Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit

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Band-GD, 19.4.15, Predigt: Schluss des Unser Vaters
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit, Amen (Zusatz zu Mt.6, 9-13)
Liebe Gemeinde, liebe Tauffamilie,
der letzte Vers des Vaterunsers klingt wie eine Formel, - zwar schön als Abschluss
dieses wichtigsten christlichen Gebets, aber gleichzeitig etwas abstrakt. Man kann
sich fragen, ob diese Schlussformel eine eigene Predigt wert ist. In den ältesten
Handschriften des Neuen Testaments kommt sie nicht einmal vor – da hört das
Vaterunser auf mit der Bitte um Erlösung vom Bösen. Aber auf den zweiten Blick
steckt doch mehr in diesem Vers. Und er passt auch gut zu einer Taufe, - ich werde
nachher erklären, warum.
Der Schluss des Unser Vaters ist keine Bitte, sondern ein Bekenntnis. Ein
Bekenntnis, dass drei Begriffe Gott zugeordnet werden, dass sie IHM gehören und
bei IHM zu finden sind nämlich: das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit.
Was es mit diesen drei Begriffen auf sich hat und was es für einen Unterschied
macht, ob wir sie Gott zuordnen oder ob wir sie als Menschen in eigener Regie zu
verwirklichen versuchen – darum geht es in der heutigen Predigt.
Zuerst das Wort „Reich“. Ich habe es schon bei der Predigt zur ersten VaterunserBitte gesagt: dieser Begriff ist belastet. Da, wo Menschen im Namen einer Ideologie
oder Religion ein Reich aufzurichten versucht haben und da, wo sie es heute
versuchen, geschieht fast immer schreckliches Leid und Unrecht. Da scheint es fast
unvermeidlich, dass früher oder später alle, die bei der von oben verordneten
Marschrichtung nicht mitmachen, alle, die sich nicht anpassen oder die nicht zur
richtigen Rasse oder Religionsgemeinschaft gehören, ausgegrenzt und oft mit
grosser Brutalität bekämpft werden. Deshalb ist unsere spontane Reaktion auf das
Wort „Reich“ vielleicht: „Nein danke! Lieber nicht mit mir! Und lieber auch nicht in
unserem schönen Schweizerländchen!“
Dieses „Nein danke!“ finden wir auch im Unser Vater. Genau wegen all dieser
Missbräuche, genau wegen der Unmenschlichkeit in diesen von Menschen
gemachten Reichen wird im Unservater zweimal betont: „DEIN Reich komme!“ und
„DEIN ist das Reich“. Wenn wir so beten, bekennen wir: Wir Menschen schaffen es
nicht, in Eigenregie ein Reich aufzubauen, ohne Gewaltausübung. Der einzige, der
das kann, ist Gott selbst. Und wir müssen sehr sorgfältig hinhören und hinschauen,
WIE er das tut, - sonst landen wir bei etwas vom Schlimmsten das es gibt: nämlich
bei einem menschengemachten Reich, das im Namen Gottes daherkommt und den
Namen Gottes dazu missbraucht, Gewalt und Unrecht auszuüben.
Aber warum können wir nicht einfach ganz auf diese Reichs-Idee verzichten?
Der Grund, warum menschengemachte Reiche überhaupt Zulauf haben, liegt darin,
dass in uns Menschen nicht nur die Sehnsucht nach individueller Verwirklichung und
Freiheit steckt, sondern auch die Sehnsucht nach einer verbindenden
Gemeinschaft. Die Sehnsucht nach etwas Gemeinsamem, das unser kleines Ego
übersteigt, nach einem Ziel, das uns dazu inspiriert, uns zu vereinen und uns
gemeinsam dafür einzusetzen und hinzugeben. Dass uns solche Ziele in der
Gegenwart weitgehend abhanden gekommen sind, ist eine der tiefsten Krisen
unserer Zeit und unserer heutigen jungen Generation. Viele jungen Menschen
spüren, dass es einfach nicht ausreicht, materiell überversorgt, überbehütet und
pausenlos unterhalten zu werden. Sie sehnen sich schmerzhaft nach mehr.
Wir haben es da und dort schon angekündigt: wir haben vor, im kommenden Herbst
einen Kurs anzubieten, in dem man den christlichen Glauben (nochmals) neu kennen
lernen kann. Ein Kursabend befasst sich mit dem Thema unseres Lebenssinns.
Dort bin ich auf eine interessante Aussage, bzw. Quintessenz zu diesem Thema
gestossen, nämlich: Sinn erfahren wir in unserem Leben da, wo wir uns
hingeben - an jemanden oder etwas. Mit anderen Worten: gerade da, wo wir uns
selbst vergessen können und mit Hingabe bei einer Sache oder bei einer anderen
Person sind, da erleben wir unser Dasein als sinnvoll. Ich finde, das trifft den Kern
der Sache.
Es reicht uns Menschen nicht, selbst gut versorgt zu sein – wir möchten uns an
etwas, an jemanden hingeben können! Dieses Bedürfnis ist tief in uns angelegt.
Ich sage das nicht zuletzt auch als Mutter von zwei Kindern, die langsam zu
Teenagern werden. Und ich sage es ganz besonders auch zu euch als Taufeltern,
als Gotte und Götti von Noah: ich finde, das ist eine der grössten Herausforderungen
in unserer Zeit: dass wir unsere Kinder nicht nur mit allem Möglichen und
Unmöglichen vollstopfen und bedienen, sondern dass wir in ihnen auch die Fähigkeit
wecken und stärken, sich an etwas hinzugeben, für etwas Grösseres zu leben als
nur für ihr eigenes kleines Ego!
Das ist aber erst die eine Seite der Medaille. Die Person oder Sache, an die wir uns
hingeben, muss dieser Hingabe auch wert sein. Vielleicht haben Sie, wie ich auch,
schon kopfschüttelnd daran herumgerätselt, wie es möglich ist, dass sich junge
Männer, die hier in unserer westlichen Gesellschaft relativ gut versorgt wären,
entscheiden, nach Syrien zu fliegen, um sich dort zu IS-Terrorkämpfern ausbilden zu
lassen. Ich glaube, dahinter steckt dieses tiefe Bedürfnis nach Hingabe an etwas
Grösseres, eben an ein Reich! Dieses Bedürfnis kann leider auch missbraucht
werden. Und es kann genau bei den Menschen missbraucht werden, die ein Vakuum
in sich verspüren nach Sinn und nach Hingabe.
DEIN ist das Reich – das bedeutet: diesen Sinn erfahren wir in der Hingabe an den
himmlischen Vater. Er ist nicht einer dieser schrecklichen Götzen, die Gewalt
ausüben und anders denkende Menschen ausrotten, sondern er ist dieser Vater, der
von Jesus hier auf der Erde repräsentiert worden ist. Vor dem Vaterunser hat Jesus
die Seligpreisungen gepredigt. Dort beschreibt er die Grundpfeiler dieses ganz
anderen Reiches: dass es gebaut wird mit hungrigen und schwachen Menschen, mit
barmherzigen Menschen, mit Friedensstiftern. Nur der Gott, den Jesus brachte und
repräsentierte, ist imstande, ein Reich aufzurichten, wo nicht mehr über die
Schwachen und die Minderheiten Gewalt ausgeübt wird. Und da, wo wir uns IHM
hingeben, macht er uns zu Teilnehmern und Teilhabern an seinem Reich.
Das zweite Wort: Kraft. Es ist das griechische Wort „dynamis“, von dem unser
Lehnwort „Dynamik“ herkommt. Auch dies eine tiefe Sehnsucht von uns Menschen:
wir möchten mehr als überleben, es genügt uns einfach nicht, im Alltagstrott gerade
so knapp über die Runden zu kommen. Wir möchten lebendig sein und unsere
Lebenskraft spüren! Diese Sehnsucht trägt auch ein Gefahrenpotential in sich: denn
wenn wir in uns selbst einen Mangel an Kraft, einen Mangel an Lebendigkeit
verspüren, sind wir versucht, nach links und rechts zu schielen, zu vergleichen und
vielleicht auch irgendwann „under em Haag durezfrässe“ , d.h. etwas an uns zu
reissen, das uns nicht gehört, oder das uns nicht gut tut.
Dein ist die „Dynamis“, darin enthalten ist das Versprechen, nein, die Erfahrung (!),
dass diese Kraft wohnt im lebendigen Gott, in diesem Gott, den Jesus gekannt und
dessen Charakter er widerspiegelt hat.
Es gibt beeindruckende Kraft und Dynamik auch bei Menschen, die nicht mit Gott
leben. Wir sind eine Gesellschaft, die lechzt nach Dynamis, die um jeden Preis
lebendig sein will. Action ist gefragt, auch Leistung und Erfolg. Aber wie bei einem
von Menschen geschaffenen Reich hat die rein menschliche Kraft eine Kehrseite: sie
kann das Unvollkommene, das Schwache, das angeschlagene Leben nicht
akzeptieren und lieben.
Die Kraft, die von Gott kommt, das Leben, das von Gott kommt, berührt auch die
Schwachen, die Ausgestossenen, die Verlierer. Oft wohnt diese Kraft in Menschen,
die auf irgendeine Art vom Leben gezeichnet und gebrochen wurden. Es ist eine
andere Art von Kraft als die Dynamik unserer Leistungsgesellschaft. Es ist eine Kraft,
die Menschen eine Würde gibt, die von sich denken, sie seien nichts wert. Es ist die
Kraft, die entmutigten Menschen Hoffnung gibt. Es ist die Schönheit und Liebe, die
mitten in einem unvollkommenen Menschen, in einer unvollkommenen Gemeinschaft
plötzlich aufleuchtet. Gott ist voller Leben, und er schenkt dieses Leben
verschwenderisch hinein in unvollkommene Kirchgemeinden, in unvollkommene
Ehen, in unvollkommene Familien- und Freundschaftsbeziehungen.
Seine Kraft ist aber auch eine übernatürliche Kraft. Sie kann Menschen und
Situationen verändern und heilen, für die menschlich gesehen keine Hoffnung mehr
besteht.
Ich glaube, dass wir als Kirche gegenwärtig nichts so nötig haben wie diese Kraft.
Sie wohnt ganz besonders im Heiligen Geist, der jedem Menschen versprochen ist,
der sein Leben Gott anvertraut. Wenn Menschen in der Kirche dieses Leben wieder
spüren und finden, dann werden wir sich unsere Kirchenbänke wieder füllen. Denn
die Menschen unserer Zeit sehnen sich nach Kraft – nach einer Kraft, die nicht
zerstört, sondern Leben schafft. Und bei der auch das Schwache in uns nicht
versteckt und verleugnet werden muss. „DEIN ist die Kraft“, d.h. sie wird uns nie
nach Belieben verfügbar sein. Aber Gott teilt diese Kraft, die IHM gehört, immer
wieder und erstaunlicherweise mit uns Menschen, wenn wir ihn darum bitten.
Das dritte Wort: Herrlichkeit. „Doxa“. Das bedeutet auch „Ehre, Würde, Glanz und
Gewicht.“ Auch danach sehnen wir uns Menschen zutiefst. Wir möchten bedeutend
sein, angesehen, gewürdigt. Was machen doch schon Kinder alles dafür, dass sie
beachtet werden! Und es ist erwiesenermassen schlimmer, gar keine
Aufmerksamkeit zu bekommen, als negative. Niemand will ein Nobody sein!
Wenn wir Menschen untereinander um Ehre und Ansehen kämpfen, gibt es immer
Gewinner und Verlierer. Es entsteht das, was Paulus im Galaterbrief einmal
„kenodoxa“ nennt: leere Herrlichkeit. Er sagt dort, dass das Markenzeichen der
leeren oder Pseudo-Doxa der Konkurrenzkampf und der Neid ist.
„DEIN ist die Herrlichkeit“ bedeutet nicht, dass uns als Menschen keine Würde oder
Ehre zusteht. Aber wenn wir als Menschen unsere Würde selbst erschaffen und
behaupten müssen durch Leistung und Konkurrenzkampf, dann bleibt sie ein
kläglicher Ersatz, eine „leere Herrlichkeit“. Es ist dann, als ob unser
Lebensfundament hohl und brüchig wäre.
Nur Gott allein kann jedem Menschen persönlich zeigen und klar machen, wozu er
ihn erschaffen hat. Unsere Würde, unser Wert muss in IHM verankert sein. Wir
können uns als Menschen in begrenzter Weise Würde schenken. Wir können
einander ermutigen, und das sollen wir auch. Aber wir können einander nicht das
tiefste Lebensfundament sein. Auch nicht als Ehepartner. Auch nicht als Eltern
unserer Kinder. Und schon gar nicht als Kinder für unsere Eltern.
Nur Gott weiss, was er alles in Noah angelegt hat. Einiges davon werdet auch ihr,
Hugo und Alannah, in ihm entdecken. Ihr werdet ihn ermutigen und fördern. Aber es
wird eine Zeit kommen, wo das nicht mehr ausreicht. Jeder Mensch hat eine
einmalige Bedeutung in den Augen Gottes. Und mit jedem Menschen möchte Gott
seinen eigenen Weg gehen, um ihn oder sie in ihre ganz eigene Bestimmung
hineinzuführen. Diese Bestimmung umfasst nicht nur unser Tun, sondern auch unser
Sein, unser Herz, unsere tiefste Eigenart, unsere Identität.
Denn DEIN ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.
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