Studienmaterial zu "Einführung in die Pädagogische Psychologie"

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Prof. Dr. Elisabeth Sander
Universität Koblenz | Fachbereich 1: Bildungswissenschaften | Institut für Psychologie
"Einführung in die Pädagogische Psychologie"
Dienstag, 14 Uhr, Raum D 28
Kurzfassung der Vorlesung und Übungsaufgaben zur Veranstaltung
Dieses Dokument beinhaltet eine nicht vollständig ausgearbeitete Zusammenfassung der
Vorlesungsinhalte der oben genannten Veranstaltung und soll lediglich als Hilfsmittel dienen.
Themenübersicht
1. Gegenstand und Geschichte der Pädagogischen Psychologie
a. Von Comenius bis zum 2. Weltkrieg
b. Entwicklungstendenzen nach 1945
2. Lernen als Verhaltensänderung
a. Das Klassische Konditionieren
b. Das Operante Konditionieren
c. Lernen am Modell
3. Lernen als Wissenserwerb und Problemlösen
a. Problemlösen als Umstrukturierung
b. Ein Modell des Informationsverarbeitungsprozesses; Gedächtnisstrukturen
c. Wissensrepräsentation (Schemata, semantische Netzwerke, mentale Modelle)
d. Behalten des Gelernten aus Texten
e. Adaptives und selbst kontrolliertes Lernen
4. Problemlösen und Wissenstransfer
5. Bedingungen von Schulleistung
5.1 Die Schülerpersönlichkeit
- Organische Ursachen für Schulschwierigkeiten
- Kognitive Bedingungsfaktoren der Schulleistung
- Nicht kognitive Faktoren (Emotion, Motivation und Interesse, Arbeitsleistung)
5.2 Die Familie als Bedingungsfaktor von Schulleistung
- Erziehungsstile
- Sprachliche Kommunikation
5.3 Die Schule als Bedingungsfaktor von Schulleistung
- Faktoren des sozio-emotionalen Klimas
- Faktoren von Unterricht im engeren Sinn
Einführende Literatur
-
-
-
Sander, E. (1981). Lernstörungen. Ursachen, Prophylaxe. Einzelfallhilfe.
Stuttgart: Kohlhammer. Kap. 2 (Das Buch ist vergriffen, steht aber in der UniBibliothek in Koblenz).
Weidenmann, B., Krapp, A., Hofer, M., Huber, G.L. & Mandl, H. (Hrsg.)
(1986). Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. München: PVU. Kap. 2
Weidenmann, B. & Krapp, A. (Hrsg.) (2001). Pädagogische Psychologie.
Weinheim: Beltz. (Besonders Kap. 5).
Zielinski, W. (1995). Lernschwierigkeiten. Verursachungsbedingungen,
Diagnose, Behandlungsansätze. Stuttgart: Kohlhammer ( Das Buch eignet sich
als Ergänzung der Thematik)
Edelmann, W. (1995). Lernpsychologie, vollständig überarbeitete Auflage.
Weinheim: Beltz. (Besonders Kap. 4.3, 4.4, 4.5)
letzte Änderung: 07.12.04 (K.Bestmann)
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1. Von Comenius bis zum 2. Weltkrieg
Die Pädagogische Psychologie befasst sich mit pädagogischen Situationen. Das sind solche,
die potentiell oder faktisch pädagogisch relevante Effekte (mit)bewirken. Die pädagogische
Relevanz von Effekten wird durch die Erziehungsziele einer Kultur festgelegt.
Abb. 1: Der Gegenstandsbereich der pädagogischen Psychologie: Der Kernbereich und einige Beispiele für den Randbereich.
Als "Väter" der Pädagogischen Psychologie können Comenius, Rousseau, Pestalozzi, Fröbel
und Herbart angesehen werden. Einer der ersten Lehrstühle für Pädagogische Psychologie
wurde 1906 in Leipzig, auf Betreiben der Lehrervereine, eingerichtet.
Schon William James, der amerikanische Psychologe und Philosoph wies aber darauf hin,
dass man aus der wissenschaftlichen Psychologie nicht direkt Rezepte für das Klassenzimmer
ableiten könne. In Deutschland wurde die pädagogisch-psychologische Forschung durch
Wilhelm August Lay und Ernst Meumann geprägt. Beide wollten eine Didaktik auf
experimenteller Grundlage entwickeln, wobei Lay die Beobachtung in der freien
Unterrichtssituation bevorzugte, Meumann das Laborexperiment.
In den 20er Jahren wies Aloys Fischer der Pädagogik die Aufgabe zu, Erziehung theoretisch
zu verstehen, der Pädagogischen Psychologie dagegen die Aufgabe, sich mit den
psychologischen Bedingungen und Effekten des Erziehungsgeschehens zu befassen.
Zwischen den Weltkriegen ist die Entwicklung des Faches Psychologie durch ein
Auseinanderbrechen in verschiedene Schulen gezeichnet. Die Pädagogische Psychologie
konnte sich diesen Einflüssen nicht entziehen.
Die naturwissenschaftlich atomistische Psychologie (W. Wundt, Psychologisches
Laboratorium in Leipzig) beeinflusste u.a. die Etablierung der Differentiellen Psychologie.
Zum Erfassen individueller Persönlichkeitsstrukturen wurden diagnostische Testverfahren
entwickelt, die auch heute in enger Beziehung zur pädagogischen Praxis stehen.
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Der Behaviorismus und die Lerntheorien wurden zur theoretischen Grundlage der
Verhaltenstherapie, bzw. führten zur Entwicklung computerunterstützten Lernens. (Pawlow,
Thorndike, Skinner; Bandura; Person als "black box"!).
Die Gestaltpsychologie (Berliner Schule: Wertheimer, Köhler, Koffka) und die
Ganzheitspsychologie (Leipziger Schule: Krüger) nahmen vor allem Einfluss auf Theorien
über das Problemlösen und des einsichtigen Lernens. Sie gaben somit der modernen
Gedächtnispsychologie (kognitiven Psychologie) wichtige Impulse.
Die geisteswissenschaftliche Psychologie lehnte die empirischen Methoden ab und vertrat
eine verstehende Psychologie (Hermeneutik). Heute werden manche Ideen wieder
aufgegriffen und aus der Sicht der historischen Psychologie verarbeitet.
Die Tiefenpsychologie (Freud, Adler, Jung) gab vor allem der klinischen Psychologie und
dem Aufbau verschiedenster Beratungsinstitutionen wichtige Impulse.
Entwicklungstendenzen nach 1945
Nach dem 2. Weltkrieg überwog zunächst eine ganzheitspsychologische und
geisteswissenschaftliche Richtung in der Pädagogischen Psychologie. Ab den 50er Jahren trat
unter dem Einfluss des amerikanischen Behaviorismus die empirisch-experimentelle
Psychologie ihren Siegeszug an. Seit Anfang der 70er Jahre ist (zunächst in den USA) auch in
Deutschland die sogenannte kognitive Wende in der Psychologie zu beobachten. Es
interessieren wieder die innerpsychischen, also Gedanken, Gefühle, Einstellungen usw.
In den letzten 20 Jahren kann man auch eine Ausweitung der behandelten Themengebiete in
der Pädagogischen Psychologie beobachten. Die Vorlesung konzentriert sich aber auf den
klassischen Bereich, das Lernen in der Schule.
Übungsaufgaben
1. Nennen Sie die "Väter" der Pädagogischen Psychologie und beschreiben Sie deren
Grundeinstellungen.
2. Charakterisieren Sie die Kerngedanken von William James, Lay, Meumann und
Fischer in Bezug auf die Pädagogische Psychologie.
3. Erklären Sie den Einfluss der psychologischen Schulen auf die Entwicklung des
Faches "Pädagogische Psychologie".
2. Lernen als Verhaltensänderung
Menschen ändern ihr Verhalten im Laufe ihres Lebens. Geschieht dies aufgrund endogener
Prozesse spricht man von Reifung, bei Veränderungen aufgrund von Umwelteinflüssen
handelt es sich um Lernen. Lernprozesse können als Anpassungsprozesse an spezifische
Anforderungen der Umwelt verstanden werden. Im letzten Jahrhundert wurden verschiedene
Lernarten erforscht. Die Analyse dieser Lernprozesse und Paradigmen ist von hoher
praktischer Bedeutung auch für Erziehungssituationen.
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2.1 Das klassische Konditionieren
Abb. 2 Schema des klassischen Konditionierens (Knapp / Weidenmann, S. 161)
Beim klassischen Konditionieren wird das Reagieren mit einer bereits vorhandenen Reaktion
auf neue Reize gelernt. Der erste Versuch zu dieser Lernart stammt von dem russischen
Physiologen Pawlow:
1. Hund sieht Fleischpulver (unkonditionierter Stimulus - Biaktion , natürlicher Reiz)
geboten; er reagiert mit Speichelfluss (unkonditionierte, Biaktion, natürliche
Reaktion).
2. Mehrmals gleichzeitige Darbietung von US mit neutralem konditioniertem Stimulus
CS (z.B. Glockenton) - Hund reagiert mit Speichelfluss.
3. Nur der CS (z.B. Glockenton) wird präsentiert - Hund sondert auch Speichel ab
(unkonditionierte Reaktion). Die CR wird nur dann durch den CS zuverlässig
ausgelöst, wenn von Zeit zu Zeit der US wieder zusammen mit dem CS dargeboten
wird, ansonsten erfolgt eine allmähliche Löschung (Extrinktion). Neben elementaren
Verhaltensweisen (Lidschlagreflex, Speichelfluss) werden auch Gefühlsreaktionen
über das Paradigma des klassischen Konditionierens gelernt:
Beispiel:
Das Experiment von Watson und Rayner (1920) mit dem kleinen Albert.
Die Angstreaktion kann auch auf ähnliche Reize übertragen werden (Generalisierung).
Beispiel:
Angst vor weißem Arztkittel wird auf alle weißen Kleidungsstücke übertragen. Aufgrund
dieser und ähnlicher Experimente wurde das Prinzip der Gegenkonditionierung entwickelt,
das in der Verhaltenstherapie (Methode der systematischen Desensitivierung) erfolgreich zur
Anwendung kommt.
Nach behavioristischer Interpretation ist die raum-zeitliche Nähe, Kontiguität von US und CS
entscheidend für die Entstehung der CR.
Nach einer kognitiven Interpretation liegt das Entscheidende in der Information, die ein
Stimulus über einen anderen liefert.
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2.2 Das operante Konditionieren
Mit dem Paradigma des operanten Konditionierens (instrumentellen Lernens) wird der
Erwerb neuer Verhaltensweisen erklärt. Grundlegend für diese Theorie ist das Gesetz des
Effektes von Thorndike (1911). Einer der bekanntesten Forscher, die sich mit dem operanten
Konditionieren befassten, ist Skinner. Er geht davon aus, dass neue Verhaltensweisen
aufgrund der Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen, erlernt werden:
Positive Konsequenzen erhöhen die erneute Auftretenswahrscheinlichkeit, negative oder
keine Konsequenzen senken sie.
Bei den Konsequenzen werden unterschieden:
Abb. 3: Schema des operanten Konditionierens (Sander: Lernstörungen S. 109)
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-
Belohnung in Form positiver Verstärkung (angenehme Konsequenz) oder
negativer Verstärkung (Wegfallen einer aversiven Konsequenz).
Bestrafung nach Typ 1 (unangenehme (r) Konsequenz, Reiz),
Bestrafung nach Typ 2 Wegfallen einer(s) angenehmen Konsequenz, Reizes).
Keine Konsequenz.
Eine Konsequenz (Belohnung oder Strafe) muss unmittelbar auf das Verhalten folgen, damit
sie verhaltenswirksam wird: Kontingenz.
Abb. 4: Auf- und Abbau von Verhalten
Ein erwünschtes Verhalten wird durch positive Verstärkung (bei gleichzeitiger Bestrafung
oder Löschung unerwünschten Verhaltens) aufgebaut. Eine besondere Form ist das Shaping.
Man verstärkt zunächst kontinuierlich, später intermittierend (diese Form ist besonders
löschungsresistent!).
Unerwünschtes Verhalten wird durch Bestrafung oder Löschung abgebaut. Da sowohl Strafe
als auch Löschung problematisch sind, und vor allem Strafe nicht erwünschte
Nebenwirkungen hat, ist es unabdingbar, zusätzlich ein erwünschtes, inkompatibles Verhalten
(mit Hilfe positiver oder negativer Verstärkung) aufzubauen.
2.3 Modellernen (Beobachtungslernen)
Viele neue (vor allem komplexe) Verhaltensweisen werden durch Modellernen erlernt. Der
Begründer dieses Lernparadigmas war Bandura, der die sozial-kognitive Lerntheorie
begründete. Damit eine Person nachgeahmt wird, muss sie folgende Merkmale besitzen:
-
sie muss erfolgreich sein
sie muss Prestige haben
es muss eine gute Beziehung zwischen Modell und Beobachter bestehen
Damit ein Beobachter über ein Modell lernen kann, muss er
- seine ganze Aufmerksamkeit auf das Modell richten
- in der Lage sein, das Verhalten des Modells zu erinnern und durch innere
Simulation in der Vorstellung nachzumachen
Beispiele für Modellernen:
- ein Schwimmtrainer führt den Salto rückwärts auf dem Sprungbrett vor
- Banduras Versuch zum Lernen aggressiven Verhaltens mittels eines Modells
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Übungsaufgaben
1. Erklären Sie in dem Pawlowschen Versuch zum Klassischen Konditionieren die
Begriffe US, UR, CS, CR.
2. Erklären Sie das Paradigma des Klassischen Konditionierens an dem Experiment von
Watson und Rayner mit dem kleinen Albert.
3. Welche Bedeutung hat Klassisches Konditionieren beim Menschen? Geben Sie ein
Beispiel aus dem Humanbereich!
4. Was versteht man unter Generalisierung, was unter Gegenkonditionierung? Geben Sie
für beide Begriffe ein Beispiel!
5. Wie erklärt der klassische Behaviorismus das Zustandekommen der konditionierten
Reaktion? Welche Erklärung gibt die kognitive Psychologie?
6. Was besagt das Gesetz des Effektes?
7. Geben Sie ein Beispiel für positive und negative Verstärkung!
8. Geben Sie ein Beispiel für 2 Typen von Strafe!
9. Was versteht man unter Kontingenz?
10. Wie kann ein erwünschtes Verhalten aufgebaut, wie ein unerwünschtes abgebaut
werden?
11. Was versteht man unter Löschung?
12. Welche Probleme sind mit Bestrafung verbunden? Welche mit Löschung?
13. Beschreiben Sie einen Versuch zum Modellernen!
14. Durch welche Merkmale muss eine Person gekennzeichnet sein, damit sie als Modell
wirkt?
3. Lernen als Wissenserwerb und Problemlösen
3.1 Problemlösen als Umstrukturierung
Die Vertreter des Behaviorismus haben sich wenig mit dem typisch menschlichen Lernen
durch Denk- bzw. Informationsverarbeitungsprozesse beschäftigt, weil sie in erster Linie an
beobachtbaren Verhalten interessiert waren. Das menschliche
Informationsverarbeitungssystem (Gedächtnis) kann aber nicht abstrakt beobachtet werden
("black box"). In Europa dagegen standen in der Psychologischen Forschung Fragen nach
Prozessen in der Person im Vordergrund. So interessierten die Vertreter der Deutschen
Gestaltpsychologie (Berliner Schule: Wertheimer, Koffka, Köhler, Duncker, Katona) etwa
folgende Fragen:
- Welche Gesetzmäßigkeiten bestimmen die Wahrnehmung des Menschen?
- Wie funktioniert das menschliche Denken?
- Wie löst der Mensch Probleme?
Sehr bekannt wurden in diesem Zusammenhang u.a. die Versuche Köhlers mit Schimpansen
oder die Experimente Wertheimers mit Schülern zu Problemen aus der Geometrie.
Das Problemlösen stellt sich aus Sicht der Gestaltpsychologie als Umstrukturierung des
Wahrnehmungsfeldes dar, wodurch es zur Einsicht in dessen Struktur (Verstehen) und
dadurch zur Problemlösung kommt.
Ein Problem ist durch die Neuartigkeit der Situation definiert. Es entsteht, wenn eine Person
ein Ziel hat und nicht weiß, wie sie dieses Ziel erreichen soll (Ausgangszustand - Barriere Zielzustand).
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Abb. 5: Die drei Komponenten des Problems
Bei einer Aufgabe dagegen verfügt die Person über Regeln (Wissen), wie die Lösung
(Zielzustand) zu erreichen ist. (Das schriftliche Dividieren ist z.B. für die meisten älteren
Kinder und Erwachsenen in unserer Kultur eine Aufgabe, weil sie Regeln zur Durchführung
einer solchen Rechenoperation gelernt haben. Für Menschen in anderen Kulturen, speziell
wenn sie keine Schule besucht haben, wäre diese Aufgabe ein Problem). Eine zentrale
Aufgabe der Schule ist es deshalb, Schülern zu ermöglichen, Wissen zu erwerben, damit
Probleme zu Aufgaben werden. Auf diese Weise wird die Lösung erleichtert (oft erst
überhaupt möglich) und gelingt mit deutlich geringerem (Denk)-Aufwand.
3.2 Ein Modell des Informationsverarbeitungsprozesses; Gedächtnisstruktur
Abb. 6: Modell der kognitiven Struktur
Zur Bewältigung von Aufgaben und zur Lösung von Problemen verfügen Menschen über eine
kognitive Struktur (Gedächtnisstruktur). Diese besteht aus Teilstrukturen. Sie dienen der
Informationsaufnahme und -verarbeitung. Es wird zwischen einer Wissensstruktur
(epistemisch) und einer Problemlösestruktur (heuristisch) unterschieden.
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Abb. 7: Informationsfluss durch Gedächtnissystem
Der Prozess der Informationsaufnahme wird vereinfacht durch ein Zweispeichermodell des
menschlichen Gedächtnisses dargestellt. In diesem wird zwischen einem sensorischen
Register, dem Kurzzeit(Arbeits)-gedächtnis und dem Langzeitgedächtnis unterschieden.
Wesentliche Prozesse im Arbeitsgedächtnis sind die Kodierung (Bearbeitung der eingehenden
Information) und die Dekodierung (Abruf der Gedächtnisinhalte). 3.3 Wissensrepräsentation
Beim Lernen als Wissenserwerb geht es um den Aufbau, oft auch um die Veränderung von
Wissensrepräsentationen. Dieses Lernen lässt sich als Konstruieren und Modifizieren von
Wissensstrukturen definieren. Aus der Sicht der kognitiven Psychologie wird der Mensch
deshalb als aktive Person angesehen, die jeweils die ihm eigene Repräsentation der Welt
konstruiert (Konstruktivismus; wichtiger Vertreter: Piaget). Nur wenn der Lernende sich aktiv
um den Wissenserwerb bemüht, kann er demnach zu einsichtigem Lernen gelangen (Diese
Auffassung steht im Gegensatz zu der des Behaviorismus, wonach der Mensch passiv den
Einwirkungen der Umwelt ausgesetzt ist: "tabula rasa"; Trichtermodell).
Wissen kann in Form von Schemata, semantischen Netzwerken und mentalen Modellen
aufgebaut werden.
Abb. 8: Aufbauschema (nach Abeli) für das Schema „Zeuge“ (Knapp / Weidenmann S. 169)
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Wichtige Teilprozesse des Wissenserwerbs sind:
- Chunking (Zusammenfassung von Information), dadurch Entlastung des
Arbeitsgedächtnisses), sowie der umgekehrte Prozess
- Decomposing (die Ausfaltung stark verdichtet gespeicherter Information)
- Neuorganisation kognitiver Strukturen sowie Feinabstimmung und
Umstrukturierung von kognitiven Strukturen
- der Aufbau von Schemata, semantischen Netzwerken und mentalen Modellen
- Automatisierung
3.4 Lernen aus Texten
ist in unserer Kultur eine der bedeutsamsten Arten des Wissenserwerb. Dabei wird
begriffliches Wissen durch die Bildung semantischer Netzwerke aufgebaut, und zwar durch
Verknüpfungen und Verdichtungen (Chunking) (Beispiel: Aufbau des Begriffs "Zeuge").
Abb. 9: Das semantische Netz zum Begriff bzw. Schema Zeuge ((Knapp / Weidenmann S. 168)
Durch die Einordnung der neuen Information in die bestehende Wissensstruktur Strukturieren - wird diese angereichert und erweitert. (Beispiel: "Vitamin C bekämpft
Erkältungen").
Abb. 10: Netzwerkdarstellung von Propositionen aus einem Lernprozess, in dem neues Wissen über die Wirkung von Vitamin C aufgebaut
wird (Knapp / Weidenmann S. 171)
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Beim Lernen aus Texten werden also neue Verbindungen zwischen Aussagen hergestellt.
Wie wird Textinformation längerfristig gespeichert und für den Abruf bereit gehalten? Drei
Prozesse sind dabei von besonderer Relevanz:
a) Elaborative Prozesse.
Durch elaborative Prozesse wird der Text durchgearbeitet, setzt sich der Leser mit der neuen
Information beim Lesen oder Zuhören auseinander.
Hilfen für die Elaboration:
-
Strukturierende Lernhilfen (z.B. advance organizer; z.B. "Überschrift vorgeben
oder finden")
Generieren visueller Vorstellungen
Suchen gezielter Fragen
Indizieren von Widersprüchen zum vorhandenen Wissen (kognitiver Konflikt
nach Piaget)
b) Reduktive Prozesse
Durch diese wird die Fülle wörtlicher Information verkleinert und handhabbar gemacht.
(Selektive Suchschemata beim Lesen; Verdichtungsprozesse, z.B. Zusammenfassen unter
bestimmten Gesichtspunkten).
c) Metakognitive Prozesse (Steuerungsprozesse)
Regulierung von weiteren für das Lernen aus Texten relevanten Prozessen: Je mehr sich ein
Schüler mit seinem eigenen Lernen befasst, indem er z.B. elaboriert und reduziert und diese
Prozesse reflektiert, desto besser werden ihm seine Steuerungsprozesse beim Lernen bewußt:
z.B.
- "Was sind meine Stärken und Schwächen?"
- "Welche Aufgaben fallen mir schwer, leicht?"
- "Wie kann ich Lernprozesse (besser) planen und koordinieren?"
Je höher die Qualität der unter a, b und c genannten Prozesse ist, desto besser wird Wissen
behalten und wieder abrufbar.
3.5 Adaptives und selbstkontrolliertes Lernen
Durch adaptives und selbstgesteuertes Lernen soll sichergestellt werden, dass man sich an das
Gelernte erinnern kann (Abruftraining). Wirksame Strategien selbstgesteuerten Lernens
unterscheiden sich in Abhängigkeit von den Lerninhalten:
1. Inhalte ohne (mit nur geringem) sachlogischen Zusammenhang (z.B. Vokabellernen,
Rechtschreibtraining).
Der Abruf kann kontrolliert werden durch :
- freies Erinnern
- Erinnern durch einen Hinweisreiz (z.B. mittels eines Blicks in die
Vorlesungsmitschrift, wobei ein Stichwort die Erinnerung aktiviert)
- Wiedererkennen
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Für unter 1. fallende Inhalte empfiehlt sich ein Abruftraining durch immer größere
Intervalle.
2. Inhalte mit komplexer Information
Hier empfiehlt sich
a) Lesen (Hören), bei gleichzeitigem Notizen machen
b) Abschnittweise beim Lesen Stichwörter und Merksätze aufschreiben;
besonders wirksam ist das "selbsterklärende Lernen" durch Paraphrasieren,
indem die Merksätze in eigenen Worten geschrieben werden (Vernetzung mit
dem Vorwissen!)
c) Verräumlichungsstrategien
Diese Strategien versprechen dann Erfolg, wenn sie die Schüler animieren,
Strukturen aufzubauen, die
-
den Charakteristika der Gedächtnisspeicherung entsprechen,
die Inhalte organisieren
zu einer hohen Verarbeitungstiefe führen (vgl. Top 4).
Verräumlichungsstrategien sind
-
Networking - Schüler lernen neues Wissen in Netzwerken
darzustellen
Abb. 11: Netzwerk über Wunden und Wundheilung (Krapp / Weidenmann S. 179)
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-
Mindmapping
Abb. 12: Mindmap einer Studentin zum Thema „Lernen und Wissenserwerb“ (Krapp / Weidenmann S. 181)
-
Schematizing. Schüler lernen neues Wissen als elaboriertes Schema
darzustellen
Abb. 13: Schema einer Dozentin zum Thema "Lernen und Wissenserwerb" (Krapp / Weidenmann S. 182)
-
Auswendiglernen von Texten (Lieder, Gedichte, Theaterrollen) Erleichternd wirkt es, jeden Text mit einem mentalen Modell in Form
eines Skripts (Drehbuch) in Verbindung zu bringen.
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4. Problemlösen und Wissenstransfer
Bekannt sind folgende Problemlösestrategien:
-
Zerlegen komplexer Problemstellungen in einfachere Teilprobleme
Suchen nach Analogien
Mittel-Ziel-Analyse
Diese Strategien können bei einer Vielzahl von Problemen eingesetzt werden. Allerdings sind
die Mehrzahl von Problemlösestrategien von hoher Bereichsspezifität, was die Anwendung
allgemeiner Strategien einschränkt.
Lernen und Problemlösen werden erleichtert, und der zeitliche Aufwand wird reduziert, wenn
früher gelerntes Wissen auf neue Situationen übertragen werden kann. Häufig gelingt dieser
Transfer nicht, weil die Ähnlichkeit (die Analogie) der Tiefenstruktur einer Situation, eines
Problems nicht erkannt wird (Beispiel: In der Schule wird folgende Aufgabe gerechnet: "2
Arbeiter brauchen für die Gartenarbeit 1 Tag, 4 Arbeiter brauchen wie lange?" Als
Hausaufgabe wird folgende Aufgabe gegeben: Mit einem Schlauch braucht man 6 Stunden,
um ein Becken mit Wasser zu füllen, wie lange dauert es, wenn man zwei Schläuche zur
Verfügung hat?"). Die Tiefenstruktur wird nur erfasst, wenn nicht oberflächlich gelernt wird,
sondern die Grundstruktur, eines Problems unabhängig von Oberflächenmerkmalen
verstanden wird. Man spricht von einer hohen Verarbeitungstiefe. (Vgl. Top 3.5, B, c).
Wie kann man den Transfer erleichtern?
-
Durch Dekontextualisierung der Situation
Durch eine hohe Qualität der ursprünglichen Lernprozesse
Lernprozesse sind von hoher Qualität, wenn:
-
Wissensstrukturen konsolidiert werden (durch hohe Elaboration, z.B.
Durcharbeiten unter anderer Perspektive)
Wissensstrukturen flexibilisiert werden (Anbieten einer Aufgabenvielfalt)
eine multiple Repräsentation von Wissensstrukturen angeregt wird
eine Dekontextualisierung erfolgt
ein Rückblick auf eigene Lernprozesse und Aktivitäten stattfindet
Ob Transfer erfolgt, hängt auch von nicht-kognitiven Gegebenheiten ab. Entscheidend ist ein
hohes Engagement, eine hohe Motivation und Selbstregulation des Schülers; insgesamt also
eine hohe Bereitschaft zu mentaler Anstrengung und zum Durchhalten in schwierigen Lernund Problemlösesituationen.
Übungsaufgaben
1. Schildern Sie den Versuch Köhlers mit Schimpansen. Erklären Sie anhand des
Versuchs die Begriffe "Problemlösen durch Umstrukturieren" und "Lernen durch
Einsicht".
2. Erklären Sie die gleichen Begriffe anhand eines Experiments von Wertheimer
3. Was ist der Unterschied zwischen Problem und Aufgabe?
4. Erklären Sie das Zweispeichermodell der Informationsaufnahme und -verarbeitung.
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5. Was versteht man unter Kodierung und Dekodierung! Erklären Sie die Begriffe mittels
Beispielen.
6. Was sind Schemata, semantische Netzwerke, mentale Modelle? Welche Funktion
haben sie. Erklären Sie die Begriffe mit Beispielen.
7. Geben Sie ein Beispiel für Chunking, für Decomposing, für Automatisierung und
weitere Teilprozesse des Wissenserwerbs. Erklären Sie die Funktion dieser Prozesse.
8. Erklären Sie anhand eines Beispiels den Aufbau von Begriffen und die Erweiterung
der Wissensstruktur!
9. Durch welche Lernprozesse gelingt es, Wissen langfristig zu speichern und wieder
abzurufen? Erklären Sie die Prozesse anhand von Beispielen! Durch welche
Lernhilfen können diese Prozesse erleichtert werden?
10. Was versteht man unter selbstkontrolliertem Lernen?
11. Welche Strategien dienen selbstkontrolliertem Lernen? Erklären Sie diese mit
Beispielen!
12. Erklären Sie Problemlösestrategien!
13. Was versteht man unter dem Transferproblem? Warum gelingt der Transfer häufig
nicht? Erklären Sie diesen Sachverhalt an einem Beispiel!
14. Geben Sie ein Beispiel für "Verarbeitungstiefe"!
15. Machen Sie konkrete Vorschläge zur Erleichterung von Wissenstransfer!
5. Bedingungen von Schulleistung und Schulleistungsversagen
Die Ursachen für die Qualität von Schulleistung sind in drei Bereichen zu suchen: der
Schülerpersönlichkeit, der Familie und der Schule.
5.1 Bedingungen in der Schülerpersönlichkeit
Üblicherweise wird bei den Ursachen für die Qualität der Schulleistung, bzw. für
Schulversagen zwischen organischen und nicht organischen Ursachen unterschieden und bei
den letzteren zwischen kognitiven und nicht kognitiven.
Als organische Bedingungen von Lernstörungen kommen in Frage:
a) Drüsenfehlfunktionen und chronische Krankheiten. Neben krankheitsbedingten
Problemen sind diese Kinder vor allem durch die psychische Belastung in ihrem
Lernen beeinträchtigt.
b) Schädigungen der Sinnesorgane und Sprachstörungen. Hier treten vor allem Probleme
beim Lernen auf, wenn die Störungen nicht oder zu spät erkannt werden.
c) Funktionsstörungen des Zentralnervensystems, als deren Folge häufig Störungen der
Wahrnehmung, Begriffsbildung und auch Sprachstörungen auftreten. Häufig sind auch
eine erhöhte Reizempfindlichkeit und eine motorische Ungeschicklichkeit zu
beobachten. Die Auswirkungen zerebraler Dysfunktionen auf die Entwicklung,
Leistungsfähigkeit und Lernbereitschaft der Kinder hängen von den jeweiligen
Erziehungseinflüssen ab.
Unter den kognitiven Ursachen ist der Faktor Intelligenz die am häufigsten untersuchte
Bedingung von Schulleistung und Lernstörungen. Die Intelligenz stellt zweifellos eine
wichtige Einflussgröße der Schulleistung dar; der Zusammenhang zwischen Intelligenz und
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Schulleistung ist aber nicht so hoch wie häufig angenommen wird. Nur ein Viertel der
Unterschiedlichkeit in der Schulleistung von Schülern kann auf unterschiedliche intellektuelle
Fähigkeiten zurückgeführt werden. In unserem Schulsystem kommt der sprachlichen
Intelligenz eine besondere Bedeutung zu. Aus der Intelligenzhöhe können allerdings keine
Schlüsse auf spezielle Lernprobleme gezogen werden. Ein Forschungsansatz, der in dieser
Hinsicht mehr verspricht, ist die Analyse der kognitiven Komponenten, die an der
Bewältigung einer bestimmten Aufgabe oder eines Problems beteiligt sind. Es ist abzuklären,
ob z.B. in folgenden Bereichen Probleme auftauchen: Aufmerksamkeitsstörungen,
Schwierigkeiten beim Einprägen und Wiedererinnern, Wissensdefizite, ein zu geringer
Begriffsumfang, bzw. ein zu niedriges Begriffsniveau und das Fehlen wirksamer
Problemlösestrategien. Sind solche Probleme diagnostiziert, können gezielte pädagogische
Interventionen vorgenommen werden.
Wichtige, nichtkognitive Bedingungsfaktoren der Schulleistung sind die Schulangst, das
Selbstkonzept, die Lernmotivation und die Arbeitshaltung.
In der pädagogischen Literatur wird die situative Eingrenzung von Schulangst betont, und
deshalb teilweise der Begriff schulbezogene Leistungsangst vorgezogen. Es wird zwischen
Angst als Zustand (state anxiety) und Angst als Persönlichkeitsmerkmal (trait anxiety)
unterschieden. Leitungsängstliche Schüler geraten häufiger als andere in den Zustand der
Leistungsangst. Umgekehrt werden Schüler, die häufig angsterregenden (bedrohlichen)
Situationen ausgesetzt sind, allmählich besonders leistungsängstlich.
Schulangst wird auf dem Hintergrund allgemeiner Gefühlstheorien interpretiert. Danach
unterscheiden sich Individuen in der Einschätzung von Bedrohung durch bestimmte
Reizsituationen. Leistungsängstliche tendieren schneller als andere dazu, relativ neutrale
Situationen als bedrohlich einzuschätzen. Als entscheidend für das Entstehen von Schulangst
werden Kognitionen wie bestimmte Erwartungen oder Erklärungen für Erfolg bzw.
Misserfolg (Ursachenzuschreibungen) angesehen. Man kann davon ausgehen, dass Angst
Lernprozesse behindert; umgekehrt reagieren Kinder mit schlechten Lernleistungen besonders
häufig mit Angst.
Das Selbstkonzept umfasst alle Informationen, die eine Person von sich selbst gespeichert hat.
Ein niedriges Selbstkonzept der eigenen Begabung geht mit erhöhter Schulangst einher. Da
schulische Misserfolge gewöhnlich zu einer Senkung des Selbstkonzepts der eigenen
Begabung führen, werden schulische Leistungssituationen eher als bedrohlich erlebt und lösen
deshalb Angst aus. So ist auch zu erklären, dass niedrige Selbstkonzepte (allerdings in
Abhängigkeit vom Alter) negativ mit der Schulleistung korrelieren. Es ist allerdings auch ein
umgekehrter Wirkzusammenhang anzunehmen: Eine durch pädagogische Intervention
erreichte Verbesserung des Selbstkonzepts (verbunden mit einer Abnahme von
Leistungsangst) führt vermutlich zu einer Verbesserung der Schulleistung. Schulangst und
Selbstkonzept stehen in enger Beziehung zur Lernmotivation.
Der Begriff Lernmotivation umfasst alle motivationalen Bedingungen im Lernenden, die
dessen Schulleistung beeinflussen.
Die Forschung widmete zunächst nur einer Determinante der Lernmotivation, nämlich dem
sogenannten Leistungsmotiv größere Aufmerksamkeit. Unter Leistungsmotiven versteht man
das Bestreben, seine Leistungen bei Tätigkeiten, bei denen man einen Gütemaßstab
(Anspruchsniveau) für verbindlich hält, so zu steigern, dass man dieses Niveau auch erreicht.
Die erbrachte Leistung wird in Hinblick auf das Anspruchsniveau als Erfolg oder Misserfolg
gewertet. Erfolg führt zu einer Anhebung des Anspruchsniveaus, Misserfolg zu einer
Senkung. Die Leistungsmotivation kann sich bei verschiedenen Personen sowohl in der
Stärke als auch in der Richtung unterscheiden. In Hinblick auf die Stärke der
Leistungsmotivation wird zwischen hoch- und niedrig motivierten Personen unterschieden,
Personen mit einem hohen und einem niedrigen Anspruchsniveau; entsprechend der Richtung
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der Leistungsmotivation zwischen Erfolgszuversichtlichen und Misserfolgsängstlichen. Das
Anspruchsniveau kann bei gleicher Leistungsfähigkeit verschieden sein. Es hängt davon ab,
ob das Gefühl der Erfolgszuversicht oder Misserfolgsängstlichkeit bestimmend ist. Angst vor
Misserfolg führt zu einer Senkung des Leistungsniveaus, Erfolgszuversicht zu einer
Anhebung. Der Ausprägungsgrad von Erfolgszuversicht und Misserfolgsängstlichkeit und
damit auch die Höhe des Anspruchsniveaus hängen wesentlich von den Vorerfahrungen ab,
die Kinder in Leistungssituationen gemacht haben. Waren die Erfahrungen positiv, steigt die
Erfolgszuversicht, hat jemand vorwiegend negative Erfahrungen gemacht (Misserfolg erlebt),
wird er misserfolgsängstlich. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Schulleistung und
Leistungsmotivation zeigen gewöhnlich einen positiven Zusammenhang auf. Schüler mit
guten Schulleistungen sind in der Regel auch hoch leistungsmotiviert.
In neuerer Zeit zeigt sich eine Veränderung in der wissenschaftlichen Theorienbildung: Es
wird nicht mehr ausschließlich die Leistungsmotivation untersucht, sondern man bemüht sich,
noch andere Bedingungsfaktoren der Lernmotivierung aufzudecken, ihre Wechselbeziehung
zu untersuchen und dieses Beziehungsgefüge auf dem Hintergrund einer allgemeinen
Motivationstheorie zu interpretieren. Ein im deutschen Sprachraum die Diskussion stark
beeinflussendes kognitives Modell der Lernmotivierung stammt von Heckhausen. Es
beschreibt den Zusammenhang zwischen verschiedenen durch die Situation ausgelösten
Erwartungen sowie den Bewertungen eines antizipierten Handlungsergebnisses und deren
Einfluss auf die Bereitschaft sich anzustrengen.
Abb. 14: Drei Arten von Erwartungen in einem erweiterten kognitiven Motivationsmodell (Sander, Lernstörungen, S.34)
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Abb. 15: Aussagelogische Sequenz von Fragen und Antworten, die der Entscheidung zum Handeln zugrunde liegen
(Sander, Lernstörungen, S. 36)
Die durch eine Situation ausgelösten Erwartungen und Bewertungen hängen u.a. von
bestimmten Einstellungen (Kognitionen) der Schülerpersönlichkeit ab. Solche Einstellungen
sind die sogenannte Kausalattribution und die Einschätzung der Kontrollierbarkeit einer
Situation (Selbstverantwortlichkeit). Unter Kausalattribution versteht man subjektive
Erklärungen für das Zustandekommen von Erfolg oder Misserfolg. Besonders häufig
verwendete Kausalattribuierungen in leistungsthematischen Situationen sind die Begabung
(internal stabil), die Anstrengung (internal variabel), die Aufgabenschwierigkeit (external
stabil) und der Zufall (external variabel). Besonders ungünstig für die Auslösung
lernmotivierten Verhaltens ist die bei Mißerfolgsängstlichen zu beobachtende Tendenz bei
Erfolg external, variabel und bei Misserfolg internal, stabil zu attributieren.
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Tab. 1 Zweidimensionales Klassifikationsschema der Kausalattribuierung nach Weiner (Sander, Lernstörung, S.37)
Unter Selbstverantwortlichkeit oder Kontrolle versteht man die Wahrnehmung der
willentlichen Beeinflussung der Umwelt durch eigenes Handeln. Die Erwartung, dass
Konsequenzen unabhängig vom eigenen Handeln eintreten, senkt die Motivation, diese
Konsequenz unter Kontrolle zu bringen; man ist hilflos. Aufgrund des typischen
Attribuierungsmusters Misserfolgsängstlicher fühlen sich diese Schüler wenig verantwortlich
für Erfolg, dagegen stark verantwortlich für Misserfolg. Sind sie nach zahlreichen
Misserfolgen sicher, dass weiterer Misserfolg unabwendbar ist, werden sie passiv, apathisch
und resignativ (Zustand gelernter Hilflosigkeit). Ihre Lernmotivation ist praktisch gleich Null.
Erst in jüngster Zeit wird einer weiteren Determinante der Lernmotivation verstärkt
Aufmerksamkeit gewidmet, der sogenannten sachinhärenten Motivation, umgangssprachlich
als Interesse bezeichnet. Unter Interesse versteht man eine Motivation, welche die Lösung
einer Aufgabe oder die Klärung eines Problems um ihrer bzw. seiner selbst willen bezweckt.
Das heißt, das Ergebnis einer Handlung führt zu Folgen, die selbst wieder als anreizend erlebt
werden (Kompetenzgefühl; Gefühl einem aufgabenspezifischen Oberziel einen Schritt näher
gekommen zu sein; sachliche Bezugsnorm!). Sachinteresse verbessert vermutlich die zur
Lösung einer Aufgabe notwendigen Informationsverarbeitungsprozesse sowie die gesamte
Lernmotivation. Die Ausbildung von Interessen im Rahmen der Schule, aber auch das
Nachlassen der Interessiertheit, hängt weitgehend von den dort vorgefundenen
Lernbedingungen ab. In diesem Zusammenhang spricht man auch von dem sogenannten
"flow-Erleben".
Die Lernmotivation beeinflusst in starkem Maße das Arbeitsverhalten von Schülern. Das
Arbeitsverhalten kann aber auch durch rein äußerliche Bedingungen beeinträchtigt sein sowie
durch Probleme bei der kognitiven Bewältigung einer Aufgabe. Weitere Bedingungsfaktoren
sind z.B. eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit, ein ungünstiger Reaktionsstil z.B.
Impulsivität und schlechte Arbeitstechniken.
Übungsaufgaben
1. a) Welche Merkmale gelten nach Krapp als Determinanten der Schulleistung?
b) Erklären Sie das Modell zur Darstellung der Bedingungsfaktoren der Schulleistung
nach Krapp!
2. a) Welche Bedingungsfaktoren der Schulleistung liegen im Bereich der
Schülerpersönlichkeit?
b) Nennen Sie organische Faktoren, die Lernstörungen verursachen!
3. Welche Störungen können folglich im schulischen Leistungsbereich auftreten?
4. Wovon hängt die Ausprägung organischer Schäden letztlich ab?
5. a) Erklären Sie den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung, und
warum er nicht so groß ist, wie allgemein angenommen wird!
b) Welche Folgen hat der relativ geringe Zusammenhang zwischen Schulleistung und
Intelligenz für die Prognosen von Lernstörungen?
6. Was ist ein "Schwellenwertbereich"? Erklären Sie den Begriff anhand eines Beispiels!
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7. Weshalb ist das Bestimmen des IQ der Schüler für den Lehrer wenig bedeutsam?
8. Was ist für den Einsatz von Lernhilfen wichtiger?
9. Nennen Sie einige wichtige nicht-kognitive Einflussgrößen auf die Schulleistung!
10. a) Was versteht man in der pädagogischen Literatur unter Schulangst?
b.) Welche Unterscheidung von Angst muss gemacht werden, und wovor hat ein
Schüler Angst?
11. Erklären Sie, warum Schüler mit hoher Leistungsängstlichkeit schneller als andere
dazu tendieren, relativ neutrale Schulsituationen als bedrohlich und gefährlich
einzuschätzen! (Gefühlstheorie nach Lazarus)
12. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Angst und Schulleistung?
13. a) Erklären Sie den Begriff "Selbstkonzept"!
b) Nennen Sie Merkmale des Selbstkonzepts!
c) Wie teilt es sich hierarchisch auf?
14. Erklären Sie anhand eines Beispiels, weshalb ein höheres Selbstkonzept zu geringer
Prüfungsangst führt!
15. Weshalb ist das Selbstkonzept eine Ursache der Schulleistung?
16. a) erklären Sie den Begriff "Lernmotivation"
b) Was versteht man unter "Anspruchsniveau"?
c) Erklären Sie, wie es zur positiven oder negativen Bewertung einer Leistung unter
dem Aspekt des Anspruchsniveaus kommt!
17. a) Wie wurde in den Anfängen der Lernmotiviationstheorie das Leistungsmotiv
erklärt?
b) Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich aus einer möglichen
Einflussnahme auf das individuelle Anspruchsniveau?
18. Wovon hängt der Ausprägungsgrad der Erfolgszuversicht oder der
Misserfolgsängstlichkeit ab? Geben Sie ein Beispiel!
19. Erklären Sie, wie sich das Anspruchsniveau mit dem Alter ändert!
20. Worin liegt die Ursache für die stärkere Abhängigkeit von äußeren Verstärkern bei
jüngeren Kindern?
21. Erklären Sie den das Modell der Lernmotivation nach Heckhausen!
22. a) Erklären Sie den Begriff "Kausalattribution"!
b) Welche Kausalattribuierungen werden meist verwendet?
c) Wie beeinflusst die Art der Ursachenerklärung die Erwartungshaltungen und
Bewertungen?
23. Welche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Attribuierungsmuster bei
Erfolgsmotivierten und Misserfolgsängstlichen?
24. Welchen Einfluss hat die Selbstverantwortlichkeit für Handlungsergebnisse auf die
Leistungsangst?
25. a) Beschreiben Sie die Theorie der gelernten Hilflosigkeit nach Seligman!
b) Zu welchen unterschiedlichen Kausalattribuierungen kann es kommen? Erklären
Sie diese!
26. a) Warum kann Angst zu Depression werden?
b) Welche Folgen hat das für den Schüler?
27. Wie wird der Begriff "Interesse" in der Literatur noch bezeichnet?
28. a) Welche Rolle spielt das Interesse im weiter oben besprochenen Motivationsmodell
(Heckhausen)?
b) Was ist "sachinhärente Stimulation"?
c) Besteht ein Zusammenhang zwischen Interesse und Schulleistung?
d) Wie können Interessen gebildet werden?
e) Erklären Sie, wodurch starkes Interesse durch schulische Bedingungen vermindert
werden kann!
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29. Worauf kann ein gestörtes Arbeitsverhalten zurückzuführen sein?
30. a) Was ist Konzentration?
b) Wodurch ist sie gekennzeichnet?
c) Weshalb ist es so schwierig, die Diagnose "Konzentrationsstörung" zu stellen?
d) Nennen Sie Ursachen der Konzentrationsstörung!
31. a) Welche unterschiedlichen Reaktionsstile gibt es?
b) Wovon hängen kognitive Stile ab?
5.2 Die Familie als Bedingungsfaktor von Schulleistung
Die Familie ist eine entscheidende Sozialisationsinstanz, durch die dem Kind Normen, Werte
und Einstellungen sowie der Gebrauch der Sprache vermittelt werden. In Untersuchungen, die
den Einfluss von Merkmalen der Familie auf die Schulleistung von Kindern untersuchten,
wird gewöhnlich zwischen Struktur- und Prozessmerkmalen unterschieden.
Unter Strukturvariablen versteht man Merkmale, welche die äußere Situation einer Familie
beschreiben. Der Einfluss von Strukturvariablen, die häufig untersucht worden sind, kann wie
folgt zusammengefasst werden: Ein gestörtes Familienleben sowie Heimaufenthalt wirken
sich negativ auf die gesamte Entwicklung des Kindes aus.
Zwischen mütterlicher Berufstätigkeit und Schulleistung haben sich keine Zusammenhänge
gezeigt. Die negativen Zusammenhänge zwischen Schulleistung und Unvollständigkeit der
Familie sowie hoher Kinderzahl müssen vorsichtig interpretiert werden.
Unter Prozessvariablen versteht man Merkmale, welche die Beziehungen der
Familienmitglieder untereinander beschreiben oder sich auf Einstellungen und
Erwartungshaltungen beziehen. Unter den Prozessmerkmalen ist der elterliche Erziehungsstil
das am häufigsten untersuchte Merkmal. In der Erziehungsstilforschung wird gewöhnlich
zwischen zwei Dimensionen des Erzieherverhaltens unterschieden: Kontrolle versus
Autonomie und Zuwendung versus Ablehnung.
Abb. 16: Modell der Dimensionen des mütterlichen Erziehungsverhaltens (Sander, Lernstörungen, S.51)
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Positive Auswirkungen auf die Schulleistung zeigt ein Erziehungsstil, der durch ein hohes
Ausmaß an Zuwendung und die Gewährung eines relativ hohen Grades an Autonomie
gekennzeichnet ist. Geringe Zuwendung aber auch hohe Zuwendung bei sehr starker
Kontrolle wirkt sich eher ungünstig auf die Schulleistung aus.
Struktur- und Prozessmerkmale stehen in engem Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Milieu, dem eine Familie angehört. Dieses wird in hohem Maße durch ihren
Sozialstatus bestimmt.
Abb. 17: Einflussfaktoren des sozio-ökonomischen Milieus (Sander, Lernstörungen, S. 54)
In der Forschung wurde zur Erfassung der Milieuvariable meist ein die Wirklichkeit
vereinfachendes, bipolares Schichtmodell zugrunde gelegt. Zahlreiche Untersuchungen
kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Unterschichtkinder im Durchschnitt
schlechtere Schulleistungen erbringen als Mittelschichtkinder. Das Zusammentreffen
bestimmter, eine Schicht charakterisierender Strukturmerkmale macht vermutlich das
gemeinsame Auftreten einer Reihe von Prozessmerkmalen wahrscheinlich, welche die
Einstellungs- und Verhaltensmuster von Kindern einer Schicht in typischer Weise
beeinflussen.
Prozessmerkmale, die im Zusammenhang mit der Schichtproblematik untersucht wurden, sind
vor allem Weltorientierungen und Einstellungen, Erziehungspraktiken und die Form der
sprachlichen Kommunikation.
In Bezug auf Wertorientierungen und Einstellungen wird die Unterschichtfamilie als
partikularistisch bzw. familistisch, passiv und gegenwartsorientiert beschrieben.
Die Mittelschicht wird dagegen als aktivistisch und zukunftsorientiert beschrieben.
Während in der Unterschicht das starre Einhalten von rollenkonformen Verhalten als
erwünscht angesehen wird, ist die Mittelschicht eher individualistisch eingestellt. Diese
unterschiedlichen Wertorientierungen drücken sich auch im schichtspezifischen
Sprachverhalten und den schichtabhängigen Erziehungspraktiken aus.
Die Mittelschicht verfügt über einen elaborierten Sprachkode, ihre Erziehungspraktiken
werden als argumentierend-ermutigend beschrieben. In der Unterschichtfamilie herrscht
dagegen ein restringierter Sprachkode vor, ihre Erziehungspraktiken sind eher verbietendeinengend.
Tab. 2: Hauptmerkmale des restringierter und elaborierten Sprachkodes (Sander, Lernstörungen, S.57)
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Das Zusammentreffen dieser Prozessmerkmale in der typischen Unterschichtfamilie
beeinflusst die Lernmotivation und das Sprachverhalten, möglicherweise auch die
Entwicklung der Denkprozesse der Kinder in einer für die Schulleistung ungünstigen Weise.
Der Schichtbegriff stellt allerdings eine zu grobe Vereinfachung der Wirklichkeit dar. In
neuerer Zeit versucht man deshalb, die häusliche Lernumwelt differenzierter zu erfassen.
Übungsaufgaben
1. Beschreiben Sie die Familie als Sozialisationsinstanz.
2. Die psychologische Forschung macht beim Einfluss der Familie auf die Schulleistung
einen Unterschied zwischen Prozess- und Strukturmerkmalen. Erklären Sie den
Unterschied!
3. Nennen Sie einige Ergebnisse von Untersuchungen der Beziehung zwischen
Strukturmerkmalen und Schulleistung!
4. Beschreiben Sie das Modell der Dimensionen der mütterlichen Erziehereinstellung
nach Weinert
5. Was versteht man unter dem sozioökonomischen Milieu einer Familie?
6. Inwiefern ist das bipolare Schichtmodell zu kritisieren?
7. a) Welcher Zusammenhang besteht zwischen Schichtangehörigkeit und Schulleistung?
Nennen und erklären Sie einige Merkmale, die miteinander korrelieren!
b) Wie lassen sich solche Zusammenhänge erklären?
8. a) Was versteht man unter partikularistischer Wertorientierung? Geben Sie Beispiele!
b) Was versteht man unter universalistischer Orientierung?
9. Erklären Sie die auf Bernstein zurückgehende Kode-Theorie!
10. Welches ist das wesentlichste Merkmal des restringierten Kodes?
11. Wann treten für restringiert sprechende Personen Probleme auf, wenn mit fremden
Gruppen kommuniziert werden soll? Vergleichen Sie das Phänomen mit der Sprache
jüngerer Kinder!
12. a) Welcher Erziehungsstil herrscht in der Unterschicht, welcher in der Mittelschicht
vor?
b) Beschreiben Sie beide Erziehungsstile!
c) Geben Sie ein Beispiel!
13. a) Worauf haben die beschriebenen Prozessmerkmale der typischen
Unterschichtfamilie Einfluss?
b) Welche Folgen haben die Erziehungspraktiken der Unterschichtsfamilien?
c) Welche Folge hat die gewohnte Gegenwartsorientierung?
d) Erklären Sie, warum der restringierte Sprachcode bei jüngeren und bei älteren
Kindern zu Schwierigkeiten in der Schule führt!
14. Welche Folgen hat sprachliche Kontextgebundenheit von Kindern in der Schule?
15. a) Weshalb lässt der Lehrer sich in seiner Leistungsbeurteilung durch die Sprache des
Kindes beeinflussen?
b) Welche Folge hat das für die Einstellung des Lehrers?
c) Wozu führt die Verfestigung der Einstellung des Lehrers?
16. Welche Rolle spielt die Sprache für die Denkentwicklung, insbesondere für das Lösen
von Problemen?
17. a) Weshalb sind der Schichtbegriff und die Theorie zur schichtspezifischen
Sozialisation für die pädagogische Praxis wenig hilfreich?
b) Weshalb ist die Zuordnung zu einer Schicht im Einzelfall schwierig und wenig
bedeutsam?
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5.3. Die Schule als Bedingungsfaktor von Schulleistung
Die Ursachen für die Qualität der Schulleistung im Schulbereich liegen im sozio-emotionalen
Klima einer Schulklasse oder Schule oder in Faktoren des Unterrichts im engeren Sinn.
Unter sozio-emotionalem Klima versteht man die Gefühle und Gefühlsbeziehungen, die
während der Interaktion von Gruppenmitgliedern entstehen. Wichtige Einflussgrößen des
sozio-emotionalen Klimas einer Schulklasse sind die Schüler-Schüler-Interaktionen, die
Lehrer-Schüler-Interaktionen sowie die Einstellungen und Erwartungshaltungen von Lehrern.
Das Schülerverhalten und die subjektive Befindlichkeit eines Schülers hängen zu einem
wesentlichen Teil von den Beziehungen zu seinen Mitschülern ab. Wieweit der einzelne
Schüler in den Klassenverband integriert ist, hängt von der spezifischen Struktur einer
Schulklasse ab.
Welche Merkmale einen Schüler bei seinen Klassenkameraden beliebt oder unbeliebt machen,
bzw. seinen Rang in der Klassengemeinschaft bestimmen, hängt u.a. vom Alter der Schüler
ab. Kinder mit schwachen Schulleistungen geraten, vor allem in den unteren Klassen,
besonders häufig in die Außenseiterposition. Da das Gefühl der Isolierung das
Selbstwertgefühl bedroht, entwickeln Außenseiter häufig "Sicherungsmechanismen" zur
Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls. Diese Einstellungen und Verhaltensweisen wirken
sich negativ auf die Lernmotivation aus, so dass die Schulleistung mit hoher
Wahrscheinlichkeit weiter absinkt. Ein Ausbrechen aus diesem negativen Kreisprozess ist
durch eigene Anstrengung meist nicht möglich.
Ob Kinder mit schwachen Schulleistungen in die für ihren Lernfortschritt ungünstige
Außenseiterposition kommen, hängt weitgehend vom Lehrerverhalten, das heißt, von der Art
der Lehrer-Schüler-Interaktion ab.
Der Lehrer-Schüler-Interaktion galt vor allem das Interesse der sogenannten
Unterrichtsstilforschung. Ausgangspunkt dieser Forschungsrichtung waren
sozialpsychologische Studien zum Führungsstil, denen zufolge drei Führungstypen, der
autokratische, der demokratische und der laissez-faire Typ unterschieden wurden. Das
Typenkonzept erwies sich bald als die Realität zu vereinfachend und wurde durch ein
Dimensionskonzept abgelöst. Zur Beschreibung des Lehrerverhaltens werden hier zwei
Hauptdimensionen verwendet, eine Lenkungs- und eine emotionale Dimension.
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Abb. 18: Hauptdimensionen des Erziehungsverhaltens (Sander, Lernstörungen, S.71)
Während man ohne Kenntnis der Lernaufgaben und der Lernvoraussetzungen der Schüler
keine Angaben über ein günstiges oder ungünstiges Ausmaß an Lenkung bzw. Strukturierung
des Unterrichts machen kann, muss ein geringes Ausmaß an emotionaler Wärme des Lehrers
grundsätzlich als eine ungünstige Lernbedingung für Schüler angesehen werden.
Das Dimensionskonzept analysiert den Einfluss von Erziehungsprozessen nur in einer
Richtung. Es berücksichtigt nicht, dass Einflüsse des sozialen Umfeldes sowohl auf Lehrer als
auch auf Schüler wirken, und dass auch das Schülerverhalten im Sinne einer Rückmeldung
auf den Lehrer wirken kann, die ihrerseits das Lehrerverhalten verändert.
Abb. 19: Ein transaktionales Modell der Lehrer-Schüler-Interaktion (Sander, Lernstörungen, S.74)
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Inwieweit der Lehrer in der Lage ist, sein Verhalten in angemessener Weise aufgrund der
Wahrnehmung des Schülerverhaltens zu korrigieren, hängt von dem Grad der Flexibilität
seiner Einstellungen und Erwartungshaltungen ab. Im Zusammenhang mit der Untersuchung
des Einflusses von Lehrereinstellungen auf die Lehrer-Schüler-Interaktion wurden die
sogenannten impliziten Persönlichkeitstheorien von Lehrern und damit in Zusammenhang
stehende Stereotypisierungen in der Wahrnehmung untersucht.
Lehrer unterscheiden sich im Grad ihrer Wahrnehmungsstereotypisierung. Im Extremfall
werden nur zwei Klassen von Schülern wahrgenommen, gute und schlechte, bzw. faule und
fleißige. Stereotype Einstellungen und Erwartungshaltungen von Lehrern führen zu einer
Voreingenommenheit in der Ursachenzuschreibung der Schulleistung von Schülern. Diese
Attributionsvoreingenommenheit kann eine Erklärung dafür sein, dass Lehrer schwache
Schüler vielfach anders behandeln als gute Schüler. Die Erwartungshaltung des Lehrers
beeinflusst die Art seiner Interaktion mit dem Schüler. Dadurch dass der Lehrer Schüler, die
er für wenig begabt hält, anders behandelt als solche, die er für begabt hält, kann es zum
sogenannten Pygmalion-Effekt, einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommen. Schüler
übernehmen im Laufe eines länger dauernden Interaktionsprozesses die negative
Erwartungshaltung des Lehrers bezüglich ihrer Schulleistung und bilden ungünstige
Attribuierungsmuster aus. Dadurch wird ihrer Lernmotivation negativ beeinflusst. Ihre
Schulleistung wird entsprechend schwach sein, was die ursprüngliche Erwartung des Lehrers
bestätigt. Diese Erwartungseffekte treten aber nicht bei allen Lehrern, nicht bei allen Schülern
und nur in bestimmten Schulsituationen auf.
Unter Berücksichtigung der individuellen Unterschiede zwischen Lehrern hinsichtlich der
Wahrscheinlichkeit der Produktion von Erwartungseffekten werden drei Lehrertypen
unterschieden, der proaktive, der überreaktive und der reaktive Lehrertyp.
In Bezug auf die Entstehung und Manifestation von Lernstörungen ist der überreaktive Lehrer
am ungünstigsten zu beurteilen. Er produziert am stärksten negative Erwartungseffekte. Aber
auch der reaktive Lehrer stellt keine günstige Bedingung im Sinne einer Vorbeugung von
Lernstörungen dar.
Unter Unterricht im engeren Sinne versteht man den methodisch didaktischen Aspekt
schulischer Lehrprozesse. Faktoren von Unterricht im engeren Sinn, die im Zusammenhang
mit Lernstörungen diskutiert werden, sind die Art der Leistungsbeurteilung sowie die
Unterrichtsqualität im Sinne einer zu geringen Anpassung an die Lernvoraussetzungen der
Schüler. Die Leistungsbewertung im gegenwärtigen Schulsystem betont die soziale
Bezugsnorm. Diese kann insofern zu einem Ursachenmoment von Lernstörung werden bzw.
diese manifestieren, als Schüler, die über längere Zeit immer an den untersten Stellen in der
Rangreihe stehen, ständig Misserfolgserlebnissen ausgesetzt sind, was sich ungünstig auf ihre
Lernmotivation auswirken wird. Aus der Wahl einer sozialen Bezugsnorm bei der
Leistungsbeurteilung resultiert eine didaktische Zuordnungsstrategie. Schüler werden ihrem
Rangplatz, den sie hinsichtlich ihrer Schulleistung einnehmen, entsprechend verschiedenen
didaktischen Maßnahmen zugeordnet, wie z.B. Wiederholung einer Klassenstufe, Zuweisung
zur Sonderschule etc. Didaktische Zuordnungsstrategien basieren auf dem sogenannten
medizinischen Diagnosemodell, das die Messung des Ausprägungsgrades von Eigenschaften
im Vergleich mit anderen Personen nahe legt. Da davon ausgegangen wird, dass es sich bei
den gemessenen Eigenschaften um relativ stabile Persönlichkeitseigenschaften handelt, wird
aufgrund einer oder weniger Messungen die Zuordnung zu einer pädagogischen Maßnahme
veranlasst. Ob die Entscheidung sich als richtig erweisen wird, hängt von der prognostischen
Validität des Messinstrumentes ab, aufgrund dessen die Entscheidung getroffen wird. Es gibt
aber kein Messinstrument, von dem bekannt ist, dass es fehlerfreie Vorhersagen über die
weitere Entwicklung von Schüler gestattet, zumal der Einfluss künftiger Lernbedingungen
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nicht vorhergesagt werden kann. Bei der Anwendung von Zuordnungsstrategien muss deshalb
grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Teil von Schülern aufgrund von
fehlerhaften Prognosen einer Maßnahme zugeleitet wird, die ihren Fähigkeiten nicht
entspricht, sie also durch die Institution (Kurs etc.), der sie zugewiesen wurden, über- oder
unterfordert sind. Solche Fehlentscheidungen können zu einem Ursachenfaktor von
Lernstörungen werden.
Merkmale, welche die Qualität von Unterricht bestimmen, sind u.a. "Initiative und
Abwechslung", "Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung" und ein dem Lehrstoff
entsprechender Unterrichtsaufbau. Darüber hinaus gilt allgemein, dass ein Unterricht um so
effektiver sein wird, je besser es gelingt, ihn den Lernvoraussetzungen der jeweiligen
Schülergruppe anzupassen. In diesem Sinne bestimmt der Grad der Individualisierung die
Unterrichtsqualität. Ein Unterricht wird um so eher zu Lernschwierigkeiten führen, je weniger
es gelingt, ihn an die Lernvoraussetzungen der Schüler anzupassen.
Aufgrund einer zu geringen Individualisierung hinsichtlich Lernzeit und Lernhilfen (das
Problem der Passung!) ist im derzeitigen Schulsystem ein kumulatives Leistungsdefizit zu
beobachten. Man versteht darunter die Tatsache, dass sich die zu Beginn der Schulzeit
bestehenden Unterschiede in den Lernvoraussetzungen zwischen guten und schwachen
Schülern im Laufe der Schulzeit erheblich ausweiten.
Übungsaufgaben
1. Nennen Sie verschiedene Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung und erklären Sie
diese näher.
2. Diskutieren Sie Vor- und Nachteile verschiedener Bezugsnormen.
3. Erklären Sie das medizinische Diagnosemodell.
4. Welche Folgen hat die Übernahme des medizinischen Diagnosemodells für
pädagogische Maßnahmen?
5. Was versteht man unter Selektion, Platzierung und Klassifikation?
6. Inwiefern können Zuordnungsentscheidungen Ursache für Lernstörungen werden?
7. Nennen Sie Merkmale eines guten Unterrichts.
8. Was versteht man unter kumulativem Leistungsdefizit, Schereneffekt und Passung?
9. Diskutieren Sie das Problem von Zuordnungsstrategien im schulischen Kontext!
10. Was versteht man unter Passung?
11. Erklären Sie, wie man durch schulorganisatorische Maßnahmen die Entstehung eines
kumulativen Leistungsdefizits verringern kann.
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