I. Grundlagen

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Mathematik für Ingenieure I, WS 2008/2009
Dienstag 28.10
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I. Grundlagen
§1
Aussagen und Aussagenlogik
Der folgende Satz zeigt nun, dass sich die Implikation auch durch und“ und oder“
”
”
ausdrücken läßt.
Satz 1.2: Seien A, B zwei Aussagen. Dann gelten:
(a) Es ist ¬(A ⇒ B) ⇐⇒ A ∧ (¬B).
(b) Es ist (A ⇒ B) ⇐⇒ (¬A) ∨ B.
Beweis: (a) Die Verneinung ¬(A ⇒ B) ist genau dann wahr, wenn A ⇒ B falsch ist,
also wenn A wahr aber B falsch ist. Letzteres bedeutet aber genau die Gültigkeit von
A ∧ (¬B).
(b) Mit Teil (a) und den de Morganschen Regeln Satz 1 haben wir die folgende Kette
von Äquivalenzumformungen:
(A ⇒ B) ⇐⇒
⇐⇒
⇐⇒
⇐⇒
¬¬(A ⇒ B)
¬(A ∧ (¬B))
(¬A) ∨ (¬¬B)
(¬A) ∨ B.
Insbesondere scheint die Implikation damit auf derselben inhaltlichen Stufe wie und“
”
und oder“ zu stehen, was Sie zumindest irritieren sollte. Dieser Eindruck täuscht auch
”
in gewisser Weise, denn der in Satz 2 verwendete Implikationsbegriff ist rein formaler
Natur. Es kommt dort nur auf den Wahrheitswert der Aussagen A und B an, nicht
aber auf die inhaltliche Bedeutung dieser Aussagen. Diesen Implikationsbegriff sollte
man nicht mit dem inhaltlichen Folgerungsbegriff verwechseln, dass also eine Aussage B
durch logsiches Schließen aus einer Aussage A folgt. Bei letzterem kommt es tatsächlich
auf die Bedeutung von A und B an. Die formale Untersuchung des Folgerungsbegriffs
gehört zur mathematischen Logik, beziehungsweise zur sogenannten Beweistheorie, und
wird nicht Gegenstand dieser Vorlesung sein. Wir wollen hier nur darauf hinweisen,
dass diese Fragen gelegentlich sogar eine gewisse praktische Bedeutung haben, zum
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Beispiel für Dinge wie formale Korrektheitsbeweise für Computerprogramme in der
(theoretischen) Informatik.
Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir noch kurz das sogenannte Kontrapositionsprinzip herleiten.
Satz 1.3 (Kontrapositionsprinzip)
Seien A, B zwei Aussagen. Dann ist A ⇒ B zu (¬B) ⇒ (¬A) äquivalent.
Beweis: Dies können wir leicht auf den vorherigen Satz 2 zurückführen. Wir haben
nämlich die Äquivalenzen:
A ⇒ B ⇐⇒ (¬A) ∨ B ⇐⇒ (¬¬B) ∨ (¬A) ⇐⇒ (¬B) ⇒ (¬A).
1.4
Modellierung
Bei unserer Einführung mathematischer Aussagen haben wir uns ausdrücklich auf Aussagen beschränkt, die nur von mathematischen Objekten handeln. Andere Aussagetypen, etwa über reale physikalische Gegenstände, sollen dagegen nicht Gegenstand der
Mathematik sein. Auch später in dieser Vorlesung werden wir uns in ähnlichen Situationen immer auf diesen strikten Standpunkt stellen. Dies vereinfacht zwar unsere
Diskussion, man könnte aber den Eindruck gewinnen die Mathematik wäre nur ein
nicht besonders nützliches Puzzlespiel.
Dieser Eindruck täuscht natürlich, tatsächlich sind weite Teile der Mathematik
sogar ausdrücklich zur Lösung konkreter physikalischer und anderer angewandter Probleme entwickelt worden. Man kann sich die Anwendung mathematischer Methoden
auf konkrete Probleme im Prinzip als in drei Phasen aufgeteilt denken. Zuerst wird
die gegebene Anwendungssituation modelliert, d.h. den realen Gegenstände und Konzepten werden sie repräsentierende mathematische Objekte zugeordnet, und die Beziehungen zwischen ihnen werden in Beziehungen zwischen diesen mathematischen Objekten übertragen. Dieser Modellierungsprozess ist kein Teil der Mathematik sondern
ein Thema der für die jeweilige Anwendungssituation zuständigen Theorie. Nachdem
diese Modellierung erfolgt ist, wird die entstandene Situation innerhalb der Mathematik untersucht und ausgewertet. Nur dieser Teil ist Mathematik im eigentlichen Sinn,
und damit Gegenstand dieser Vorlesung. Zum Abschluß werden dann die erhaltenen
Resultate für das vorliegende konkrete Problem ausgewertet, und gegebenenfalls weiter
untersucht, etwa durch Messungen oder andere empirische Methoden.
Dies ist natürlich eine idealisierte Beschreibung, in realen Beispielen werden die
obigen drei Schritte natürlich miteinander vermischt werden und in einem iterativen
Prozess mehrfach wiederholt und verfeinert werden. Wir wollen hier kurz ein Beispiel
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beschreiben, bei dem sich die Trennung in Modellierung und mathematische Beschreibung ungewöhnlich deutlich vornehmen läßt. Als solch ein Beispiel wollen wir hier die
Bewegung der Planeten um die Sonne verwenden.
Die Zeit modellieren wir hier wie eigentlich immer durch eine reelle Zahl. Der zu betrachtende Planet wird zum Zeitpunkt t durch einen Punkt p(t) im Raum sowie durch
eine weitere Zahl m, die seine Masse angibt, beschrieben. Wie immer in solchen Fällen
werden die meisten Details der Situation ignoriert, in Wahrheit ist ein Planet ja kein
Punkt, er hat keine zeitlich konstante Masse und so weiter. Welche Details zu berücksichtigen und welche zu vernachlässigen sind, ist eine Entscheidung der Physik und
kein mathematisches Problem. Ebenso beschreiben wir die Sonne durch eine Position
s(t) und eine Masse M . Das Gravitationsgesetz übersetzen wir nun in die Definition
der Funktion
F (t) := −γ
mM
(p(t) − s(t)).
||p(t) − s(t)||3
Schließlich übersetzt sich das Bewegungsgesetz in die Differentialgleichung mp00 (t) =
F (t) und analog ergibt sich eine Differentialgleichung für s(t). Damit ist die Modellierung abgeschlossen, als mathematische Objekte haben wir die Zahlen γ, m, M und die
beiden Funktionen p(t), s(t), und unsere Differentialgleichungen geben die Beziehungen
zwischen diesen Objekten an.
Damit sind wir in der rein mathematischen Phase Zwei, die hier in der Lösung unserer Differentialgleichung besteht. Natürlich kann es heuristisch nützlich sein, sich über
das unterliegende physikalische Problem im klaren zu sein, aber im Prinzip haben wir
hier eine mathematische Aufgabe. Die Lösungsdetails wollen wir hier nicht diskutieren,
diese kennen Sie vielleicht aus der Schule oder aus Ihrer Physikvorlesung. Als Ergebnis
erhalten wir jedenfalls, bei geeigneten Anfangsbedingungen und Werten von m und
M , die üblichen Ellipsenbahnen. In der Auswertungsphase können wir dann hieraus
beispielsweise die Keplerschen Gesetze herleiten. Beachte das es sich hierbei keinesfalls
um einen mathematischen Beweis der Keplerschen Gesetze handelt, unsere ursprüngliche Differentialgleichung ist ja nicht mathematisch sondern physikalisch begründet
worden.
Umgekehrt bedeutet ein nicht mit der Realität übereinstimmendes Ergebnis der
mathematischen Untersuchung nicht notwendig, dass diese fehlerhaft ist. Ebensogut
kann die verwendete Modellierung der Sitaution nicht angemessen sein. Zur detaillierteren Beschreibung der Bahnen von Jupiter und Saturn reicht unser obiges Modell
zum Beispiel nicht aus, da es die Anziehung zwischen diesen beiden Planeten völlig
ignoriert. Ebenso scheitert unser Modell beispielsweise an der Beschreibung von Satelietenbahnen um die Erde, hier ist die Modellierung der Erde durch einen Punkt nicht
mehr angemessen, die exakte Form der Erde sowie ihre inhomogene Masseverteilung
spielen hier eine Rolle, die von unserem simplen Modell nicht berücksichtigt wird.
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§2
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Beweise
Die Aussagen der Mathematik werden in Form sogenannter Sätze beschrieben. Dabei verwenden wir das Wort Satz“ hier als einen Oberbegriff, einige Sätze werden
”
gerne auch mit Namen wie Lemma“, Theorem“, Hilfssatz“ und so weiter versehen,
”
”
”
und auch andere Resultate wie etwa Rechenverfahren und Algorithmen interpretieren
wir hier als mathematische Sätze. Jeder mathematische Satz besteht aus einer oder
mehreren Voraussetzungen und einer Behauptung. Zur Begründung eines solchen Satzes wird dann ein Beweis angegeben, dies ist eine Kette logischer Folgerungen, die aus
den Voraussetzungen des Satzes auf seine Behauptung schließt. Das Wort Beweis“
”
wird hierbei wesentlich enger als im normalen Sprachgebrauch verwendet, Plausibilitätsbetrachtungen und heuristische oder empirische Begründungen reichen keinesfalls
aus. Ein Beweis muss eine vollständige logische Folgerungskette sein. Je nach intendierten Leserkreis wird ein mathematischer Beweis oft nicht in dieser Vollständigkeit
wirklich hingeschrieben, dies ist aber nicht wesentlich, es muss nur klar sein, dass man
die fehlenden Teile der Folgerungskette nötigenfalls hinzufügen könnte.
Ein Beweis verfolgt hauptsächlich zwei Zwecke. Zum einen begründet er überhaupt
die Gültigkeit eines mathematischen Satzes, empirische oder heuristische Argumente
reichen hierzu, wie bereits bemerkt, nicht aus. Auf der anderen Seite soll ein Beweis seinen Satz natürlich auch erklären. Insbesondere kann es durchaus sinnvoll sein, verschiedene Beweise ein und desselben Satzes zu kennen, wenn diese Beweise den fraglichen
Satz von verschiedenen Gesichtspunkten aus begründen.
Es gibt im wesentlichen zwei Grundtypen von Beweisen. Der erste, und auch wichtigste, Typ ist dabei der sogenannte direkte Beweis. Hier wird die Aussage des Satzes
durch eine direkte Folgerungskette aus den Voraussetzungen hergeleitet. Gerade in dieser Vorlesung bestehen viele dieser direkten Folgerungen auch aus Gleichungsketten.
Als ein simples Beispiel eines direkten Beweises wollen wir hier einmal die Ihnen aus
der Schule bekannte binomische Formel (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 für alle reellen Zahlen
a, b, behandeln. Aufgeteilt in Voraussetzung, Behauptung und Beweis, können wir dies
wie folgt hinschreiben:
Vor: Seien a, b zwei reelle Zahlen.
Beh: Es gilt (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 .
Bew: Es gilt
(a + b)2 =
=
=
=
(a + b) · (a + b)
a · (a + b) + b · (a + b)
a2 + ab + ba + b2
a2 + 2ab + b2 .
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Diese explizite Aufteilung in Voraussetzung und Behauptung ist ein bei der Bearbeitung von Übungsaufgaben beliebter Stil, in normalen Texten werden diese beiden
normalerweise zusammengefasst.
Wir kommen nun zum zweiten Beweistyp, dem sogenannten Widerspruchsbeweis.
In diesem ist eine Aussage A zu beweisen, und wir nehmen anstelle dessen an, dass
ihre Verneinung ¬A wahr ist. Dann wird aus der angenommenen Gültigkeit von ¬A
eine andere Aussage B hergeleitet, und weiter gezeigt das aus ¬A auch die Verneinung
¬B von B folgt. Wäre also ¬A wahr, so müssten gleichzeitig B und ¬B gelten, was
natürlich nicht möglich ist. Damit hat die Annahme von ¬A zu einem Widerspruch
geführt. Andererseits ist die mathematische Aussage A ja entweder wahr oder falsch,
und da ¬A nicht wahr, also A nicht falsch, sein kann, muss A wahr sein.
Dies wird klarer wenn wir es an einem
konkreten Beispiel betrachten. Der klassi√
sche Widerspruchsbeweis zeigt, dass 2 keine rationale Zahl, also kein Bruch
zweier
√
2 ist keine
natürlicher Zahlen sein kann. Unsere Aussage A ist hier die Aussage
”
rationale Zahl“.√Für einen Widerspruchsbeweis müssen wir ¬A annehmen, d.h. wir
nehmen √
an das 2 doch eine rationale Zahl ist. Dann gibt es zwei natürliche Zahlen
p, q mit 2 = p/q. Durch eventuelles Auskürzen können wir dabei annehmen, dass p
und q keinen gemeinsamen Teiler haben. Dies ist dann unsere Aussage B, also p und
”
q sind teilerfremd“. Nun rechnen wir
p2
=
q2
2
√ 2
p
= 2 = 2,
q
d.h. es ist p2 = 2q 2 . Somit ist p2 gerade und damit muss auch p gerade sein. Folglich ist
r := p/2 eine natürliche Zahl mit p = 2r, und setzen wir dies in die gerade bewiesene
Formel ein, so ergibt sich
2q 2 = p2 = (2r)2 = 4r2 ,
also ist auch q 2 = 2r2 gerade. Damit ist aber auch q gerade, d.h. p und q haben den
gemeinsamen Teiler 2. Also ist auch die Verneinung ¬B eingesehen,
und wir haben einen
√
Widerspruch. Dieser Widerspruch beweist dann, dass 2 tatsächlich keine rationale
Zahl ist.
Damit haben wir beide Grundtypen von Beweisen, den direkten und den indirekten, oder Widerspruchsbeweis, vorgestellt. Komplizierte Beweise sind dann oftmals
Mischformen dieser beiden Typen. In diesem wird die eigentliche Aussage in mehreren
Teilschritten bewiesen, die dann ihrerseits direkte oder indirekte Beweise sind.
Gelegentlich wird noch der sogenannte Beweis durch Kontraposition als ein eigener, dritter, Grundtyp angesehen. Bei einem Beweis durch Kontraposition ist eine
Aussage der Form A ⇒ B zu zeigen, und man zeigt anstelle dessen die Implikation
(¬B) ⇒ (¬A). Nach dem Kontrapositionsprinzip §1.Satz 3 sind diese beiden Implikationen zueinder äquivalent. Insbesondere ist ein Beweis durch Kontraposition eigentlich
ein direkter Beweis, dessen letzte Aktion in der Anwendung des Kontrapositionsprinzips besteht. Oftmals wird ein Kontrapositionsbeweis auch als Widerspruchsbeweis
verkauft, das ist zwar nicht falsch aber etwas unelegant. Das Vorgehen ist dann wie
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folgt: Zu zeigen ist die Aussage A ⇒ B, und wir nehmen ¬(A ⇒ B) an. Nach Satz
2 bedeutet dies, dass wir A ∧ (¬B) annehmen. Dann wird der Beweis der Aussage
(¬B) ⇒ (¬A) durchgeführt, und da ¬B vorausgesetzt ist, haben wir dann den Widerspruch ¬A. Wird bei der Herleitung von ¬B die Aussage A tatsächlich verwendet, so
handelt es sich um einen echten Widerspruchsbeweis. Andernfalls liegt ein als Widerspruchsbeweis verpackter Beweis durch Kontraposition vor.
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