Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie "Einführung in die Pädagogische Psychologie" Dienstag, 14 Uhr, Raum D 28 Kurzfassung der Vorlesung und Übungsaufgaben zur Veranstaltung Dieses Dokument beinhaltet eine nicht vollständig ausgearbeitete Zusammenfassung der Vorlesungsinhalte der oben genannten Veranstaltung und soll lediglich als Hilfsmittel dienen. Themenübersicht 1. Gegenstand und Geschichte der Pädagogischen Psychologie a. Von Comenius bis zum 2. Weltkrieg b. Entwicklungstendenzen nach 1945 2. Lernen als Verhaltensänderung a. Das Klassische Konditionieren b. Das Operante Konditionieren c. Lernen am Modell 3. Lernen als Wissenserwerb und Problemlösen a. Problemlösen als Umstrukturierung b. Ein Modell des Informationsverarbeitungsprozesses; Gedächtnisstrukturen c. Wissensrepräsentation (Schemata, semantische Netzwerke, mentale Modelle) d. Behalten des Gelernten aus Texten e. Adaptives und selbst kontrolliertes Lernen 4. Problemlösen und Wissenstransfer 5. Bedingungen von Schulleistung 5.1 Die Schülerpersönlichkeit - Organische Ursachen für Schulschwierigkeiten - Kognitive Bedingungsfaktoren der Schulleistung - Nicht kognitive Faktoren (Emotion, Motivation und Interesse, Arbeitsleistung) 5.2 Die Familie als Bedingungsfaktor von Schulleistung - Erziehungsstile - Sprachliche Kommunikation 5.3 Die Schule als Bedingungsfaktor von Schulleistung - Faktoren des sozio-emotionalen Klimas - Faktoren von Unterricht im engeren Sinn Einführende Literatur - - - Sander, E. (1981). Lernstörungen. Ursachen, Prophylaxe. Einzelfallhilfe. Stuttgart: Kohlhammer. Kap. 2 (Das Buch ist vergriffen, steht aber in der UniBibliothek in Koblenz). Weidenmann, B., Krapp, A., Hofer, M., Huber, G.L. & Mandl, H. (Hrsg.) (1986). Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. München: PVU. Kap. 2 Weidenmann, B. & Krapp, A. (Hrsg.) (2001). Pädagogische Psychologie. Weinheim: Beltz. (Besonders Kap. 5). Zielinski, W. (1995). Lernschwierigkeiten. Verursachungsbedingungen, Diagnose, Behandlungsansätze. Stuttgart: Kohlhammer ( Das Buch eignet sich als Ergänzung der Thematik) Edelmann, W. (1995). Lernpsychologie, vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz. (Besonders Kap. 4.3, 4.4, 4.5) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 1 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 1. Von Comenius bis zum 2. Weltkrieg Die Pädagogische Psychologie befasst sich mit pädagogischen Situationen. Das sind solche, die potentiell oder faktisch pädagogisch relevante Effekte (mit)bewirken. Die pädagogische Relevanz von Effekten wird durch die Erziehungsziele einer Kultur festgelegt. Abb. 1: Der Gegenstandsbereich der pädagogischen Psychologie: Der Kernbereich und einige Beispiele für den Randbereich. Als "Väter" der Pädagogischen Psychologie können Comenius, Rousseau, Pestalozzi, Fröbel und Herbart angesehen werden. Einer der ersten Lehrstühle für Pädagogische Psychologie wurde 1906 in Leipzig, auf Betreiben der Lehrervereine, eingerichtet. Schon William James, der amerikanische Psychologe und Philosoph wies aber darauf hin, dass man aus der wissenschaftlichen Psychologie nicht direkt Rezepte für das Klassenzimmer ableiten könne. In Deutschland wurde die pädagogisch-psychologische Forschung durch Wilhelm August Lay und Ernst Meumann geprägt. Beide wollten eine Didaktik auf experimenteller Grundlage entwickeln, wobei Lay die Beobachtung in der freien Unterrichtssituation bevorzugte, Meumann das Laborexperiment. In den 20er Jahren wies Aloys Fischer der Pädagogik die Aufgabe zu, Erziehung theoretisch zu verstehen, der Pädagogischen Psychologie dagegen die Aufgabe, sich mit den psychologischen Bedingungen und Effekten des Erziehungsgeschehens zu befassen. Zwischen den Weltkriegen ist die Entwicklung des Faches Psychologie durch ein Auseinanderbrechen in verschiedene Schulen gezeichnet. Die Pädagogische Psychologie konnte sich diesen Einflüssen nicht entziehen. Die naturwissenschaftlich atomistische Psychologie (W. Wundt, Psychologisches Laboratorium in Leipzig) beeinflusste u.a. die Etablierung der Differentiellen Psychologie. Zum Erfassen individueller Persönlichkeitsstrukturen wurden diagnostische Testverfahren entwickelt, die auch heute in enger Beziehung zur pädagogischen Praxis stehen. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 2 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Der Behaviorismus und die Lerntheorien wurden zur theoretischen Grundlage der Verhaltenstherapie, bzw. führten zur Entwicklung computerunterstützten Lernens. (Pawlow, Thorndike, Skinner; Bandura; Person als "black box"!). Die Gestaltpsychologie (Berliner Schule: Wertheimer, Köhler, Koffka) und die Ganzheitspsychologie (Leipziger Schule: Krüger) nahmen vor allem Einfluss auf Theorien über das Problemlösen und des einsichtigen Lernens. Sie gaben somit der modernen Gedächtnispsychologie (kognitiven Psychologie) wichtige Impulse. Die geisteswissenschaftliche Psychologie lehnte die empirischen Methoden ab und vertrat eine verstehende Psychologie (Hermeneutik). Heute werden manche Ideen wieder aufgegriffen und aus der Sicht der historischen Psychologie verarbeitet. Die Tiefenpsychologie (Freud, Adler, Jung) gab vor allem der klinischen Psychologie und dem Aufbau verschiedenster Beratungsinstitutionen wichtige Impulse. Entwicklungstendenzen nach 1945 Nach dem 2. Weltkrieg überwog zunächst eine ganzheitspsychologische und geisteswissenschaftliche Richtung in der Pädagogischen Psychologie. Ab den 50er Jahren trat unter dem Einfluss des amerikanischen Behaviorismus die empirisch-experimentelle Psychologie ihren Siegeszug an. Seit Anfang der 70er Jahre ist (zunächst in den USA) auch in Deutschland die sogenannte kognitive Wende in der Psychologie zu beobachten. Es interessieren wieder die innerpsychischen, also Gedanken, Gefühle, Einstellungen usw. In den letzten 20 Jahren kann man auch eine Ausweitung der behandelten Themengebiete in der Pädagogischen Psychologie beobachten. Die Vorlesung konzentriert sich aber auf den klassischen Bereich, das Lernen in der Schule. Übungsaufgaben 1. Nennen Sie die "Väter" der Pädagogischen Psychologie und beschreiben Sie deren Grundeinstellungen. 2. Charakterisieren Sie die Kerngedanken von William James, Lay, Meumann und Fischer in Bezug auf die Pädagogische Psychologie. 3. Erklären Sie den Einfluss der psychologischen Schulen auf die Entwicklung des Faches "Pädagogische Psychologie". 2. Lernen als Verhaltensänderung Menschen ändern ihr Verhalten im Laufe ihres Lebens. Geschieht dies aufgrund endogener Prozesse spricht man von Reifung, bei Veränderungen aufgrund von Umwelteinflüssen handelt es sich um Lernen. Lernprozesse können als Anpassungsprozesse an spezifische Anforderungen der Umwelt verstanden werden. Im letzten Jahrhundert wurden verschiedene Lernarten erforscht. Die Analyse dieser Lernprozesse und Paradigmen ist von hoher praktischer Bedeutung auch für Erziehungssituationen. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 3 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 2.1 Das klassische Konditionieren Abb. 2 Schema des klassischen Konditionierens (Knapp / Weidenmann, S. 161) Beim klassischen Konditionieren wird das Reagieren mit einer bereits vorhandenen Reaktion auf neue Reize gelernt. Der erste Versuch zu dieser Lernart stammt von dem russischen Physiologen Pawlow: 1. Hund sieht Fleischpulver (unkonditionierter Stimulus - Biaktion , natürlicher Reiz) geboten; er reagiert mit Speichelfluss (unkonditionierte, Biaktion, natürliche Reaktion). 2. Mehrmals gleichzeitige Darbietung von US mit neutralem konditioniertem Stimulus CS (z.B. Glockenton) - Hund reagiert mit Speichelfluss. 3. Nur der CS (z.B. Glockenton) wird präsentiert - Hund sondert auch Speichel ab (unkonditionierte Reaktion). Die CR wird nur dann durch den CS zuverlässig ausgelöst, wenn von Zeit zu Zeit der US wieder zusammen mit dem CS dargeboten wird, ansonsten erfolgt eine allmähliche Löschung (Extrinktion). Neben elementaren Verhaltensweisen (Lidschlagreflex, Speichelfluss) werden auch Gefühlsreaktionen über das Paradigma des klassischen Konditionierens gelernt: Beispiel: Das Experiment von Watson und Rayner (1920) mit dem kleinen Albert. Die Angstreaktion kann auch auf ähnliche Reize übertragen werden (Generalisierung). Beispiel: Angst vor weißem Arztkittel wird auf alle weißen Kleidungsstücke übertragen. Aufgrund dieser und ähnlicher Experimente wurde das Prinzip der Gegenkonditionierung entwickelt, das in der Verhaltenstherapie (Methode der systematischen Desensitivierung) erfolgreich zur Anwendung kommt. Nach behavioristischer Interpretation ist die raum-zeitliche Nähe, Kontiguität von US und CS entscheidend für die Entstehung der CR. Nach einer kognitiven Interpretation liegt das Entscheidende in der Information, die ein Stimulus über einen anderen liefert. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 4 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 2.2 Das operante Konditionieren Mit dem Paradigma des operanten Konditionierens (instrumentellen Lernens) wird der Erwerb neuer Verhaltensweisen erklärt. Grundlegend für diese Theorie ist das Gesetz des Effektes von Thorndike (1911). Einer der bekanntesten Forscher, die sich mit dem operanten Konditionieren befassten, ist Skinner. Er geht davon aus, dass neue Verhaltensweisen aufgrund der Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen, erlernt werden: Positive Konsequenzen erhöhen die erneute Auftretenswahrscheinlichkeit, negative oder keine Konsequenzen senken sie. Bei den Konsequenzen werden unterschieden: Abb. 3: Schema des operanten Konditionierens (Sander: Lernstörungen S. 109) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 5 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie - Belohnung in Form positiver Verstärkung (angenehme Konsequenz) oder negativer Verstärkung (Wegfallen einer aversiven Konsequenz). Bestrafung nach Typ 1 (unangenehme (r) Konsequenz, Reiz), Bestrafung nach Typ 2 Wegfallen einer(s) angenehmen Konsequenz, Reizes). Keine Konsequenz. Eine Konsequenz (Belohnung oder Strafe) muss unmittelbar auf das Verhalten folgen, damit sie verhaltenswirksam wird: Kontingenz. Abb. 4: Auf- und Abbau von Verhalten Ein erwünschtes Verhalten wird durch positive Verstärkung (bei gleichzeitiger Bestrafung oder Löschung unerwünschten Verhaltens) aufgebaut. Eine besondere Form ist das Shaping. Man verstärkt zunächst kontinuierlich, später intermittierend (diese Form ist besonders löschungsresistent!). Unerwünschtes Verhalten wird durch Bestrafung oder Löschung abgebaut. Da sowohl Strafe als auch Löschung problematisch sind, und vor allem Strafe nicht erwünschte Nebenwirkungen hat, ist es unabdingbar, zusätzlich ein erwünschtes, inkompatibles Verhalten (mit Hilfe positiver oder negativer Verstärkung) aufzubauen. 2.3 Modellernen (Beobachtungslernen) Viele neue (vor allem komplexe) Verhaltensweisen werden durch Modellernen erlernt. Der Begründer dieses Lernparadigmas war Bandura, der die sozial-kognitive Lerntheorie begründete. Damit eine Person nachgeahmt wird, muss sie folgende Merkmale besitzen: - sie muss erfolgreich sein sie muss Prestige haben es muss eine gute Beziehung zwischen Modell und Beobachter bestehen Damit ein Beobachter über ein Modell lernen kann, muss er - seine ganze Aufmerksamkeit auf das Modell richten - in der Lage sein, das Verhalten des Modells zu erinnern und durch innere Simulation in der Vorstellung nachzumachen Beispiele für Modellernen: - ein Schwimmtrainer führt den Salto rückwärts auf dem Sprungbrett vor - Banduras Versuch zum Lernen aggressiven Verhaltens mittels eines Modells letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 6 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Übungsaufgaben 1. Erklären Sie in dem Pawlowschen Versuch zum Klassischen Konditionieren die Begriffe US, UR, CS, CR. 2. Erklären Sie das Paradigma des Klassischen Konditionierens an dem Experiment von Watson und Rayner mit dem kleinen Albert. 3. Welche Bedeutung hat Klassisches Konditionieren beim Menschen? Geben Sie ein Beispiel aus dem Humanbereich! 4. Was versteht man unter Generalisierung, was unter Gegenkonditionierung? Geben Sie für beide Begriffe ein Beispiel! 5. Wie erklärt der klassische Behaviorismus das Zustandekommen der konditionierten Reaktion? Welche Erklärung gibt die kognitive Psychologie? 6. Was besagt das Gesetz des Effektes? 7. Geben Sie ein Beispiel für positive und negative Verstärkung! 8. Geben Sie ein Beispiel für 2 Typen von Strafe! 9. Was versteht man unter Kontingenz? 10. Wie kann ein erwünschtes Verhalten aufgebaut, wie ein unerwünschtes abgebaut werden? 11. Was versteht man unter Löschung? 12. Welche Probleme sind mit Bestrafung verbunden? Welche mit Löschung? 13. Beschreiben Sie einen Versuch zum Modellernen! 14. Durch welche Merkmale muss eine Person gekennzeichnet sein, damit sie als Modell wirkt? 3. Lernen als Wissenserwerb und Problemlösen 3.1 Problemlösen als Umstrukturierung Die Vertreter des Behaviorismus haben sich wenig mit dem typisch menschlichen Lernen durch Denk- bzw. Informationsverarbeitungsprozesse beschäftigt, weil sie in erster Linie an beobachtbaren Verhalten interessiert waren. Das menschliche Informationsverarbeitungssystem (Gedächtnis) kann aber nicht abstrakt beobachtet werden ("black box"). In Europa dagegen standen in der Psychologischen Forschung Fragen nach Prozessen in der Person im Vordergrund. So interessierten die Vertreter der Deutschen Gestaltpsychologie (Berliner Schule: Wertheimer, Koffka, Köhler, Duncker, Katona) etwa folgende Fragen: - Welche Gesetzmäßigkeiten bestimmen die Wahrnehmung des Menschen? - Wie funktioniert das menschliche Denken? - Wie löst der Mensch Probleme? Sehr bekannt wurden in diesem Zusammenhang u.a. die Versuche Köhlers mit Schimpansen oder die Experimente Wertheimers mit Schülern zu Problemen aus der Geometrie. Das Problemlösen stellt sich aus Sicht der Gestaltpsychologie als Umstrukturierung des Wahrnehmungsfeldes dar, wodurch es zur Einsicht in dessen Struktur (Verstehen) und dadurch zur Problemlösung kommt. Ein Problem ist durch die Neuartigkeit der Situation definiert. Es entsteht, wenn eine Person ein Ziel hat und nicht weiß, wie sie dieses Ziel erreichen soll (Ausgangszustand - Barriere Zielzustand). letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 7 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Abb. 5: Die drei Komponenten des Problems Bei einer Aufgabe dagegen verfügt die Person über Regeln (Wissen), wie die Lösung (Zielzustand) zu erreichen ist. (Das schriftliche Dividieren ist z.B. für die meisten älteren Kinder und Erwachsenen in unserer Kultur eine Aufgabe, weil sie Regeln zur Durchführung einer solchen Rechenoperation gelernt haben. Für Menschen in anderen Kulturen, speziell wenn sie keine Schule besucht haben, wäre diese Aufgabe ein Problem). Eine zentrale Aufgabe der Schule ist es deshalb, Schülern zu ermöglichen, Wissen zu erwerben, damit Probleme zu Aufgaben werden. Auf diese Weise wird die Lösung erleichtert (oft erst überhaupt möglich) und gelingt mit deutlich geringerem (Denk)-Aufwand. 3.2 Ein Modell des Informationsverarbeitungsprozesses; Gedächtnisstruktur Abb. 6: Modell der kognitiven Struktur Zur Bewältigung von Aufgaben und zur Lösung von Problemen verfügen Menschen über eine kognitive Struktur (Gedächtnisstruktur). Diese besteht aus Teilstrukturen. Sie dienen der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Es wird zwischen einer Wissensstruktur (epistemisch) und einer Problemlösestruktur (heuristisch) unterschieden. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 8 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Abb. 7: Informationsfluss durch Gedächtnissystem Der Prozess der Informationsaufnahme wird vereinfacht durch ein Zweispeichermodell des menschlichen Gedächtnisses dargestellt. In diesem wird zwischen einem sensorischen Register, dem Kurzzeit(Arbeits)-gedächtnis und dem Langzeitgedächtnis unterschieden. Wesentliche Prozesse im Arbeitsgedächtnis sind die Kodierung (Bearbeitung der eingehenden Information) und die Dekodierung (Abruf der Gedächtnisinhalte). 3.3 Wissensrepräsentation Beim Lernen als Wissenserwerb geht es um den Aufbau, oft auch um die Veränderung von Wissensrepräsentationen. Dieses Lernen lässt sich als Konstruieren und Modifizieren von Wissensstrukturen definieren. Aus der Sicht der kognitiven Psychologie wird der Mensch deshalb als aktive Person angesehen, die jeweils die ihm eigene Repräsentation der Welt konstruiert (Konstruktivismus; wichtiger Vertreter: Piaget). Nur wenn der Lernende sich aktiv um den Wissenserwerb bemüht, kann er demnach zu einsichtigem Lernen gelangen (Diese Auffassung steht im Gegensatz zu der des Behaviorismus, wonach der Mensch passiv den Einwirkungen der Umwelt ausgesetzt ist: "tabula rasa"; Trichtermodell). Wissen kann in Form von Schemata, semantischen Netzwerken und mentalen Modellen aufgebaut werden. Abb. 8: Aufbauschema (nach Abeli) für das Schema „Zeuge“ (Knapp / Weidenmann S. 169) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 9 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Wichtige Teilprozesse des Wissenserwerbs sind: - Chunking (Zusammenfassung von Information), dadurch Entlastung des Arbeitsgedächtnisses), sowie der umgekehrte Prozess - Decomposing (die Ausfaltung stark verdichtet gespeicherter Information) - Neuorganisation kognitiver Strukturen sowie Feinabstimmung und Umstrukturierung von kognitiven Strukturen - der Aufbau von Schemata, semantischen Netzwerken und mentalen Modellen - Automatisierung 3.4 Lernen aus Texten ist in unserer Kultur eine der bedeutsamsten Arten des Wissenserwerb. Dabei wird begriffliches Wissen durch die Bildung semantischer Netzwerke aufgebaut, und zwar durch Verknüpfungen und Verdichtungen (Chunking) (Beispiel: Aufbau des Begriffs "Zeuge"). Abb. 9: Das semantische Netz zum Begriff bzw. Schema Zeuge ((Knapp / Weidenmann S. 168) Durch die Einordnung der neuen Information in die bestehende Wissensstruktur Strukturieren - wird diese angereichert und erweitert. (Beispiel: "Vitamin C bekämpft Erkältungen"). Abb. 10: Netzwerkdarstellung von Propositionen aus einem Lernprozess, in dem neues Wissen über die Wirkung von Vitamin C aufgebaut wird (Knapp / Weidenmann S. 171) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 10 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Beim Lernen aus Texten werden also neue Verbindungen zwischen Aussagen hergestellt. Wie wird Textinformation längerfristig gespeichert und für den Abruf bereit gehalten? Drei Prozesse sind dabei von besonderer Relevanz: a) Elaborative Prozesse. Durch elaborative Prozesse wird der Text durchgearbeitet, setzt sich der Leser mit der neuen Information beim Lesen oder Zuhören auseinander. Hilfen für die Elaboration: - Strukturierende Lernhilfen (z.B. advance organizer; z.B. "Überschrift vorgeben oder finden") Generieren visueller Vorstellungen Suchen gezielter Fragen Indizieren von Widersprüchen zum vorhandenen Wissen (kognitiver Konflikt nach Piaget) b) Reduktive Prozesse Durch diese wird die Fülle wörtlicher Information verkleinert und handhabbar gemacht. (Selektive Suchschemata beim Lesen; Verdichtungsprozesse, z.B. Zusammenfassen unter bestimmten Gesichtspunkten). c) Metakognitive Prozesse (Steuerungsprozesse) Regulierung von weiteren für das Lernen aus Texten relevanten Prozessen: Je mehr sich ein Schüler mit seinem eigenen Lernen befasst, indem er z.B. elaboriert und reduziert und diese Prozesse reflektiert, desto besser werden ihm seine Steuerungsprozesse beim Lernen bewußt: z.B. - "Was sind meine Stärken und Schwächen?" - "Welche Aufgaben fallen mir schwer, leicht?" - "Wie kann ich Lernprozesse (besser) planen und koordinieren?" Je höher die Qualität der unter a, b und c genannten Prozesse ist, desto besser wird Wissen behalten und wieder abrufbar. 3.5 Adaptives und selbstkontrolliertes Lernen Durch adaptives und selbstgesteuertes Lernen soll sichergestellt werden, dass man sich an das Gelernte erinnern kann (Abruftraining). Wirksame Strategien selbstgesteuerten Lernens unterscheiden sich in Abhängigkeit von den Lerninhalten: 1. Inhalte ohne (mit nur geringem) sachlogischen Zusammenhang (z.B. Vokabellernen, Rechtschreibtraining). Der Abruf kann kontrolliert werden durch : - freies Erinnern - Erinnern durch einen Hinweisreiz (z.B. mittels eines Blicks in die Vorlesungsmitschrift, wobei ein Stichwort die Erinnerung aktiviert) - Wiedererkennen letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 11 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Für unter 1. fallende Inhalte empfiehlt sich ein Abruftraining durch immer größere Intervalle. 2. Inhalte mit komplexer Information Hier empfiehlt sich a) Lesen (Hören), bei gleichzeitigem Notizen machen b) Abschnittweise beim Lesen Stichwörter und Merksätze aufschreiben; besonders wirksam ist das "selbsterklärende Lernen" durch Paraphrasieren, indem die Merksätze in eigenen Worten geschrieben werden (Vernetzung mit dem Vorwissen!) c) Verräumlichungsstrategien Diese Strategien versprechen dann Erfolg, wenn sie die Schüler animieren, Strukturen aufzubauen, die - den Charakteristika der Gedächtnisspeicherung entsprechen, die Inhalte organisieren zu einer hohen Verarbeitungstiefe führen (vgl. Top 4). Verräumlichungsstrategien sind - Networking - Schüler lernen neues Wissen in Netzwerken darzustellen Abb. 11: Netzwerk über Wunden und Wundheilung (Krapp / Weidenmann S. 179) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 12 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie - Mindmapping Abb. 12: Mindmap einer Studentin zum Thema „Lernen und Wissenserwerb“ (Krapp / Weidenmann S. 181) - Schematizing. Schüler lernen neues Wissen als elaboriertes Schema darzustellen Abb. 13: Schema einer Dozentin zum Thema "Lernen und Wissenserwerb" (Krapp / Weidenmann S. 182) - Auswendiglernen von Texten (Lieder, Gedichte, Theaterrollen) Erleichternd wirkt es, jeden Text mit einem mentalen Modell in Form eines Skripts (Drehbuch) in Verbindung zu bringen. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 13 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 4. Problemlösen und Wissenstransfer Bekannt sind folgende Problemlösestrategien: - Zerlegen komplexer Problemstellungen in einfachere Teilprobleme Suchen nach Analogien Mittel-Ziel-Analyse Diese Strategien können bei einer Vielzahl von Problemen eingesetzt werden. Allerdings sind die Mehrzahl von Problemlösestrategien von hoher Bereichsspezifität, was die Anwendung allgemeiner Strategien einschränkt. Lernen und Problemlösen werden erleichtert, und der zeitliche Aufwand wird reduziert, wenn früher gelerntes Wissen auf neue Situationen übertragen werden kann. Häufig gelingt dieser Transfer nicht, weil die Ähnlichkeit (die Analogie) der Tiefenstruktur einer Situation, eines Problems nicht erkannt wird (Beispiel: In der Schule wird folgende Aufgabe gerechnet: "2 Arbeiter brauchen für die Gartenarbeit 1 Tag, 4 Arbeiter brauchen wie lange?" Als Hausaufgabe wird folgende Aufgabe gegeben: Mit einem Schlauch braucht man 6 Stunden, um ein Becken mit Wasser zu füllen, wie lange dauert es, wenn man zwei Schläuche zur Verfügung hat?"). Die Tiefenstruktur wird nur erfasst, wenn nicht oberflächlich gelernt wird, sondern die Grundstruktur, eines Problems unabhängig von Oberflächenmerkmalen verstanden wird. Man spricht von einer hohen Verarbeitungstiefe. (Vgl. Top 3.5, B, c). Wie kann man den Transfer erleichtern? - Durch Dekontextualisierung der Situation Durch eine hohe Qualität der ursprünglichen Lernprozesse Lernprozesse sind von hoher Qualität, wenn: - Wissensstrukturen konsolidiert werden (durch hohe Elaboration, z.B. Durcharbeiten unter anderer Perspektive) Wissensstrukturen flexibilisiert werden (Anbieten einer Aufgabenvielfalt) eine multiple Repräsentation von Wissensstrukturen angeregt wird eine Dekontextualisierung erfolgt ein Rückblick auf eigene Lernprozesse und Aktivitäten stattfindet Ob Transfer erfolgt, hängt auch von nicht-kognitiven Gegebenheiten ab. Entscheidend ist ein hohes Engagement, eine hohe Motivation und Selbstregulation des Schülers; insgesamt also eine hohe Bereitschaft zu mentaler Anstrengung und zum Durchhalten in schwierigen Lernund Problemlösesituationen. Übungsaufgaben 1. Schildern Sie den Versuch Köhlers mit Schimpansen. Erklären Sie anhand des Versuchs die Begriffe "Problemlösen durch Umstrukturieren" und "Lernen durch Einsicht". 2. Erklären Sie die gleichen Begriffe anhand eines Experiments von Wertheimer 3. Was ist der Unterschied zwischen Problem und Aufgabe? 4. Erklären Sie das Zweispeichermodell der Informationsaufnahme und -verarbeitung. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 14 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 5. Was versteht man unter Kodierung und Dekodierung! Erklären Sie die Begriffe mittels Beispielen. 6. Was sind Schemata, semantische Netzwerke, mentale Modelle? Welche Funktion haben sie. Erklären Sie die Begriffe mit Beispielen. 7. Geben Sie ein Beispiel für Chunking, für Decomposing, für Automatisierung und weitere Teilprozesse des Wissenserwerbs. Erklären Sie die Funktion dieser Prozesse. 8. Erklären Sie anhand eines Beispiels den Aufbau von Begriffen und die Erweiterung der Wissensstruktur! 9. Durch welche Lernprozesse gelingt es, Wissen langfristig zu speichern und wieder abzurufen? Erklären Sie die Prozesse anhand von Beispielen! Durch welche Lernhilfen können diese Prozesse erleichtert werden? 10. Was versteht man unter selbstkontrolliertem Lernen? 11. Welche Strategien dienen selbstkontrolliertem Lernen? Erklären Sie diese mit Beispielen! 12. Erklären Sie Problemlösestrategien! 13. Was versteht man unter dem Transferproblem? Warum gelingt der Transfer häufig nicht? Erklären Sie diesen Sachverhalt an einem Beispiel! 14. Geben Sie ein Beispiel für "Verarbeitungstiefe"! 15. Machen Sie konkrete Vorschläge zur Erleichterung von Wissenstransfer! 5. Bedingungen von Schulleistung und Schulleistungsversagen Die Ursachen für die Qualität von Schulleistung sind in drei Bereichen zu suchen: der Schülerpersönlichkeit, der Familie und der Schule. 5.1 Bedingungen in der Schülerpersönlichkeit Üblicherweise wird bei den Ursachen für die Qualität der Schulleistung, bzw. für Schulversagen zwischen organischen und nicht organischen Ursachen unterschieden und bei den letzteren zwischen kognitiven und nicht kognitiven. Als organische Bedingungen von Lernstörungen kommen in Frage: a) Drüsenfehlfunktionen und chronische Krankheiten. Neben krankheitsbedingten Problemen sind diese Kinder vor allem durch die psychische Belastung in ihrem Lernen beeinträchtigt. b) Schädigungen der Sinnesorgane und Sprachstörungen. Hier treten vor allem Probleme beim Lernen auf, wenn die Störungen nicht oder zu spät erkannt werden. c) Funktionsstörungen des Zentralnervensystems, als deren Folge häufig Störungen der Wahrnehmung, Begriffsbildung und auch Sprachstörungen auftreten. Häufig sind auch eine erhöhte Reizempfindlichkeit und eine motorische Ungeschicklichkeit zu beobachten. Die Auswirkungen zerebraler Dysfunktionen auf die Entwicklung, Leistungsfähigkeit und Lernbereitschaft der Kinder hängen von den jeweiligen Erziehungseinflüssen ab. Unter den kognitiven Ursachen ist der Faktor Intelligenz die am häufigsten untersuchte Bedingung von Schulleistung und Lernstörungen. Die Intelligenz stellt zweifellos eine wichtige Einflussgröße der Schulleistung dar; der Zusammenhang zwischen Intelligenz und letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 15 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Schulleistung ist aber nicht so hoch wie häufig angenommen wird. Nur ein Viertel der Unterschiedlichkeit in der Schulleistung von Schülern kann auf unterschiedliche intellektuelle Fähigkeiten zurückgeführt werden. In unserem Schulsystem kommt der sprachlichen Intelligenz eine besondere Bedeutung zu. Aus der Intelligenzhöhe können allerdings keine Schlüsse auf spezielle Lernprobleme gezogen werden. Ein Forschungsansatz, der in dieser Hinsicht mehr verspricht, ist die Analyse der kognitiven Komponenten, die an der Bewältigung einer bestimmten Aufgabe oder eines Problems beteiligt sind. Es ist abzuklären, ob z.B. in folgenden Bereichen Probleme auftauchen: Aufmerksamkeitsstörungen, Schwierigkeiten beim Einprägen und Wiedererinnern, Wissensdefizite, ein zu geringer Begriffsumfang, bzw. ein zu niedriges Begriffsniveau und das Fehlen wirksamer Problemlösestrategien. Sind solche Probleme diagnostiziert, können gezielte pädagogische Interventionen vorgenommen werden. Wichtige, nichtkognitive Bedingungsfaktoren der Schulleistung sind die Schulangst, das Selbstkonzept, die Lernmotivation und die Arbeitshaltung. In der pädagogischen Literatur wird die situative Eingrenzung von Schulangst betont, und deshalb teilweise der Begriff schulbezogene Leistungsangst vorgezogen. Es wird zwischen Angst als Zustand (state anxiety) und Angst als Persönlichkeitsmerkmal (trait anxiety) unterschieden. Leitungsängstliche Schüler geraten häufiger als andere in den Zustand der Leistungsangst. Umgekehrt werden Schüler, die häufig angsterregenden (bedrohlichen) Situationen ausgesetzt sind, allmählich besonders leistungsängstlich. Schulangst wird auf dem Hintergrund allgemeiner Gefühlstheorien interpretiert. Danach unterscheiden sich Individuen in der Einschätzung von Bedrohung durch bestimmte Reizsituationen. Leistungsängstliche tendieren schneller als andere dazu, relativ neutrale Situationen als bedrohlich einzuschätzen. Als entscheidend für das Entstehen von Schulangst werden Kognitionen wie bestimmte Erwartungen oder Erklärungen für Erfolg bzw. Misserfolg (Ursachenzuschreibungen) angesehen. Man kann davon ausgehen, dass Angst Lernprozesse behindert; umgekehrt reagieren Kinder mit schlechten Lernleistungen besonders häufig mit Angst. Das Selbstkonzept umfasst alle Informationen, die eine Person von sich selbst gespeichert hat. Ein niedriges Selbstkonzept der eigenen Begabung geht mit erhöhter Schulangst einher. Da schulische Misserfolge gewöhnlich zu einer Senkung des Selbstkonzepts der eigenen Begabung führen, werden schulische Leistungssituationen eher als bedrohlich erlebt und lösen deshalb Angst aus. So ist auch zu erklären, dass niedrige Selbstkonzepte (allerdings in Abhängigkeit vom Alter) negativ mit der Schulleistung korrelieren. Es ist allerdings auch ein umgekehrter Wirkzusammenhang anzunehmen: Eine durch pädagogische Intervention erreichte Verbesserung des Selbstkonzepts (verbunden mit einer Abnahme von Leistungsangst) führt vermutlich zu einer Verbesserung der Schulleistung. Schulangst und Selbstkonzept stehen in enger Beziehung zur Lernmotivation. Der Begriff Lernmotivation umfasst alle motivationalen Bedingungen im Lernenden, die dessen Schulleistung beeinflussen. Die Forschung widmete zunächst nur einer Determinante der Lernmotivation, nämlich dem sogenannten Leistungsmotiv größere Aufmerksamkeit. Unter Leistungsmotiven versteht man das Bestreben, seine Leistungen bei Tätigkeiten, bei denen man einen Gütemaßstab (Anspruchsniveau) für verbindlich hält, so zu steigern, dass man dieses Niveau auch erreicht. Die erbrachte Leistung wird in Hinblick auf das Anspruchsniveau als Erfolg oder Misserfolg gewertet. Erfolg führt zu einer Anhebung des Anspruchsniveaus, Misserfolg zu einer Senkung. Die Leistungsmotivation kann sich bei verschiedenen Personen sowohl in der Stärke als auch in der Richtung unterscheiden. In Hinblick auf die Stärke der Leistungsmotivation wird zwischen hoch- und niedrig motivierten Personen unterschieden, Personen mit einem hohen und einem niedrigen Anspruchsniveau; entsprechend der Richtung letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 16 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie der Leistungsmotivation zwischen Erfolgszuversichtlichen und Misserfolgsängstlichen. Das Anspruchsniveau kann bei gleicher Leistungsfähigkeit verschieden sein. Es hängt davon ab, ob das Gefühl der Erfolgszuversicht oder Misserfolgsängstlichkeit bestimmend ist. Angst vor Misserfolg führt zu einer Senkung des Leistungsniveaus, Erfolgszuversicht zu einer Anhebung. Der Ausprägungsgrad von Erfolgszuversicht und Misserfolgsängstlichkeit und damit auch die Höhe des Anspruchsniveaus hängen wesentlich von den Vorerfahrungen ab, die Kinder in Leistungssituationen gemacht haben. Waren die Erfahrungen positiv, steigt die Erfolgszuversicht, hat jemand vorwiegend negative Erfahrungen gemacht (Misserfolg erlebt), wird er misserfolgsängstlich. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Schulleistung und Leistungsmotivation zeigen gewöhnlich einen positiven Zusammenhang auf. Schüler mit guten Schulleistungen sind in der Regel auch hoch leistungsmotiviert. In neuerer Zeit zeigt sich eine Veränderung in der wissenschaftlichen Theorienbildung: Es wird nicht mehr ausschließlich die Leistungsmotivation untersucht, sondern man bemüht sich, noch andere Bedingungsfaktoren der Lernmotivierung aufzudecken, ihre Wechselbeziehung zu untersuchen und dieses Beziehungsgefüge auf dem Hintergrund einer allgemeinen Motivationstheorie zu interpretieren. Ein im deutschen Sprachraum die Diskussion stark beeinflussendes kognitives Modell der Lernmotivierung stammt von Heckhausen. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen verschiedenen durch die Situation ausgelösten Erwartungen sowie den Bewertungen eines antizipierten Handlungsergebnisses und deren Einfluss auf die Bereitschaft sich anzustrengen. Abb. 14: Drei Arten von Erwartungen in einem erweiterten kognitiven Motivationsmodell (Sander, Lernstörungen, S.34) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 17 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Abb. 15: Aussagelogische Sequenz von Fragen und Antworten, die der Entscheidung zum Handeln zugrunde liegen (Sander, Lernstörungen, S. 36) Die durch eine Situation ausgelösten Erwartungen und Bewertungen hängen u.a. von bestimmten Einstellungen (Kognitionen) der Schülerpersönlichkeit ab. Solche Einstellungen sind die sogenannte Kausalattribution und die Einschätzung der Kontrollierbarkeit einer Situation (Selbstverantwortlichkeit). Unter Kausalattribution versteht man subjektive Erklärungen für das Zustandekommen von Erfolg oder Misserfolg. Besonders häufig verwendete Kausalattribuierungen in leistungsthematischen Situationen sind die Begabung (internal stabil), die Anstrengung (internal variabel), die Aufgabenschwierigkeit (external stabil) und der Zufall (external variabel). Besonders ungünstig für die Auslösung lernmotivierten Verhaltens ist die bei Mißerfolgsängstlichen zu beobachtende Tendenz bei Erfolg external, variabel und bei Misserfolg internal, stabil zu attributieren. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 18 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Tab. 1 Zweidimensionales Klassifikationsschema der Kausalattribuierung nach Weiner (Sander, Lernstörung, S.37) Unter Selbstverantwortlichkeit oder Kontrolle versteht man die Wahrnehmung der willentlichen Beeinflussung der Umwelt durch eigenes Handeln. Die Erwartung, dass Konsequenzen unabhängig vom eigenen Handeln eintreten, senkt die Motivation, diese Konsequenz unter Kontrolle zu bringen; man ist hilflos. Aufgrund des typischen Attribuierungsmusters Misserfolgsängstlicher fühlen sich diese Schüler wenig verantwortlich für Erfolg, dagegen stark verantwortlich für Misserfolg. Sind sie nach zahlreichen Misserfolgen sicher, dass weiterer Misserfolg unabwendbar ist, werden sie passiv, apathisch und resignativ (Zustand gelernter Hilflosigkeit). Ihre Lernmotivation ist praktisch gleich Null. Erst in jüngster Zeit wird einer weiteren Determinante der Lernmotivation verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet, der sogenannten sachinhärenten Motivation, umgangssprachlich als Interesse bezeichnet. Unter Interesse versteht man eine Motivation, welche die Lösung einer Aufgabe oder die Klärung eines Problems um ihrer bzw. seiner selbst willen bezweckt. Das heißt, das Ergebnis einer Handlung führt zu Folgen, die selbst wieder als anreizend erlebt werden (Kompetenzgefühl; Gefühl einem aufgabenspezifischen Oberziel einen Schritt näher gekommen zu sein; sachliche Bezugsnorm!). Sachinteresse verbessert vermutlich die zur Lösung einer Aufgabe notwendigen Informationsverarbeitungsprozesse sowie die gesamte Lernmotivation. Die Ausbildung von Interessen im Rahmen der Schule, aber auch das Nachlassen der Interessiertheit, hängt weitgehend von den dort vorgefundenen Lernbedingungen ab. In diesem Zusammenhang spricht man auch von dem sogenannten "flow-Erleben". Die Lernmotivation beeinflusst in starkem Maße das Arbeitsverhalten von Schülern. Das Arbeitsverhalten kann aber auch durch rein äußerliche Bedingungen beeinträchtigt sein sowie durch Probleme bei der kognitiven Bewältigung einer Aufgabe. Weitere Bedingungsfaktoren sind z.B. eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit, ein ungünstiger Reaktionsstil z.B. Impulsivität und schlechte Arbeitstechniken. Übungsaufgaben 1. a) Welche Merkmale gelten nach Krapp als Determinanten der Schulleistung? b) Erklären Sie das Modell zur Darstellung der Bedingungsfaktoren der Schulleistung nach Krapp! 2. a) Welche Bedingungsfaktoren der Schulleistung liegen im Bereich der Schülerpersönlichkeit? b) Nennen Sie organische Faktoren, die Lernstörungen verursachen! 3. Welche Störungen können folglich im schulischen Leistungsbereich auftreten? 4. Wovon hängt die Ausprägung organischer Schäden letztlich ab? 5. a) Erklären Sie den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung, und warum er nicht so groß ist, wie allgemein angenommen wird! b) Welche Folgen hat der relativ geringe Zusammenhang zwischen Schulleistung und Intelligenz für die Prognosen von Lernstörungen? 6. Was ist ein "Schwellenwertbereich"? Erklären Sie den Begriff anhand eines Beispiels! letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 19 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 7. Weshalb ist das Bestimmen des IQ der Schüler für den Lehrer wenig bedeutsam? 8. Was ist für den Einsatz von Lernhilfen wichtiger? 9. Nennen Sie einige wichtige nicht-kognitive Einflussgrößen auf die Schulleistung! 10. a) Was versteht man in der pädagogischen Literatur unter Schulangst? b.) Welche Unterscheidung von Angst muss gemacht werden, und wovor hat ein Schüler Angst? 11. Erklären Sie, warum Schüler mit hoher Leistungsängstlichkeit schneller als andere dazu tendieren, relativ neutrale Schulsituationen als bedrohlich und gefährlich einzuschätzen! (Gefühlstheorie nach Lazarus) 12. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Angst und Schulleistung? 13. a) Erklären Sie den Begriff "Selbstkonzept"! b) Nennen Sie Merkmale des Selbstkonzepts! c) Wie teilt es sich hierarchisch auf? 14. Erklären Sie anhand eines Beispiels, weshalb ein höheres Selbstkonzept zu geringer Prüfungsangst führt! 15. Weshalb ist das Selbstkonzept eine Ursache der Schulleistung? 16. a) erklären Sie den Begriff "Lernmotivation" b) Was versteht man unter "Anspruchsniveau"? c) Erklären Sie, wie es zur positiven oder negativen Bewertung einer Leistung unter dem Aspekt des Anspruchsniveaus kommt! 17. a) Wie wurde in den Anfängen der Lernmotiviationstheorie das Leistungsmotiv erklärt? b) Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich aus einer möglichen Einflussnahme auf das individuelle Anspruchsniveau? 18. Wovon hängt der Ausprägungsgrad der Erfolgszuversicht oder der Misserfolgsängstlichkeit ab? Geben Sie ein Beispiel! 19. Erklären Sie, wie sich das Anspruchsniveau mit dem Alter ändert! 20. Worin liegt die Ursache für die stärkere Abhängigkeit von äußeren Verstärkern bei jüngeren Kindern? 21. Erklären Sie den das Modell der Lernmotivation nach Heckhausen! 22. a) Erklären Sie den Begriff "Kausalattribution"! b) Welche Kausalattribuierungen werden meist verwendet? c) Wie beeinflusst die Art der Ursachenerklärung die Erwartungshaltungen und Bewertungen? 23. Welche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Attribuierungsmuster bei Erfolgsmotivierten und Misserfolgsängstlichen? 24. Welchen Einfluss hat die Selbstverantwortlichkeit für Handlungsergebnisse auf die Leistungsangst? 25. a) Beschreiben Sie die Theorie der gelernten Hilflosigkeit nach Seligman! b) Zu welchen unterschiedlichen Kausalattribuierungen kann es kommen? Erklären Sie diese! 26. a) Warum kann Angst zu Depression werden? b) Welche Folgen hat das für den Schüler? 27. Wie wird der Begriff "Interesse" in der Literatur noch bezeichnet? 28. a) Welche Rolle spielt das Interesse im weiter oben besprochenen Motivationsmodell (Heckhausen)? b) Was ist "sachinhärente Stimulation"? c) Besteht ein Zusammenhang zwischen Interesse und Schulleistung? d) Wie können Interessen gebildet werden? e) Erklären Sie, wodurch starkes Interesse durch schulische Bedingungen vermindert werden kann! letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 20 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 29. Worauf kann ein gestörtes Arbeitsverhalten zurückzuführen sein? 30. a) Was ist Konzentration? b) Wodurch ist sie gekennzeichnet? c) Weshalb ist es so schwierig, die Diagnose "Konzentrationsstörung" zu stellen? d) Nennen Sie Ursachen der Konzentrationsstörung! 31. a) Welche unterschiedlichen Reaktionsstile gibt es? b) Wovon hängen kognitive Stile ab? 5.2 Die Familie als Bedingungsfaktor von Schulleistung Die Familie ist eine entscheidende Sozialisationsinstanz, durch die dem Kind Normen, Werte und Einstellungen sowie der Gebrauch der Sprache vermittelt werden. In Untersuchungen, die den Einfluss von Merkmalen der Familie auf die Schulleistung von Kindern untersuchten, wird gewöhnlich zwischen Struktur- und Prozessmerkmalen unterschieden. Unter Strukturvariablen versteht man Merkmale, welche die äußere Situation einer Familie beschreiben. Der Einfluss von Strukturvariablen, die häufig untersucht worden sind, kann wie folgt zusammengefasst werden: Ein gestörtes Familienleben sowie Heimaufenthalt wirken sich negativ auf die gesamte Entwicklung des Kindes aus. Zwischen mütterlicher Berufstätigkeit und Schulleistung haben sich keine Zusammenhänge gezeigt. Die negativen Zusammenhänge zwischen Schulleistung und Unvollständigkeit der Familie sowie hoher Kinderzahl müssen vorsichtig interpretiert werden. Unter Prozessvariablen versteht man Merkmale, welche die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander beschreiben oder sich auf Einstellungen und Erwartungshaltungen beziehen. Unter den Prozessmerkmalen ist der elterliche Erziehungsstil das am häufigsten untersuchte Merkmal. In der Erziehungsstilforschung wird gewöhnlich zwischen zwei Dimensionen des Erzieherverhaltens unterschieden: Kontrolle versus Autonomie und Zuwendung versus Ablehnung. Abb. 16: Modell der Dimensionen des mütterlichen Erziehungsverhaltens (Sander, Lernstörungen, S.51) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 21 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Positive Auswirkungen auf die Schulleistung zeigt ein Erziehungsstil, der durch ein hohes Ausmaß an Zuwendung und die Gewährung eines relativ hohen Grades an Autonomie gekennzeichnet ist. Geringe Zuwendung aber auch hohe Zuwendung bei sehr starker Kontrolle wirkt sich eher ungünstig auf die Schulleistung aus. Struktur- und Prozessmerkmale stehen in engem Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Milieu, dem eine Familie angehört. Dieses wird in hohem Maße durch ihren Sozialstatus bestimmt. Abb. 17: Einflussfaktoren des sozio-ökonomischen Milieus (Sander, Lernstörungen, S. 54) In der Forschung wurde zur Erfassung der Milieuvariable meist ein die Wirklichkeit vereinfachendes, bipolares Schichtmodell zugrunde gelegt. Zahlreiche Untersuchungen kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Unterschichtkinder im Durchschnitt schlechtere Schulleistungen erbringen als Mittelschichtkinder. Das Zusammentreffen bestimmter, eine Schicht charakterisierender Strukturmerkmale macht vermutlich das gemeinsame Auftreten einer Reihe von Prozessmerkmalen wahrscheinlich, welche die Einstellungs- und Verhaltensmuster von Kindern einer Schicht in typischer Weise beeinflussen. Prozessmerkmale, die im Zusammenhang mit der Schichtproblematik untersucht wurden, sind vor allem Weltorientierungen und Einstellungen, Erziehungspraktiken und die Form der sprachlichen Kommunikation. In Bezug auf Wertorientierungen und Einstellungen wird die Unterschichtfamilie als partikularistisch bzw. familistisch, passiv und gegenwartsorientiert beschrieben. Die Mittelschicht wird dagegen als aktivistisch und zukunftsorientiert beschrieben. Während in der Unterschicht das starre Einhalten von rollenkonformen Verhalten als erwünscht angesehen wird, ist die Mittelschicht eher individualistisch eingestellt. Diese unterschiedlichen Wertorientierungen drücken sich auch im schichtspezifischen Sprachverhalten und den schichtabhängigen Erziehungspraktiken aus. Die Mittelschicht verfügt über einen elaborierten Sprachkode, ihre Erziehungspraktiken werden als argumentierend-ermutigend beschrieben. In der Unterschichtfamilie herrscht dagegen ein restringierter Sprachkode vor, ihre Erziehungspraktiken sind eher verbietendeinengend. Tab. 2: Hauptmerkmale des restringierter und elaborierten Sprachkodes (Sander, Lernstörungen, S.57) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 22 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Das Zusammentreffen dieser Prozessmerkmale in der typischen Unterschichtfamilie beeinflusst die Lernmotivation und das Sprachverhalten, möglicherweise auch die Entwicklung der Denkprozesse der Kinder in einer für die Schulleistung ungünstigen Weise. Der Schichtbegriff stellt allerdings eine zu grobe Vereinfachung der Wirklichkeit dar. In neuerer Zeit versucht man deshalb, die häusliche Lernumwelt differenzierter zu erfassen. Übungsaufgaben 1. Beschreiben Sie die Familie als Sozialisationsinstanz. 2. Die psychologische Forschung macht beim Einfluss der Familie auf die Schulleistung einen Unterschied zwischen Prozess- und Strukturmerkmalen. Erklären Sie den Unterschied! 3. Nennen Sie einige Ergebnisse von Untersuchungen der Beziehung zwischen Strukturmerkmalen und Schulleistung! 4. Beschreiben Sie das Modell der Dimensionen der mütterlichen Erziehereinstellung nach Weinert 5. Was versteht man unter dem sozioökonomischen Milieu einer Familie? 6. Inwiefern ist das bipolare Schichtmodell zu kritisieren? 7. a) Welcher Zusammenhang besteht zwischen Schichtangehörigkeit und Schulleistung? Nennen und erklären Sie einige Merkmale, die miteinander korrelieren! b) Wie lassen sich solche Zusammenhänge erklären? 8. a) Was versteht man unter partikularistischer Wertorientierung? Geben Sie Beispiele! b) Was versteht man unter universalistischer Orientierung? 9. Erklären Sie die auf Bernstein zurückgehende Kode-Theorie! 10. Welches ist das wesentlichste Merkmal des restringierten Kodes? 11. Wann treten für restringiert sprechende Personen Probleme auf, wenn mit fremden Gruppen kommuniziert werden soll? Vergleichen Sie das Phänomen mit der Sprache jüngerer Kinder! 12. a) Welcher Erziehungsstil herrscht in der Unterschicht, welcher in der Mittelschicht vor? b) Beschreiben Sie beide Erziehungsstile! c) Geben Sie ein Beispiel! 13. a) Worauf haben die beschriebenen Prozessmerkmale der typischen Unterschichtfamilie Einfluss? b) Welche Folgen haben die Erziehungspraktiken der Unterschichtsfamilien? c) Welche Folge hat die gewohnte Gegenwartsorientierung? d) Erklären Sie, warum der restringierte Sprachcode bei jüngeren und bei älteren Kindern zu Schwierigkeiten in der Schule führt! 14. Welche Folgen hat sprachliche Kontextgebundenheit von Kindern in der Schule? 15. a) Weshalb lässt der Lehrer sich in seiner Leistungsbeurteilung durch die Sprache des Kindes beeinflussen? b) Welche Folge hat das für die Einstellung des Lehrers? c) Wozu führt die Verfestigung der Einstellung des Lehrers? 16. Welche Rolle spielt die Sprache für die Denkentwicklung, insbesondere für das Lösen von Problemen? 17. a) Weshalb sind der Schichtbegriff und die Theorie zur schichtspezifischen Sozialisation für die pädagogische Praxis wenig hilfreich? b) Weshalb ist die Zuordnung zu einer Schicht im Einzelfall schwierig und wenig bedeutsam? letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 23 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie 5.3. Die Schule als Bedingungsfaktor von Schulleistung Die Ursachen für die Qualität der Schulleistung im Schulbereich liegen im sozio-emotionalen Klima einer Schulklasse oder Schule oder in Faktoren des Unterrichts im engeren Sinn. Unter sozio-emotionalem Klima versteht man die Gefühle und Gefühlsbeziehungen, die während der Interaktion von Gruppenmitgliedern entstehen. Wichtige Einflussgrößen des sozio-emotionalen Klimas einer Schulklasse sind die Schüler-Schüler-Interaktionen, die Lehrer-Schüler-Interaktionen sowie die Einstellungen und Erwartungshaltungen von Lehrern. Das Schülerverhalten und die subjektive Befindlichkeit eines Schülers hängen zu einem wesentlichen Teil von den Beziehungen zu seinen Mitschülern ab. Wieweit der einzelne Schüler in den Klassenverband integriert ist, hängt von der spezifischen Struktur einer Schulklasse ab. Welche Merkmale einen Schüler bei seinen Klassenkameraden beliebt oder unbeliebt machen, bzw. seinen Rang in der Klassengemeinschaft bestimmen, hängt u.a. vom Alter der Schüler ab. Kinder mit schwachen Schulleistungen geraten, vor allem in den unteren Klassen, besonders häufig in die Außenseiterposition. Da das Gefühl der Isolierung das Selbstwertgefühl bedroht, entwickeln Außenseiter häufig "Sicherungsmechanismen" zur Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls. Diese Einstellungen und Verhaltensweisen wirken sich negativ auf die Lernmotivation aus, so dass die Schulleistung mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter absinkt. Ein Ausbrechen aus diesem negativen Kreisprozess ist durch eigene Anstrengung meist nicht möglich. Ob Kinder mit schwachen Schulleistungen in die für ihren Lernfortschritt ungünstige Außenseiterposition kommen, hängt weitgehend vom Lehrerverhalten, das heißt, von der Art der Lehrer-Schüler-Interaktion ab. Der Lehrer-Schüler-Interaktion galt vor allem das Interesse der sogenannten Unterrichtsstilforschung. Ausgangspunkt dieser Forschungsrichtung waren sozialpsychologische Studien zum Führungsstil, denen zufolge drei Führungstypen, der autokratische, der demokratische und der laissez-faire Typ unterschieden wurden. Das Typenkonzept erwies sich bald als die Realität zu vereinfachend und wurde durch ein Dimensionskonzept abgelöst. Zur Beschreibung des Lehrerverhaltens werden hier zwei Hauptdimensionen verwendet, eine Lenkungs- und eine emotionale Dimension. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 24 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Abb. 18: Hauptdimensionen des Erziehungsverhaltens (Sander, Lernstörungen, S.71) Während man ohne Kenntnis der Lernaufgaben und der Lernvoraussetzungen der Schüler keine Angaben über ein günstiges oder ungünstiges Ausmaß an Lenkung bzw. Strukturierung des Unterrichts machen kann, muss ein geringes Ausmaß an emotionaler Wärme des Lehrers grundsätzlich als eine ungünstige Lernbedingung für Schüler angesehen werden. Das Dimensionskonzept analysiert den Einfluss von Erziehungsprozessen nur in einer Richtung. Es berücksichtigt nicht, dass Einflüsse des sozialen Umfeldes sowohl auf Lehrer als auch auf Schüler wirken, und dass auch das Schülerverhalten im Sinne einer Rückmeldung auf den Lehrer wirken kann, die ihrerseits das Lehrerverhalten verändert. Abb. 19: Ein transaktionales Modell der Lehrer-Schüler-Interaktion (Sander, Lernstörungen, S.74) letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 25 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie Inwieweit der Lehrer in der Lage ist, sein Verhalten in angemessener Weise aufgrund der Wahrnehmung des Schülerverhaltens zu korrigieren, hängt von dem Grad der Flexibilität seiner Einstellungen und Erwartungshaltungen ab. Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Einflusses von Lehrereinstellungen auf die Lehrer-Schüler-Interaktion wurden die sogenannten impliziten Persönlichkeitstheorien von Lehrern und damit in Zusammenhang stehende Stereotypisierungen in der Wahrnehmung untersucht. Lehrer unterscheiden sich im Grad ihrer Wahrnehmungsstereotypisierung. Im Extremfall werden nur zwei Klassen von Schülern wahrgenommen, gute und schlechte, bzw. faule und fleißige. Stereotype Einstellungen und Erwartungshaltungen von Lehrern führen zu einer Voreingenommenheit in der Ursachenzuschreibung der Schulleistung von Schülern. Diese Attributionsvoreingenommenheit kann eine Erklärung dafür sein, dass Lehrer schwache Schüler vielfach anders behandeln als gute Schüler. Die Erwartungshaltung des Lehrers beeinflusst die Art seiner Interaktion mit dem Schüler. Dadurch dass der Lehrer Schüler, die er für wenig begabt hält, anders behandelt als solche, die er für begabt hält, kann es zum sogenannten Pygmalion-Effekt, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommen. Schüler übernehmen im Laufe eines länger dauernden Interaktionsprozesses die negative Erwartungshaltung des Lehrers bezüglich ihrer Schulleistung und bilden ungünstige Attribuierungsmuster aus. Dadurch wird ihrer Lernmotivation negativ beeinflusst. Ihre Schulleistung wird entsprechend schwach sein, was die ursprüngliche Erwartung des Lehrers bestätigt. Diese Erwartungseffekte treten aber nicht bei allen Lehrern, nicht bei allen Schülern und nur in bestimmten Schulsituationen auf. Unter Berücksichtigung der individuellen Unterschiede zwischen Lehrern hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Produktion von Erwartungseffekten werden drei Lehrertypen unterschieden, der proaktive, der überreaktive und der reaktive Lehrertyp. In Bezug auf die Entstehung und Manifestation von Lernstörungen ist der überreaktive Lehrer am ungünstigsten zu beurteilen. Er produziert am stärksten negative Erwartungseffekte. Aber auch der reaktive Lehrer stellt keine günstige Bedingung im Sinne einer Vorbeugung von Lernstörungen dar. Unter Unterricht im engeren Sinne versteht man den methodisch didaktischen Aspekt schulischer Lehrprozesse. Faktoren von Unterricht im engeren Sinn, die im Zusammenhang mit Lernstörungen diskutiert werden, sind die Art der Leistungsbeurteilung sowie die Unterrichtsqualität im Sinne einer zu geringen Anpassung an die Lernvoraussetzungen der Schüler. Die Leistungsbewertung im gegenwärtigen Schulsystem betont die soziale Bezugsnorm. Diese kann insofern zu einem Ursachenmoment von Lernstörung werden bzw. diese manifestieren, als Schüler, die über längere Zeit immer an den untersten Stellen in der Rangreihe stehen, ständig Misserfolgserlebnissen ausgesetzt sind, was sich ungünstig auf ihre Lernmotivation auswirken wird. Aus der Wahl einer sozialen Bezugsnorm bei der Leistungsbeurteilung resultiert eine didaktische Zuordnungsstrategie. Schüler werden ihrem Rangplatz, den sie hinsichtlich ihrer Schulleistung einnehmen, entsprechend verschiedenen didaktischen Maßnahmen zugeordnet, wie z.B. Wiederholung einer Klassenstufe, Zuweisung zur Sonderschule etc. Didaktische Zuordnungsstrategien basieren auf dem sogenannten medizinischen Diagnosemodell, das die Messung des Ausprägungsgrades von Eigenschaften im Vergleich mit anderen Personen nahe legt. Da davon ausgegangen wird, dass es sich bei den gemessenen Eigenschaften um relativ stabile Persönlichkeitseigenschaften handelt, wird aufgrund einer oder weniger Messungen die Zuordnung zu einer pädagogischen Maßnahme veranlasst. Ob die Entscheidung sich als richtig erweisen wird, hängt von der prognostischen Validität des Messinstrumentes ab, aufgrund dessen die Entscheidung getroffen wird. Es gibt aber kein Messinstrument, von dem bekannt ist, dass es fehlerfreie Vorhersagen über die weitere Entwicklung von Schüler gestattet, zumal der Einfluss künftiger Lernbedingungen letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 26 Prof. Dr. Elisabeth Sander Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie nicht vorhergesagt werden kann. Bei der Anwendung von Zuordnungsstrategien muss deshalb grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Teil von Schülern aufgrund von fehlerhaften Prognosen einer Maßnahme zugeleitet wird, die ihren Fähigkeiten nicht entspricht, sie also durch die Institution (Kurs etc.), der sie zugewiesen wurden, über- oder unterfordert sind. Solche Fehlentscheidungen können zu einem Ursachenfaktor von Lernstörungen werden. Merkmale, welche die Qualität von Unterricht bestimmen, sind u.a. "Initiative und Abwechslung", "Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung" und ein dem Lehrstoff entsprechender Unterrichtsaufbau. Darüber hinaus gilt allgemein, dass ein Unterricht um so effektiver sein wird, je besser es gelingt, ihn den Lernvoraussetzungen der jeweiligen Schülergruppe anzupassen. In diesem Sinne bestimmt der Grad der Individualisierung die Unterrichtsqualität. Ein Unterricht wird um so eher zu Lernschwierigkeiten führen, je weniger es gelingt, ihn an die Lernvoraussetzungen der Schüler anzupassen. Aufgrund einer zu geringen Individualisierung hinsichtlich Lernzeit und Lernhilfen (das Problem der Passung!) ist im derzeitigen Schulsystem ein kumulatives Leistungsdefizit zu beobachten. Man versteht darunter die Tatsache, dass sich die zu Beginn der Schulzeit bestehenden Unterschiede in den Lernvoraussetzungen zwischen guten und schwachen Schülern im Laufe der Schulzeit erheblich ausweiten. Übungsaufgaben 1. Nennen Sie verschiedene Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung und erklären Sie diese näher. 2. Diskutieren Sie Vor- und Nachteile verschiedener Bezugsnormen. 3. Erklären Sie das medizinische Diagnosemodell. 4. Welche Folgen hat die Übernahme des medizinischen Diagnosemodells für pädagogische Maßnahmen? 5. Was versteht man unter Selektion, Platzierung und Klassifikation? 6. Inwiefern können Zuordnungsentscheidungen Ursache für Lernstörungen werden? 7. Nennen Sie Merkmale eines guten Unterrichts. 8. Was versteht man unter kumulativem Leistungsdefizit, Schereneffekt und Passung? 9. Diskutieren Sie das Problem von Zuordnungsstrategien im schulischen Kontext! 10. Was versteht man unter Passung? 11. Erklären Sie, wie man durch schulorganisatorische Maßnahmen die Entstehung eines kumulativen Leistungsdefizits verringern kann. letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann) 27