt), - die Komposition (= die innere, gegenstandsbedingte, themabedingte und / oder verfahrensbedingte Gliederung), - die Architektonik (= die äußere, sinnlich wahrnehmbar gemachte Gliederung, also Kapitel, Absätze, Strophen u.a.). 6 Bestimmt haben Sie bemerkt, dass die Komponente Stil sehr eng mit diesen o.g. Faktoren zusammenhängt, ohne dass man sie einander gleichsetzen oder integrieren kann. Eine weitere wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Begriff Stil spielt das Genre eines Textes. Mit dem Genre hängt ganz eng zusammen: - Welche Sachverhalte der objektiven Realität werden aufgegriffen? - Zu welchem Zweck sollen sie behandelt werden? - Unter welchem Gesichtspunkt sollen sie behandelt werden? - Welche sprachlichen Mittel und Kombinationen sind dabei möglich? Also: Der Stil ist abhängig vom Prinzip der kommunikativen Funktion der Sprache, und wesentliche funktionale Unterschiede in Kommunikationsprozessen führen auch zu stilistischen Unterschieden. Andererseits muss man sich immer darüber im Klaren sein, dass mit dem Genre, dem Kommunikationsgegenstand, dem Thema, der Kom.-situation usw. der Stil einer sprachlichen Äußerung nicht oder nur in den seltensten Fällen eindeutig festgelegt ist. Immer gibt es für den Sprecher/Schreiber bestimmte Variationsmöglichkeiten, und zwar - in der Lexik des Textes (z.B. Wiedererwähnung einer Sache durch das gleiche Wort, durch ein Pronomen, durch ein Synonym, durch einen Oberbegriff, durch Aufzählung von Art- und Unterbegriffen); - aber auch in der Morphologie und Syntax (z.B. durch Modusvarianten bei der indirekten Rede, also Indikativ – Konjunktiv, durch die Verbindung von Sätzen als Satzreihe, Satzgefüge oder Satzverbindung). Wir bestimmen also den Stil als besondere Komponente eines Textes – neben anderen Komponenten wie Kommunikationsgegenstand, Thema, Darstellungsverfahren, Darstellungsperspektive, Kommunikationssituation usw. Das bedeutet, wir sehen das Wesen des Stils in erster Linie darin: - Welche Art der sprachlichen Kodierung/Formulierung wird benutzt? - Welche Kommunikationsbedingungen sind vorhanden? - Welche adäquate Ausdrucksvariante wird benutzt? - Welche Wortwahl gibt es? - Wie ist die syntaktische und lautlich-intonatorische Gestaltung des Textes durch den Sprecher/Schreiber? Wenn wir das alles berücksichtigen, ist es uns auch klar, dass ein Kommunikationsverfahren – z.B. Erzählen oder Erörtern – sprachstilistisch durchaus verschiedene Ausprägungen haben kann. 7 Ich wiederhole noch einmal: Stil ist nicht das innere Programm im Kopf des Sprechers/Schreibers, nicht der Plan der Erzählung, sondern die sprachliche Realisierungsvariante, die der Sprecher/Schreiber unter Berücksichtigung des grammatischen Regelsystems auswählt. Nicht vergessen: Auch das bewusste Abweichen vom Regelsystem ist eine Realisierungsvariante, also Stil! Jedoch: Eine bestimmte Kommunikationsaufgabe (z.B. das Abfassen eines amtlichen – keines persönlichen! – Schreibens) schließt von vornherein auch hinsichtlich des Stils besondere Normen ein, die besonders beim Formulieren zu beachten sind! Der Stil eines Textes ist also bei allen Variationsmöglichkeiten immer vorher bestimmt durch das Gesamtgefüge der Bedingungen einer Kommunikationshandlung, durch sog. „situative Normen“. Diese Tatsache wird von manchen Wissenschaftlern oft verneint. Zum Zusammenhang von Stil und Sprachsystem Die stilistische Qualität eines Textes, die Gesetzmäßigkeiten zur Verwendung der Sprache in einer konkreten Kommunikationshandlung sind nicht nur durch die außersprachlichen Bedingungen, also durch die Kommunikationssituation, determiniert, sondern auch durch den Charakter des sprachlichen Materials selbst. Es gibt gesetzmäßige Beziehungen zwischen außersprachlichen Situationen und sprachlichen Mitteln und Kombinationen. Das System einer Sprache muss alle Kommunikationsbedürfnisse der Gesellschaft befriedigen und ist deshalb reichhaltig differenziert. Es enthält Ausdrücke, die sich denotativ auf ein und dasselbe außersprachliche Objekt beziehen lassen und doch nicht in jeder beliebigen Situation für dieses Objekt verwendet werden können. Aus der Lexikologie kennen Sie die sog. stilistischen Synonyme. Nehmen wir als Beispiel die Synonymreihe für „angeben“: renommieren, prahlen, protzen, sich aufspielen, sich in die Brust werfen, auf die Pauke hauen usw. Das betrifft aber ebenso bestimmte grammatische Mittel und Konstruktionen wie z.B. die Ausrahmung als spezielles stilistisches Mittel, die Satzgliedfolge u.a.m. Differenzierungen der sprachlichen Mittel kann man unter quantitativem Aspekt oder unter qualitativem Aspekt vornehmen. Unter quantitativem Aspekt kann man zwischen solchen sprachlichen Elementen unterscheiden, deren Anwendung situativ eingeschränkt, also 8 stilistisch differenziert, ist, und solchen Elementen, die situativ nicht eingeschränkt, also stilistisch undifferenziert sind. Stilistisch undifferenziert sind offensichtlich Wörter wie und, oder, aber, trotzdem, weil, ich, er, Fisch, Haus, schön, viel, gehen, essen usw. Es sind meist Wörter zur Bezeichnung alltäglicher elementarer Dinge. Trotzdem gibt es zu manchen dieser Ausdrücke bereits im Sprachsystem angelegte Synonyme und Dubletten, die man entsprechend den situativen Normen nicht in jeder Kommunikationssituation gebrauchen kann. Als Beispiel seien nur die Lexeme essen und speisen genannt. Essen kann man in einer zwanglosen, nichtgehobenen Alltagssituation genauso verwenden wie in einer festlichen, gehobenen Situation. Speisen jedoch ist - deutlich semantisch bedingt – von vorn herein auf bestimmte Kommunikationssituationen beschränkt. Unter qualitativem Aspekt kommt es darauf an, die Gebrauchsbeschränkungen und –differenzierungen sprachlicher Mittel im Hinblick auf ihre Anwendungsbereiche zu bestimmen, also auch die Bereiche ihrer Anwendbarkeit exakt zu benennen. Dabei geht man von sog. Situationselementen (-merkmalen) aus, die vielfältig kombinierbar sind. Folgende Aspekte haben sich dabei als wesentlich erwiesen: - die funktionale Differenzierung nach bestimmten Tätigkeitssphären mit einer spezifisch organisierten Kommunikation wie Wissenschaft, Wirtschaft, Journalistik, Amtsverkehr, Alltag u.a.m.; Beispiele: Gerade, Strecke, Strahl in den Bereichen Wissenschaft, Mathematik, Geometrie oder Winterschlussverkauf, Inventur, Werbung in den Bereichen Wirtschaft und Handel oder Schlagzeile, Pressenachricht, Kolumnist in den Bereichen Journalistik und Pressewesen oder öffentliche Sprechzeiten in den Bereichen Amtsverkehr und Verwaltung. - die soziale Differenzierung nach gesellschaftlichen Systemen, Klassen, Schichten, Berufsgruppen, Altersgruppen u.a.m., z.B. Blume, Rute, Fahne, Lunte, Standarte in der Jägersprache zur Bezeichnung von Schwanz bei verschiedenen Tieren oder Uni, exen, audi max aus dem Sonderwortschatz der Studenten. - die territoriale Differenzierung nach der geographischen Verbreitung bestimmter sprachliche Ausdrücke, z.B. Mundartwörter wie nd. Buten für draußen, landschaftlich begrenzte Wörter wie Latschen, Schlappen fürHausschuhe/Pantoffeln. - die sprachhistorische Differenzierung nach dem Grad des Veraltetseins vom Standpunkt der Gegenwartssprache aus, z.B. Archaismen wie künstlich für kunstfertig/ geschickt / begabt oder Landstürzer für Landstreicher (bei Grimmelshausen). 9 - die stilschichtenspezifische Differenzierung nach dem Stellenwert innerhalb eines Skala zwischen den Polen gehoben und vulgär, z.B. für „sich zurückziehen“ die abgehobenen Ausdrücke wie sich empfehlen, sich auf französisch empfehlen oder abhauen, sich verkrümeln, in den Sack hauen, sich verpissen. Aus der Lexikologie wissen Sie bereits: Ein und dasselbe Denotat kann auf verschiedene Weise abgebildet und entsprechend sprachlich fixiert werden, und in der Stilistik spielen wiederum die konnotativen Bedeutungskomponenten eine wichtige Rolle bei der Stilschichtendifferenzierung. Erwähnen müssen wir noch die Theorie von den systemimmanenten Sprachstilen. Sie unterscheidet zwischen Stilen auf der Ebene der langue, also der Systemebene, und auf der Ebene der parole, also der Textebene. Demzufolge unterscheidet sie zwischen Sprache als Potenz, als Ausdruckspotential und Sprache als Wirklichkeit, also Sprache in Aktion, als geäußerter Text. Fleischer 1979, 65 formuliert dazu, ich zitiere: „Die Elemente des sprachlichen Zeichensystems sind potentielle Stilelemente. Sie werden beim Prozess der Textherstellung ….zu tatsächlichen (aktuellen) Stilelementen“. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die potentielle und aktuelle Bedeutung der Lexeme in der Lexikologie. Stilelemente Stilelemente als variable sprachliche Mittel Der Stil eines Textes sowie der für einen ganz bestimmten gesellschaftlichen Bereich charakteristische Stiltyp haben Ganzheitscharakter. Das heißt: Wir sprechen – wenn wir Stil meinen – nicht in Bezug auf ein einzelnes Wort oder eine einzelne grammatische Form oder eine beliebige aus dem Kontext herausgehobene Erscheinung, sondern wir haben immer im Auge: das besondere Zusammenwirken aller lexikalischen, grammatischen, phonetischen und auch graphischen Elemente, die der Textproduzent aus einem rieseigen Feld von Möglichkeiten situationsspezifisch ausgewählt hat, um einen Kommunikationseffekt zu erzielen. Jedoch müssen wir stets berücksichtigen: Innerhalb der Stilganzheit spielen die einzelnen sprachlichen Elemente natürlich eine wesentliche Rolle. 10 Sie können entweder sofort die Aufmerksamkeit eines Hörers / Lesers erregen oder weniger auffällig den Gesamttext mit gestalten – immer hat das einzelne sprachliche Element einen spezifischen Stellenwert innerhalb der Stilganzheit! Es ist ein Teil vom Ganzen! Und deshalb bezeichnen wir diese sprachlichen Mittel als Stilelemente. Diese sprachlichen Mittel – also die Stilelemente – können unter verschiedenen Gesichtspunkten charakterisiert werden und verschiedenen Kategorien und Ebenen zugeordnet werden. Im folgenden Anfangsteil eines Textes heißt es: Folie: Albert Einstein….. Das hier auftretende Wort Vollender ist nach der Wortart ein Substantiv, nach der Wortbildung eine explizite Ableitung, syntaktisch ein Teil einer sog. „freien Wortgruppe“. Semantisch kann man es charakterisieren als eine Art Antonym zu dem begriff „Bahnbrecher“. Man kann es aber auch charakterisieren als „Topikelement“, als ein Element einer Topikkette innerhalb einer Reihe äquivalenter Ausdrücke mit gleichem Denotatsbezug: Albert Einstein – Vollender – Bahnbrecher – er. Solche Merkmale und Beziehungen sind bereits im Sprachsystem angelegt, aber sie werden vom Textproduzenten unterschiedlich genutzt. Ein wesentlicher Gesichtspunkt zum Erfassen von Stilelementen eines Textes oder beim Formulieren eines Textes ist die Variation bei gleichem Denotatsbezug! Diese Variation kann beruhen: - auf Substitution, d.h. Ersatz eines Ausdrucks durch einen anderen denotatsgleichen Ausdruck und / oder - auf Kombination, d.h. veränderte Anordnung eines Ausdrucks im Kontext. Die Variation kann sich formal beziehen: = Folie auf eine lexikalische Erscheinung: Mitbegründer statt Bahnbrecher der neuen Physik, auf eine morphologische Erscheinung: stand anstelle von steht an der Wende von der alten zur neuen Physik, auf eine syntaktische Erscheinung: Als Vollender und Bahnbrecher zugleich steht er an der Wende … (Satzglied mit „als“ anstelle einer verkürzten Partizipialkonstruktion). auf einen ganzen Komplex sprachlicher Erscheinungen, so dass größere Veränderungen die Folge sind: Albert Einstein nimmt als Vollender und Bahnbrecher an der Wende von der alten zur neuen Physik in der Geschichte der neueren Naturforschung eine Sonderstellung ein. 11 Zur Variation in der sprachlichen Wiedergabe eines Denotats zählen wir auch: die Addition (= Hinzufügung eines weiteren sprachlichen (und damit gedanklichen) Elements, wodurch ein bereits benannter Sachverhalt noch spezieller charakterisiert wird), z.B. Albert Einstein nimmt in der Geschichte der neueren Naturforschung eine hervorragende Sonderstellung ein, die Elimination (=Aussparung sprachlicher Elemente. Man kann z.B. verzichten auf eine bestimmte Adverbialbestimmung, ein bestimmtes Attribut usw.). Beispiel: Albert Einstein ist …. ein … Vollender und Bahnbrecher an der wende von der alten zur neuen Physik. Wir stellen natürlich dabei fest, dass der Kommunikationseffekt wesentlich mitbestimmt wird von der stilistischen Qualität der sprachlichen Formulierung! Natürlich reicht es nicht aus, das Wesen von Stilelementen allein in der Variabilität bei der Bezeichnung eines Gegenstandes oder Sachverhalts zu sehen. Wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass sich die individuellen Entscheidungen eines Textproduzenten bei der Wahl seines sprachlichen Ausdrucks immer bewegen müssen im Toleranzraum der obligatorischen Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Sprachsystems und seiner Repräsentation auf der Ebene der parole, also des Textes. Mit der Eröffnung eines Textes ist also immer gleichzeitig auch sofort ein bestimmter Kontext gegeben mit Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Formulierung dieses Textes. Allerdings werden dadurch die subjektiven Entscheidungsmöglichkeiten des Textproduzenten niemals ganz ausgeschaltet. Zum Zusammenhang von Stilelementen, Kommunikationsgegenstand und Thema Immer wieder müssen wir uns merken: Bei der Lösung einer Kommunikationsaufgabe ist das Thema eine zentrale textbestimmende Komponente! Von der Art des Themas wird immer mit bestimmt, welcher Kommunikationsgegenstand in den Text aufgenommen wird, an welcher Stelle im Text er placiert wird, 12 welchen Rang er in der Hierarchie der thematischen Struktur einnimmt, wie er intentionsgerecht im Rahmen der lexikalisch-grammatischen Kontextbeziehungen sprachlich benannt werden muss. Betrachten wir uns unter diesem Gesichtspunkt und zur Demonstration als Beispiel die einführenden Absätze eines Bildbandes über die Stadt Leipzig = auf Folie! Aufgabe: Kurzes stilles Lesen! Achten Sie bitte auf die Wörter Stadt, ihr Alter und das Wasser des Lebens! Welche Zuordnungen stellen wir fest? = Folie! Stadt – schöne Frau – ihre Menschen – ihre schöpferische Kraft ihr Alter – achthundert Jahre – fünf Jahrtausende – ihre Vergangenheit – ihre Kindheit – ihre Jugend – die Stadt heute das Wasser des Lebens – die Menschen – ihre Arbeit – ihr Erfindergeist, ihre Lebensfreude, ihr Kampf um eine immer schönere Welt – das alles ist … der Jungbrunnen einer Stadt. Mit solchen unterschiedlichen Zuordnungen werden Übertragungen und Identifikationen vorgenommen, durch welche die Variabilität in der sprachlichen Bezeichnung eines Denotats beträchtlich erhöht wird. Es entstehen Ketten äquivalenter Ausdrücke, die sich auszeichnen durch eine potenzielle Fülle origineller stilistischer Möglichkeiten. In der sog. „alltäglichen“ Sprache stehen gar nicht so viele Bezeichnungen zur Verfügung, aber mit der thematisch bedingten und auf einem bildlichen Vergleich beruhenden Zuordnung Leipzig – neue Stadt – Mensch – Frau – Geliebte bereits eine Transformation in die Sphäre des sog. „unüblichen“ Ausdrucks. Wir haben es hier zu tun mit einer quantitativen Erweiterung des Feldes der Stilelemente, aber gleichzeitig wird auch hier die Auswahl der Stilelemente reguliert und eingeschränkt – einmal durch den Charakter der Kommunikationsaufgabe und Sprechintention allgemein, zum anderen durch das Thema des Textes. 13 Eine qualitativ und quantitativ ganz anders orientierte Selektion und Variation in der Bezeichnung eines Denotats, und zwar wiederum der Stadt Leipzig, zeigen sich in dem nächsten Teiltext aus einem Reiseführer. Folie! Auch hier ist eine große Vielfalt in der Bezeichnung und Umschreibung eines gegebenen Sachverhalts festzustellen. Neben der wörtlichen und pronominalen Wiederholung Leipzig und es werden folgende Bezeichnungen verwendet: Großstadt – zweitwichtigste Stadt Sachsens – Schnittpunkt wichtiger europäischer Verkehrswege – Treffpunkt der Völker – Handelsmetropole – Kulturmetropole – Stadt der Messen – Stadt der Kongresse – Stadt des Buchhandels usw. Die Zahl an äquivalenten Ausdrucksmöglichkeiten ist sehr groß. Zu nennen sind z.B.: - systemhafte Synonyme - regionale, soziale, fachsprachliche und andere Dubletten - Hyperonyme und Hyponyme - Stilfiguren, und zwar Umschreibungen und Übertragungen Dominierendes und textprägendes bzw. stilprägendes Prinzip ist die aus Umschreibungen bestehende Isotopiekette, in der Leipzig als Stadt von verschiedenen Merkmalen her charakterisiert wird. Die Periphrase umschreibt einen Sachverhalt, indem für seine Benennung nicht der eigentliche, „übliche“ Ausdruck verwendet wird, sondern jeweils ein Ersatzausdruck mit Hervorhebung kommunikativ wesentlicher Merkmale, ohne dass damit nun unbedingt eine Übertragung ins „Bildliche“ verbunden sein muss. Der dominierende Einsatz des Stilelements „Periphrase“ ist wiederum bestimmt durch die Kommunikationsaufgabe, die Kommunikationsintention und den Kommunikationsgegenstand „Leipzig“ und seine Thematisierung: spezifische Charakterisierung der Stadt unter geographischen, politischen und kulturellen Aspekten. Zum Zusammenhang von Stilelementen, Kommunikationsverfahren und Darstellungsperspektive Die Art und Weise der Bezeichnung eines Denotats ist auch dadurch bestimmt, dass ein Komplex von Sachverhalten durch unterschiedliche Kommunikationsverfahren (Sprachhandlungstypen) wiedergegeben werden kann, z.B. Erzählen oder Berichten, und innerhalb eines solchen Kommunikationsverfahrens wiederum aus unterschiedlicher Perspektive. 14 Jemand kann z.B. ein besonderes Geschehen, etwa einen Verkehrsunfall, den er erlebt hat, zu Haus in der Familie in erzählender Weise, subjektiv betont und spannungsvoll darstellen und dabei auch das Erlebte in den Mittelpunkt rücken. Er kann aber auch – in einer anderen Kommunikationssituation, z.B. als Zeuge auf der Polizei – das Geschehen mehr objektiv betont wiedergeben und dabei streng die sachlichen Zusammenhänge beachten. In beiden Arten der Darstellung kann dabei die Blickrichtung gewechselt werden: Erzählt oder berichtet werden kann aus der Perspektive der direkten Beobachtung des Sprechers selbst oder aber mit Bezug auf das, was andere Personen wahrgenommen und geäußert haben. Die Perspektive kann in einem Text auch in der Art und Weise gewechselt werden, dass im Rahmen bestimmter Kommunikationsverfahren Vergleiche eingefügt werden oder Exkurse, Beurteilungen, Vorgriffe, Rückgriffe usw., die die Erzählung bzw. den Bericht auf eine andere Ebene führen. Diese Komponenten sind von großer Bedeutung und bestimmen mit den Charakter der Ausdruckswahl, also den Stil und die Stilelemente. Dabei ist unbedingt der Zusammenhang von Kommunikationsgegenstand und Kommunikationsverfahren zu beachten! Wenn „erzählt“ wird (als KV), so wird etwas anderes – ein anderer Kommunikationsgegenstand – dargestellt, als wenn berichtet würde. Auch wie berichtet wird, ist textlich und stilistisch oft sehr unterschiedlichen Typen von Berichten zuzuordnen. Z.B. unterscheiden sich beim KV Berichten Wetterbericht, Sportbericht, Rechenschaftsbericht u.a. in wesentlichen Fragen. So wird im folgenden Beispiel in einer zusammenfassenden Reportage über eine Wettkampfetappe eines Radrennens die Wettersituation in folgender Weise dargestellt: Folie. Für die Charakteristik der Witterungsverhältnisse werden hier Stilelemente verwendet, die in dieser Reportage völlig angemessen und wirkungsvoll sind: ließ der Himmel ahnen; er sorgte dafür, dass…; das sonnige Wetter … eine Rarität; öffnete der Himmel … seine Schleusen. Es sind metaphorische Ausdrücke, denen Vergleiche zugrunde liegen. Der Text ist erlebnisbetont gestaltet und unterscheidet sich bis ins sprachliche Detail von der bekannten, oft stereotypen Wortwahl der Wetterberichte, wie z.B. im folgenden Text: Folie. 15 16