Kindertagesstätten - Chance für soziales Lernen und Kinderschutz 1. Vorstellung: Ich heiße Astrid Wilhelm, bin Familientherapeutin und arbeite als solche seit 2002 im Bereich Hilfen zur Erziehung in Frankfurt (Oder). Seit 1994 bilde ich nebenberuflich u.a. Erzieherinnen aus Kita `s auf dem Gebiet der Suchtprävention fort. Seit Juni ` 06 bin ich freiberuflich als Familientherapeutin und Fortbildnerin tätig. Meinen Vortrag möchte ich mit einer Geschichte von Astrid Lindgren beginnen. 2. Geschichte „Der Stein“: Die entscheidende Frage in der Kindererziehung scheint zu sein: Wie können wir unseren Kindern Werte vermitteln? Die Pyramide der Einflussnahme gibt hier eine plausible Antwort (Folie) . Diese Pyramide macht deutlich, dass das Vorbild von Eltern den größten Einfluss auf Kinder hat, gefolgt von der Art der Beziehung, die Eltern zu ihren Kindern haben und erst dann kommen die gesprochenen Worte. Eine Mutter sagte einmal in einer Elternrunde sehr treffend, wie ich finde: Du kannst reden was du willst, deine Kinder machen dir doch alles nach. Bezogen auf die Geschichte hieße dass langfristig, dass die sicherste Methode Kinder zu Gewalt zu erziehen wäre, ihnen ein negatives Vorbild zu sein. Die von der Nachbarin geforderte Körperstrafe hätte außerdem kurzfristig wohl kaum dem Jungen gezeigt, wie er es richtig machen soll, sie hätte höchstens für einen Moment das unerwünschte Tun gestoppt - bis zum nächsten Mal. Fangen Eltern mit Schlägen an zu erziehen, fragt sich, wann sie damit aufhören wollen, wenn das Kind drei, sieben oder dreizehn Jahre ist oder erst dann, wenn es zurückschlägt? Deutschland hat 1990 die Konvention der Uno – Vollversammlung über die Rechte der Kinder unterzeichnet. Daraufhin ist der §1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches geändert worden. Seit November 2000 steht im Absatz 2 des § 1631 BGB: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Was heißt das für Eltern ? Das heißt, dass: gewaltfreie Erziehung unserer Kinder selbstverständlich sein sollte sich Mütter und Väter Gedanken machen müssen, wie sie ihren Kindern anders Grenzen setzen können Erwachsene Alternativen im Umgang mit ihren Kindern erlernen müssen Eltern anfangen sich klar zu werden, was seelische Verletzungen und entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind Erwachsene sich über ihre eigenen Verletzungen in ihrer Kindheit bewusst werden 3. Meine Berufliche Praxis Besonders Letzteres ist für viele Erwachsene sehr schmerzlich, wird deshalb verdrängt, geleugnet und leider, wie meine berufliche Praxis immer wieder bestätigt, bei den eigenen Kindern oft auch wiederholt. Häufig hörte ich von Frauen und 1 Männern, wenn ich sie mit ihren grenzüberschreitenden Handlungen ihren Kindern gegenüber konfrontierte, die Worte: „ Das ist doch keine Gewalt, sie hätten mal erleben sollen, wie meine Mutter/ mein Vater mit uns umgegangen sind!“ Nicht nur einmal waren die Spuren an ihren Körpern noch nach Jahrzehnten zu sehen. Eine Frau hatte von den Misshandlungen durch ihre Mutter einen steifen Arm, eine andere eine große Narbe an der Nase durch die Misshandlung mit einem Feuerhaken, eine dritte Verbrennungen am ganzen Körper, von den seelischen Verletzungen ganz zu schweigen. Dennoch liebten sie ihre Eltern und wollten so vieles mit ihren eigenen Kindern anders, besser machen. In meiner 5-jährigen beruflichen Praxis als Familientherapeutin begleitete ich bisher über 50 Familien. In ca. 60 % dieser Fälle konnten Familienmitglieder kindeswohlgefährdende Handlungen selbst offen machen und bis auf zwei Familien Hilfe annehmen. Viele waren bereit, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, ihre Anteile an der gewaltsamen Situation zu erkennen und Alternativen im Umgang mit ihren Kindern zu erlernen. Immer wieder erlebe ich die große Hilflosigkeit und Verzweiflung dieser Menschen aber auch eine tiefe Dankbarkeit, dass ihnen Grenzen gesetzt und eine helfende Hand gereicht wird. In Zusammenarbeit mit Kollegen des Brandenburger Instituts für Familientherapie haben wir ein Konzept „Familientherapie bei Kindeswohlgefährdung“ erarbeitet und mehrfach erfolgreich in der Praxis angewandt. Das Konzept kann ich interessierten KollegInnen bei Bedarf vorstellen, ist jedoch nicht Thema meines heutigen Vortrages. 4. Umsetzung des § 8a in die Praxis von Kindertagesstätten Jetzt möchte ich auf die vom Gesetzgeber im § 8a geforderte Umsetzung durch freie Träger, wozu auch die Kindertagestätten zählen, eingehen. In Absatz 2 des § 8a steht , dass freie Träger den Schutzauftrag wie folgt wahrzunehmen haben: (Folie) A Wahrnehmen von gewichtigen Anhaltspunkten von Kindeswohlgefährdung (KWG) B Abschätzung des Gefährdungsrisikos im Team unter Hinzuziehung einer insofern erfahrenen Fachkraft im Rahmen einer kollegialen Beratung C Hinwirken der Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten (PSB) auf die Inanspruchnahme von Hilfe D Information des Jugendamtes, wenn Hilfe von PSB nicht angenommen wird oder zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht ausreichend ist Hinweis: Unter Einbeziehung der betroffenen PSB, Kinder und Jugendlichen Der Gesetzgeber gibt den freien Trägern mit dem § 8a sehr viel mehr Handlungsspielraum, aber auch mehr Verantwortung. In Fortbildungen, die wir für Mitarbeiter öffentlicher und freier Träger seit 1,5 Jahren in Sachsen Anhalt im Rahmen von Zertifikatskursen durchführen, wird immer wieder deutlich, dass das nicht nur positiv von MitarbeiterInnen freier Träger aufgenommen wird. Sie wünschen sich Handlungssicherheit, Rechtssicherheit und Erfahrungsaustausch mit KollegInnen. Wir haben eine Fortbildung konzipiert, die dem Rechnung trägt. Dieser Zertifikatskurs umfasst 4 Blöcke a zwei Tage und hat folgende Schwerpunkte:(Folie) 2 1.Block: Gefährdungsabschätzung und Tatsachenfeststellung 2. Block: Falldokumentation und kollegiale Beratung 3. Block: Schutz- und Hilfskonzepte 4. Block: Transferkontrolle Was in 8 Tagen vermittelt wird, kann nicht Inhalt eines 30-minütigen Referates sein, deshalb möchte ich an exemplarischen Beispielen versuchen, Ihnen den § 8 a etwas näher zu bringen. Zu A) KWG ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussagen lässt. Entscheidend dabei ist die prognostische Einschätzung der Entwicklungsdynamik im familiären System und damit die Einschätzung des Gefährdungsrisikos für das Kind. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass eine sichere Prognose im Bereich menschlichen Handels schwer möglich ist. Oft erscheint uns in der Rückschau die Situation logisch, die Vorausschau ist aber schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Wir gehen von 4 Formen der KWG aus, die da wären: Kindesvernachlässigung, Körperliche, sexuelle und seelische Misshandlung. Was unter gewichtigen Anhaltspunkten zu verstehen ist, möchte ich Ihnen am Bsp. der Vernachlässigung von Kindern deutlich machen. Vielerorts spricht man von Vernachlässigung der Vernachlässigung und geht von 10% der KWG Handlungen aus. Deshalb und weil die Beobachtung von Vernachlässigungserscheinungen in ihrem Berufsfeld gut möglich ist, möchte ich auf diese Form der KWG näher eingehen. (Folie) Angelehnt an den Stuttgarter Kinderschutzbogen haben Kinder folgende Rechte. Ihre Nichtgewährung macht den Tatbestand der Vernachlässigung aus: Recht auf ausreichende Körperpflege Recht auf geeigneten Wach- und Schlafplatz Recht auf schützende Kleidung Recht auf altersgemäße Ernährung Recht auf sachgemäße Behandlung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen Recht auf Schutz vor Gefahren Recht auf Zärtlichkeit, Anerkennung und Bestätigung Recht auf Sicherheit und Geborgenheit Recht auf Individualität und Selbstbestimmung Recht auf Ansprache Recht auf langandauernde Bindung 3 Diese Rechte erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend, fragt man jedoch nach ganz konkreten Beobachtungen, die auf eine Verletzung des einzelnen Rechtes hinweisen, wird es schon schwieriger. Deshalb erhalten die TeilnehmerInnen in unseren Fortbildungen die Aufgabe in Kleingruppen jeweils drei ganz konkrete Beobachtungen, die die Verletzung des jeweiligen Kinderrechtes ausmachen, für einen ½-jährigen Säugling, ein 6-jähriges Kind und einen 12-jähriges Kind zu formulieren. Dabei geht es nicht darum zu sagen, das Kind hat keine witterungsentsprechende Kleidung, oder die Windel ist voll, sondern was genau ist wie oft über welchen Zeitraum von wem genau als nicht witterungsentsprechend an der Kleidung bzw. nicht ausreichende Körperpflege wahrgenommen worden. Es geht darum mit allen Sinnen wahrzunehmen und alles Gesehene, Gehörte, Gerochene ( im Fall der vollen Windel z.B. gut möglich), Gefühlte, Geschmeckte zu dokumentieren. Außerdem sollte schriftlich erfasst werden, wann die Eltern auf die konkreten Beobachtungen hin angesprochen wurden, welche Reaktion daraufhin erfolgte und ob eine Verbesserung der beobachteten Situation eintrat. Gespräche sollten dabei im O-Ton dokumentiert werden, die größte Sicherheit bietet dabei die Dokumentation auf Tonträger. Eine Empfehlung für eine kurze und übersichtliche Dokumentation bei Kindesvernachlässigung könnte folgender Beobachtungsbogen sein. (Folie) Bitte verstehen Sie diesen als Anregung, jede Einrichtung sollte sich ein eigenes Verfahren zum Vorgehen bei möglicher KWG, was eine geeignete Dokumentation einschließt, erarbeiten. Das kann nur im Dialog im Team erfolgen, alles andere wäre ein bloßes Überstülpen von Materialien, was sich spätestens in der Praxis als untauglich erweist. Folgende Zahlen sind ein dringender Hinweis auf die Notwendigkeit einer genauen Wahrnehmung, der gewissenhaften Dokumentation der konkreten Beobachtungen und der verantwortungsvollen Weitergabe dieser. In Brandenburg wurden von der Fachstelle für Kinderschutz Start gGmbH Akten von 28 Fälle von KWG, die im Zeitraum 2000 bis 2005 mit tödlichem Ausgang bzw. schweren Behinderung als Folge einhergingen, recherchiert. Das Alter der Kinder betrug bis zu 12 Jahren, der Schwerpunkt lag bei 0 bis 2-Jährigen. 17 Kinder, die i.F. der Misshandlung/Vernachlässigung starben bzw. schwere körperliche Behinderungen als Folge erlitten, waren im Alter bis zu 6 Monaten, 11 zwischen 2 und 12 Jahren. 19 Kinder wurden Opfer nach einmaliger Misshandlung, davon 9 direkt nach der Geburt. Je jünger das Kind, um so größer das Risiko, dass Kinder Opfer von familiärerer Gewalt werden und bleibende Schäden davontragen. In 9 Fällen fand die Vernachlässigung über ein Jahr und länger statt. Es gab Fälle, in denen bis zu 21 Institutionen beteiligt waren und Informationen bis zu einem Jahr benötigten, ehe sie an entsprechende Stellen weitergeleitet wurden. Am Jahresende starb ein 4–jähriger Junge an den Folgen von Unterernährung. Er besuchte bis 17.12. 07 die Kita, wo keine Hinweise auf eine Vernachlässigung aufgefallen waren. Wenn ich diese Bsp.e nenne, geht es mir nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Sensibilisierung, Ernstnehmen, Verantwortung übernehmen. auch wenn sich der eine oder andere Fall als blinder Alarm herausstellen sollte. Wir alle sind aufgefordert wachsam zu sein, einen Stein als Erinnerung in unseren privaten Wohnungen, aber auch Einrichtungen und Institutionen zu haben. 4 Zu B) Um das Gefährdungsrisiko besser abschätzen zu können, fordert der Gesetzgeber weiterhin von MA freier Träger eine kollegiale Beratung unter Hinzuziehung einer insofern erfahrenen Fachkraft durchzuführen. Diese Fachkraft kann der Träger selbst vorhalten oder von Außen hinzuziehen. Anforderungen an eine insofern erfahrenen Fachkraft sind, um nur einige zu nennen, nach Kohaupt: Kenntnisse über rechtlichen Rahmen von KWG und Datenschutz Kenntnisse über Ursachen und Familiendynamiken in konflikthaften Beziehungen, Risiken und Ressourcen der Familien Professionelles Selbstverständnis im Umgang mit Gegenübertragungen, Abwehr der Familien Kenntnisse des Helfersystems und Kooperationsbeziehungen Kenntnisse über die innere Organisation und Vernetzung der zu beratenden Institution Beraterische/ Supervisorische Kompetenzen Fähigkeit schwierige Themen anzusprechen Rollenklarheit, denn die insofern erfahrene FK ist prozessbegleitend, beratend tätig und hat keinen direkten Kontakt zur Familie. Ohne Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeit mit Familien mit KWG und eine Fortbildung, welche o.g Schwerpunkte beinhaltet, sollte sich niemand zur insofern erfahrenen Fachkraft selbsternennen, wie es leider vielerorts geschieht. Die kollegiale Beratung zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos sollte nach einer festen Struktur an einem festen Ort erfolgen und moderiert werden. Diejenige, welche den Fall einbringt, stellt am Anfang eine Frage, deren Beantwortung die Beratung dient. Die Ergebnisse werden visualisiert, z.B. indem sie auf Flipchart geschrieben werden. Nach vereinbarter Zeit erfolgt eine Wiedervorstellung des Falls. Wenn die kollegiale Beratung bei Kindeswohlgefährdung ein Routineinstrument werden soll, wären die Rahmenbedingungen in Form einer Geschäftsordnung zu klären ( Wer kann einberufen? Wer nimmt teil? Welche Räumlichkeiten stehen zur Verfügung? Wie schnell soll die kollegiale Beratung stattfinden?) In unseren Fortbildungen stellen wir den TeilnehmerInnen verschiedene Formen kollegialer Beratung vor und üben diese an ihren Fällen aus der Praxis. Die gemeinsame Fallberatung bietet der einzelnen Fachkraft, welche oft sehr nah an dem Kind dran ist, eine distanziertere Betrachtung, verschiedene Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten. In Kinderschutzfällen sollten generell alle Sichtweisen gehört werden, besonders die der Außenseiter. Spätestens jetzt sollten die PSB in die Gefährdungsabschätzung einbezogen werden und auch über sie betreffende Inhalte der kollegialen Beratung informiert werden. Eltern haben das Recht und die Pflicht ihre Kinder zu erziehen, was den Kinderschutz mit einschließt. Transparenz und Offenheit ihnen gegenüber sind deshalb oberstes Gebot! Einzige Ausnahme ist, wenn die Einbeziehung der PSB die KWG erhöht! 5 ZU C) Der Gesetzgeber gibt Ihnen die Möglichkeit, bei den Eltern auf die Inanspruchnahme von Hilfe hinzuwirken. Viele Träger verfügen über eigene Angebote, wie z.B. Elterntrainings, Eltern-Kindgruppen, etc. Sie sollten jedoch auch über Hilfsangebote anderer Trägerin ihrer Region informiert sein, um Eltern ggf. ein geeignetes Angebot zu empfehlen. Fragen Sie die anderen Träger nach ihren Konzepten in der Arbeit bei KWG, kompetente Fachkräfte zeichnen sich durch Transparenz und Offenheit ihre Arbeit betreffend aus! Bitten Sie die Anbieter ihre Arbeit bei einem Elternabend vorzustellen oder begleiten Sie, wenn es Ihre Zeit erlaubt und von den Eltern gewünscht wird , diese in eine Beratungsstelle . Auch und gerade in Kinderschutzfällen haben Menschen das Recht sich ein passendes Hilfsangebot zu wählen, und mit dem betreffenden Helfer eine Vertrauensbeziehung aufzubauen. Leider wird das Wunsch- und Wahlrecht vielerorts nicht ernst genommen, was jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers ist. Sagen Sie den Familien, dass Sie auf ihre Mitarbeit zur Abwendung der KWG zählen und informieren sie diese, was sie tun werden, wenn sich nichts ändert. Auch hier ist es ratsam so konkret wie möglich mit den Betroffenen zu reden. Bis wann, soll sich was genau geändert haben; Was konkret soll die Kindesmutter, der Kindesvater tun, um die KWG abzuwenden; Was werden sie tun, wenn das nicht eintritt- z.B.: Ich werde das JA informieren, .......... wenn Sie nicht mitarbeiten, .......... wenn Ihr Kind weiterhin morgens mit nassen Windeln in die Kita kommt, ......... wenn Ihr Kind nochmals körperliche Symptome mit unklarer Ursache aufweist Nutzen Sie bei Bedarf erneut die Kollegiale Beratung, um Ihr Handeln zu reflektieren und Ihr weiteres Vorgehen im Team zu besprechen. An dieser Stelle sei mir noch ein kurzer Einblick in unsere familientherapeutische Arbeit aus der Sicht der Kinder gestattet. Gehen Sie davon aus, dass Kinder, wenn sie Ihnen von innerfamiliärer Gewalt erzählen, die Wahrheit sagen. Kinder öffnen sich mit dem Ziel, dass die Übergriffe aufhören, aber das Ende der Übergriffe nicht im Chaos endet! Kinder und Jugendliche, auch von innerfamiliärer Misshandlung betroffene, haben den Wunsch, dass ihre Familien zusammenbleiben! Sie wollen nicht, dass der Täter inhaftiert wird, sie selbst fremd untergebracht werden, Familien auseinander brechen. Kinder wollen nicht die Schuld/Verantwortung für das Chaos (nach der Aufdeckung) zugeschrieben bekommen. Oftmals hat die Bestrafung des Übergreifers, besonders wenn die Kinder die Beweise dafür geliefert haben, schwerwiegende Folgen für die Betroffenen selbst. Kinder fühlen sich (in Loyalität zu ihren Eltern mit dem Täter) schuldig, obwohl sie unschuldig sind. Kinder wollen, dass die Erwachsenen arbeiten und Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Dabei reicht es aus unserer Sicht nicht aus, den Täter zu bestrafen. Kontrolle und Bestrafung stellen zwar eine Verstärkung öffentlicher Werte und Normen dar, lassen jedoch die Beziehung, die Übergreifer und Kind haben, welche in die Destruktivität geführt haben, völlig außer acht. Die Familiendynamik, welche zu gewalttätigem Klima und letztlich zum Übergriff geführt hat, bliebe unverändert und der Zugang zu Interventionsmöglichkeiten ungenutzt. Aus der Erfahrung von Familientherapeuten ist innerfamiliäre Gewalt das Ergebnis einer Reihe von Risikofaktoren. Durch das Wissen um diese begünstigenden Faktoren, das Verstehen von Familien und der ihnen zugrunde liegenden 6 Familiendynamik können professionelle Helfer gezielt Einfluss nehmen. Ziele von familienorientierter Arbeit sind: 1. die Verantwortungsübernahme durch den Grenzverletzer für seine Übergriffe 2. die Verantwortungsübernahme durch den Elternteil, welcher das Kind nicht geschützt hat 3. weitere Übergriffe zu verhindern, ihre Folgen zu vermindern 4. Familiendynamik aus der Destruktivität zu führen 5. einen Heilungsprozess einzuleiten. Aus unserer Erfahrung ist das heilsamste für die Opfer die Verantwortungsübernahme, Wiedergutmachung und Entschuldigung durch den Übergreifer. Wenn wir über Verantwortung sprechen, befinden wir uns im Bereich von Lösungen. Diese enthalten Veränderungen auf der Muster- und damit auf der Beziehungsebene, welche die Symptome überflüssig machen. Zu Hilfebeginn ist es dennoch oft unumgänglich, dass die Familie zur Inanspruchnahme der Hilfe vom JA oder Familiengericht unter Erteilung von Auflagen aufgefordert wird. Dieser Ansatz ist unter Arbeit im Zwangskontext bekannt. Neben der Hilfe wird soziale Kontrolle durch die Helfer, das Jugendamt bzw. Familiengericht ausgeübt. Dabei wird der Kontrollauftrag im Hinblick auf Kindeswohlgefährdung vom Jugendamt und von den Helfern offensiv benannt. Für die Hilfe werden konkrete Ziele für die einzelnen Familienmitglieder formuliert, damit in Zukunft das Kindeswohl in der Familie gewährleistet ist, für das Nicht-Erreichen der Ziele werden negative Konsequenzen angekündigt. Zu D) Erst wenn die Hilfe, die Sie empfohlen haben, von den PSB nicht angenommen wird oder zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht ausreichend ist, haben Sie nach § 8a die Pflicht, das JA zu informieren. Um den Mitarbeitern im JA gezielte Handlungsschritte zu ermöglichen, ist eine gute, übersichtliche Dokumentation unumgänglich. Diese m.H. eines PC `s zu erstellen, sollte heutzutage kein Problem mehr sein. Immer wieder schwören Kollegen auf ihre handschriftlichen Notizen. Diese haben jedoch den Nachteil, für andere Kollegen z.T, schwer lesbar und auch unzugänglich zu sein. Außerdem erspart ein gut zugänglicher Dokumentationsbogen im PC Zeit und ist für alle Kollegen einheitlich handhabbar. Unsere Erfahrung ist, wenn Leitung ja auch zu technischen Veränderungen sagt, ist die Umsetzung schon fast erfolgt. Haben Sie dem Jugendamt ihre Beobachtungen mitgeteilt, müssen die MA dort tätig werden. Das JA sollte Sie über das weitere Vorgehen die Familie betreffend informieren und Sie als wichtige Bezugsperson des Kindes in deren kollegiale Beratungen einbeziehen. 5. Soziales Lernen, als Prävention zum Kinderschutz Das unter 4. Genannte müssen Sie laut Gesetzgeber als MA in Kindertagesstätten tun, es ist sozusagen Ihre Pflicht. Kommen wir nun zur Kür, d.h. was können Sie in der Kita präventiv für den Kinderschutz tun? Wie bereits angedeutet, gehen wir davon aus, dass innerfamiliäre Gewalt multikausal ist, d.h. viele Ursachen hat. Diese reichen von sozioökonomischen über individuelle Faktoren der einzelnen Familienmitglieder bis zum sozialen Milieu, in dem Familien 7 leben. Ich möchte noch einmal an die Geschichte vom Anfang meines Vortrages erinnern. Diese gibt keine Hinweise, dass in der Persönlichkeitsstruktur der Mutter oder des Kindes Risikofaktoren für Gewalt lagen. Die Umwelt, die herrschenden Wertvorstellungen der damaligen Zeit, die Gewalt fordernde Haltung der Nachbarin, haben diese Mutter unter Druck gesetzt. Fast wäre ihre eigene Überzeugung, ihren Sohn gewaltfrei zu erziehen, ins Wanken geraten. Wie in einem Teufelskreis werden eigene Möglichkeiten dann unterschätzt, die äußere Realität überschätzt. Das ruft oft solche Hilflosigkeit hervor, welche sich in Aggressivität entladen kann. Aber die Mutter von Johan ist stark geblieben, vielleicht hatte sie selbst als Kind Eltern, die sie ohne Gewalt mit Respekt und Achtung erzogen haben. Die dritte Generation, die eigene Herkunftsfamilie, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle , was den ehelichen und auch den Erziehungsstil der eigenen Kinder betrifft. Wichtige schützende, protektive Faktoren sind verlässliche Bezugspersonen und Kontinuität in Beziehungen. Konnten Eltern wenig eigene positive Erfahrungen in der eigenen Kindheit sammeln, brauchen sie erst recht Vorbilder, Unterstützer, die ihnen Mut und Hoffnung machen, ihre Kinder auf dem langen Weg in die Selbständigkeit respektvoll zu begleiten. Dabei spielen Kitas und die dort arbeitenden professionellen Erzieherinnen eine wichtige Rolle. Aber auch in weiterer Hinsicht haben Kindertagesstätten eine große Bedeutung für das Aufwachsen von Kindern. In Zeiten wo Großfamilien, in denen außer den Eltern auch andere Familienmitglieder Erziehungsaufgaben übernehmen und unter Geschwistern soziales Lernen ganz selbstverständlich stattfindet, eher die Seltenheit geworden sind, sind Kitas zentrale Orte sozialen Lernens. Im täglichen Miteinander, welches durch Annahme und Anerkennung der Kinder gekennzeichnet sein sollte, lernen Kinder Lebenskompetenzen, wie: Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl Nein-Sagen, Grenzen setzen und akzeptieren Eigene Gefühle wahr- , ernstnehmen und angemessen äußern Kommunikations- und Konfliktfähigkeit Sensibilisieren der eigenen Wahrnehmung Starkes Körperbewusstsein Gute und schlechte Geheimnisse unterscheiden können Das sind Kompetenzen, um nur einige zu nennen, die Kinder stärken sich und ihrer Wahrnehmung zu trauen, was einen elementaren Beitrag zum Kinderschutz darstellt. In meinen Fortbildungen zur Suchtprävention konnte ich mich immer wieder überzeugen, wie ideenreich und kreativ gerade die Berufsgruppe der ErzieherInnen auch in speziellen Projekten Kinder stärken kann. Dabei konnte ich aus jeder FB mindestens eine neue praktische Idee, wie o.g. Kompetenzen erreicht werden können, mitnehmen. Von entscheidender Bedeutung in der Arbeit mit den Kindern ist, dass ErzieherInnen sich und ihre eigenen Bedürfnisse gut wahrnehmen und den Kindern ein positives Rollenvorbild sind. Erwachsene sind für ihren Kräftehaushalt und ihr Glück selbst verantwortlich und sollten sich Inseln der Ruhe und zum Auftanken organisieren, um gut für Kinder da zu sein. Empathie und Vertrauen sind weitere elementare Voraussetzungen für eine gute Beziehung zwischen Kindern und Erzieherin. Meine kleine Tochter, die bis 2007 eine Kita besuchte, schwärmte eines Tages über ihre Erzieherin: „Ich liebe Bärbel.“ Auf meine Frage, was sie an ihr liebt kam die kurze Antwort „Alles!“ Ich konnte meine kleine Tochter verstehen, Bärbel war offen, einfühlsam, konsequent und ich konnte mich immer wieder davon überzeugen, dass 8 sie die Kinder mag und ihren Beruf liebt. Sie achtete uns als Eltern als Hauptbezugspersonen unserer Tochter und gab uns das sichere Gefühl, dass unser Kind in der Kita gut aufgehoben ist. Je bewusster eine Erzieherin sich Ihrer eigenen Rolle und Kompetenz ist, um so besser kann sie dann auch die Eltern achten. Gelingt es zu diesen eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, die getragen ist von gegenseitigem Respekt und Achtung, können auch heikle Themen angesprochen werden. Erleben Eltern die Erzieherin ihres Kindes als Verbündete, die mit ihnen an einem Strang zieht, werden sie auch die ev. Sorge der Erzieherin um das Kindeswohl nicht als Einmischung in ihre Privatsphäre erleben. Zu Verunsicherungen von Eltern kommt es, wie diese mir berichteten nur dann, wenn sie das Gefühl haben, das über- und nicht mit ihnen gesprochen wurde. Erhalten Eltern die Informationen von Dritten, wie etwa vom JA, ohne dass die Erzieherin mit ihnen wenigstens den Versuch eines Gespräches unternommen hat, sind sie zurecht misstrauisch. Darüber hinaus wird immer wieder deutlich, wie wichtig eine gute Selbstreflektion der ErzieherInnen ist. Kinder die Gewalt erfahren, bewirken bei Außenstehenden oft starke Identifizierung mit dem Kind. Das kann zu Gefühlen von Mitleid mit dem Kind, und Wut, Abscheu sowie Unverständnis den Eltern gegenüber führen. Sind professionelle Helfer sich ihrer Gefühle nicht bewusst, ist der Zugang zu den Eltern erschwert. In unseren Fortbildungen war immer wieder die Frage von Erzieherinnen, wie sie ihre Beobachtungen Eltern gegenüber ansprechen können. In Rollenspielen konnten die Teilnehmerinnen Gesprächssituationen üben und so Handlungssicherheit erlangen. In vielen Gesprächen mit Eltern erfuhr ich, das sie dankbar sind, für Hinweise und Beobachtungen, die die Erzieherinnen machen. Erzieherinnen haben was die Entwicklung des einzelnen Kindes betrifft immer die Vergleichsmöglichkeiten mit gleichaltrigen Kindern, die Eltern in Einkindfamilien nicht möglich sind. Eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre ist die Grundvoraussetzung für eine gute Elternarbeit. Dazu bieten Kitas zahlreiche Möglichkeiten, die über das persönliche Gespräch hinausgehen. So gibt es viele Kitas, die auch Eltern Begegnungsmöglichkeiten bieten, sei es in Form von Elternrunden, - cafes oder Stammtischen, Krabbelgruppen etc. Wenn ich das Gesagte noch einmal zusammenfasse, komme ich zu dem Schluss: Innerfamiliäre Gewalt ist multikausal und bedarf einer multikausalen Hilfe. Diese sollte laut Jörg Maywald auf drei Ebenen erfolgen: (Folie) Elterntrainings: mit dem Ziel, elterliches Verhalten, Erziehung positiv zu beeinflussen Soziales Lernen: um kindliche Kompetenzen zu stärken Familienarbeit: um das ganze Familiensystem zu unterstützen. Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat von Jörg Maywald, welches er in seinem Vortrag im Rahmen einer Tagung in Brandenburg formulierte beenden: Zu heilen ist die Stimme der Vergangenheit, Vorzubeugen ist das Flüstern der Zukunft. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihre weitere Arbeit viel Mut, Kraft, Ausdauer und Erfolg. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 9 PYRAMIDE DER EINFLUSSNAHME Ratschläge (Was wir dem Kind durch Worte vermitteln) Art der Beziehung (Wie wir uns um das Kind kümmern und es zu verstehen suchen) Beispiel/Vorbild (Was wir dem Kind vorleben) Quelle: Paula Honkanen-Schoberth Starke Kinder brauchen starke Eltern 10 Umsetzung des § 8a in die Praxis von Kindertagesstätten A Wahrnehmen von gewichtigen Anhaltspunkten von Kindeswohlgefährdung B Abschätzung des Gefährdungsrisikos im Team unter Hinzuziehung einer insofern erfahrenen Fachkraft im Rahmen einer kollegialen Beratung C Hinwirken der Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfe D Information des Jugendamtes, wenn Hilfe von Personensorgeberechtigten nicht angenommen wird oder zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht ausreichend ist Hinweis: Unter Einbeziehung der betroffenen Personensorgeberechtigten, Kinder und Jugendlichen 11 Zertifikatskurs zum Thema Kindeswohlgefährdung - Umsetzung des § 8a in die Praxis von Trägern von Einrichtungen - BLOCK: Gefährdungseinschätzung und Tatsachenfeststellung ( 2 Tage ) Formen von Kindeswohlgefährdung – Wie erkenne ich gewichtige Anhaltspunkte? § 8a - Was erwartet der Gesetzgeber von Mitarbeitern freier Träger? Handlungsschritte – Wie sollten Mitarbeiter von Einrichtungen im konkreten Einzelfall handeln? Datenschutz – Ist dieser mit Kinderschutz vereinbar? BLOCK: Falldokumentation und kollegiale Beratung ( 2 Tage ) Dokumentation – Was ist dabei zu beachten? Modelle kollegiale Beratung an eigenen Fallbeispielen – Wie kann das Gefährdungsrisiko professionell abgeschätzt werden? BLOCK: Schutz- und Hilfskonzepte ( 2 Tage ) Wie können Fachkräfte auf Inanspruchnahme von Hilfe bei Eltern hinwirken? Familienorientierte Arbeit bei Kindeswohlgefährdung - Wie kann Kinderschutz einerseits und Hilfe für die ganze Familie andererseits ermöglicht werden? Wie können Familien und die ihnen zugrundeliegende Familiendynamik verstanden werden? BLOCK: Praxiskontrollseminar ( 2 Tage ) Der 4. Block dient der Reflektion der Abschlussarbeiten der TeilnehmerInnen und der Vertiefung von spezifischen Themen. Die TeilnehmerInnen reichen vor Block 4 eine schriftliche Arbeit ein, die eine Falldokumentation unter Berücksichtigung der in Block 1 bis 3 vermittelten Inhalte, darstellt. Brandenburger Institut für Familientherapie 12 Kindesvernachlässigung Kinder haben folgende Rechte, ihre Nichtgewährung macht den Tatbestand der Vernachlässigung aus: Recht auf ausreichende Körperpflege Recht auf geeigneten Wach- und Schlafplatz Recht auf schützende Kleidung Recht auf altersgemäße Ernährung Recht auf sachgemäße Behandlung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen Recht auf Schutz vor Gefahren Recht auf Zärtlichkeit, Anerkennung und Bestätigung Recht auf Sicherheit und Geborgenheit Recht auf Individualität und Selbstbestimmung Recht auf Ansprache Recht auf langandauernde Bindung Nach dem Stuttgarter Kinderschutzbogen 13 Dokumentationsbogen Kindesvernachlässigung Ausgefüllt am/von: Familie: Kind(er): Vernachlässigungsbereich Beobachtungszeitraum: Konkrete Beschreibungen (durch wen?) Häufigkeit Recht auf ausreichende Körperpflege Recht auf geeigneten Wachund Schlafplatz Recht auf schützende Kleidung Recht auf altersgemäße Ernährung Recht auf sachgemäße Behandlung von Krankheiten und Entwicklungsstörungen Recht auf Schutz vor Gefahren Recht auf Zärtlichkeit, Anerkennung und Bestätigung Recht auf Sicherheit und Geborgenheit Recht auf Individualität und Selbstbestimmung Recht auf Ansprache Recht auf langandauernde Bindung Brandenburger Institut für Familientherapie 14 Hilfe bei innerfamiliäre Gewalt Soziales Lernen zur Stärkung sozialer Kompetenzen des Kindes Elterntraining Familienarbeit um elterliches Verhalten positiv zu beeinflussen zur Unterstützung des ganzen Familiensystem 15