Neue Wege in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

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Elternkompetenz fördern
Ein neuer Ansatz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Joachim Lask
Erschienen in „Christ und Wirtschaft“ Ausgabe 4/03
Die Tür knallt, die 12 jährige Nina hat wütend den Frühstücktisch verlassen. Auf dem Weg zum
Kindergarten bemerkt Timo, dass er sein Frühstück vergessen hat. Der Streit mit den Kindern über
die drastisch gestiegenen Telefonkosten schwebt noch über der Familie. Der Vater regt sich über
das inkonsequente Verhalten der Mutter auf. Die Mutter kritisiert, dass der Vater doch mehr Zeit
mit der Familie verbringen soll. Inzwischen sind auch die Wochenenden mit Arbeit oder
ehrenamtlichen Verpflichtungen zugepflastert. Diese kleinen Szenen einer Familie sind an der
Haustüre nicht einfach abschütteln. Belastungen in der Familie wirken nachhaltig bis in den
Arbeitsalltag hinein. Der ungenügende Schlaf von heute Nacht hängt dabei auch noch in den
Knochen.
Elternschaft – darin sind sich alle
einige
–
gehört
zu
den
anspruchsvollsten Aufgaben. Wer
seine
Persönlichkeit
entwickeln
möchte, braucht hierfür nicht teure
Seminare zu besuchen! Sondern es
genügt Kinder zu erziehen! Mit
Sicherheit werden Eltern stets an den
Rand ihrer Grenzen geführt und
können neue Erfahrungen machen.
Nur, wer kann das aus dieser positiven
Perspektive
der
Persönlichkeitsentwicklung
wahrnehmen, wenn er dazu noch von
einem anstrengenden Arbeitsalltag
nach Hause kommt und damit die
nächste familiäre Herausforderung
bevorsteht?
Zum Thema „Vereinbarkeit von
Familie und Beruf“ wird gegenwärtig
viel geredet und auch viel gefordert.
Die Vorstellung, dass Familie und
Beruf in einem harmonischem
Einklang stehen, ist ein ehrenwerter
Wunsch, doch der Alltag ernüchtert.
Häufig klaffen beide Lebensbereiche
weit auseinander und für Eltern bleibt
es ein Spagat, Beruf und Familie in
guter
Weise
miteinander
zu
vereinbaren.
Die
bisherigen
Aktionen
zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
des Bundesministeriums für Familie,
verschiedener Initiativen wie z.B. die
Hertie-Stiftung
oder
einzelner
Unternehmen sind notwendig und
wirken sich positiv für Familien aus.
Beispiele
sind
eine
familienfreundlichere
Arbeitzeitgestaltung,
der
HomeOffice-Arbeitsplätze oder verbesserte
Wiedereinstiegschancen in den Beruf
für Mütter. Betriebe bieten ihren
Mitarbeitern
Stressmanagementprogramme
an,
damit Arbeitsstress auf der Arbeit
bleibt und Eltern möglichst entspannt
zu ihren Familien zurückkehren.
Soweit – so gut. Aber was hilft es
Eltern und Kindern, wenn zwar Papa
oder Mama mit ihrem Home-Office
zwar Zuhause, sind aber irgendwie
doch nicht da. Der berufliche Stress
wird nun auch noch in der Familie
abreagiert. Auch die noch so
familienfreundliche
Arbeitszeitgestaltung ist bei 3 Stunden
Hin- und Rückfahrt nutzlos.
Kompetentere Eltern – weniger Stress
Ein neuer Weg, die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu fördern setzt bei
der Familie an. Die Idee ist ganz
einfach:
Eltern
denen
ihre
Erziehungsaufgaben besser gelingen,
gehen mit weniger Stress zur Arbeit.
Also unterstützen Betriebe die
Elternkompetenz ihrer Mitarbeiter mit
elterlichen Pflichten. Denn mehr als
60 Prozent der berufstätigen Eltern
geben an, dass sich ihre familiäre
Belastung teilweise oder erheblich im
Arbeitsalltag auswirkt. Zu diesem
Ergebnis kommt eine aktuelle
Untersuchung des ‚worklife-instituts’
in Darmstadt.
© Joachim Lask, Mühltal 2003
Elternkompetenz zu fördern, bedeutet
nicht Lösungen für Erziehungsfragen
anzubieten, sondern Eltern zu
unterstützen positive Beziehungen in
der Familie zu entwickeln. Auf solch
einer tragfähigen Grundlage ist dann
konstruktives elterliches Handeln auch
in Problemsituationen möglich. Wie
kann aber Elternkompetenz gefördert
werden, wenn die Zeitressourcen
gerade für gestresste Eltern knapp
sind? Häufig ahnen und spüren Eltern,
was gut für ihre Kinder ist, sind sich
aber in ihrem elterlichen Handeln
nicht sicher genug, insbesondere wenn
sie unter Stress stehen. Deshalb
beabsichtigen
Programme
zur
Förderung der Elternkompetenz zwei
Ziele:
1) Eltern sollen ihre vorhandene
Ressourcen und Fähigkeiten erkennen.
2) Das Gefühl in der Familie und
Erziehung etwas bewirken zu können,
soll
intensiver
werden.
Sicherlich wäre ein Elternprogramm
nichts ohne praktische Tipps für den
Erziehungsalltag, jedoch nicht als
Kochbuch sondern eher als Toolbox,
die Eltern für sich nutzen können.
Für eine „Positive Erziehung“ lassen
sich sechs Grundbausteine nennen1:
1. Fördere positive Beziehungen in
der Familie
1
Die sechs Grundbausteine für eine
Positive Erziehung stammen aus dem
Elternprogramm PEP4Kids (siehe
www.pep4kdis.de)
Ob wir einander in der Familie als
angenehm erleben oder uns das
Miteinander nur schwer fällt, hängt
von der Qualität der familiären
Beziehungen ab. Fördern Sie also die
positive Beziehungen in Ihrer Familie
zu Ihren Kindern, zu Ihrem Partner als
Eltern-Partner aber auch zu Ihrem
Partner als Ehe-Partner. So werden Sie
ein
starkes
Team,
das
die
Herausforderungen einer Familie
meistern wird. Positive Beziehungen
entstehen durch die alltäglichen
Begegnungen und weniger durch
seltene dafür lang andauernde
Beziehungszeiten.
Zum Beispiel: Es überrascht vor
allem berufstätige Eltern, dass
häufige relativ kurze Zeiten effektiver
für die positive Beziehung sind, als
ausgedehnte Beziehungszeiten (z.B.
Kinobesuch, Freizeitpark), die jedoch
nur einmal in der Woche oder noch
seltener vorkommen. Bereits die
Kontakte von 30 Sekunden oder 1 bis
2 Minuten fördern eine positive
Beziehung. Diese kurzen Zeiten
sollten dann möglichst häufig
erfolgen, z.B. am Morgen, nach der
Schule, am Abend, bei den
Mahlzeiten nach der Arbeit, usw.
Nutzen Sie die Gelegenheiten zur
positiven Zeit z.B. wenn das Kind
sich im Verlauf des Tages an Sie
wendet, wenn Sie aus dem Haus
gehen, von der Arbeit nach Hause
kommen oder wenn sich etwas
Besonderes ereignet.
2.
Sorge
für
eine
sichere
Bewältigung des Alltags
Wo ist Ihr Kind und was macht Ihr
Kind? – Neugierde kann Ihr Kind in
gefährliche Situationen bringen. Viele
Kinderunfälle könnten im Vorfeld
verhindert werden.
Insbesondere
berufstätige
Eltern
können ihr Kind nicht immer im Blick
behalten. Daher ist es wichtig, dass
Eltern für eine sichere Umgebung
ihrer Kinder sorgen. Insbesondere
kleine Kinder brauchen eine sichere
Umgebung zum Spielen. Viele Unfälle
im Haus könnten vermieden werden,
wenn
Eltern
einfache
Schutzmaßnahmen beachten würden.
Also machen Sie Ihre Wohnung, Ihren
Garten oder Ihr Haus zu einem Ort, an
dem Ihr Kind die Möglichkeiten hat,
auf Entdeckungsreise zu gehen, ohne
ständig von den Eltern zu hören "pass
auf", "lass das", "das ist zu gefährlich".
Auch Sie als Eltern haben damit
wesentlich mehr Ruhe.
Außerdem brauchen Kinder mit
zunehmenden Alter klare Absprachen
und Regeln, damit Eltern wissen, wo
sich das Kind aufhält, und damit
Kinder wissen, worauf sie zu achten
haben.
3. Fördere Verbindlichkeit und sei
konsequent
Ihre Kinder lernen die Verantwortung
für ihr eigenes Verhalten zu
übernehmen, wenn sie klare Regeln
des Umgangs oder des Verhaltens
kennen
und
diese
Regeln
Konsequenzen haben. Kinder werden
sich sicherer fühlen und damit auch
weniger verhaltensauffällig sein, wenn
ihre Eltern eindeutig in ihren
Anweisungen,
Regeln
und
Konsequenzen sind.
Was bedeutet "konsequent" sein?
o
Einerseits sollten Eltern auf
angemessenes Verhalten sofort
reagieren, insbesondere dann,
wenn das Kind sich an
Vereinbarungen gehalten hat
oder ein neues Verhalten
erfolgreich
ausgeführt
hat.
Konsequent sein heißt hier: mein
Kind
"beim
guten
Tun
erwischen" und es dafür loben.
o
Andererseits
bedeutet
konsequentes Verhalten der
Eltern, konstant und sofort auf
unangemessenes Verhalten zu
reagieren. Dies gilt für jeden Fall.
Dabei geht es nicht darum, dass
ein Kind eine Strafe im Sinne
von "abbüßen" erhält, sondern
das Kind soll durch sein
Fehlverhalten keinen Vorteil
haben. Mit der Konsequenz soll
dem Kind vermittelt werden, was
es statt dessen tun soll. Wichtig
dabei ist, dass Regeln und
Konsequenzen - sofern möglich zuvor
besprochen
werden.
Achten Sie darauf, dass Sie
Konsequenzen nicht androhen,
sondern dass Kinder lernen, auf
Aufforderungen zu reagieren.
4. Lebe deine Wertvorstellungen
/deinen Glauben
In einem weltanschaulich neutralen
Staat und in einer pluralistischen
Gesellschaft, in der prinzipiell alle
© Joachim Lask, Mühltal 2003
Wertvorstellungen
infragegestellt
werden, sind viele Eltern unsicher
geworden. Welche Wertvorstellungen
und Vorbilder sollen sie vermitteln?
Nun, es gibt kein Fach Freiheit, Liebe,
Solidarität, Gewaltfreiheit, Anstand,
Achtung vor älteren Menschen,
Charakter, Gewissen oder Respekt vor
fremden Eigentum, das man pauken
könnte wie Latein und abfragen wie
Vokabeln.
Werte,
Glaubensund
Grundüberzeugungen vermitteln sich,
indem man den anderen durch sein
Tun und Reden zeigt, was einem
wichtig ist, wobei das Vorleben der
Werte wichtiger ist als das Reden über
diese.
Kinder stellen Lebensfragen. Deshalb:
sprechen Sie mit Ihren Kindern über
diese Fragen. Sprechen Sie auch über
Ihre Wert- und Moralvorstellungen.
Das hilft Kindern auch eigene
Antworten für ihre Lebensfragen zu
finden. Lassen Sie Ihre Kinder
teilhaben an den Formen ihrer
Lebensüberzeugungen
oder
praktizierten Glaubens und sprechen
Sie mit Ihren Kindern darüber, warum
Sie dies tun. Es gibt keine Eltern, die
keinen Glauben oder konkrete
Wertvorstellungen haben. Erst wenn
Sie mit Ihren Kindern konkret hierüber
sprechen und selbst einen Standpunkt
einnehmen, bieten Sie Ihren Kindern
eine Chance, diese Werte und
Einstellungen bewusst aufzunehmen
oder zu hinterfragen. Kinder beginnen
so, eigene Wertvorstellungen zu
entwickeln oder Wertvorstellungen der
Eltern anzunehmen. Respektieren Sie,
wenn Kinder Ihren Glauben oder
Glaubensstil nicht übernehmen. Sie
behalten jedoch immer das Recht, für
Ihre Überzeugungen zu werben.
Zeigen Sie Ihren Kindern im
alltäglichen Umgang Ihre Normen und
Werte und vertagen Sie dies nicht auf
Katastrophen der Weltgeschichte oder
auf den Sonntagvormittag.
5. Achte auf dich selbst
Bei aller Familie, Elternschaft,
Partnerschaft und Ihrer Berufstätigkeit
dürfen Sie sich selbst nicht übersehen.
Zwar fordern uns die beruflichen und
familiären Aufgaben bis an die
Grenzen unserer Leistungsfähigkeit,
doch hat die Familie und Ihre Firma
von Ihnen nichts mehr, wenn Sie
dauerhaft über Ihre Kräfte leben.
Deshalb achten Sie auf Ihre eigenen
Bedürfnisse nach Zeit, Erholung,
Rückzug, Geselligkeit, Kontakt zu
Freunden etc.
Eltern
denen
ihre
Erziehungsaufgaben besser gelingen
gehen mit weniger Stress zur Arbeit.
6. Bleibe realistisch
Sich Ziele zu setzen für die Erziehung
bzgl.
des
eigenen
elterlichen
Verhaltens als auch für die Kinder ist
okay. Bedenken Sie jedoch, nicht
zuviel von sich selbst als auch von
den Kindern zu erwarten. Erwarten
Sie von sich selbst stets den nächsten
kleinsten Schritt, der für Sie selbst
schon ein Erfolg ist. Es ist schöner, in
acht
Wochen,
acht
kleine
Erfolgsschritte zu machen, als in acht
Wochen
an
einem
großen
Erfolgsschritt zu scheitern. Die
perfekten Eltern gibt es nicht. Was
Ihre Kinder anbetrifft, so sollten Sie
Ihre Erwartungen an den realistischen
Möglichkeiten
Ihres
Kindes
ausrichten. Dabei sollten Sie den
Entwicklungsstand
und
die
Individualität
ihrer
Kinder
berücksichtigen. Überfordern Sie Ihr
Kind nicht, in dem Sie zu früh zuviel
erwarten oder unrealistisch etwa
meinen, Ihr Kind sollte perfekt sein,
z.B. immer ein aufgeräumtes Zimmer
zu haben, immer fröhlich sein usw.
Diese
sechs
Grundbausteine
„Positiver
Erziehung“
sind
realistische Ziele für Eltern, die ihnen
helfen, Familie als gelingende
Lebensform zu erleben. Dies wirkt
sich auf die Berufstätigkeit aus. Zwei
Beispiele
Den Grad ihrer Fröhlichkeit auf der
Arbeit führten berufstätige Eltern
der oben zitierten Untersuchung zu
87 Prozent hauptsächlich auf ihre
Familie zurück und nur zu 60
Prozent der Befragten sahen den
Grund ihrer Fröhlichkeit in ihre
Arbeit begründet.
Sozialen Kompetenzen, die durch
Elternschaft gefördert werden wie
etwa
„direktes
Loben“,
„Ansprechen von Problemen“, „in
Konfliktsituationen Ruhe bewahren
können“ sind Fähigkeiten die sich
jeder Betrieb für seine Mitarbeiter
wünscht.
Es
ist
erfreulich,
dass
die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
in den letzten zwei Jahren solch einen
Aufschwung genommen hat. Dieser
Bewegung ist zu wünschen, dass
Familie nicht nur als „Wert“ in das
Bewusstsein unserer Gesellschaft
rückt. Denn der Wert der Familie
würde dann auf dem Marktplatz
verhandelt und wäre von Angebot
und Nachfrage abhängig. Der Familie
ist vielmehr mit Würde zu begegnen,
als der (Über-) Lebensform unserer
Gesellschaft. Familie muss sich nicht
© Joachim Lask, Mühltal 2003
durch ihren Wert rechtfertigen,
sondern ist eine Mitgeschöpflichkeit
(Martin Luther), die Gott in seine
Schöpfung hineingestiftet hat. Wer
Familie so verstehen kann, und die
Prioritäten zwischen Beruf und
Familie immer wieder neu zuordnen
kann,
wird sicherlich
weitere
Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf entdecken.
Joachim Lask, Jahrgang 1962,
verheiratet,
vier
Kinder,
Gärtnergeselle,
DiplomPsychologe, ist seit 1998 selbständig
in seiner freien Psychologischen
Praxis. Seit 1994 ist er Ehe- und
Familientherapeut,
seit
1996
Supervisor BDP und
seit
1999
approbierter
psychologischer
Psychotherapeut
(Verhaltenstherapie,
DGVT).
Joachim
Lask gründete 2003
das worklife-institut und engagiert
sich ehrenamtlich im Kirchenvorstand
der Evangelischen Kirche in NiederRamstadt ([email protected])
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