Respekt für Frauen – Achtsamkeit in jedem Augenblick – eine interkulturelle Perspektive Cornelia Schlarb Herzlichen Dank für Ihre Einladung zu diesem Frauenmahl, der ich sehr gerne gemeinsam mit einer unserer Studentinnen, Frau Meseret Tsegaye Aga aus Äthiopien, gefolgt bin. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, gehören Meseret und ich auch in diese Region. Denn seit dem Wintersemester 20092010 bietet die Theologische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen in Kooperation mit dem Missionsseminar Hermannsburg, jetzt Fachhochschule für Interkulturelle Theologie, den Masterstudiengang Intercultural Theology an. Es ist ein viersemestriger Masterstudiengang, der komplett englischsprachig gelehrt wird und sich durch eine einzigartige Mischung von Theorie und Praxis auszeichnet. Im 3. Semester führen unsere Studierenden ein Praxisprojekt mit einem Thema ihrer Wahl an einer der Partnerhochschulen im Ausland oder an einer entsprechenden Institution in Deutschland durch. Diese Praxisarbeit bildet dann die Grundlage für die Masterarbeit, die im 4. Semester zu schreiben ist. Meseret gehört zu der Gruppe Intercultural Theology Studierender, die im Sommersemester 2013 ihr Studium mit der Masterarbeit beenden werden. Seit 2009 begleite ich als Koordinatorin des Studiengangs die Studierenden von den ersten Anfragen über die Einschreibung bis zum Abschluss ihres Studiums und darüber hinaus, was vor allem viel und zeitnahe Kommunikations- und Organisationsarbeit bedeutet, permanente Beratungstätigkeit, Abstimmungsarbeit mit Professoren, Lehrkräften und der Verwaltung, Organisation von Stunden- und Prüfungsplänen und vieles mehr, zusammengefasst könnte man sagen: Ich bin die Managerin des Studiengangs. Dass unser Studiengang zukunftsweisend ist, zeigt die kontinuierlich von Jahr zu Jahr steigende Nachfrage. Bisher haben Studierende aus fast allen Erdteilen am Studiengang teilgenommen: Afrika und Asien sind immer sehr gut vertreten, Europa und Nordamerika etwas weniger. Im nächsten Wintersemester 2013-2014 könnte erstmals eine Koreanerin aus Australien am Studiengang teilnehmen. Die 20 Studierenden (6 Frauen und 14 Männer), die im Wintersemester 2012-2013 immatrikuliert wurden, kommen aus 15 Ländern: Äthiopien, Armenien, Bangladesch, China, Indien, Kamerun, Kenia, Kirgisien, Kongo/Deutschland, Pakistan, Rumänien, Südafrika, Taiwan, Tansania und Weißrussland. Unsere Studiengruppen sind in sich 1 stets international, multikulturell und multireligiös zusammengesetzt, was ein gutes Lern- und Übungsfeld neben dem Lehrplan und allen sonstigen Veranstaltungen, aber auch eine große Herausforderung bedeutet. Meist bewerben sich aber mehr Männer als Frauen, nur die 2. Gruppe Intercultural Theology Studierender war mit mehr Frauen als Männern besetzt. Was motiviert Frauen wie Männer, sich für diesen Studiengang zu bewerben? In den allermeisten Fällen schreiben die Bewerber/innen, dass sie selbst in einem multiethnischen, interkulturellen Kontext groß geworden sind oder in einem solchen arbeiten. Sie möchten mehr über die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Religion, über die wechselseitigen Einflüsse der Kultur auf das Christentum z.B. und umgekehrt wissen. Sie möchten lernen, wie interreligiöser Dialog und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionen besser funktionieren kann, um zu einem respektvollen und friedlichen Zusammenleben der Völker in ihrer Region beizutragen. Das Studienprogramm legt seinen Schwerpunkt auf das Christentum und seine interund transkulturellen Bezüge, andere Religionen werden mit einbezogen. In den ersten beiden Semestern werden grundlegende Kenntnisse in verschiedenen Wissensfeldern und wissenschaftliches Handwerkszeug vermittelt sowie mit der Vorbereitung der Praxisprojekte begonnen. Die meisten unserer ICT Studierenden kommen aus Kulturen, in denen Männer das Sagen haben, Entscheidungen für ihre Frauen und Kinder treffen und über deren Schicksal bestimmen. Einige Studierende gehören Kirchen und Religionsgemeinschaften an, die keine Ordination oder Weihe von Frauen kennen und in denen Frauen nicht gleichberechtigt im geistlichen Amt akzeptiert sind. Eine unserer Studentinnen mit orthodoxem Hintergrund lehnt es auch kategorisch ab, dass Frauen zum Priester- oder Bischofsamt zugelassen werden sollten. Hier ein Bewusstsein zu schaffen, dass gerade ein biblisch begründeter Respekt für Frauen auch die Gleichberechtigung im geistlichen Amt mit einschließt, bleibt als permanente Aufgabe bestehen. Das akademische Studium an einer protestantischen Fakultät verlangt auf alle Fälle die Bereitschaft, sich auch mit der eigenen Tradition kritisch auseinanderzusetzen, die Für- und Gegen-Argumente zu bedenken und zu einer begründeten Antwort zu gelangen. Zuweilen entfachen solche Fragen, wie die Ordination von Frauen oder die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften 2 heftigste Diskussionen und Streitgespräche, die in den Seminaren oder in den Pausen ausgetragen werden, und das ist gut so, so lange auch hier Respekt und Achtung den Grundtenor bilden. Was bedeuten nun Respekt – Achtung – Achtsamkeit für mich? Für mich gehören Respekt, Achtung und Achtsamkeit zusammen und bedingen sich gegenseitig. Gegenseitiger Respekt wird sichtbar, wenn wir aufeinander hören, achtsam und aufmerksam miteinander und mit uns selbst umgehen. Dadurch wird Wertschätzung vermittelt. Die Vorstellung der „Achtsamkeit in jedem Augenblick“ habe ich der orthodoxen Tradition entliehen und leicht abgewandelt. Ein Buch zur orthodoxen Spiritualität vom Direktor unseres Studiengangs Martin Tamcke trägt den Titel: „Achtsamkeit in jedem Atemzug“. Angesprochen und gemeint ist damit zunächst einmal die fortwährende Präsenz im Angesicht Gottes, die mit Gebetspraktiken, dem sog. Herzensgebet, bestimmten Verhaltensweisen und Lebenshaltungen gesucht wird. Eingeschlossen ist aber auch die Achtsamkeit meinen Mitmenschen und der gesamten Schöpfung gegenüber. Respekt für Frauen bedeutet für mich dann, dass die Gesellschaft und die Kirchen es lernen, achtsam sowohl mit den Lebensleistungen als auch den enormen Potentialen der Frauen in ihren Regionen und Ländern umzugehen, und alles daran setzen, diese schöpferischen Potentiale zu entwickeln und nicht zu unterdrücken. Eine Möglichkeit, solche Potentiale zu entwickeln, bieten internationale Studiengänge wie der unsrige. Qualifizierte Frauen können hier ihre persönliche und berufliche Entwicklung fortsetzen und später multiplikatorisch tätig sein. Zwei unserer ehemaligen Studentinnen aus Äthiopien haben inzwischen ein Dissertationsprojekt begonnen. Ich wünschte mir nur, dass mehr Stipendien für Frauen zur Verfügung stünden, um solche Multiplikatorinnen auszubilden. Eine der Studentinnen, die ein Stipendium vom Evangelisch-Lutherischen Missionswerk in Niedersachsen erhalten hat, habe ich mitgebracht: Meseret Tsegaye Aga, die nun das Wort hat. Dr. Cornelia Schlarb 3