Vorlesung Stilistik Teile 1 und 2

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Dr. Jürgen Beyer
Vorlesung zur
Stilistik der deutschen Sprache der Gegenwart
Teile I und II
1. Stil (Definition, System – Text)
2. Stilelemente als variable sprachliche Mittel
- Kommunikationsgegenstand und Thema
- Kommunikationsverfahren und Darstellungsperspektive
- Kommunikationssituation
- Satzarten und Modaladverbien als Stilelemente
3. Stiltypen, Stilklassen
4. Stilmerkmale / Stilzüge und ihre Klassifizierung
5. Stilistik und Nachbardisziplinen
Teil III = Wiederholung /Zusammenfassung von Teil I und II
Folie: Stil – griech.: stylos (Säule, Pfahl)
- latein.: stilus , jeder oben zugespitzte, säulenartige Gegenstand,
darunter auch: Schreibgriffel. Übertragene Bedeutung: Art und Weise
des Schreibens: mündlicher und schriftlicher Sprachausdruck.
Stil – Text – Sprachsystem
„Stil“ – Erscheinung und Wesensbestimmung
Den Ausdruck Stil finden wir in verschiedenen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens, und er wird auf verschiedene Erscheinungen
bezogen: auf Sprache, schöngeistige Literatur, bildende Kunst und andere
Formen der Kunst, auf Mode, Sport, Leitungstätigkeit (Führungsstil) usw.
Die engste Beziehung hat der Stilbegriff in der Geschichte der
Wissenschaften zu Fragen der Rhetorik, der Poetik und der (allgemeinen)
Ästhetik, also zu Fragen, bei denen es um das spezifische Problem der
Ausdrucksweise eines Subjekts geht.
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Dass die Sprache in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielt, ist
verständlich, da sie das umfassendste Kommunikationsmittel in der
Gesellschaft ist.
Entsprechend den Traditionslinien der antiken Rhetorik wird unter Stilistik –
und das ist durchaus berechtigt! – oft eine Lehre verstanden, die sich
vorrangig beschäftigt mit Fragen des wirkungsvollen Sprachgebrauchs. In
diesem Sinne ist dann die Stillehre vor allem eine Anleitung zu sprachlicher
Meisterschaft im öffentlichen Auftreten.
Dies ist stets gesellschaftlich-historisch determiniert, denn der Aspekt der
Sprachbeherrschung und Sprachwirkung richtete sich im Altertum in erster
Linie auf die mündliche Rede als Mittel der praktischen Politik.
In der antiken Stilistik liegt der Akzent ursprünglich auf der Redekunst und
dem Sprachkönnen.
In der bürgerlichen Wissenschaft des 19. und 20. Jh. entwickelt sich
einerseits der Begriff Stil als „Sprachkunst“, und zwar in einem Sinn, der
den Gegenstand der Stilistik auf das Ästhetische bzw. auf das ÄsthetischKünstlerische einschränkt.
Andererseits entwickelt sich seit Mitte des 19. Jh. die Stilistik allmählich zu
einer eigenständigen Teildisziplin. Praktisch sah das vor allem so aus, dass
Regeln formuliert und Beispiele gegeben wurden, wie ein Lebenslauf oder ein
Geschäftsbrief abzufassen ist, welche Sprach- und Stilmängel zu bekämpfen
sind, welche Ausdrucksweisen bevorzugt werden sollten.
Dabei kam es natürlich entsprechend dem erreichten Entwicklungsstand der
Stilistik teilweise zu Simplifizierungen und Übertreibungen bzw.
Verabsolutierungen: z.B. die Forderung der Verwendung ausschließlich
kurzer Sätze, anstatt auf die Ausdrucksmöglichkeiten längerer Sätze
hinzuweisen, oder ausschließlich verbale Ausdrucksweise anstelle der
nominalen, generelles Vorziehen des Aktivs gegenüber dem Passiv, des
einheimischen Wortes gegenüber dem Fremdwort usw.
Es besteht kein Zweifel daran, dass teilweise solche Regeln durchaus
berechtigt sind, jedoch herrscht heute in der Wissenschaft längst Einigkeit
darüber, dass kein sprachliches Ausdrucksmittel grundsätzlich „verboten“
werden darf.
Entscheidend ist vielmehr die Frage, in welcher gesellschaftlichen Sphäre,
in welcher konkreten Kommunikationssituation und in welchem Kontext
(z.B. Wissenschaft/Technik; offizielle oder familiäre Sphäre; kolorierend,
ironisierend, zitierend usw.) ein Ausdrucksmittel verwendet wird.
Stilregeln müssen also ausreichend begründet sein und in ihrem
Geltungsbereich gekennzeichnet sein!!
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Für die Wesensbestimmung der Erscheinung „Stil“ bzw. „Stilistik“ gibt es
eine Vielzahl von Definitionen, die mehr oder weniger inhaltlich und auch in
der Formulierung differieren, teilweise jedoch auch in wesentlichen
Inhaltsmomenten übereinstimmen, z.B.:
Folien:
Fleischer: Gegenstand der Stilistik ist die funktional bestimmte Nutzung der
sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten auf allen Gebieten der
gesellschaftlichen Praxis.
Immer geht es um spezifische Fragen der Sprachverwendung
(= Sprachstilistik).
E. Riesel: „Stil“ = die Verwendungsweise der Sprache im Sprech- und
Schreibakt – ein System von Gesetzmäßigkeiten der Ausdrucksgestaltung.
Also: Wie werden die sprachlichen Möglichkeiten in der konkreten Rede
(parole) mündlich oder schriftlich genutzt?
Individualstil des Menschen
und
Funktionalstil(e) = die historisch veränderliche, funktional und expressiv
bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem bestimmten Gebiet der
menschlichen Tätigkeit:
1.
2.
3.
4.
5.
Stil des öffentlichen Verkehrs (Amtsstil)
Stil der Wissenschaft
Stil der Publizistik und der Presse
Stil des Alltagsverkehrs
Stil der schöngeistigen Literatur (Belletristik)
Der Gegenstand der Stilistik umfasst 4 große Forschungsgebiete:
1. Lehre von der Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel.
2. Geschichte des Stils.
3. Lehre von den Individualstilen (Einzelstile von Persönlichkeiten)
4. Lehre von den sprachlichen Individualstilen in der Belletristik.
Heusinger: Pragmatisch orientierte Auffassung:
1. Der Stil ist eine kommunikativ-pragmatische Kategorie, denn er zielt
in der Kommunikation auf Wirkungen beim Empfänger.
2. Der Stil enthält sprachliche Besonderheiten einer individuellen Diktion.
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3. Den Stil kennzeichnen sprachliche Spezifika, die in einer bestimmten
Kommunikationssituation und in einer gewählten Textsorte benötigt
werden.
4. Über den Stil wird das vom Sprecher/Schreiber Gemeinte (Intention) zum
Ausdruck gebracht.
Diese Auffassung vertritt die Meinung: Stil ist nur Merkmal der parole, nicht
der langue.
Definition Stil:
Stil ist die sprachliche Beschaffenheit eines (mündlichen oder schriftlichen)
Textes, in der sich die sozial bedeutsame Art der sprachlichen
Handlungsführung spiegelt.
Pragmatisch orientierte Auffassung des Gegenstandes der Stilistik:
Gegenstand der Stilistik ist der Textstil und seine Beschreibung.
Die Stilistik fragt
- nach der Textbeschaffenheit im kommunikativen Zusammenhang, indem
sie Stilelemente erfasst, ihre Funktion bei der Darstellung des Inhalts
ermittelt, die Verflechtung im Text aufzeigt und die Textkomposition
untersucht;
- nach der Stilwirkung in Bezug auf die Kommunikationssituation, die
Intentionen des Sprechers/Schreibers und in Bezug auf die der Textsorte
angemessene Textbeschaffenheit;
- nach dem Stiltyp (z.B. Nominalstil, Verbalstil, Epochenstil usw.);
- nach den Charakteristika des Stils (Stilzüge wie z.B. anschaulich / bildhaft,
bildlich, lapidar, sachlich, locker .....).
Wenn man diese Definitionen (und es gibt noch viel mehr!) genauer
betrachtet, stellt man leicht fest, dass die übereinstimmenden Momente den
Kern des Bereichs der linguistischen Stilistik bilden. Zu solchen
Kernpunkten der Stilistik sowie zu einer wissenschaftlichen Stildefinition
gehören folgende Sachverhalte:
(1) Der Begriff „Stil“ bezieht sich auf den Gebrauch der Sprache. Dabei
muss man aber immer die dialektische Einheit von Sprachsystem und
Sprachgebrauch beachten
(2) Den Begriff „Sprachgebrauch“ kann man prozessual verstehen als
Gestaltungsakt und resultativ als „Gestaltungsprodukt“, also als
mündlichen oder schriftlichen Text. „Stil“ jedoch wird im Allgemeinen
nur auf das Gestaltungsprodukt – also den Text – bezogen. Das bedeutet:
Nicht das, was im Kopf des Menschen vor sich geht, ist Stil, sondern
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welche Ausdrucksweise den Text als geäußerte (exteriorisierte) Sprache
kennzeichnet und vom Kommunikationspartner erkannt wird.
(3) Der Stilbegriff schließt immer die Möglichkeit und manchmal sogar den
Zwang zur Auswahl ein, d.h., der Sprachbenutzer kann bzw. muss –
automatisiert oder bewusst – aus einer großen Menge äquivalenter
sprachlicher Mittel und Konstruktionen, Muster und Modelle spezifische
Ausdrucksvarianten auswählen, die nach seinen Erfahrungen und nach
seinem Könnensniveau optimal sind für die Realisierung seiner
Kommunikationsabsicht (Intention).
(4) Die Wahl der optimalen Ausdrucksvariante ist stets determiniert durch
die äußeren Bedingungen:
- Tätigkeitssituation
- soziale Situation
- Umgebungssituation
und durch die inneren Bedingungen:
- die eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie
Gewohnheiten, Interessen, Einstellungen, Motive usw.
- die dadurch bedingte Art der Widerspiegelung der
Kommunikationssituation im Bewusstsein des
Sprachbenutzers.
(5) Als Stil verstehen wir also nicht ein einzelnes Sprachelement oder eine
Summe sprachlicher Mittel, die auf eine bestimmte Anwendungssphäre
spezialisiert sind, sondern eine auf eine spezifische Weise
zusammenwirkende und strukturierte Gesamtheit sprachlicher
Elemente in bestimmten Gebrauchssphären. Deshalb unterscheiden wir
auch zwischen Stil einerseits und solchen Termini, die nur bestimmte
Merkmale oder Seiten des Stils erfassen wie z.B. Stilelemente, Stilzüge,
Stilschichten, Stilnormen, Stiltypen.
Neben diesen Kernpunkten und Übereinstimmungen in den Meinungen der
Linguisten gibt es jedoch auch Unterschiede und theoretisch noch
ungenügend geklärte Fragen. Immer wieder steht dabei im Mittelpunkt das
Verhältnis des Begriffes Stil zu den Begriffen „Sprachsystem“ (also langue)
und „Text“ (also parole).
Sehr verbreitet ist die Meinung, dass von Stil nur auf der Ebene Text
gesprochen werden kann und dass Stil in diesem Sinne eine Kategorie der
Textlinguistik ist. Stil betrifft also nur die mündliche oder schriftliche
Äußerung, den gesprochenen oder geschriebenen Text. Unter diesem
Gesichtspunkt wird Stil als Redestil verstanden.
Das Sprachsystem als Ganzes, eine Sprache als solche, z.B. die deutsche oder
russische, hat keinen Stil, und es wäre unwissenschaftlich zu sagen, dass z.B.
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das Französische stilvoller als das Deutsche ist. Aber darüber herrscht
eigentlich heute auch schon Einigkeit in der Fachwelt.
Diskutiert wird jedoch immer wieder, ob nicht innerhalb einer Sprache als
System bestimmte Stile von vornherein als Subsysteme festgelegt sind. Eine
Meinung, die durchaus Unterstützung findet, z.B. auch bei der Einteilung in
bestimmte Funktionalstile. Daraus resultiert auch die Forderung, dass ein
modernes Wörterbuch die Lexeme nicht nur semantisch und
grammatisch, sondern auch weitgehend stilistisch charaktersiert. Solche
stilistischen Kennzeichen sind z.B. die bevorzugten Gebrauchssphären eines
Lexems, also jene Anwendungsbereiche, in denen die sprachliche Erscheinung
nach den Gesetzen der relativen Wahrscheinlichkeit häufig vorkommt.
Dazu später noch genauere Ausführungen.
Einige Gedanken zum Zusammenhang von Stil und Text
Ausgehend von dem bisher Gesagten, können wir an dieser Stelle bereits
sagen – und das müsste uns allen auch klar sein! - , dass wir niemals den
Zusammenhang von Stil – parole und langue außer Acht lassen dürfen, jedoch
der Zusammenhang von Stil und Text die dominierende Rolle spielt.
Folie:
Stil ist ein bestimmtes Merkmal von Texten, eine Komponente, die jeder
Text hat, unabhängig davon, ob es sich um einen guten oder schlechten, einen
angemessenen oder nicht angemessenen Stil handelt.
Außer der Komponente Stil weist ein Text noch andere Komponenten auf,
die wichtige Seiten des Inhalts und der Form des Textes bilden:
- der Kommunikationsgegenstand (= worüber
gesprochen/geschrieben wird),
- das Thema (= unter welchem Leitgedanken der
Kommunikationsgegenstand behandelt wird, welche Seiten und Aspekte
besonders hervorgehoben werden),
- das Kommunikationsverfahren / der Sprachhandlungstyp (= ob sich
der Sprecher / Schreiber über den Gegenstand erzählend, berichtend,
beschreibend, erörternd oder in anderer Weise äußert),
- die Darstellungsperspektive (= aus welcher Blickrichtung der Autor die
Kommunikationsgegenstände darstellt),
- die Komposition (= die innere, gegenstandsbedingte, themabedingte und /
oder verfahrensbedingte Gliederung),
- die Architektonik (= die äußere, sinnlich wahrnehmbar gemachte
Gliederung, also Kapitel, Absätze, Strophen u.a.).
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Bestimmt haben Sie bemerkt, dass die Komponente Stil sehr eng mit diesen
o.g. Faktoren zusammenhängt, ohne dass man sie einander gleichsetzen oder
integrieren kann.
Eine weitere wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Begriff Stil spielt das
Genre eines Textes. Mit dem Genre hängt ganz eng zusammen:
- Welche Sachverhalte der objektiven Realität werden aufgegriffen?
- Zu welchem Zweck sollen sie behandelt werden?
- Unter welchem Gesichtspunkt sollen sie behandelt werden?
- Welche sprachlichen Mittel und Kombinationen sind dabei möglich?
Also: Der Stil ist abhängig vom Prinzip der kommunikativen Funktion der
Sprache, und wesentliche funktionale Unterschiede in
Kommunikationsprozessen führen auch zu stilistischen Unterschieden.
Andererseits muss man sich immer darüber im Klaren sein, dass mit dem
Genre, dem Kommunikationsgegenstand, dem Thema, der Kom.-situation
usw. der Stil einer sprachlichen Äußerung nicht oder nur in den seltensten
Fällen eindeutig festgelegt ist. Immer gibt es für den Sprecher/Schreiber
bestimmte Variationsmöglichkeiten, und zwar
- in der Lexik des Textes (z.B. Wiedererwähnung einer Sache durch das
gleiche Wort, durch ein Pronomen, durch ein Synonym, durch einen
Oberbegriff, durch Aufzählung von Art- und Unterbegriffen);
- aber auch in der Morphologie und Syntax (z.B. durch Modusvarianten bei
der indirekten Rede, also Indikativ – Konjunktiv, durch die Verbindung
von Sätzen als Satzreihe, Satzgefüge oder Satzverbindung).
Wir bestimmen also den Stil als besondere Komponente eines Textes –
neben anderen Komponenten wie Kommunikationsgegenstand, Thema,
Darstellungsverfahren, Darstellungsperspektive,
Kommunikationssituation usw.
Das bedeutet, wir sehen das Wesen des Stils in erster Linie darin:
- Welche Art der sprachlichen Kodierung/Formulierung wird benutzt?
- Welche Kommunikationsbedingungen sind vorhanden?
- Welche adäquate Ausdrucksvariante wird benutzt?
- Welche Wortwahl gibt es?
- Wie ist die syntaktische und lautlich-intonatorische Gestaltung des Textes
durch den Sprecher/Schreiber?
Wenn wir das alles berücksichtigen, ist es uns auch klar, dass ein
Kommunikationsverfahren – z.B. Erzählen oder Erörtern – sprachstilistisch
durchaus verschiedene Ausprägungen haben kann.
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Ich wiederhole noch einmal: Stil ist nicht das innere Programm im Kopf des
Sprechers/Schreibers, nicht der Plan der Erzählung, sondern die sprachliche
Realisierungsvariante, die der Sprecher/Schreiber unter Berücksichtigung
des grammatischen Regelsystems auswählt. Nicht vergessen: Auch das
bewusste Abweichen vom Regelsystem ist eine Realisierungsvariante, also
Stil!
Jedoch: Eine bestimmte Kommunikationsaufgabe (z.B. das Abfassen eines
amtlichen – keines persönlichen! – Schreibens) schließt von vornherein auch
hinsichtlich des Stils besondere Normen ein, die besonders beim
Formulieren zu beachten sind! Der Stil eines Textes ist also bei allen
Variationsmöglichkeiten immer vorher bestimmt durch das Gesamtgefüge
der Bedingungen einer Kommunikationshandlung, durch sog. „situative
Normen“. Diese Tatsache wird von manchen Wissenschaftlern oft verneint.
Zum Zusammenhang von Stil und Sprachsystem
Die stilistische Qualität eines Textes, die Gesetzmäßigkeiten zur
Verwendung der Sprache in einer konkreten Kommunikationshandlung sind
nicht nur durch die außersprachlichen Bedingungen, also durch die
Kommunikationssituation, determiniert, sondern auch durch den Charakter
des sprachlichen Materials selbst.
Es gibt gesetzmäßige Beziehungen zwischen außersprachlichen Situationen
und sprachlichen Mitteln und Kombinationen.
Das System einer Sprache muss alle Kommunikationsbedürfnisse der
Gesellschaft befriedigen und ist deshalb reichhaltig differenziert. Es enthält
Ausdrücke, die sich denotativ auf ein und dasselbe außersprachliche Objekt
beziehen lassen und doch nicht in jeder beliebigen Situation für dieses
Objekt verwendet werden können. Aus der Lexikologie kennen Sie die sog.
stilistischen Synonyme.
Nehmen wir als Beispiel die Synonymreihe für „angeben“: renommieren,
prahlen, protzen, sich aufspielen, sich in die Brust werfen, auf die Pauke
hauen usw.
Das betrifft aber ebenso bestimmte grammatische Mittel und
Konstruktionen wie z.B. die Ausrahmung als spezielles stilistisches Mittel,
die Satzgliedfolge u.a.m.
Differenzierungen der sprachlichen Mittel kann man unter quantitativem
Aspekt oder unter qualitativem Aspekt vornehmen.
Unter quantitativem Aspekt kann man zwischen solchen sprachlichen
Elementen unterscheiden, deren Anwendung situativ eingeschränkt, also
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stilistisch differenziert, ist, und solchen Elementen, die situativ nicht
eingeschränkt, also stilistisch undifferenziert sind. Stilistisch undifferenziert
sind offensichtlich Wörter wie und, oder, aber, trotzdem, weil, ich, er, Fisch,
Haus, schön, viel, gehen, essen usw. Es sind meist Wörter zur Bezeichnung
alltäglicher elementarer Dinge. Trotzdem gibt es zu manchen dieser
Ausdrücke bereits im Sprachsystem angelegte Synonyme und Dubletten, die
man entsprechend den situativen Normen nicht in jeder
Kommunikationssituation gebrauchen kann. Als Beispiel seien nur die
Lexeme essen und speisen genannt. Essen kann man in einer zwanglosen,
nichtgehobenen Alltagssituation genauso verwenden wie in einer festlichen,
gehobenen Situation. Speisen jedoch ist - deutlich semantisch bedingt – von
vorn herein auf bestimmte Kommunikationssituationen beschränkt.
Unter qualitativem Aspekt kommt es darauf an, die
Gebrauchsbeschränkungen und –differenzierungen sprachlicher Mittel im
Hinblick auf ihre Anwendungsbereiche zu bestimmen, also auch die Bereiche
ihrer Anwendbarkeit exakt zu benennen.
Dabei geht man von sog. Situationselementen (-merkmalen) aus, die
vielfältig kombinierbar sind.
Folgende Aspekte haben sich dabei als wesentlich erwiesen:
- die funktionale Differenzierung nach bestimmten Tätigkeitssphären mit
einer spezifisch organisierten Kommunikation wie Wissenschaft,
Wirtschaft, Journalistik, Amtsverkehr, Alltag u.a.m.; Beispiele: Gerade,
Strecke, Strahl in den Bereichen Wissenschaft, Mathematik, Geometrie
oder Winterschlussverkauf, Inventur, Werbung in den Bereichen
Wirtschaft und Handel oder Schlagzeile, Pressenachricht, Kolumnist in
den Bereichen Journalistik und Pressewesen oder öffentliche Sprechzeiten
in den Bereichen Amtsverkehr und Verwaltung.
- die soziale Differenzierung nach gesellschaftlichen Systemen, Klassen,
Schichten, Berufsgruppen, Altersgruppen u.a.m., z.B. Blume, Rute,
Fahne, Lunte, Standarte in der Jägersprache zur Bezeichnung von
Schwanz bei verschiedenen Tieren oder Uni, exen, audi max aus dem
Sonderwortschatz der Studenten.
- die territoriale Differenzierung nach der geographischen Verbreitung
bestimmter sprachliche Ausdrücke, z.B. Mundartwörter wie nd. Buten für
draußen, landschaftlich begrenzte Wörter wie Latschen, Schlappen
fürHausschuhe/Pantoffeln.
- die sprachhistorische Differenzierung nach dem Grad des Veraltetseins
vom Standpunkt der Gegenwartssprache aus, z.B. Archaismen wie
künstlich für kunstfertig/ geschickt / begabt oder Landstürzer für
Landstreicher (bei Grimmelshausen).
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- die stilschichtenspezifische Differenzierung nach dem Stellenwert
innerhalb eines Skala zwischen den Polen gehoben und vulgär, z.B. für
„sich zurückziehen“ die abgehobenen Ausdrücke wie sich empfehlen, sich
auf Französisch empfehlen oder abhauen, sich verkrümeln, in den Sack
hauen, sich verpissen.
Aus der Lexikologie wissen Sie bereits: Ein und dasselbe Denotat kann auf
verschiedene Weise abgebildet und entsprechend sprachlich fixiert werden,
und in der Stilistik spielen wiederum die konnotativen
Bedeutungskomponenten eine wichtige Rolle bei der
Stilschichtendifferenzierung.
Erwähnen müssen wir noch die Theorie von den systemimmanenten
Sprachstilen. Sie unterscheidet zwischen Stilen auf der Ebene der langue,
also der Systemebene, und auf der Ebene der parole, also der Textebene.
Demzufolge unterscheidet sie zwischen Sprache als Potenz, als
Ausdruckspotential und Sprache als Wirklichkeit, also Sprache in Aktion,
als geäußerter Text.
Fleischer 1979, 65 formuliert dazu, ich zitiere:
„Die Elemente des sprachlichen Zeichensystems sind potentielle Stilelemente.
Sie werden beim Prozess der Textherstellung ….zu tatsächlichen (aktuellen)
Stilelementen“.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die potentielle und aktuelle
Bedeutung der Lexeme in der Lexikologie.
Stilelemente
Stilelemente als variable sprachliche Mittel
Der Stil eines Textes sowie der für einen ganz bestimmten gesellschaftlichen
Bereich charakteristische Stiltyp haben Ganzheitscharakter. Das heißt: Wir
sprechen – wenn wir Stil meinen – nicht in Bezug auf ein einzelnes Wort oder
eine einzelne grammatische Form oder eine beliebige aus dem Kontext
herausgehobene Erscheinung, sondern wir haben immer im Auge: das
besondere Zusammenwirken aller lexikalischen, grammatischen,
phonetischen und auch graphischen Elemente, die der Textproduzent aus
einem rieseigen Feld von Möglichkeiten situationsspezifisch ausgewählt
hat, um einen Kommunikationseffekt zu erzielen.
Jedoch müssen wir stets berücksichtigen: Innerhalb der Stilganzheit spielen
die einzelnen sprachlichen Elemente natürlich eine wesentliche Rolle.
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Sie können entweder sofort die Aufmerksamkeit eines Hörers / Lesers erregen
oder weniger auffällig den Gesamttext mit gestalten – immer hat das
einzelne sprachliche Element einen spezifischen Stellenwert innerhalb der
Stilganzheit! Es ist ein Teil vom Ganzen! Und deshalb bezeichnen wir diese
sprachlichen Mittel als Stilelemente. Diese sprachlichen Mittel – also die
Stilelemente – können unter verschiedenen Gesichtspunkten charakterisiert
werden und verschiedenen Kategorien und Ebenen zugeordnet werden.
Im folgenden Anfangsteil eines Textes heißt es: Folie: Albert Einstein…..
Das hier auftretende Wort Vollender ist nach der Wortart ein Substantiv, nach
der Wortbildung eine explizite Ableitung, syntaktisch ein Teil einer sog.
„freien Wortgruppe“. Semantisch kann man es charakterisieren als eine Art
Antonym zu dem begriff „Bahnbrecher“. Man kann es aber auch
charakterisieren als „Topikelement“, als ein Element einer Topikkette
innerhalb einer Reihe äquivalenter Ausdrücke mit gleichem Denotatsbezug:
Albert Einstein – Vollender – Bahnbrecher – er.
Solche Merkmale und Beziehungen sind bereits im Sprachsystem angelegt,
aber sie werden vom Textproduzenten unterschiedlich genutzt.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt zum Erfassen von Stilelementen eines
Textes oder beim Formulieren eines Textes ist die Variation bei gleichem
Denotatsbezug!
Diese Variation kann beruhen:
- auf Substitution, d.h. Ersatz eines Ausdrucks durch einen anderen
denotatsgleichen Ausdruck
und / oder
- auf Kombination, d.h. veränderte Anordnung eines Ausdrucks im Kontext.
Die Variation kann sich formal beziehen: = Folie
 auf eine lexikalische Erscheinung: Mitbegründer statt Bahnbrecher
der neuen Physik,
 auf eine morphologische Erscheinung: stand anstelle von steht an der
Wende von der alten zur neuen Physik,
 auf eine syntaktische Erscheinung: Als Vollender und Bahnbrecher
zugleich steht er an der Wende … (Satzglied mit „als“ anstelle einer
verkürzten Partizipialkonstruktion).
 auf einen ganzen Komplex sprachlicher Erscheinungen, so dass
größere Veränderungen die Folge sind: Albert Einstein nimmt als
Vollender und Bahnbrecher an der Wende von der alten zur neuen
Physik in der Geschichte der neueren Naturforschung eine
Sonderstellung ein.
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Zur Variation in der sprachlichen Wiedergabe eines Denotats zählen wir
auch:
 die Addition (= Hinzufügung eines weiteren sprachlichen (und damit
gedanklichen) Elements, wodurch ein bereits benannter Sachverhalt
noch spezieller charakterisiert wird), z.B. Albert Einstein nimmt in der
Geschichte der neueren Naturforschung eine hervorragende
Sonderstellung ein,
 die Elimination (=Aussparung sprachlicher Elemente. Man kann z.B.
verzichten auf eine bestimmte Adverbialbestimmung, ein bestimmtes
Attribut usw.). Beispiel: Albert Einstein ist …. ein … Vollender und
Bahnbrecher an der wende von der alten zur neuen Physik.
Wir stellen natürlich dabei fest, dass der Kommunikationseffekt wesentlich
mitbestimmt wird von der stilistischen Qualität der sprachlichen
Formulierung!
Natürlich reicht es nicht aus, das Wesen von Stilelementen allein in der
Variabilität bei der Bezeichnung eines Gegenstandes oder Sachverhalts zu
sehen.
Wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass sich die individuellen
Entscheidungen eines Textproduzenten bei der Wahl seines sprachlichen
Ausdrucks immer bewegen müssen im Toleranzraum der obligatorischen
Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Sprachsystems und seiner
Repräsentation auf der Ebene der parole, also des Textes.
Mit der Eröffnung eines Textes ist also immer gleichzeitig auch sofort ein
bestimmter Kontext gegeben mit Konsequenzen für den weiteren Verlauf der
Formulierung dieses Textes.
Allerdings werden dadurch die subjektiven Entscheidungsmöglichkeiten des
Textproduzenten niemals ganz ausgeschaltet.
Zum Zusammenhang von Stilelementen, Kommunikationsgegenstand
und Thema
Immer wieder müssen wir uns merken: Bei der Lösung einer
Kommunikationsaufgabe ist das Thema eine zentrale textbestimmende
Komponente!
Von der Art des Themas wird immer mit bestimmt,
 welcher Kommunikationsgegenstand in den Text aufgenommen wird,
 an welcher Stelle im Text er placiert wird,
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 welchen Rang er in der Hierarchie der thematischen Struktur
einnimmt,
 wie er intentionsgerecht im Rahmen der lexikalisch-grammatischen
Kontextbeziehungen sprachlich benannt werden muss.
Betrachten wir uns unter diesem Gesichtspunkt und zur Demonstration als
Beispiel die einführenden Absätze eines Bildbandes über die Stadt Leipzig =
auf Folie!
Aufgabe: Kurzes stilles Lesen!
Achten Sie bitte auf die Wörter Stadt, ihr Alter und das Wasser des Lebens!
Welche Zuordnungen stellen wir fest? = Folie!
Stadt – schöne Frau – ihre Menschen – ihre schöpferische Kraft
ihr Alter – achthundert Jahre – fünf Jahrtausende – ihre Vergangenheit –
ihre Kindheit – ihre Jugend – die Stadt heute
das Wasser des Lebens – die Menschen – ihre Arbeit – ihr Erfindergeist,
ihre Lebensfreude, ihr Kampf um eine immer schönere Welt –
das alles ist … der Jungbrunnen einer Stadt.
Mit solchen unterschiedlichen Zuordnungen werden Übertragungen und
Identifikationen vorgenommen, durch welche die Variabilität in der
sprachlichen Bezeichnung eines Denotats beträchtlich erhöht wird.
Es entstehen Ketten äquivalenter Ausdrücke, die sich auszeichnen durch
eine potenzielle Fülle origineller stilistischer Möglichkeiten.
In der sog. „alltäglichen“ Sprache stehen gar nicht so viele Bezeichnungen
zur Verfügung, aber mit der thematisch bedingten und auf einem bildlichen
Vergleich beruhenden Zuordnung Leipzig – neue Stadt – Mensch – Frau
– Geliebte bereits eine Transformation in die Sphäre des sog. „unüblichen“
Ausdrucks.
Wir haben es hier zu tun mit einer quantitativen Erweiterung des Feldes der
Stilelemente, aber gleichzeitig wird auch hier die Auswahl der Stilelemente
reguliert und eingeschränkt – einmal durch den Charakter der
Kommunikationsaufgabe und Sprechintention allgemein, zum anderen
durch das Thema des Textes.
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Eine qualitativ und quantitativ ganz anders orientierte Selektion und
Variation in der Bezeichnung eines Denotats, und zwar wiederum der Stadt
Leipzig, zeigen sich in dem nächsten Teiltext aus einem Reiseführer. Folie!
Auch hier ist eine große Vielfalt in der Bezeichnung und Umschreibung eines
gegebenen Sachverhalts festzustellen.
Neben der wörtlichen und pronominalen Wiederholung Leipzig und es
werden folgende Bezeichnungen verwendet:
Großstadt – zweitwichtigste Stadt Sachsens – Schnittpunkt wichtiger
europäischer Verkehrswege – Treffpunkt der Völker – Handelsmetropole –
Kulturmetropole – Stadt der Messen – Stadt der Kongresse – Stadt des
Buchhandels usw.
Die Zahl an äquivalenten Ausdrucksmöglichkeiten ist sehr groß. Zu nennen
sind z.B.:
- systemhafte Synonyme
- regionale, soziale, fachsprachliche und andere Dubletten
- Hyperonyme und Hyponyme
- Stilfiguren, und zwar Umschreibungen und Übertragungen
Dominierendes und textprägendes bzw. stilprägendes Prinzip ist die aus
Umschreibungen bestehende Isotopiekette, in der Leipzig als Stadt von
verschiedenen Merkmalen her charakterisiert wird.
Die Periphrase umschreibt einen Sachverhalt, indem für seine Benennung
nicht der eigentliche, „übliche“ Ausdruck verwendet wird, sondern jeweils
ein Ersatzausdruck mit Hervorhebung kommunikativ wesentlicher
Merkmale, ohne dass damit nun unbedingt eine Übertragung ins „Bildliche“
verbunden sein muss.
Der dominierende Einsatz des Stilelements „Periphrase“ ist wiederum
bestimmt durch die Kommunikationsaufgabe, die Kommunikationsintention
und den Kommunikationsgegenstand „Leipzig“ und seine Thematisierung:
spezifische Charakterisierung der Stadt unter geographischen, politischen
und kulturellen Aspekten.
Zum Zusammenhang von Stilelementen,
Kommunikationsverfahren und Darstellungsperspektive
Die Art und Weise der Bezeichnung eines Denotats ist auch dadurch
bestimmt, dass ein Komplex von Sachverhalten durch unterschiedliche
Kommunikationsverfahren (Sprachhandlungstypen) wiedergegeben
werden kann, z.B. Erzählen oder Berichten, und innerhalb eines solchen
Kommunikationsverfahrens wiederum aus unterschiedlicher Perspektive.
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Jemand kann z.B. ein besonderes Geschehen, etwa einen Verkehrsunfall, den
er erlebt hat, zu Haus in der Familie in erzählender Weise, subjektiv betont
und spannungsvoll darstellen und dabei auch das Erlebte in den Mittelpunkt
rücken.
Er kann aber auch – in einer anderen Kommunikationssituation, z.B. als
Zeuge auf der Polizei – das Geschehen mehr objektiv betont wiedergeben
und dabei streng die sachlichen Zusammenhänge beachten. In beiden Arten
der Darstellung kann dabei die Blickrichtung gewechselt werden: Erzählt
oder berichtet werden kann aus der Perspektive der direkten Beobachtung
des Sprechers selbst oder aber mit Bezug auf das, was andere Personen
wahrgenommen und geäußert haben.
Die Perspektive kann in einem Text auch in der Art und Weise gewechselt
werden, dass im Rahmen bestimmter Kommunikationsverfahren
Vergleiche eingefügt werden oder Exkurse, Beurteilungen, Vorgriffe,
Rückgriffe usw., die die Erzählung bzw. den Bericht auf eine andere Ebene
führen.
Diese Komponenten sind von großer Bedeutung und bestimmen mit den
Charakter der Ausdruckswahl, also den Stil und die Stilelemente.
Dabei ist unbedingt der Zusammenhang von Kommunikationsgegenstand
und Kommunikationsverfahren zu beachten! Wenn „erzählt“ wird (als
KV), so wird etwas anderes – ein anderer Kommunikationsgegenstand –
dargestellt, als wenn berichtet würde.
Auch wie berichtet wird, ist textlich und stilistisch oft sehr unterschiedlichen
Typen von Berichten zuzuordnen.
Z.B. unterscheiden sich beim KV Berichten Wetterbericht, Sportbericht,
Rechenschaftsbericht u.a. in wesentlichen Fragen.
So wird im folgenden Beispiel in einer zusammenfassenden Reportage über
eine Wettkampfetappe eines Radrennens die Wettersituation in folgender
Weise dargestellt: Folie.
Für die Charakteristik der Witterungsverhältnisse werden hier Stilelemente
verwendet, die in dieser Reportage völlig angemessen und wirkungsvoll sind:
ließ der Himmel ahnen; er sorgte dafür, dass…; das sonnige Wetter … eine
Rarität; öffnete der Himmel … seine Schleusen.
Es sind metaphorische Ausdrücke, denen Vergleiche zugrunde liegen.
Der Text ist erlebnisbetont gestaltet und unterscheidet sich bis ins sprachliche
Detail von der bekannten, oft stereotypen Wortwahl der Wetterberichte, wie
z.B. im folgenden Text: Folie.
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Zum Zusammenhang von Stilelementen und
Kommunikationssituation
Die Determiniertheit und der funktionale Charakter der Stilelemente zeigen
sich auch in der Abhängigkeit der Sprachwahl von den konkreten äußeren
Bedingungen, die einer Kommunikationshandlung objektiv zugrunde liegen.
Mit Hilfe situationstypischer sprachlicher Mittel und ihrer Gebrauchsweise ist
es sehr gut möglich, eine Kommunikationssituation genau zu charakterisieren.
Dies nutzt z.B. der Schriftsteller, wenn er ein und dieselbe literarische Figur
auf unterschiedliche Weise sprechen lässt.
Die Beziehungen zwischen den einzelnen sprachlichen Elementen und den
außersprachlichen Anwendungsbedingungen realisieren sich über den
sprachlichen und den außersprachlichen Kontext. Wir können also
konstatieren: Die Funktion eines Stilelements ist immer kontextbedingt, auch
in solchen Fällen, in denen bestimmte sprachliche Mittel bereits vom
Sprachsystem her gebrauchsspezifisch stilistisch markiert sind.
Die Zuordnung sprachlicher Systemelemente zu außersprachlichen
Situationen ist niemals absolut eindeutig, selbst bei formelhaften, hochgradig
standardisierten Gebrauchsweisen der Sprache. So können wir für bestimmte
sprachliche Erscheinungen typische Situationsmerkmale angeben, aber diese
Merkmale können in sehr verschiedenartigen Kombinationen, also in sehr
verschiedenen Situationsganzheiten, auftreten.
Ganz deutlich wird das z.B. in den verschiedenen Anredeformen:
- Besteht zwischen den Kommunikationspartnern eine vertraute, persönliche
Beziehung, kann ich problemlos sagen:“ Du, Hans, komm doch mal her!“
- Etwas anders ist eine vertraute Beziehung bereits im Beruf, z.B. in einem
Lehrerkollegium. Hier hört man oft: „Lieber Kollege, kannst du mir das
erklären…?“ Ja und im offiziellen beruflichen Verkehr, z.B. an einer
Hochschule, oder im gesellschaftlich-außerberuflichen Verkehr redet man
die Anwesenden mit „Verehrte Kollegen!“ an usw.
Satzarten als Stilelemente
Auch die Satzarten sind potenzielle Stilelemente. Der Aussagesatz als die
Grundform der mündlichen und schriftlichen Rede herrscht in allen
Redesituationen und Texten vor, die der objektiv-konstatierenden Darstellung
gelten.
Der Aufforderungssatz dient dem sprachlichen Ausdruck, wenn ein Sprecher
willensmäßig auf die angesprochene Person einwirken will. Dabei stehen dem
Sprecher verschiedene grammatische Mittel zur Verfügung, um eine
Aufforderung mit unterschiedlichen Graden der Bestimmtheit oder Höflichkeit
16
zu formulieren und somit in entsprechender Weise zwischen Bitte, Rat,
Empfehlung, Ermahnung, Befehl, Gebot und Verbot zu differenzieren.
Aus der Syntax wissen Sie, dass sich als solche Ausdrucksmittel die Modi des
Verbs (Imperativ, Indikativ, Konjunktiv I und II), die Modalverben
mögen, dürfen, wollen, sollen, müssen, das Gefüge würde + Infinitiv,
infinite Verbformen (Infinitiv, Partizip II) und die beiden Satzbaupläne mit
Anfangs- und mit Zweitstellung des finiten Verbs anbieten.
Als besonders zurückhaltende und höfliche Form einer Bitte gilt z.B. der
Konjunktiv II des Modalverbs dürfen:
„Dürfte Ich Sie darum bitten, mir ein Exemplar Ihres neuen Buches zu
überlassen?“ Jedoch: In der Geschäftskorrespondenz ist dies absolut
unzulässig!
In militärischen Befehlen wird oft die nachdrückliche Form des Infinitivs
benutzt: „Weitergehen!“, „Angreifen!“, „Antreten!“ usw.
Eine Aufforderung kann auch in eine Frage eingekleidet sein:
Wenn ich ein Gespräch möglichst schnell beenden will, sage ich z.B.: „Herr
Lehmann, soll ich Sie zu Ihrem Wagen begleiten?“ Und das ist dann ein
deutlicher Hinweis zum Verlassen meiner Wohnung oder meines Büros.
Wenn Eltern die Intelligenz ihres Sohnes vorführen möchten, sagt der Vater
oft: „Helmut, bitte sage doch den Herrschaften, wie viel 16 mal 12 ist.“ Diese
scheinbare Bitte ist in Wirklichkeit eine entschiedene Aufforderung, die der
Sohn auch ohne Widerspruch befolgt.
Nachdrückliche Aufforderungen können auch die Form von Ellipsen haben,
die von Substantiven oder Adjektiven beherrscht werden, die das Geforderte
bezeichnen, z.B.: „Also an die Arbeit!“
Eine besondere Art der Aufforderung zum gemeinsamen Handeln ist der sog.
Adhortativ: „Lasst uns des teuren Toten gedenken!“ oder „Erinnern wir uns
noch einmal an das schon erwähnte Beispiel!“
Reiche Variationsmöglichkeiten in stilistischer Hinsicht gibt es auch bei den
Fragesätzen. Von den echten Fragen, die von dem Angesprochenen Eine
Auskunft, Entscheidung oder eine Bestätigung fordern, sind die sog.
„scheinbaren“ oder „formalen Fragen“ zu unterscheiden. Wir unterteilen
deshalb ähnlich wie in der Syntax die Fragesätze in echte Fragen und
scheinbare Fragen.
Die echten Fragen unterteilen wir in:
17
- Ergänzungsfragen
- Entscheidungsfragen
- Vergewisserungsfragen.
Die scheinbaren Fragen teilt man ein in:
- rhetorische Fragen
- Aufforderungsfragen.
Folien:
Stil
griech.: stylos (Säule, Pfahl)
latein.: stilus, jeder oben zugespitzte, säulenartige
Gegenstand, darunter auch: Schreibgriffel.
Übertragene Bedeutung: Art und Weise des Schreibens;
mündlicher und schriftlicher Sprachausdruck.
E. Riesel: Stil = die Verwendungsweise der Sprache im Sprech- und
Schreibakt – ein System von Gesetzmäßigkeiten der
Ausdrucksgestaltung.
Also: Wie werden die sprachlichen Möglichkeiten in der konkreten Rede
(mündlich oder schriftlich) gebraucht?
------Individualstil des Menschen
------Funktionalstil(e) = die historisch veränderliche, funktional und
expressiv bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem
bestimmten Gebiet der menschlichen Tätigkeit:
1. Stil des öffentlichen Verkehrs (Amtsstil)
2. Stil der Wissenschaft
3. Stil der Publizistik und der Presse
4. Stil des Alltagsverkehrs
5. Stil der schöngeistigen Literatur (Belletristik)
Der Gegenstand der Stilistik umfasst 4 große Forschungsgebiete:
1. Lehre von der Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel.
2. Geschichte des Stils.
3. Lehre von den Individualstilen (Einzelstile von Persönlichkeiten).
18
4. Lehre von den sprachlichen Individualstilen in der Belletristik.
Fleischer: Gegenstand der Stilistik = die funktional bestimmte Nutzung
der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten auf allen Gebieten
der gesellschaftlichen Praxis. Immer geht es um spezifische
Fragen der Sprachverwendung (= Sprachstilistik).
Heusinger: Pragmatisch orientierte Auffassung:
5. Der Stil ist eine kommunikativ-pragmatische Kategorie, denn er zielt
in der Kommunikation auf Wirkungen beim Empfänger.
6. Der Stil enthält sprachliche Besonderheiten einer individuellen
Diktion.
7. Den Stil kennzeichnen sprachliche Spezifika, die in einer bestimmten
Kommunikationssituation und in einer gewählten Textsorte benötigt
werden.
8. Über den Stil wird das vom Sprecher/Schreiber Gemeinte (Intention)
zum Ausdruck gebrachtDiese Auffassung vertritt die Meinung: Stil ist nur Merkmal der parole,
nicht der langue.
Definition Stil:
Stil ist die sprachliche Beschaffenheit eines (mündlichen oder
schriftlichen) Textes, in der sich die sozial bedeutsame Art der
sprachlichen Handlungsführung spiegelt.
Pragmatisch orientierte Auffassung des Gegenstandes der Stilistik:
Gegenstand der Stilistik ist der Textstil und seine Beschreibung.
Die Stilistik fragt
- nach der Textbeschaffenheit im kommunikativen Zusammenhang,
indem sie Stilelemente erfasst, ihre Funktion bei der Darstellung des
Inhalts ermittelt, die Verflechtung im Text aufzeigt und die
Textkomposition untersucht;
- nach der Stilwirkung in Bezug auf die Kommunikationssituation, die
Intentionen des Sprechers/Schreibers und in Bezug auf die der
Textsorte angemessene Textbeschaffenheit;
19
- nach dem Stiltyp (z.B. Nominalstil, Verbalstil, Epochenstil usw.);
- nach den Charakteristika des Stils (Stilzüge wie z.B. anschaulich /
bildhaft, bildlich, lapidar, sachlich, locker .....).
---------------------------------------------------------------------------------------------Stil ist ein bestimmtes Merkmal von Texten, eine Komponente, die jeder
Text hat, unabhängig davon, ob es sich um einen guten oder schlechten,
einen angemessenen oder nicht angemessenen Stil handelt.
Außer der Komponente Stil weist ein Text noch andere Komponenten
auf, die wichtige Seiten des Inhalts und der Form des Textes bilden:
der Kommunikationsgegenstand (= worüber
gesprochen/geschrieben wird),
- das Thema (= unter welchem Leitgedanken der
Kommunikationsgegenstand behandelt wird, welche Seiten und
Aspekte besonders hervorgehoben werden),
- das Kommunikationsverfahren / der Sprachhandlungstyp (= ob sich
der Sprecher / Schreiber über den Gegenstand erzählend, berichtend,
beschreibend, erörternd oder in anderer Weise äußert),
- die Darstellungsperspektive (= aus welcher Blickrichtung der Autor
die Kommunikationsgegenstände darstellt),
- die Komposition (= die innere, gegenstandsbedingte, themabedingte
und / oder verfahrensbedingte Gliederung),
- die Architektonik (= die äußere, sinnlich wahrnehmbar gemachte
Gliederung, also Kapitel, Absätze, Strophen u.a.).
Albert Einstein nimmt in der Geschichte der neueren Naturforschung eine
Sonderstellung ein. Vollender und Bahnbrecher zugleich, steht er an der
Wende von der alten zur neuen Physik .....
Mögliche Variationen (Beispiele):
- lexikalische Erscheinung: Mitbegründer anstelle
Bahnbrecher,
- morpholog. Erscheinung: stand anstelle steht,
- syntaktische Erscheinung: Als Vollender und Bahnbrecher
zugleich steht er an der Wende ....,
- ganzer Komplex sprachlicher Erscheinungen, so dass größere
Veränderungen erforderlich sind:
Albert Einstein nimmt als Vollender und Bahnbrecher an der Wende von der alten zur
neuen Physik in der Geschichte der neueren Naturforschung eine Sonderstellung ein.
20
- Addition (= Hinzufügung eines neues sprachlichen und
gedanklichen Elements): Albert Einstein nimmt in der
Geschichte der neueren Naturforschung eine hervorragende
Sonderstellung ein.
- Elimination (= Aussparung sprachlicher und gedanklicher
Elemente): Albert Einstein ist (in der Geschichte der neueren
Naturforschung, in der er eine Sonderstellung einnimmt)
ein(großer) Vollender und Bahnbrecher an der Wende von der
alten zur neuen Physik.
Aus einem Bildband über Leipzig:
Zwischenüberschrift bzw. Teilthema:
Eine schöne Frau ist meine Stadt,
Meine Geliebte.
Aus ihren Brunnen trinkt sie
Das Wasser ewiger Jugend.
Als Text folgt:
Wie alt ist sie eigentlich, unsere Stadt? Achthundert Jahre?
Fünf Jahrtausende? Und überhaupt, ist sie alt? Ist ihr
Alter, ihre Vergangenheit nicht eigentlich ihre Kindheit,
ihre Jugend? Und was uns als ihre Jugend erscheint, die
Stadt heute, nicht in Wirklichkeit ihr Alter? Erst im Alter
von achthundert Jahren zeigt sie uns ein so junges frisches
Gesicht.
Aber streiten wir nicht darüber, wie alt oder wie jung
unsere Stadt ist. Denn eines müssen wir ihr zugestehen: Sie
wird jünger von Tag zu Tag. Wie im Märchen: Das Wasser
des Lebens trinken macht jung. Doch es war nie ein
Märchen. Denn was eine Stadt ist, ist sie durch die
Menschen, die sie bewohnen. Ihre Arbeit, ihr
Erfindergeist, ihre Lebensfreude, ihr Kampf um eine
immer schönere Welt, das alles ist der eigentliche, der
21
einzige Jungbrunnen einer Stadt. Eine Stadt lieben heißt,
ihre Menschen lieben, ihre kreative Kraft, durch
Generationen und Jahrhunderte hindurch. ......
Teiltext aus einem Reiseführer über Leipzig:
Leipzig ist eine Großstadt und mit 590000 Einwohnern
die zweitwichtigste Stadt des Freistaates Sachsen. Es liegt
inmitten der Leipziger Tieflandsbucht, die seit alters
Schnittpunkt wichtiger europäischer Verkehrswege ist.
Leipzig entwickelte sich zu einem Treffplatz der Völker,
zu einer weltoffenen Handels- und Kulturmetropole.
Dieser geschichtlichen Aufgabe dient auch das heutige
Leipzig: Es ist die Stadt der Messen und Kongresse, des
Buch- und Pelzhandels, ein Zentrum der Industrie, der
Wissenschaft und des Sports, eine hervorragende
Pflegestätte der Musik. Tradition und lebendige
Gegenwart geben Leipzig den Rang einer Großstadt von
nationaler und internationaler Bedeutung.
Charakteristisch für die über achthundert Jahre alte
Stadt an der Weißen Elster und der Pleiße ist ihre
außergewöhnliche Vielseitigkeit ......
Sportreportage über eine Etappe einer Radfernfahrt
22
Schon am Start in .... ließ der Himmel ahnen, dass das
sonnige Wetter des Vortags eine Rarität bleiben sollte, und
nach 75 km öffnete der Himmel denn auch wieder seine
Schleusen und sorgte dafür, dass diese Tour wohl auch
endgültig als die große Unwetterfahrt in die Annalen
eingehen wird.
Amtlicher Wetterbericht:
Ein Tiefdruckgebiet zieht über das südliche Mitteleuropa
hinweg ostwärts und beeinflusst besonders die südliche
Hälfte Deutschlands mit gewittrigen Niederschlägen. Heute
und nachts wird es in der südöstlichen Hälfte Deutschlands
wolkig bis bedeckt sein und zu Niederschlägen kommen, die
in der zweiten Tageshälfte gewittrig sind. Im übrigen Gebiet
23
wird es besonders vormittags zum Teil heiter, nachmittags
wolkig sein, und nur vereinzelt tritt Niederschlag auf.
------------------------------------------------------------------------Kürze:
Kurzwort: DAAD
Länge:
Vollform: Deutscher
Akademischer Austauschdienst
Kompositum:
Gefahrenmeldung
Fachwort: Strecke
Wortgruppe: Meldung über
bestehende Gefahr
Allgemeinsprachliche
Umschreibung: gerade Linie,
die nach 2 Seiten hin begrenzt
ist.
Verb: etwas beweisen
Streckform: etwas unter
Beweis stellen
Satzglied: Deine Kritik hat mir Nebensatz: Dass du mich
sehr geholfen.
kritisiert hast, hat mir sehr
geholfen.
Ellipse: Kraft: Grundbegriff
Vollständiger Satz: Der
der Dynamik; Ursache für die Ausdruck Kraft ist ein
Änderung des
Terminus der Dynamik und
Bewegungszustandes.....
bezeichnet die Ursache für......
24
Nachbarwissenschaften der Stilistik
Literatur-
wissenschaft
Sprachdidaktik
Soziolinguistik
Sprach-
wissenschaft
Stilistik
Pragmatik/
Rhetorik
Textlinguistik
Psycholinguistik
An dieser Stelle noch ein kurzes Resümee
In jedem Text gibt es variable und nichtvariable sprachliche Mittel. Bei den
variablen handelt es sich um Stilelemente.
Die Stilelemente können der morphematischen, syntaktischen, lexikalischen
oder auch der phonologischen Ebene der Sprache angehören.
Die stilistische Variation erfolgt durch die variable Auswahl oder
Kombination der Stilelemente (oder beidem).
Die Variation der Stilelemente wird durch den funktionalen Charakter der
Äußerung (z.B. belletristischer, wissenschaftlicher oder anderer Text)
beeinflusst.
Lexikalische Stilelemente:
Wortschatz: Synonymie, Antonymie, Polysemie, Wortbedeutung (denotativ –
konnotativ), Existenzformen der Sprache (Mundarten, Umgangssprache,
Jargon, Schriftsprache u.a.), Archaismen – Neologismen – Historismen,
phraseologische Wendungen, Termini, territoriale Dubletten,
Fremdwortgebrauch, Gebrauch von Eigennamen, Wortbildung
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Grammatische Stilelemente:
Satzlänge, Möglichkeiten der Verknüpfung von Wörtern, Wortgruppen und
Sätzen (Mikro- und Makrostilistik), Satzarten, Varianten der Satzgliedfolge
und der Stellung der Attribute, Genera verbi und Konkurrenzformen des
Passivs, Synonymie der Tempora und Modi, Pronomen und Modaladverbien.
Den bisherigen Stoff zu Stil und Stilistik zusammenfassend, können wir
also heute formulieren:
Stil ist die strukturierte Gesamtheit der in einem Text auftretenden
sprachlichen Erscheinungen. Sie sind Ausdrucksvarianten und wurden von
einem Sprecher oder Schreiber ausgewählt, um eine kommunikative
Funktion in einem bestimmten Tätigkeitsbereich zu realisieren.
Bei der Bestimmung des Stilbegriffs geht man aus vom Begriff der
Sprachverwendung . Dieser Begriff schließt viele spezielle Bereiche ein, z.B.
Poetik, Journalistik, Politik usw.
Ausgehend von der Hauptfunktion der Sprache – als Kommunikationsmittel in
allen Bereichen der Gesellschaft zu dienen – wird jeder sprachlichen
Äußerung Stil zugeschrieben. Dabei ist der Begriff „Sprachverwendung“ dem
Begriff „Stil“ übergeordnet. Stil ist dem mündlichen oder schriftlichen
Redetext zugeordnet.
Der mündliche oder schriftliche Redetext ist das Ergebnis der Auswahl
und Verknüpfung sprachlicher Mittel aus dem verfügbaren Sprachvorrat
(Sprachsystem, Sprache als Möglichkeit, als Potenz für Rede.
Da jeder Text auf der Kombinierbarkeit und dem synonymischen Austausch
sprachlicher Mittel beruht, besitzt jeder Text Stil.
Stil ist also etwas Textimmanentes, etwas objektiv Sprachliches auf der Ebene
der parole, d.h. des Textes.
In Kooperation mit der Psycholinguistik, der Soziolinguistrik und der
Sprachwirkungsforschung erforscht die Stilistik die Ursache-WirkungBeziehungen des Stils.
Wir stellen die Frage, welche Faktoren das Sprachverhalten eines Sprechers
oder einer Sprechergruppe determinieren, bestimmen und welche Probleme
dabei zu beachten sind.
Dabei gehen wir aus von den
Grundfaktoren jedes Kommunikationsprozesses:
der Sprecher /Schreiber
26
der Hörer /Leser
das sprachliche Zeichensystem
der Mitteilungsgegenstand (das Denotat)
der Verständigungsweg (mündlich oder schriftlich)
die Verständigungsart (monologisch oder dialogisch)
die Verständigungssituation (gesellschaftliche Sphäre und spezielle
Begleitumstände).
Zum Wesen von Stilzügen (Stilmerkmalen)
In der Textlinguistik und in der Stilwissenschaft besteht Übereinstimmung
darin, dass es für die stilistische Charakteristik eines Textes nicht ausreicht,
nur die Stilelemente und die Stilfiguren aufzuzählen.
Der Stil in seiner Ganzheit ist mehr als die Summe seiner Elemente.
Deshalb ist es sowohl für die Textproduktion als auch für die Textrezeption
wichtig, die Merkmale der Stilqualität zu erkennen, die für einen Text oder für
eine Textsorte charakteristisch sind.
Es muss wieder betont werden: Es handelt sich um jene Stilbesonderheiten
eines Textes, die sich aus dem Zusammenwirken der einzelnen Stilelemente
ergeben. Sie sind nicht an ein einzelnes sprachliches Mittel gebunden.
Es sind Gestaltungsmerkmale des Textes, die durch verschiedenartige
sprachliche Mittel realisiert werden können.
Schauen wir uns das am Beispiel der Merkmale Kürze (Verdichtung der
Aussage) und Länge (Ausdehnung der Aussage) an. Beide Merkmale können
auf unterschiedlichen Merkmalen im Text beruhen. Folie!!
Stilmerkmale eines Textes werden unter 2 Aspekten erfasst:
quantitativ-strukturell, das betrifft die Häufigkeit (Frequenz), die
Verteilung (Distribution) und die Kombination der Stilelemente im
Textganzen.
qualitativ-funktionell, das betrifft die Wirkungspotenzen, die angelegt sind in
der Semantik und in der Gebrauchsweise. Dabei spielt der Gebrauch der sog.
konnotativen Bedeutungskomponenten von sprachlichen Mitteln eine wichtige
Rolle.
Wir können also definieren:
Stilmerkmale bzw. Stilzüge sind die charakteristischen Besonderheiten
eines Textes, sie beruhen auf Frequenz, Distribution und Kombination
der Stilelemente.
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Ihre quantitativ-strukturelle Seite wird erfasst, indem man untersucht, welche
Stilelemente wie oft, in welcher Verteilung und Kombination vom Sprecher
ausgewählt sind.
Ihre qualitativ-funktionale Seite wird nach der kognitiven und
kommunikativen Funktion der Ausdruckswahl wie folgt bezeichnet: Folie!!
Stilistik und Nachbarwissenschaften
Die Stilististik steht im Zentrum folgender Nachbarwissenschaften, deren
Ergebnissse sie für die Stilforschung benötigt und mit denen sie deshalb eng
zusammenarbeitet:Folie!!
Die Beziehungen zwischen der Sprachwissenschaft und der Stilistik sind
vor allem in den letzten Jahrzehnten intensiver geworden, seitdem neben der
Erforschung der langue immer mehr auch die Untersuchung der parole
Beachtung findet.
Wir meinen, dass der Stil sowohl an der langue als auch an der parole beteiligt
ist. An der langue, weil die Stilkategorien und Stilmittel auch Systemcharakter
haben, an der parole, weil es sich um Einzeläußerungen handelt, die stilistisch
untersucht werden.
Textlinguistik und Stilistik: Die Textlinguistik ist noch eine relativ junge
Richtung innerhalb der Sprachwissenschaft. Die Stilistik hat sich schon immer
mit Texten beschäftigt, vor allem mit der Verwendung sprachlicher Mittel in
Texten sowie mit Fragen der Textanalyse und Textgestaltung.
Die Textlinguistik untersucht jedoch mehr als nur den stilistischen
Aspekt sprachlicher Äußerungen. Sie beschäftigt sich mit Fragen der
Textanalyse, der Textbildung, der Klassifizierung von Texten, der
Struktur von Texten und mit der Untersuchung linguistischer und
außerlinguistischer Ursachen für die Wirkung von Texten in der
menschlichen Kommunikation.
Der Schwerpunkt der Stilistik liegt dagegen nur auf einer Komponente – der
stilistischen Komponente des Textes.
Also: Beide Disziplinen haben nur scheinbar den gleichen Gegenstand!! Die
Stilistik untersucht vor allem – und das wissen wir bereits – Fragen der
charakteristischen sprachlichen Variationen sprachlicher Mittel im Text, auch
die Abweichung von vorhandenen Normen und Regeln und die Gründe dafür.
Stilistik und Literaturwissenschaft.
Man unterscheidet oft zwischen literaturwissenschaftlicher und linguistischer
Stilistik, zwischen literarisch-künstlerischem Stil und Redestil. Dabei umfasst
der erste Begriff mehr Komponenten als der Redestil. Andererseits bezieht
28
sich der linguistische Stilbegriff nicht nur auf belletristische, sondern auf alle
Texte.
Stilistik und Sprachdidaktik.
Die Sprachdidaktik – also alle Formen des Erlernens und des Einübens des
Sprachbesitzes – hat nur in begrenztem Maße mit der Stilistik zu tun.
Allerdings gehört seit Jahrhunderten die Pflege eines guten sprachlichen
Ausdrucks – also des guten Stils – zu den wichtigsten Aufgaben des
Deutschunterrichts. Man kann folgende zeitliche Entwicklung beobachten:
18. Jahrhundert und früher: Nachahmen bestimmter Textsorten der
rhetorischen Tradition
19. Jh. : der Gedankenaufsatz, in welchem gedankliche Klarheit und
Folgerichtigkeit mit sog. guten Stil gleichgesetzt wurden.
Beginn des 20. Jh.: Kreativere, erlebnisbetonte Aufsatzformen gefordert
Seit den 20er Jahren: Verschiedene Aufsatzformen für verschiedene
Altersstufen: erlebnisbetonte Darstellungsarten (Erlebnis- und
Phantasieaufsatz,Schilderung, Betrachtung, Besinnungsaufsatz ) sowie
sachbetonte Darstellungsarten (Bericht, Beschreibung, Erörterung,
Fachaufsatz).
Seit den 70er Jahren: Stärker kommunikativ orientierende Aufsätze in den
verschiedenen Klassenstufen.
Weitere Berührungspunkte beider Disziplinen:
Stilauffassungen aus der Stilistik wurden oft zu Lernzielen für den
Aufsatzunterricht adaptiert.
Die pragmatische Stilauffassung wurde zur Grundlage kommunikativ
orientierter Aufsätze und sog. Zweckformen (z.B. Bewerbungsschreiben,
Sachbriefe, Lebenslauf usw.) .
Stilistik und Soziolinguistik.
Die Soziolinguistik untersucht zwar auch die gesellschaftlich bedingten
Varianten des Sprachgebrauchs, jedoch fallen die Gegnstandsbereiche beider
Disziplinen nicht zusammen. Die Soziolinguistik untersucht auch Probleme
des Sprachwandels, der Sprachmischung und der Sprachpolitik sowie der
Entlehnung und der Sprachlenkung. Sie orientiert sich stärker auf die
gesellschaftliche Schichtung und Gliederung des Sprachsystems in Form von
Hoch- und Schriftsprache, Umgangssprache, Dialekte, Gruppen- und
Fachsprachen, die Stilistik dagegen auf das Vorkommen und die Verwendung
einzelner Elemente dieser Varianten in konkreten Texten.
Stilistik und Psycholinguistik
Die Psycholinguistik konzentriert sich vorrangig auf die Wechselwirkung von
Sprache und Denken, da der Denkprozess nur durch die innere Mitwirkung
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von Sprache bewältigt werden kann. Schwerpunkt sind dabei die
Komponenten und Phasen im Prozess der Texterzeugung und
-rezeption.
Für die Stilistik ist die Psycholinguistik eine wichtige Nachbar- und
Grundlagendisziplin, denn der Stil eines Textes ist bedingt durch die
Bedürfnisse, Motive, Einstellungen, Ziele der SprecherpersönlichkeitDie Stilistik muss also auf den Ergebnissen und Erkenntnissen der
Psycholinguistik aufbauen.
Rhetorik
War seit der Antike über das gesamte Mittelalter und in der frühen Neuzeit
gültige Schuldisziplin. Wurde im 18. und 19. Jh. durch die Stilistik abgelöst
und verdrängt.
Heute soll der pragmatische Aspekt der Rhetorik die steril gewordene
Aufsatzlehre neu beleben. Viele Stilfiguren und Elemente aus der Rhetorik
leben auch in modernen texten weiter und sind stilistisch relevant. Deshalb
heute Forderung nach Wiederbelebung rhetorischer Methoden und Analysen.
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