Zusammenfassung des Referats „Kinderorthopädische Untersuchung und häufigste pathologische Veränderungen“ Dr. Thomas Hochholzer - Innsbruck In dieser Zusammenfassung möchte ich auf die häufigsten Veränderungen, die bei einer kinderorthopädischen Untersuchung auffallen, eingehen. Dazu habe ich drei Hauptpunkte ausgesucht: „Die schiefe Wirbelsäule“, „Krumme Füsse“ und den sog „Wachstumsschmerz“. In den letzten 100 Jahren hat sich die Häufigkeit kinderorthopädischer Erkrankungen deutlich verändert. War das Schwergewicht zur vorletzten Jahrhundertwende noch Infektionskrankheiten mit Veränderungen der Wirbelsäule (Tuberkulose und Polio, Rachitis), wandelte es sich nach dem II. Weltkrieg zu Erkrankungen wie Skoliose und Hüftdysplasie. Derzeit häufen sich Überlastungsreaktionen und Verletzungen im Sport aber auch Erkrankungen, die im Zusammenhang mit Bewegungsmangel und den damit verbundenen Problemen wie Adipositas und Haltungsschwäche stehen. „Schiefe Wirbelsäule“ Untersucht man Kinder, ist es nötig sich bei der Untersuchung auch auf die Höhe der Kinder zu begeben. Kinder sollten grundsätzlich bis auf die Unterhose ausgezogen werden. Es ist Wert darauf zu legen, dass die Kinder entspannt stehen. Gerade bei Hypermobilitäten würden sich sonst ev. skoliotische Fehlhaltungen zeigen. Zuerst wird die Wirbelsäule von hinten begutachtet, dazu kann man mit dem Finger entlang der Dornfortsätze von der Halswirbelsäule bis zur Lendenwirbelsäule tasten, weiterhin wird der Beckengeradstand im Bereich der Iliosacralgelenke getastet. Auf Ungleichheiten im Bereich der Taille und der Schulterblätter muss geachtet werden. Wichtig ist, die Wirbelsäule nicht nur in aufrechter Haltung, sondern auch in der Vorbeuge zu untersuchen. Hier fallen bei ev. Skoliosen „Rippenbuckel oder Lendenwülste“ durch die Rotation der Querfortsätze auf. Welche Auffälligkeiten sollten nun weiter untersucht werden: - Beckenschiefstand von klinisch mehr als 1 cm - Abweichung der Wirbelsäule im Stehen vom Lot (Dornfortsatz Th1, Anusfalte) von größer 1 cm, - Rippenbuckel oder Lendenwulst von größer als 1 cm - fixierte oder schmerzhaft Kyphose - Trichterbrust. Ein einfacher Haltungstest ist der weit bekannte Haltungstest nach Matthiaß: Das Kind steht aufrecht mit nach vorne gestreckten Armen. Es sollte dies 30 Sekunden halten können, ohne dass die Arme absinken oder die Brust- oder Lendenwirbelsäule in ein Hohlkreuz oder eine Hyperextension verfällt. Ein grobes Zeichen für eine „normale Beweglichkeit“ der Wirbelsäule ist das nach vorne Beugen bei gestreckten Beinen, hier sollten die Fingerspitzen in etwa den Boden erreichen. Dies ist jedoch nur eine grobe Einschätzung, da hier die Gesamtbeweglichkeit der Hüfte und der Wirbelsäule aufgezeigt wird. Zur Skoliose wäre zu sagen, dass bei leichten Skoliosen bis etwa 20 Grad uneingeschränkt alle Sportarten möglich sind. Bei mittleren Skoliosen bis etwa 40 Grad ist Sport grundsätzlich auch möglich, jedoch sollten auf Stoßbelastungen sowie einseitige Sportarten acht gegeben werden. Zusätzlich sollte zusätzlich eine Ausgleichsgymnastik durchgeführt werden. Bei schwereren Skoliosen über 40 Grad ist durch die Torsion der Rippen auf kardiopulmonale Einschränkungen zu achten. Leichtere Skoliosen bedürfen einer Gymnastik und einer konsequenten Rückenschulung mit stabilisierenden Übungen. Mittlere Skoliosen müssen ev. mit einem Korsett versorgt werden, Operationsindikationen bestehen ab etwa 45 Grad. Skoliosen können sich in der Pubertät oft sehr drastisch und schnell verändern, daher sollte an eine engmaschige klinische und ev. auch radiologische Kontrolle gedacht werden. Skoliose von etwa 35 Grad im Stehen und bei Vorbeuge mit einem deutlichen Rippenbuckel Der Unterschied der Haltungsschwäche zum Haltungsschaden besteht darin, dass Haltungsschwächen Abweichung von der Achse sind, die aktiv und passiv ausgeglichen werden können. Dagegen ist der Haltungsschaden eine fixierte Fehlhaltung der Wirbelsäule, die nicht mehr ausgeglichen werden kann. Dazu würde beispielsweise der fixierte Rundrücken bei einem Morbus Scheuermann zählen. Unsere Haltung ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängig, wobei nur wenige dieser Punkte beeinflusst werden können. Zum einen ist die Haltung abhängig von der bestehenden Anatomie (Stellung des Sacrums, Stellung der Wirbelgelenke, Bandapparat und Muskulatur). Gerade ein „lockerer Bandapparat“ kann Hypermobilitäten bedingen. Sie äußert sich relativ häufig auch bei jungen Mädchen in einem sog. Flachrücken, der klinisch häufiger Probleme macht als der sog. Rundrücken. Beeinflussbar ist natürlich die Haltung durch die Muskulatur. Hier finden wir öfter Dysbalancen zwischen der rumpfstabilisierenden Muskulatur dorsal und ventralseitig, Tonuserhöhungen oder „Verkürzung“ der Muskulatur (häufig zB. im Bereich des M. pectoralis). Weiter nehmen natürlich auch gesellschaftlich – soziale Faktoren („lockere Haltung“ in unserer Gesellschaft, Korsett für die Damen im 19. Jahrhundert, „Stabsoffiziershaltung“) und natürlich auch beruflichen Belastung oder Aktivitäten während Freizeit Einfluss auf unsere Haltung. Es sei auch darauf hingewiesen, dass Haltung in unserem Sprachschatz einen doppeldeutigen Begriff beinhaltet und sowohl die „innere Haltung“ als auch die „äußere Haltung“ damit verbindet. Man denke an Begriffe wie „aufrecht“, „Rückgrat zeigen“, „unbeugsam“ oder „vor Sorgen gebückt“. Für den Untersucher ist es oft nicht einfach zu beurteilen, was nun „normal“ oder was „pathologisch“ ist. Sicher grenzt man zur Zeit den Begriff „normaler Rücken“ nicht mehr so eng ein wie noch vor einigen Jahrzehnten. Man sollte daher auch nicht von einem „normalen“ sondern eher von einem harmonischen Rücken sprechen im Gegensatz zu einem Rücken der eher flach, eher rund oder halbrund ist. Was bestehen nun für therapeutische Möglichkeiten, falls einem bei der orthopädischen Untersuchung eine Haltungsschwäche auffällt. Meist sind es ja Kinder im Alter von 12 bis 16 Jahren, oft Kinder die pubertieren und aus dieser Situation heraus eher in Opposition zu den Eltern stehen. Die reine Ermahnung richtig zu sitzen, wird hier wohl keinen Erfolg bringen. Schwierig sind auch oft vom Arzt verordnete und von den jungen Patienten nur widerwillig durchgeführte Maßnahmen wie Heilgymnastik. Auch muss man sicherlich das Haltungsturnen als Auswahl einer „Negativgruppe“ mit ev. motorisch zurückgebliebenen Kindern, Kindern mit Adipositas und oft damit verbundenen Bewegungsmangel und wenig Lust an Bewegung in Frage stellen. Korsett und Bandagen sind Gott sei Dank aus dem modernen therapeutischen Schema herausgefallen. So verbleiben als Möglichkeit zur Verbesserung einer für mangelhaft angesehenen Haltung zum einen die Grundvoraussetzung zu verändern (richtiges Sitzen mit optimalen Möbeln und die Möglichkeit mit viel Bewegung während der Schulzeit) und die Motivation zu Ausgleich und Sport. Welche Sportarten eignen sich nun am besten für Kinder mit Haltungsschwäche: Hier sind besonders sämtliche Ballsportarten zu nennen, die „nach oben gehen“, wie Basketball, Handball, Volleyball, aber auch Kampfsportarten wie Karate, die eine positive Auswirkung haben auf die Stabilisation des Rumpfes haben. Nun gibt es aber auch durchaus sportliche aktive Jugendliche, die einen auffälligen Hohlrundrücken entwickeln. Beispielhaft ist hier der Rundrücken bei jugendlichen Sportkletterern. Obwohl diese Jugendliche beim Klettern enorm die rumpfstabilisierende Muskulatur wie die Mm. rhomboidii, den M. trapezius, den M.latissimus beanspruchen, findet man doch gehäuft eine BWS-Kyphose. Hier sind Muskeldysbalancen, die eine Verkürzung der Flexoren des Unterarms, des Bizeps und des Pectoralis mit nachfolgender Innenrotationsstellung der Schultern und eine vermehrte Pronation der Unterarme zu finden. Bei diesen Auffälligkeiten muss neben dem sportlichen Training ein Ausgleichsprogramm stattfinden, hier auch bei Bedarf mit spezieller Krankengymnastik. Ob ein schwerer Schulranzen auch zu Haltungsschäden beitragen kann, ist noch umstritten. Trotzdem sollte man auf eine Faustregel acht geben, dass das Gewicht einer vollen Schultasche höchstens 10 % des Körpergewichtes des Kindes beträgt. Ein Jugendlicher mit 40 kg dürfte also nur einen vollen Schulranzen von maximal 4 kg tragen. „Krumme Füße“ Genau wie bei der Wirbelsäule ist auch bei Inspektion von Füßen eine große Variation an verschiedenen physiologischen Kinderfüßen zu finden. Zur Definition: Knickfuß, Senkfuß, Plattfuß oder Hohlfuß beschreiben die Ausbildung des Längsgewölbes, dagegen weisen der Spreizfuß und der Hallux valgus auf Veränderungen des sog. Quergewölbes hin. Beim KnickPlattfuß ist es für den Untersucher wichtig zu unterscheiden, ob sich eine fixierte Fehlstellung zeigt, die weiter untersucht und behandelt werden muss, oder ob ein noch physiologischer Knick-Plattfuß besteht. Dazu ist es notwendig, die physiologische Entwicklung des kindlichen Fußes zu kennen. Säuglinge besitzen überhaupt kein Fußgewölbe. Das Fußgewölbe ist ausgefüllt mit sehr viel kindlichem Fettgewebe. So ist es ganz normal, dass ein Fuß unter 4 Jahren noch kein deutliches Längsgewölbe besitzt. Dieses Gewölbe bildet sich normalerweise erst im Alter von 3 – 6 Jahren aus, wenn der Fuß und die Muskulatur mehr belastet werden. Somit besteht kein Bedarf diese meist „physiologischen Knick-Plattfüße“ zu behandeln. Eine einfache Untersuchung zeigt, ob es sich um einen fixierten Plattfuß oder physiologischen Knick-Plattfuß handelt: Die Fersen von hinten gesehen, zeigen häufig eine Valgusstellung im Rückfuß und ein fehlendes mediales Fußgewölbes. Lässt man nun das Kind in den Zehenspitzenstand gehen, so hebt sich die Valgusstellung der Ferse auf Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Großzehen in maximale Dorsalextension zu bringen, damit bildet sich ebenfalls auch ein mediales Fußgewölbe aus, was wiederum auf eine Befund hinweist, dass eben die Muskulatur noch nicht so fähig ist, hier optimal zu stabilisieren. Therapeutische Möglichkeiten bei einem doch vermehrten Knickfuß bestehen in erster Linie in einem muskulären Training: Übungen im Zehen-/Spitzenstand, Springen auf weicher Unterlage (alte Matratze oder für ältere Kinder Trampolin) sowie Übungen für die kleine Fußmuskulatur (Bleistift mit den Zehen aufheben, aus einer Kiste Murmeln, Kastanien, etc. mit den Zehen fassen und auf den Boden legen). Natürlich stellt sich auch die Frage, wann Einlagen eventuell verschrieben werden sollen: -nicht flexibler Knick-Plattfuß -ein schwerer Plattfuß -Schmerzen im Bereich des Fußlängsgewölbes und auch -ev. der kindliche Hallux valgus. Oft fallen im Schulkindalter auch kleine Patienten mit einem schlechten Laufstil oder mit einem Zehenspitzengang auf. Hier sollte man das Kind auf alle Fälle genauer untersuchen und es wäre daran zu denken, dass frühkindliche Hirnschäden oft leichte einseitige oder auch beidseitige Tonuserhöhungen der Wadenmuskulatur mit Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk in einer verminderten Dorsalextension bedingen können. Diese Schwierigkeiten sind oft diskret, in der Anamnese lässt sich oft dann doch ein frühkindlicher Sauerstoffmangel eruieren. Therapie der Wahl ist zuerst die Physiotherapie mit Versuch „die verkürzte Wadenmuskulatur“ aufzudehnen, bei fehlender Besserung kann auch an eine Durchtrennung der tiefen Fascziae des Musculus soleus gedacht werden. Ein häufiges Symptom, warum Eltern ihre Kinder beim Orthopäden vorstellen, ist der Einwärtsgang. Die Eltern berichten oft darüber, dass die Kinder „über die eigenen Füße stolpern“. Klinisch findet sich meist eine erheblich vermehrte Innenrotation der Hüftgelenke mit manchmal über 90 Grad, dazu oft X-Beine oder auch ein Knick-Senk-Fuß. Meist besteht das Symptom der sog. Coxa valga antetorta. Dazu muss man auch die Entwicklung des Schenkelhalses kennen. Der kindliche Schenkelhals ist im Vergleich zu dem des Erwachsenen nicht nur deutlich steiler, sondern besitzt auch eine vermehrte Antetorsion. Bei einer übergroßen Antetorsion versucht der Körper dies über X-Beine auszugleichen. Die Coxa valga antetorta bedürfen in den allermeisten Fällen keine Therapie. Die Eltern müssen darüber informiert werden, dass es in weit über 95 % der Fälle beim 1. oder 2. Wachstumsschub zu einer Spontanenheilung kommt. Kinder sollten auf alle Fälle weiter untersucht werden, wenn bei der Untersuchung der unteren Extremitäten folgende Punkte auffallen: fehlendes mediales Fußgewölbe (bei Extension im Großzehengrundgelenk) fehlende Aufrichtung der Ferse im Zehenspitzenstand X-Beine (3 Querfingerbreit an den Maleolen) O-Beine (mehr als 2 Querfinger am Kniegelenk) Tibiaaußenrotation mehr als 30 Grad Innenrotationsunterschiede bei der Beweglichkeitsprüfung der Hüftgelenke „Wachstumsschmerz“ Als letzten Punkt möchte ich den sog. „Wachstumsschmerz“ an der unteren Extremität ansprechen. Diesen Wachstumsschmerz kann es mit Sicherheit in einzelnen Fällen geben, wahrscheinlich ist es eine „Periostdehnungsreaktion“ auf das Wachsen. Trotzdem müssen unbedingt - bevor diese Diagnose gestellt werden sollte - alle anderen Erkrankungen ausgeschlossen werden. Symptome von Erkrankungen an der Hüfte oder der Kniegelenke sind bei Kindern meistens Hinken. Die Schmerzen werden fast immer nur im Kniegelenk angegeben, selten im Hüftgelenk oder der Leiste. Auch eine frühe Ermüdbarkeit bei sportlichen Leistungen oder beim Wandern finden sich bei diesen Kindern. Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke oder der Kniegelenke fallen dann meist erst dem routinierten Untersucher auf. Fast alle Erkrankungen der Hüfte zeigen bei der genauen Untersuchung eine Einschränkung der Innenrotation. Wie auch bei der Coxarthrose des Erwachsenen reagiert das Hüftgelenk zuerst mit Einschränkung der Extension und der Innenrotation, später folgen erst Bewegungseinschränkungen in Außenrotation, Abduktion oder Flexion. So ist die Prüfung der Innenrotation eine äußerst wichtige Untersuchung und gibt bei Seitendifferenzen oft einen ersten Hinweis auf mögliche Erkrankungen. Innenrotationseinschränkung der rechten Hüfte Zu den häufigsten Erkrankungen, an die gedacht werden muss, zählen der Morbus Perthes, die Epiphysiolysis capitis femoris und die Coxitis fugax. Der M. Perthes tritt meist im Alter von 3-10 Jahren auf, wobei im früheren Alter bis zu 5 Jahren eine relativ gute Prognose besteht und das Hüftgelenk meistens nur entlastet werden muss. Buben sind häufiger betroffen und insgesamt besteht bei dieser Erkrankung ein langer Verlauf zwischen 2 und 4 Jahren. Bei der Epiphyiolyse sind ältere Kinder betroffen im Alter von 11 bis 14 Jahren, im Gegensatz dazu bei der Coxitis fugax meistens Säuglinge und Kleinkinder. Beschwerden, die direkt das Kniegelenk betreffen, sind im Kindes- und Jugendalter oft ein Scheibenaußenmeniscus oder bei Mädchen im Pubertätsalter und älter ein Plicasyndrom. Immer häufiger werden jedoch auch Überlastungsreaktionen der Wachstumsfuge im Sportbereich (Eiskunstlauf, Volleyball). Hier ist die Diagnose oft schwerer zu stellen, das Röntgenbild ist unauffällig und meist zeigt dann erst das MRT ein Ödem oder das sog. „bone bruising“. Selten gibt es auch Stressfrakturen, die jedoch eher im mittleren oder unteren Drittel der Tibia zu finden sind. Leicht abzugrenzen ist der M. Osgood-Schlatter mit dem typischen Druckschmerz an der Turberositas tibiae. Bei länger bestehenden Schmerzen im Kniegelenk (über 6 Wochen) sollte auch ein Blutbild durchgeführt werden, um die seltene Manifestation einer Leukämie im Kniegelenk oder eine Borreliose ausschließen zu können. Verwendete und weiterführende Literatur: Kinder– und Jugendorthopädie; OA Dr. Gerhard Grossbötzl; Orthopäd. Abteilung AKH Linz http://www.schule.at/dl/Info_Orthopaedie_20fuer_20Schulaerzte1.pdf Hefti F.: Kinderorthopädie in der Praxis. Springer Verlag 1997