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28. Februar – 17. Mai 2009
„Die Politik der Umverteilung“
Raymond Taudin Chabot
Anna De Manincor
Harun Farocki
(e.) Twin Gabriel
Isaac Isitan
Sabrina Malek / Arnaud Soulier
Elke Marhöfer
Barbara Musil
Ferhat Özgür
Tadej Pogacar
Hannah Starkey
Kuratorin: Sabine Winkler
Künstlerische Positionen erforschen Folgewirkungen neoliberaler Politik, wie Armut, Bildungsarmut,
Perspektivelosigkeit von Jugendlichen etc. Weiters wird versucht, alternative Umverteilungssysteme
wie Parallelmärkte, das Grundeinkommen oder selbstorganisierte Kooperativen zu erforschen und die
Frage nach dem Sozialen zu stellen. Welchen Stellenwert repräsentieren Begriffe wie Solidarität,
Allmende, Sozialismus, sozialer Habitus heute und was sind die Folgewirkungen ihres Verlustes im
gesellschaftlichen Kontext?
Die Politik der Umverteilung
Der Wandel gesellschaftspolitischer Systeme innerhalb der letzten 20 Jahre, die Neoliberalisierung
breiter politischer, sozialer und wirtschaftlicher Bereiche und deren gesellschaftlichen Auswirkungen
und Folgen sind allgegenwärtig und dennoch versteckt. Zunehmende Armut als Folge von
zunehmendem Reichtum, der Rückzug der Solidargesellschaft, Prekarisierungen von
Lebensbedingungen, Verarmung des Mittelstandes und dramatische Existenzgefährdung sozial
schwacher Bevölkerungsgruppen, sowie extrem auseinanderklaffende Einkommensmöglichkeiten
werden von Regierungsparteien und deren Wirtschaftsexperten als unumgängliche Maßnahmen der
Umsetzung staatlicher Finanzsparkonzepte zur Sanierung des Staatshaushaltes und als nötiges
Instrument zur Steigerung von Wirtschaftswachstum verkauft.
„Die Ursache vielfältiger ökonomischer, sozialer und wirtschaftspolitischer Probleme liegt in einer
zunehmend falschen Verteilung: eine falsche Verteilung von Einkommen führt zum Stocken der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zu wachsender Armut und Polarisierung sowie zu
spekulativer Überhitzung der Finanzmärkte. Eine falsche Verteilung von Arbeit verhindert, dass die
positiven Wirkungen langfristiger Produktivitätssteigerungen und des damit sinkenden Arbeitsvolumen
in kürzere Arbeitszeit in einer vollbeschäftigten Wirtschaft umgesetzt werden; stattdessen führt
steigende Produktivität zu Massenarbeitslosigkeit und längerer und schlechterer Arbeit. Eine falsche
Verteilung von Macht und Einflussmöglichkeiten der Menschen auf die Politik schließlich hat zu einer
Wirtschaftspolitik geführt, die in erster Linie die Reichen bedient, sich von den Bedürfnissen und
Problemen der meisten Menschen immer weiter entfernt und so die Grundlagen einer demokratischen
Gesellschaft untergräbt.“
Folgewirkungen dieser Entwicklungen sollen in dieser Ausstellung innerhalb gesellschaftspolitischer
und privater Systeme sichtbar gemacht und analysiert werden. Folgewirkungen neoliberaler Realität
wie vererbte Armut, Bildungsarmut und Perspektivelosigkeit von Jugendlichen, sowie die Entstehung
von Parallelmärkten und die Frage nach Modellen des Sozialen, bzw. nach einer Solidargesellschaft
und nach Sozialpolitik sollen gestellt werden. Ein Modell wäre das Grundeinkommen, das wie
Parallelmärkte, eine Reaktion auf neoliberale Politik darstellt und ein anderes Verteilungssystem
impliziert, ebenso wie selbstorganisierte Kooperativen, die gemeinschaftliche Lebens- und
Arbeitsformen selbstbestimmt entwickeln und neue Verteilungsmechanismen praktizieren. Oder
könnte nicht eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich die Massenarbeitslosigkeit beenden
und eine gerechtere Verteilung von Arbeit im Sinne einer kurzen Vollzeitarbeit bewirken?
Die von neoliberaler Wirtschaftspolitik verursachte Verarmung des Mittelstandes und Dramatisierung
der Lebensverhältnisse der Armen wurde mittels Entlassungen, Lohndumping und hohen
Inflationsraten erreicht. Arbeitslosigkeit sowie prekäre Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen
sind die fatalen Folgen, die Kapitalanhäufungen auf Seiten der Konzerne und Aktionäre mit sich
bringen. Von positiven Phasen und Steigerungen des Wirtschaftswachstums profitieren die
Arbeitgeber und Aktieninhaber, nicht oder kaum jedoch die ArbeitnehmerInnen.
1: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2008, Neuverteilung von Einkommen,
Arbeit und Macht, Alternativen zur Bedienung der Oberschicht, Kurzfassung, S. 20, Bremen
2008Misstrauen eingeprägt, dass das eigene Leben nicht die Strukturen verlassen wird, die durch die
Familie vorgegebenen sind. Und es stellt sich die Frage ob es überhaupt noch möglich ist, den Status
des Vaters oder der Mutter zu erreichen. Dieses relativ neue Phänomen spiegelt die Unfähigkeit
wider, sich eine glückliche Zukunft vorzustellen. Die Frage: „Für was soll ich lernen, wenn ich trotz
Ausbildung keinen Arbeitsplatz bekomme?“ bestimmt das Lebensgefühl vieler Jugendlicher. D.h. die
Zukunft ist eine Leerstelle, die nicht mehr positiv besetzt werden kann. Mangel an sozialer
Aufmerksamkeit seitens der Familie und seitens der Schule vervollständigt das Bild perspektiveloser
Zukunftszonen bereits für 14jährige. Extrem dramatisch ist oftmals die Situation für Jugendliche
migrantischer Herkunft. Neben sozialen Erschwernissen müssen sie auch noch mit kulturellen
Differenzen fertig werden und die schwierige Situation bewältigen als „die Anderen“ stigmatisiert zu
sein.
Auch die Aussichtslosigkeit von arbeitslosen Eltern wird auf deren Kinder übertragen und in
Perspektivelosigkeit potenziert, die sich dann oftmals durch Gewaltaktionen Gehör, sprich
Aufmerksamkeit verschafft. Vorschläge wie die vom Baden Württembergischen Ministerpräsidenten
Koch, gewalttätige Jugendliche (gemeint sind Jugendliche migrantischer Herkunft) in Lager zu
stecken, setzt auf rechtspopulistische Wahlkampfparolen und Ausgrenzungsstrategien. Neoliberale
Politik veranlasst Streichungen von Sozialleistungen und Programmen, die gefährdete Jugendlichen
unterstützen. Diese gesellschaftspolitisch produzierte Leerstelle verweigert bewusst
Zukunftsperspektiven für Nichtprivilegierte, Zukunftsperspektiven, die exklusiv geschlossenen
Gesellschaftsschichten vorbehalten werden.
Die Möglichkeiten durch Bildung bessere Lebensbedingungen zu erreichen werden somit erschwert,
Bildung als sicherer Aufstiegsmotor hat an Glaubwürdigkeit verloren. Der familiäre Hintergrund rückt
als ausschlaggebenderen Parameter für Ausbildung wieder in den Vordergrund und bildet die
Grundlage für gesellschaftliche Elitisierungsprozesse.
Sichere Arbeitsplätze, Studienplätze und soziale Sicherheit werden somit mehr und mehr zum Privileg
der Reichen. Eine Entwicklung, die im Interesse einer wohlhabenden Minderheit agiert, die ihre
Territorien abgrenzt und verschließt. Soziale Aufstiegschancen schwinden, Möglichkeiten, dass
mittelständischer Familien in ärmliche Verhältnisse fallen, steigen permanent, trotz rückläufiger
Arbeitslosenzahlen. Teilzeitjobs, Leiharbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, unsichere
Arbeitsbedingungen oder 40-Stunden Löhne, die oft nicht ausreichen um das Leben zu finanzieren
und mit dem Nötigsten zu versorgen sind Realität. Die „Für was-Frage“ stellt sich auch hier: „Für was
arbeite ich wenn ich von meinem Lohn nicht die Miete bezahlen kann?“ Es wird versucht Billiglöhne
und unsichere Arbeitsverhältnisse gesellschaftsfähig zu machen, um diese prekären
Arbeitsverhältnisse als normal deklarieren zu können. Dank den politischen Verweisen auf den
Mangel an Arbeitsplätzen und auf leere Staatskassen, sowie der Androhung der Industrie auf
Standortwechsel, gelingt es, prekäre Arbeitsverhältnisse gesellschaftspolitisch zu etablieren und auch
noch als positive Möglichkeit zu verkaufen. Und der Staat zahlt zu, finanziert diese Entwicklung mit.
„Anhaltende Massenarbeitslosigkeit hat sich als der wirksamste Hebel zur Veränderung des
gesellschaftlichen Klimas, der Kräfteverhältnisse und der Verteilung von Einkommen und Vermögen
erwiesen. Sie ist zwar das soziale und gesellschaftliche Hauptübel, aber für die Unternehmen und
eine unternehmensorientierte Politik ist sie von Vorteil, weil sie die neoliberalen Kräfte der
Gegenreformation unterstützt. Das offensichtlichste Kennzeichen für den Erfolg dieser
Gegenreformation ist die Veränderung der Einkommensverhältnisse und die Zunahme der
wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit 2“
2: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2008, Neuverteilung von Einkommen,
Arbeit und Macht, Alternativen zur bedienung der Oberschicht, Kurzfassung, S. 20, Bremen 2008
Was bewirken diese Veränderungen innerhalb gesellschaftlicher Systeme? Am anfälligsten sind
natürlich die Schwächsten, Jugendliche, MigrantInnen, alleinerziehende Frauen, Rentner-Innen und
Arbeitslose, da sie entweder zur Kasse gebeten werden oder von gekürzten Sozialleistungen
betroffen sind. Perspektivelosigkeit, Überforderungen, Armut und Diskriminierung breiten sich
verstärkt aus und münden in einer Forderung nach einer gerechteren sozialen Verteilung. Von
Arbeitszeitverkürzung als Entwurf um Neuverteilungstrukturen anzukurbeln spricht keiner, obwohl dies
ein entscheidender Faktor wäre um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Als Antwort auf
fehlende Sozialpolitik und als alternative Möglichkeiten zum kapitalistischen Markt entstehen
Gegenmodelle wie das Grundeinkommen, selbstorganisierte Kooperativen oder Parallelmärkte, die
Verteilungssysteme neu strukturieren.
Parallelmärkte, für wen?
Märkte bieten als traditionelle Foren der Partizipation Möglichkeiten des Tausches, der
Kommunikation, der Information etc. an. Parallelmärkte sind Orte spezifischer Partizipation, die auf
bestimmte Produkte, Produktionsprozesse, oder Verkaufspraktiken hin ausgerichtet sind. Sie können
als Reaktion auf bestehende Märkte entstanden sein, oder die Kehrseite bestehender Märkte
repräsentieren. Orte des selbstorganisierten Handels, an denen Produkte mit hohen
Identifikationswerten und ideellen Produktionsherstellungswerten verkauft werden können, oder
Waren legal oder illegal angeboten werden können. Identifikationen mit den Produkten können aus
unterschiedlichsten Gründen erfolgen: Produkte deren ideeller Wert ökologischen, sozialen,
ästhetischen, individuellen Ansprüchen entspricht, verweisen auf eine diesbezügliche Lebenspraxis.
Ein Produkt verweist konkret auf einen Lebensstil oder eine Haltung und ist nicht bloß
marketingtechnisch aufgeladen. Ein Beispiel für ein in diesem Sinne authentisches Produkt ist das
strike bike, das streikende Arbeiter selbstorganisiert in einer Radfabrik in Thüringen herstellten. Mit
ihrem strike bike gelang es den ArbeiterInnen auf die Plattsanierung der Radfabrik hinzuweisen und
ein Produkt mittels sozialen Inhalts zu verkaufen. Ein möglicher Markt, der mit sozialen Inhalten und
Haltungen handelt, könnte ähnlich funktionieren wie die Marke Bio.
Ein Parallelmarkt für Produkte aus selbstorganisierten Herstellungsprozessen könnte entstehen.
Diese Markenartikel könnten auf Grund ihrer sozialen und genossenschaftlichen Produktion, die man
unterstützen will, gekauft werden. Die Möglichkeit einer solidarischen Geste wird mit dem Produkt
vermarktet. Herstellungsbedingungen und -geschichten sind Teil des Produktbrandings, das neue
Parallelmärkte für genossenschaftliche Produkte eröffnen könnte. Die Attraktivität eines Produktes
wird durch dessen sozialen Gehalt des Herstellungsprozesses bestimmt. Ähnlich agiert auch das Dorf
„Sieben Linden“ in dem ökologische und soziale Werte die Produktpalette bestimmen. Das Dorf
versteht sich als Modell und Forschungsprojekt für eine zukunftsorientierte Lebensweise, in der Arbeit
und Freizeit, Ökologie und Ökonomie, Individuum und Gemeinschaft in Gleichklang gebracht werden.
Selbstversorgung, regionaler Handel und Tausch definieren eine mögliche Marktform, die den eigenen
sozialen und ökologischen Ansprüchen entspricht. Eine Art kleiner Parallelmarkt, der sich auf selbst
hergestellte Produkte und auf Produkte der Region beschränkt. Ein Markt, der sich bewusst gegen
weltwirtschaftliche und globale Produktionsprozesse und Handelszonen richtet.
Parallelmärkte, die als Reaktion auf bestehende Märkte und auf sozialpolitische und gesellschaftliche
Bedingungen und Entwicklungen entstehen können, sind Orte selbstorganisierter Handelszonen, die
zwischen Illegalität, Existenzsicherung, Angst, Vertreibung, Ausgeschlossensein und Armut, pendeln.
Märkte auf denen Teile von Wohnungsinventaren, Einrichtungsgegenstände und
Gebrauchsgegenstände verkauft, gekauft oder getauscht werden, entstehen in den Randbereichen
der Großstädte. Innerhalb autonomer Märkte, die ihre eigenen Gesetze und Warenwerte festsetzen,
wird versucht, der vom internationalen Markt produzierten Ungleichheit in einer Art selbstorganisierter
Marktwirtschaft entgegen zu wirken. Der Handel mit Abfallprodukten kapitalistischer
Konsumgesellschaften repräsentiert einen produzierten Marktplatz der Ungleichheiten. Die
Wiederverwertung, der Handel mit bereits benützen Gegenständen dokumentiert den Verkauf des
mühsam eingerichteten Alltagslebens und einen Verkauf des Inventars privater Räume. Gebrauchtes,
Benütztes, Privates wird verteilt. Mit Gegenständen, die an bessere Zeiten erinnern wird Handel
betrieben. Privatgegenstände, Erinnerungsstücke, Kleidungsstücke, Gebrauchsgegenstände werden
in den öffentlichen Raum getragen um die Besitzer zu wechseln. Wertigkeiten von Gegenständen
werden neu ausverhandelt, wobei die Not oft den niedrigen Preis bestimmt. Von gebrauchten
Autoteilen bis zu Markenwarenkopien wird alles angeboten. Diese Parallelmärkte etablieren neue
Verteilungsstrukturen und damit verbunden entstehen neue soziale Räume zwischen öffentlich und
privat und zwischen legal und illegal. Marktökonomien der Straße, die durch ihre Mobilität und
Flüchtigkeit und ihren hohen Unsicherheitsfaktor geprägt sind, konstituieren in ihrer ursprünglichen
Form, Austauschplätze sozialer Begegnungen, Verhaltensweisen und Produkte.
Parallelmärkte spielen sich als gesellschaftliche Gegenmodelle im öffentliche Raum ab und entwickeln
soziale Strukturen und eigene Gesetzte, werden aber oft nicht wahrgenommen und verschwinden in
der Unsichtbarkeit. Diese Märkte sind Produkte von Wirtschafts- und Kapitalmärkten oder entstehen
als Reaktionen auf gesellschaftspolitische Entwicklungen. Selbstorganisierte Märkte offerieren ein
Forum für Überlebenspraxen und Zonen der Partizipation, die der illegale oder legale Handel
ermöglichen kann, oftmals eine der wenigen Überlebenschancen, die zur Verfügung stehen. In
Argentinien konnte zum Beispiel durch die Gründung von Parallelmärkten und durch den Handel mit
Schwundgeld die Auswirkungen der Wirtschaftskrise 2001 entschärft werden.
Selbstorganisation entsteht aus Notlagen, Miseren, Veränderungswünschen, ideellen Vorstellungen
und Überzeugungen, oft als Reaktion auf bestehende Verhältnisse oder aus politischen Kalkül, das
zum z.B. Genossenschaften fördern kann, aber auch AsylantInnen bewusst von Arbeitsprozessen
ausschließt.
Soziales, wie denn? – Grundeinkommen und Selbstorganisation
Die Inflation des Begriffes Sozial kann vom Zusammenbruch der Sowjetunion nicht getrennt gesehen
werden. Paradox erscheint im nach hinein die Angst vor dem Kommunismus, dem angelastet wurde,
Besitz zu verstaatlichen. Ein Alptraum im Westen. Der Westen hat für Enteignungsprozesse seine
eigenen Strategien entwickelt und das Verteilungsproblem auf seine Weise gelöst, neoliberal. Wie
wird Besitz und Kapital verteilt? Wird Großgrundbesitz und Großkapital umstrukturiert? Wie wird
Besitz, Vermögen und Kapital in Relation zu Arbeit besteuert, oder werden Niedrigeinkommen noch
reduziert um Renditen von Aktionären, Kapitalgewinne und Managergehälter zu erhöhen?
Verteilungsmechanismen, die von Finanzeliten konstruiert und gesteuert werden agieren jenseits
solidarischer Realitätsprinzipien. Die Reichen werden reicher, die, die kleine Besitztümer haben
geraten mehr und mehr in die Gefahr, diese dank neoliberaler Gesetze zu verlieren. Der Mittelstand
wird zu Gunsten der Reichen besteuert und muss einen Großteil der staatlichen Leistungen
finanzieren. Die Frage der Verteilung und der Wertveranschlagung ist die entscheidende. Wer bezahlt
wie viel und wer bekommt was. Ein Verteilungssystem, das Kapital und Besitz bei einigen wenigen
akkumuliert und die Mehrheitsgesellschaft ärmer macht, spiegelt eine Kapitalisierung
gesellschaftlicher Systeme wider. Das Prinzip der Allmende, der Gemeinnützigkeit, der Solidarität und
des Sozialen wird vernachlässigt und abgeschafft, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Die
neoliberale Indoktrinierung der Verkürzung und Eliminierung von Sozialleistungen war erfolgreich und
die sozialistische Performance ohne Rückrat. Die Frage lautet heute auch nicht mehr, was ist sozial
sondern was ist gerecht. Es darf eine gerechte Gesellschaft oder Verteilung der Mittel geben, nicht
mehr jedoch eine soziale. Die Diffamierung des Sozialen vertreibt dessen Signifikatsebenen durch die
Eliminierung aus den Sprachsystemen.
Bedarfsorientierte Grundsicherung oder das Grundeinkommen könnten Modelle sein um
Lebensexistenzen zu sichern ohne in Bittstellerpositionen wie bei Hartz 4 zu gelangen, die
Gemeinschaft und Solidarwesen, Chancengleichheit und Bildungsmöglichkeiten fördern könnte, etc.
Der Verteilungsschlüssel wäre ein anderer. Es gibt mehrere Modelle zum Grundeinkommen, eines
würde die anfallenden Kosten durch die Mehrwertsteuer-Einnahmen finanzieren. Das
Grundeinkommen ist mit allen seinen möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen noch schwer
einschätzbar, jedoch sicher ein interessantes Modell, das dem Faktor Arbeit einen anderen
Stellenwert zukommen ließe. Arbeit würde nicht mehr als Mangelware präsentiert werden, sondern als
interessengebundenes Objekt, das möglicherweise nicht nur nach dem Leistungsprinzip funktionieren
müsste, sondern spielerische, erfinderische Momente beinhalten könnte. Freiräume, in denen
Identitäten nicht nur über Arbeit definiert werden, könnten entstehen. Als eine problematische
Entwicklung könnte sich allerdings ein damit einhergehender vollkommener Rückzug von staatlicher
Seite herauskristallisieren. Das Grundeinkommen könnte als Rechtfertigung für die Streichung
sämtlicher Sozialleistungen missbraucht werden und soziale Verpflichtungen könnten undifferenziert
durch das Grundeinkommen entsorgt werden. Wenn allerdings gewisse Zusatzförderungen eliminiert
werden, könnten Situationen geschaffen werden, die ökonomisch für gewisse Bevölkerungsgruppen
von Nachteil sind, abhängig davon wer wieviel Grundeinkommen bekommen würde. Problematisch
wäre ein Modell das mit dem Anspruch antritt alle bisherigen Sozialleistungen abzudecken und dies in
realiter nicht gewährleisten kann oder will. Das Prinzip Grundeinkommens ist vom konkreten
Entwicklungsmodell und dessen sozialer Ausrichtung abhängig zu machen.
Um alternative Möglichkeiten sozialerer Arbeitsformen und gerechterer Lohn-Leistungsverteilung
bemühen sich auch selbstorganisierte genossenschaftliche Kooperativen. Solidarische Ökonomien
erzielen als alternative Gegenmodelle große Aufmerksamkeiten in Zeiten des Turbokapitalismus
neoliberaler Prägung. Ausgehend von immer prekäreren Arbeitsbedingungen werden alternative
Formen der Selbstorganisation in Gemeinschaften
entwickelt um als Modelle umgesetzt zu werden. Gemeinsam ist genossenschaftlichen Modellen
oftmals eine Notsituation aus der sie entstanden sind oder die Vorstellung von einem anderen Leben,
das bessere Arbeitsbedingungen und autonome, selbstorganisierte Lebensformen ermöglicht.
Extreme Überlebensbedingungen oder sozial geprägte Gesellschaftsvorstellungen, solidarische
Ökonomien etc. können Gründe für Bildungen von genossenschaftlichen Verbindungen sein. Durch
die Gemeinschaft können Lebensformen und -ziele ermöglicht werden, die für Individuen unerreichbar
wären. Die Ausgangslage ist für alle gleich, man teilt sich gewisse Erfahrungen und gewisse
Vorstellungen, deren Verwirklichung kollektiv erreicht werden kann. Können Genossenschaften eine
Möglichkeit sein um Individualisierungsprozessen der Armut und Prekarisierungsprozessen etwas
entgegen zu setzen? Staatlich geförderte Kooperativen und private Kooperativen spiegeln
Umverteilungs- und gesellschaftliche Umstrukturierungstendenzen und Wünsche wider, die gegen
bestehende Verhältnisse Widerstand anmelden.
Soziale Marktmodelle und Selbstorganisationskooperativen setzen
Wachstumssteigerungsprogrammen und Kapitalanhäufungen andere Verteilungssysteme entgegen.
Voraussetzung dafür scheint eine Positionierung innerhalb eines Solidarsystems zu sein, das nicht nur
gerecht sondern sozial sein will.
Wirtschaftspolitische Vorraussetzung dafür ist eine Neuverteilung von Einkommen, Arbeit und Macht.
„Eine Neuverteilung von Einkommen stärkt dauerhaft den privaten und öffentlichen Konsum und
festigt dadurch den sozialen Zusammenhalt. Niedriglöhne senken die Kaufkraft und wirken sich
negativ auf das Wirtschaftswachstum aus. Niedriglöhne sind das Produkt finanzmarktorientiertern
Gewinnstrebens. Eine Neuverteilung der Arbeit kann die Arbeitslosigkeit überwinden und die
Fortschritte steigender Produktivität allen Menschen zugute kommen lassen. Arbeitszeitverkürzung
könnte als Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit eingesetzt werden und würde sowohl
Arbeit als auch die Einkommen neu verteilen.
Und eine Neuverteilung von Macht ist notwendig um den Widerstand derer zu überwinden, die als
kleine aber mächtige Gruppe von den Zuständen profitieren und neoliberal gegen die Interessen der
Mehrheitsgesellschaft agieren.“3
Ausstellung
KünstlerInnen
3: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2008, Neuverteilung von Einkommen,
Arbeit und Macht, Alternativen zur Bedienung der Oberschicht, Kurzfassung, S. 20, Bremen 2008
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