46. Von der Amtskirche aus der Bahn geworfen

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46. Von der Amtskirche aus der Bahn geworfen
Erwin Frank
In meiner Kinderzeit hatte ich mit Kirche, Pfarrer und Religion keinerlei Probleme.
Gottesanschauung und alles drum herum schienen aus einer einzigen Form gegossen zu sein und
niemand, auch von den um mich wohnenden Erwachsenen, machte sich darüber Gedanken, dass da nicht
ein Zusammenklang wäre oder, dass es gar einen Missklang gäbe.
Meine Familie und alle Bewohner unseres kleinen Ortes waren meist fest mit der Kirche und ihrer Lehre
verbunden und es war selbstverständlich, dass (fast) alle Leute den sonntäglichen Gottesdienst in der zwei
Kilometer entfernten Pfarrkirche zum „Hl. Martin“ besuchten. Dieses Gotteshaus, imposant auf der
Anhöhe des Kirchenberges stehend, war nicht zu übersehen. Bei den Weinkellern des Pfarrortes
angekommen, eilten wir meist den engen Kirchensteig entlang oder kürzten mit jugendlicher
Leichtigkeit dessen letzten Teil, der sich noch ein wenig steiler zum Gotteshaus hinaufwand ab, indem
wir zwischen dem „Maurer-Haus“ und dem ersten Weinkeller des Ortes den Schulsteig über Wiese und
Bach benützten und dann den ausgetretenen Pfad auf der Nordseite des Kirchberges hochstiegen.
Im nördlich gelegenen Kirchenschiff der Pfarrkirche in Weitersfeld befand sich die „Fronsburger Seite“
und alle Gottesdienstbesucher unseres Ortes, hatten dort ihre „Kirchensitze“, die an Sonntagen auch
immer vollbesetzt waren. In den 30er Jahren war die Predigt des Pfarrherrn immer v o r dem eigentlichen
Gottesdienst. Diese Liturgieform nützten viele Männer, um sich zumindest den größten Teil der
Christenlehre zu ersparen und sind während der donnernden Predigt da drinnen, heraußen wartend an der
Friedhofsmauer gestanden. Rauchend und plaudernd solange, bis sie von drinnen das kräftige „Amen“ des
Geistlichen und anschließend das vielstimmige „Vergelt’s Gott“ der Zuhörer vernahmen. Erst dann sind
sie in die heiligen Hallen „eingezogen“ und haben „ihre Plätze“ besetzt.
Wir Schulkinder mussten natürlich regelmäßig zum ersten Sonntagsgottesdienst gehen. Es gab da noch
um 10 Uhr das Hochamt, das mehr von den Weitersfeldern genützt wurde. Ich bin meist mit meinem
Großvater „mitgezogen“, der zu den regelmäßigen Kirchenbesuchern zählte und das Sprichwort „Wie dein
Sonntag, so dein Sterbetag“ hochhielt.
Von der ersten bis zur dritten Volksschulklasse hatten wir im Religionsunterricht den Pfarrherrn Geistl.
Rat Franz Fitzinger. Er war ein gütiger älterer Herr, der uns in der Schulstunde, nach seiner Frage aus dem
Religionsbüchlein die Antworten schlichtweg ablesen ließ. Es störte ihn auch nicht, wenn dies in etwas
holpriger Form geschah, und er war schon zufrieden, wenn wir stramm aufstanden und uns bemühten, die
fett gedruckten Sätze einigermaßen wiederzugeben.
Aber dann bekamen wir einen jungen Kooperator, der solche Nachlässigkeiten nicht duldete und von uns
die frei deklamierte Wiedergabe forderte. Das konnten, besonders wir Buben, wiederum nicht glauben.
Aber auch der Kaplan - Gustl haben wir ihn heimlich genannt - gab nicht nach und legte uns einen nach
dem anderen über die Bank und zog uns einen kräftigen Hieb über das Hinterteil. Da der junge Mann ein
wenig sadistisch veranlagt war, fiel diese Kraftübung meist etwas rüde aus, und die Blessuren waren bei
manchem Buben recht deutlich sichtbar. So sichtbar, dass sich sogar manche Eltern öffentlich empörten
und das hieß doch zu jener Zeit etwas, gegen die pädagogische Handlungsweise eines Geistlichen
aufzumucken.
Die Kapläne wechselten, wie dem Pfarrherrn die Hemden, und es kamen wieder andere.
Einen hatten wir - ich weiß seinen Namen nicht mehr - der war wieder das Gegenteil vom vorherigen,
und der versuchte uns mit kleinen Geschenken in die Kirche und vor allem zum Kommunionempfang zu
locken. Für jede Hostie in der Eucharistie gab es eine silbrig- oder goldglänzende Marke, die auf einer
Karte aufzukleben war.
Und war dann die Karte vollgeklebt, so bekamen wir als besonderen Lohn, ein schönes heiliges Bildchen.
Dieses war dann inmitten der glänzenden Marken anzubringen und wurde damit zu einem recht netten
Gesamtwerk. Die Folge war, dass wir nicht nur am Sonntag, sondern auch wochentags zur hl. Kommunion
gingen. Unseren Eltern war dies ja eigentlich nicht recht, da wir einen weiten Schulweg hatten, diesen
auch in den schneereichen Wintern bewältigen mussten und wegen des Kommunionempfanges mit
nüchternem Magen von daheim wegzugehen hatten.
Dann kam die Studentenzeit, die weniger religiös geprägt war. Ein Geschichtsprofessor, der wie ein Buch
redete, war mit den Amtsträgern der Kirche uneins und versuchte uns mit seinen Gedanken und
Ausführungen von der Religiosität zu entfernen. Das war ein Teil seiner Geschichtsgegenwart und zu
„seinem Lieblingsthema“ war er allzeit in der Stunde bereit. Und das hat natürlich auch etwas abgefärbt,
daran besteht kein Zweifel.
Nach dem Krieg kam wieder die religiöse Friedenszeit, die der 50er bis 70er Jahre mit allen Grundwerten
der Religion. Aber schon in dieser Zeit flippten einige geistliche Würdenträger aus und versuchten mehr
ihren Neigungen zu leben. Nicht öffentlich natürlich, sondern im Verborgenen. Und während man vorher
in den Jahrzehnten über Fehlhaltungen der Geistlichkeit nicht öffentlich zu sprechen wagte, so rissen
sich die Medien jetzt geradezu um solche Histörchen, denn das hob die Auflagezahl der Zeitungen und die
Leute lasen so etwas gerne. Ja, sie erinnerten sich selbst an diese oder jene Begebenheit, wo sie in ihrem
eigenen Leben, eine ähnliche Sache miterlebt hatten und zogen Parallelen.
.
Da ich von jeher bestrebt war, alle bedeutenden Ereignisse der Zeit in meiner Umgebung zu archivieren,
so nahm ich mich auch dieses Gedankenguts an, studierte und sammelte diese wahren oder erdichteten
Undinge und füllte damit Disketten. Die Leute besprachen diese Vorkommnisse nicht mehr mit
vorgehaltener Hand und so manche Geschichten zählten zu den Lieblingsthemen der Bevölkerung. Alles
wurde breitgetreten und selbst in Anwesenheit des Pfarrherrn hielt man damit nicht zurück. Das alles
wäre ja nicht ganz so schlimm gewesen, denn Fehler zu machen ist menschlich und verzeihlich. Schlimm
wurde es erst, als andere Unbelehrbare und sogar hochrangige Geistliche versuchten, diese Vorgänge zu
decken und herunterzuspielen, um den Missetätern Schützenhilfe zu geben. Das war nichts anderes als
eine Bemäntelung krimineller Vorkommnisse zu Schaden
der bereits Geschädigten, die da
unschuldigerweise mit hinein verwickelt war. Das verstanden viele Leute nicht mehr und zogen die
Folgerungen, indem sie sich von der Amtskirche zuerst innerlich, dann auch mit dem Kirchenbeitrag
entfernten.
Und das hat auch mich, so nach und nach, aus der Bahn geworfen. Nicht, dass ich in meiner
Gottesanschauung wankend geworden wäre. Ich bin nur im Vertrauen an die Geistlichkeit sehr kritisch
geworden und habe nicht nur zu meiner Information das amtliche diözesane Kirchenblatt gelesen.
Es steht mir als kleiner Literat wenig zu, die allerhöchsten Kirchenstellen in ihren Entscheidungen zu
analisieren, aber ich identifiziere mich in den folgenden Ausführungen mit jenen Personen und
Körperschaften, mit den Priestern, Psychologen und gebildeten verantwortungsvollen Laien, die die
unheilvolle Entwicklung der Amtskirche in den letzten Jahren mit ehrlichem Herzen verfolgen und sie
kritisieren. Ich gestatte mir abzuwägen, welche dieser Meinungen in mein Gesamtbild,
in meine
Verantwortung und in meine Willensfreiheit passen.
Damit stehe ich zwar, nach wie vor zur Religion, distanziere mich aber in aller Form von ihrer
zentralistischen und autoritären Leitung. Ich bin nicht bereit, jene Entscheidungen anzunehmen, die nicht
mit der wohlverstandenen Botschaft des Evangeliums in Einklang zu bringen sind. Die betonierte
Geisteshaltung allerhöchster Stellen kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Demselben
Gedankengang folgend, sind deshalb auch viele der einstigen Gottesdienstbesucher aus der Kirche
„ausgezogen“.
Sie wandten sich so nach und nach anderen Glaubensrichtungen zu. Der diktatorische
Starrsinn kirchlicher Stellen und ihr mittelalterliches Verharren schwächt nicht nur ihre eigene Position
immer mehr und schaden „unserer Kirche“.
Mit einigen Bischöfen habe ich geistig schon lange gebrochen. Ihre Art und Weise „Hirten zu sein“
entsprechen in keiner Weise meiner Auffassung.
Aber auch die ewig gestrigen Priester, die Befehlsempfänger, weichen von meiner
und meiner
Mitbürger Vorstellung weit ab. Das zeigen die schwindenden Zahlen der Gottesdienstbesucher in den
Heimatgemeinden und das haben die letzten Pfarrgemeinde-ratswahlen deutlich gezeigt.
In den letzten Jahrzehnten hat sich so manches ereignet, das die „Schäfchen“ irritiert. Die Amtskirche
ist trotz ihrer augenscheinlichen Fehler und Misserfolge weder duldsam, noch aufgeschlossen. Ganz im
Gegensatz zu ihrem Herrn und Meister vor 2000 Jahren. Wenn sich der gegenwärtige Papst für die Fehler
der Vergangenheit öffentlich entschuldigt, wieder neue gravierende Fehler gemacht und zeitliche
Erfordernisse ignoriert werden, so kann das ein aufgeschlossener, normal denkender und mitfühlender
Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts nicht mehr verstehen.
Ja, wenn über „brennende Fragen “ nicht einmal mehr diskutiert werden darf, mit anderen
Glaubensrichtungen von höchster Stelle aus, aber immer wieder ein Dialog gewünscht wird, so liegt ein
deutlicher Widerspruch vor. Manche von der Amtskirche im Laufe der Jahrhunderte eingeführten Gesetze
bedürfen eben einer Veränderung, damit sie wieder der Zeit entsprechen. Davon will man aber nichts
hören, denn sie würden die Position – sprich, die Macht - reduzieren. Aber auf Macht will die Amtskirche
nicht verzichten, obwohl Jesus ihr Liebe und Sanftmut vorgelebt hat.
Außer den erzkonservativen Anschauungen und inhumanen Bemerkungen einiger „Hirten“ haben mich
folgende große Vorkommnisse aus der Bahn geworfen und in den Gegensatz zur Amtskirche gebracht.
Das war ihr Verhalten und ihre Vorgangsweise im Fall eines pädophilen österreichischen Erzbischofs
und weiters die völlige Negierung des Kirchenvolksbegehrens. Zuletzt stört mich immer mehr die
inquisitionshafte Ausgrenzung der Frau vom Altardienst. Und, dass es noch einige andere brennende
Gedankengänge gibt, an denen ich mir erlaube Anstoß zu nehmen, möchte ich nicht verschweigen. Die
Zeit bleibt nicht stehen, das Mittelalter liegt schon lange hinter uns.
Diese Geburtswehen einer zukünftigen und neuen, all umfassenden
Kirche scheinen aber notwendig
zu sein und sind wahrscheinlich ein gottgewollter Entwicklungsprozess, der sich sicher noch über weitere
Jahrzehnte hin erstrecken kann, bis man zum wahren Evangelium des neuen Testamentes zurückkehren
wird. Der Geist Gottes aber weht überall.
Nachsatz:
Diese Kurzgeschichte, die meine Meinung über die derzeitige Amtskirche wiedergibt, habe ich ( wie keine
andere) oftmals verändert, andere Gedanken hinzugefügt, welche gestrichen, ausgebessert und wieder
korrigiert, weil ich mir der Verantwortung bewusst bin, die ich damit setze. Ich bin aber in
Eigenverantwortung überzeugt, dass die ultra-konservative Amtskirche viele Fehler macht, nur um ihre
männliche Machtpolitik zu verteidigen. Viele der offenen Fragen haben mit Christus überhaupt nichts zu
tun. Denn Christus war fortschrittlich und revolutionär wie keine andere historische Gestalt. Und die
heutige Misere beginnt (besonders) in Rom, findet in manchen Diözesen ihren Höhepunkt und endet
(zuweilen) in den Heimatpfarren.
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