Tumorgenetik Krebs ist eine Erkrankung der Gene Im Zellkern jeder menschlichen Körperzelle gibt es 23 Chromosomenpaare. Auf diesen Chromosomen sind die Träger der Erbanlagen, die Gene, auf gereiht. Jeweils eines der Chromosomen stammt vom Vater, das andere von der Mutter. Jedes Gen ist also in jeder Zelle doppelt vorhanden. Stufen der Krebsentstehung Die Entstehung eines Tumors über gutartige Vorläuferstadien ist ein Prozeß, der durch die schrittweise Veränderung des Erbguts bedingt ist. Der Erwerb einer bestimmten Veränderung des Ergbutes auf einer Entwicklungsstufe führt zu einem Wachstumsvorteil gegenüber den umgebenden Zellen, so dass sich die Tochterzellen dieser Zellen schneller ausbreiten werden (klonale Selektion). Seit einiger Zeit ist bekannt, dass die Krebsentstehung Folge von Veränderungen des Erbgutes einer Zelle sind. So lassen sich anhand unserer Erbgutträger, den Chromosomen, bereits auf mikroskopischer Ebene Veränderungen, z.B. in Form größerer Stückverluste von Chromosomenarmen, nachweisen. Dieser schrittweise Erwerb der Anhäufung von Veränderungen des Erbgutes läßt sich bei Darmkrebs anhand der sichtbaren Veränderungen von der Entwicklung eines kleinen Polypen (Adenom) bis hin zum zerstörerisch wachsenden Krebs nachweisen. Ursachen für Veränderungen des Erbgutes Die Ursachen für die Veränderung des Erbgutes sind sowohl in Umwelteinflüssen (exogene Faktoren) als auch in genetischen Faktoren (endogene Faktoren) zu suchen. Für den nicht-erblichen Darmkrebs sind vor allem Umwelteinflüsse von Bedeutung. Umweltfaktoren Ernährung Genußmittel Körpergewicht Umweltgifte ballaststoffarm, fleisch- und fettreich Nikotin Alkohol Übergewicht mangelnde körperliche Aktivität z.B. bei der Nahrungsaufnahme APC K-ras, 18q-Del., (Gatekeeper) Smad4?, Smad2? Normalepithel Dysplastische ACF Adenomstadium 1 p53, 17p-Del., weitere Veränderungen Adenomstadium 2 und 3 Karzinom Bösartige Tumoren des Dickdarmes sind in Deutschland sehr häufig. Jährlich erkranken etwa 50.000 an Darmkrebs. Darmkrebs ist somit für 30% aller Krebserkrankungen verantwortlich .Wird Darmkrebs in frühen Erkrankungsstadien erkannt, ist eine Heilung in vielen Fällen möglich. Erblicher Darmkrebs Nur etwa 5-10% aller Darmkrebserkrankungen entstehen auf dem Boden eines vererbbaren Defektes im Erbgut. Die häufigste Form des erblichen Darmkrebses ist HNPCC. H steht für hereditär - das heißt, dass es sich um eine vererbbare Krankheit handelt. NP steht für „nicht Polyposis“. CC steht für kolorektales Karzinom, also eine Krebserkrankung des Dick- und Enddarms. Wann besteht Verdacht auf HNPCC? Verdacht auf HNPCC besteht immer dann, wenn eine familiäre Häufung bestimmter Tumoren (v.a. Darm- und Gebärmutterkrebs) besteht oder wenn ein Patient vor dem 45.Lebensjahr erkrankt. Ein Verdacht besteht auch, wenn ein Patient gleichzeitig oder nacheinander an mehreren Krebsgeschwülsten erkrankt. Als Kriterien zur Verdachtsdiagnose wurden die sogenannten Amsterdam-Kriterien erstellt. Gegenüber dem nicht-erblichen Darmkrebs ist der Ausfall des Reparatursystems mit einem „Brandbeschleuniger“ zu vergleichen. Es kommt zu einer viel rascheren Anhäufung von Veränderungen des Erbgutes in Tochterzellen. Im Verlauf kommt es dann zur Entwicklung eines Tumors, wobei die Entwicklungsstufen wahrscheinlich sehr viel schneller durchlaufen werden. Amsterdam-Kriterien: (alle Kriterien müssen erfüllt sein) • mind. 3 erstgradig Verwandte mit HNPCCTumor (Dickdarm, Gebärmutter, Eierstock, Magen, Dünndarm, ableitende Harnwege) • Erkrankungen in mind. 2 aufeinanderfolgenden Generationen • Mind. 1 Patient mit Diagnose vor dem 50. Lebensjahr • Ausschluss einer FAP Ursachen für die Entstehung von Tumoren bei HNPCC Für die Kontrolle unseres Erbgutes sind Reparaturgene zuständig. Fehler des Ergutes entstehen ständig in unseren Zellen. Dies ist normalerweise kein Problem. Ursache für HNPCC ist ein vererbter Defekt in einem Reparaturgen. Bei erblichem Darmkrebs ist eine von zwei Kopien eines Reparaturgens von Geburt an in allen Körperzellen defekt. Solange noch eine „gesunde“ Reparatur-Genkopie vorliegt, ist die Reparatur von Fehlern im Erbgut noch gewährleistet. Entsteht nun zufällig in einer Körperzelle ein Defekt in der zweiten Kopie des Reparatur-Gens, kann die Zelle Veränderungen des Erbgutes nicht mehr korrigieren. MMR-GenAPC K-ras, 18q-Del., p53, 17p-Del., defekt (Gatekeeper) Smad4?, Smad2? weitere Veränderungen Normalepithel Dysplastische ACF Adenomstadium 1 Adenomstadium 2 und 3 Karzinom Beschleunigung der Adenom-Karzinom- Sequenz Obwohl in allen Körperzellen die Anlage (eine defekte Kopie des Reparatur-Gens) vorhanden ist, scheint es ein bestimmtes Muster von Organen zu geben, die bevorzugt im Rahmen des erblichen Darmkrebses Tumoren entwickeln, wobei auch das Risiko einen Tumor dieses Organs zu entwickeln z.T. sehr unterschiedlich ist. betroffene Organe Darm Gebärmutter Magen Eierstöcke Gallenwege Ableitende Harnwege Dünndarm Gehirn Krebs Risiko 80% 40-60% 13-19% 9-12% 2-18% 4-10% <4% <4% Vom Verdacht zur Diagnose „HNPCC“ In vielen Fällen ist somit das Risiko an Darmkrebs und einer Reihe weiterer Tumoren zu erkranken vorhersagbar. Der Gentest kann jedoch nicht vorhersagen, ob man an Krebs Bei Verdacht auf das Vorliegen eines erblichen Darmkrebses erkrankt und wann die Krebserkrankung auftreten könnte. Hier im Sinne von HNPCC findet eine mehrstufige Diagnostik statt. können nur Aussagen zu Wahrscheinlichkeiten gemacht In einem ersten Schritt wird ein Vergleich zwischen Tumor- und werden. normalem Gewebe eines an Krebs erkrankten Patienten durchgeführt. Als Ausdruck des defekten Reparatursystems finden sich zwischen Tumor- und normalen Gewebe bestimmte Was bedeutet die Diagnose HNPCC? Unterschiede. MSS = intaktes Reparatursystem Ausfall eines Reparaturgens MSI = defektes Reparatursystem im Tumor (rechts) Entsprechend gelten für Anlageträger (Gesunde Angehörige mit Nachweis des Gendefektes) engmaschige Vorsorgeempfehlungen: • Komplette Darmspiegelung • Ultraschall des Bauchraumes • Erweiterte frauenärztliche Vorsorge (mit Ultraschall von der Scheide aus) • Urin-Untersuchung auf abnormale Zellen • Magenspiegelung (bei familiären Magentumoren) Dieses engmaschige Vorsorgeprogramm beginnt im 25. Da das Reparatursystem aus mehreren Genen besteht kann in Lebensjahr und muß jährlich durchgeführt werden. einem nächsten Schritt mit einfachen Färbereaktionen nachgewiesen werden, welches Gen betroffen ist. Typischerweise kommt es zu einem Verlust der Anfärbbarkeit Der Nutzen eines Vorsorgeprogrammes ist eindeutig im Tumor. belegt. So kann das Darmkrebs-Risiko durch regelmäßige Darmspiegelungen um mehr als 60% gesenkt werden. Im letzten wird der Defekt in diesem Reparaturgen genau untersucht, indem man den genetischen Code dieses Gens in den Blutzellen des Patienten entschlüsselt. In etwa 50-70% Durch den Gentest für gesunde Angehörige kann gelingt es heute eine Veränderung in den Genen zu finden, insbesondere bei Ausschluß der Anlage den betreffenden wenn aufgrund der Vortests ein Verdacht besteht (s. PCMenschen die Angst an Krebs zu erkranken, genommen Demonstration). werden. Ebenso ist bei Ausschluß der Anlage das Gelingt es bei einem Betroffenen eine Veränderung in einem engmaschige Vorsorgeprogramm nicht notwendig, da hier nur Reparatur-System nachzuweisen, können alle weitere das allgemeine Krebsrisiko wie für die gesamte Bevölkerung (gesunden) Angehörigen sich einem Gentest auf erblichen besteht. Bei Nachweis einer Anlage ist die engmaschige Darmkrebs (HNPCC) unterziehen. Aufgrund des Erbganges besteht für jeden direkten Nachkommen eines Erkrankten mit Vorsorge von immenser Bedeutung um Krebs zu verhindern nachgewiesener Veränderung der Erbanlage ein Risiko von oder in einem Frühstadium, das Heilung ermöglicht, zu 50% die Anlage geerbt zu haben. entdecken. Der Kenntnisstand in der Bevölkerung und in der Ärzteschaft bezüglich erblichem Darmkrebs muß verbessert werden. Genauso wichtig ist eine intensivierte Auseinandersetzung mit den sich ergebenden ethischen, juristischen, psychischen, sozialen und versicherungsrechtlichen Fragen.