Skript zur Vorlesung vom 25.01.1999, 601 KB

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Vorlesung Experimentalphysik I am 25.1.1999 und 26.1.1999
J. Ihringer
5.5.3 Die mittlere freie Weglänge
Der Weg, den die Teilchen eines Gases zwischen zwei Stößen zurücklegen, heißt mittlere
freie Weglänge. Wird die freie Weglänge von der Größenordnung der Ausdehnung des Gefäßes, dann stoßen die Teilchen nahezu nur noch an die Gefäßwände, aber nicht mehr untereinander. Damit ändert sich der Transport von Teilchen und Wärme.
Das Gas fließt z. B. nicht mehr als kontinuierlicher Strom, der durch Druck beschleunigt oder
abgesaugt werden kann, sondern es fliegen nur noch einzelne Teilchen. Um diese abzupumpen genügt es nicht mehr, eine Pumpe mit tieferem Druck bereitzustellen, sondern man kann
nur noch die einzelnen, zufällig bis zur Pumpe gelangende Teilchen dort abfangen. Deshalb
sollten die Durchmesser der Leitungen mindestens in der Größenordnung der freien Weglänge
sein, damit die Teilchen ungehindert bis zur Pumpe gelangen, die dann quasi als Teilchenfalle
arbeitet.
Wenn sich die Teilchen kaum mehr treffen, dann wird Wärme zwischen zwei Körpern nicht
mehr durch viele zwischenmolekulare Stöße übertragen, sondern nur noch dann, wenn ein
Teilchen unmittelbar vom einen Körper zum anderen fliegt. Der Wärmetransport im Gas wird
deshalb bei Drucken von etwa 10 3 mbar vernachlässigbar klein.
Druck [mbar]
1013
0,13
Freie Weglänge [cm]
3  10 5
0,15
1,3  10 6
1,4  10 4
Anzahl der Stöße [1/s]
2  1010
3  10 5
3
Tabelle 1 Freie Weglängen und Anzahl der Stöße in Abhängigkeit vom Druck
Zur Herleitung der Funktion für die Anzahl der Stöße beobachtet man einen Strahl von Molekülen, die ein Gasvolumen parallel durchfliegen und bestimmt die Anzahl, die beim Flug
durch ein Volumenelement bei x aus ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt werden. Daraus
errechnet man die Wahrscheinlichkeit, mit der in Teilchen ein Wegstück durchläuft. Mit dieser Wahrscheinlichkeit wird der Erwartungswert des Weges, die mittlere freie Weglänge, bestimmt.
Ein Strahl parallel einfliegender Teilchen
durchquere ein Gas Volumen mit Teilchendichte n . Nach einer Fläche bei x sind einige
Teilchen aus dem einfallenden Strahl in andere Richtungen gestreut. Man bestimmt die
Anzahl der nach der Flugstrecke x gestreuten
Teilchen.
0
x
x  dx
l
Tabelle 2 Ein Gasstrahl parallel fliegender Teilchen durchquert ein Gas gefülltes Volumen.
Man beobachtet die Abnahme der Teilchenzahl im Strahl durch Streuung in einer Schicht der
Dicke x an der Stelle x.
2
Formel
Anmerkung
Die Anzahl Z der bei x auf dem Wegstück
x aus dem Strahl gestreuten Teilchen ist
das Produkt aus:
x
x
Z  n    x  Z
Anzahl der bei x einfliegenden Teilchen
Dichte der Zielteilchen
Länge des Wegstücks
Z
n
x

Wirkungsquerschnitt  : Fläche, innerhalb
der ein einfliegendes Teilchen ein Zielteilchen gleicher Größe berührt.
2r
    (2r ) 2  4    r 2
Z
  n    x
Z
Z ( x)  Z 0  e  n  x
Z0
Differentialgleichung für die Teilchenzahldichte Z (x) . Lösung:
Anzahl der Teilchen im Strahl nach der
Wegstrecke x , folgt nach der Integration
Anzahl der Teilchen vor Eintritt in das Gasvolumen
Die Anzahl der nach dem Weg x noch ungestreuten Teilchen wird durch eine Verteilungsfunktion f (x) ausgedrückt. Sie entspricht der Verteilung für die Wegstücke, die von den
Teilchen ohne Streuung durchflogen werden:
Verteilungsfunktion f (x) für die Wegstücke x
Z ( x)  Z 0  e  n  x
f ( x) 
e  n  x

e
 n  x
dx
Anzahl der bei x noch ungestreuten Teilchen
Verteilung der Wegstücke x , die ohne
Streuung durchflogen werden, auf 1 normiert
0
dw( x)  f ( x)  dx
Wahrscheinlichkeit, einen ohne Streuung
durchflogenen Weg x mit Betrag zwischen
x und x  dx zu finden.
3


x   x  f ( x)dx 
0
 xe
 n  x
dx

0

e
 n  x
dx
1
 n
0
x
1
1

  n 4r 2 n

v   v  f C (v)dv 
0
 
Die mittlere freie Weglänge ist der Erwartungswert der Wegstücke. Für kleine Teilchen ist sie größer als für große.
8 k T
 m
v
x
Mittlere Geschwindigkeit, als Erwartungswert mit der Maxwell Verteilung f C (v)
bestimmt
Der Quotient beider Größen ist die mittlere
Stoßzahl
Tabelle 3 Herleitung der mittleren freien Weglänge und mittlerer Stoßzahl
5.5.4 Transportphänomene
Diffusion, innere Reibung und Wärmeleitung sind mit dem Transport von Teilchen oder von
Energie verknüpft. Die Geschwindigkeiten des Transports hängt in allen drei Fällen von den
räumlichen Unterschieden in Konzentration, Geschwindigkeit oder Temperatur ab. Ein Maß
für die räumliche Änderung einer Größe ist deren Ableitung nach den Ortskoordinaten. Man
nennt man diese Ableitung den Gradienten der entsprechenden Größe.
5.5.4.1
Diffusion
Bei der Diffusion strömen Teilchen aufgrund eines Konzentrationsunterschiedes vermehrt von
einem Behälter, dem mit höherer Konzentration, zum andern. Sind die Konzentrationen in
beiden Behältern gleich, dann ist der Teilchenstrom in beiden Richtungen gleich. Man findet
als wichtiges Ergebnis, daß leichte Teilchen schneller diffundieren, weil ihre mittlere Geschwindigkeit höher ist.
Versuch 1 Diffusion am 2-dim. Mechanischen Modell mit der Kugelbewegung
Versuch 2 Diffusion von Wasserstoff durch einen Tontopf in ein Luftvolumen. An einen mit
Luft gefüllten Tonzylinder wird von außen Wasserstoff zugeführt.
1. Wasserstoff diffundiert schneller hinein als die Luft hinaus: Im Zylinder steigt der Druck
an.
2. Nach kurzer Zeit gleicht sich der Druck aus, nachdem die dem eingedrungenen Wasserstoff entsprechende Luftmenge aus dem Behälter hinaus diffundiert ist.
3.
Dann wird die Gaszufuhr außen entfernt: Der Wasserstoff diffundiert schneller aus dem
Behälter hinaus als die Luft hinein: Es entsteht kurzzeitig ein Unterdruck, der sich ausgleicht, nachdem genügend viel Luft in den Behälter hinein diffundiert ist.
4
1.
2.
3.
Abbildung 1 Zum Versuch: Diffusion von Wasserstoff durch einen Tonzylinder
Formel
Anmerkung
In zwei Behältern befinden sich Gase mit unterschiedlicher Konzentration. Die Zwischenwand sei porös: Gas diffundiert vom Ort
mit höherer Konzentration zu dem mit tieferer, bis die Konzentrationen ausgeglichen
sind. Antreibende Kraft ist der Gradient der
Konzentrationen.
A
dn
dx
dN
dn
 A D 
dt
dx
dn
dx
dN
dt
A
D~v ~
Ficksches Gesetz: Die Diffusionsgeschwindigkeit ist proportional zum Gradienten der
Konzentration
Gradient der Konzentrationen.
Teilchenfluß pro Zeit
T
m
Fläche, in der die Diffusion stattfindet
Diffusionskonstante, proportional zur mittleren Geschwindigkeit v der Teilchen: Die
leichten Teilchen diffundieren schneller.
Tabelle 4 Diffusion, Ficksches Gesetz
5.5.4.2
Innere Reibung bei Gasen
Die Reibungskraft zwischen Gasteilchen ist vom Unterschied der Geschwindigkeiten an unterschiedlichen Orten im Gas abhängig. Man findet, daß die Viskosität des Gases druckunabhängig ist, mit steigender Temperatur zunimmt, und daß Gase mit kleinen Teilchen zäher
sind.
5
z
l0
l0
v( z  l 0 )  v( z ) 
dv
 l0
dz
v (z )
v( z  l 0 )  v( z ) 
dv
 l0
dz
x
Abbildung 2 Innere Reibung bei Gasen: Geschwindigkeiten benachbarter Teilchen
Formel
p
F N
t
N
n
 A  v  t
6
n
3
A  v  t
Anmerkung
Die Kraft, die auf eine Fläche bei z in Richtung von
x wirkt, resultiert aus dem Impulsübertrag der im Abstand einer freien Weglänge benachbarten Teilchen.
Anzahl der von unten oder oben in der Zeit t auf eine
Fläche A auftreffenden Teilchen.
Dichte der in Richtung z fliegenden Teilchen, davon
die Hälfte fliegt z.B. nach oben.
Volumen, aus dem in der Zeit t Teilchen mit mittlerer Geschwindigkeit v auf der Fläche auftreffen

dv  
dv 
p  m   v   l 0    v   l 0 
dz  
dz 

Der Impulsübertrag auf ein Teilchen in z resultiert aus
der Geschwindigkeitsdifferenz seiner Nachbarn
dv
p  m  2  l 0 
dz
F
n
dv
 A  v  2  l0 
6
dz
F   A

dv
dz
Die Reibungskraft ist zum Gradienten der Geschwindigkeit proportional. Mit der Viskosität  folgt:
n
 v  l0  m
3
1
l0  x 
4r 2 n
v
8 k T
 m
Newtonsches Gesetz für die Viskosität eines Gases.
Formuliert man die freie Weglänge und die mittlere
Geschwindigkeit durch Radius, Masse und Temperatur, dann erkennt man:
6
~
1
 T m
r2
Die Zähigkeit ist
 unabhängig vom Druck
und groß für:
 Kleine Teilchen
 Schwere Teilchen
 Hohe Temperaturen
Tabelle 5 Herleitung der Viskosität eines Gases. Voraussetzung ist, daß der Abstand der antreibenden und stehenden Fläche groß gegen die frei Weglänge ist.
Versuch 3 Viskose Kupplung im Gas. Ab 0,05 mbar wird die Scheibe mitgenommen, dann erst
werden die freien Weglängen vergleichbar zu den Gefäßdimensionen. Für höhere Drucke
bleibt sie konstant.
Versuch 4 Die Größe der Flamme eines Gasbrenners zeigt die mit der Temperatur zunehmende Viskosität des Gases.
5.5.4.3
Wärmeleitung in Gasen
Die treibende Kraft bei der Wärmeleitung ist der räumliche Unterschied in der Temperatur.
Beim Ansatz für die Viskosität war der Impulsdifferenz an unterschiedlichen Orten die Ursache für die Reibungskraft. Bei der Wärmeleitung ist die Differenz zwischen den inneren
Energien an unterschiedlichen Orten die Ursache für den Wärmestrom. Analog zur Herleitung der Viskosität folgt:
Formel
Q n
U
  A  v  2  l0 
T 6
x
1
U   f  k T
2
Q n
T
T
  A  v  l0  f  k 
   A
T 6
x
x
Anmerkung
Wärmestrom als Funktion des Gradienten der
inneren Energie
Freie Energie pro Teilchen mit f Freiheitsgraden
Wärmestrom als Funktion des Gradienten der
Temperatur
7

n
v l  f k
6
l0  x 
v
~
1
4r 2 n
8 k T
 m
1
T

2
m
r
Wärmeleitfähigkeit
Werden die mittlere freie Weglänge und die
mittlere Geschwindigkeit durch Temperatur,
Masse und Radius der Teilchen ausgedrückt,
dann erkennt man:
Die Wärmeleitung ist
 unabhängig vom Druck
und groß für:
 Kleine Teilchen
 Leichte Teilchen
 Hohe Temperaturen
Tabelle 6 Wärmeleitung in Gasen.
Versuch 5 Zwei mit Wasserstoff und Luft isolierte Thermosgefäße stehen in einem Wasserbad. In beiden Gefäßen
befindet sich Äther. Wird das Wasserbad erwärmt, dann
verdampft im H 2 isolierten Gefäß mehr, wie eine das aufsteigende Gas verbrennende Flamme zeigt.
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