2.2 Kinetik des starren Körpers

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2.2
Kinetik des starren Körpers
In diesem Kapitel rücken wieder Kräfte und Momente als Ursache der Bewegung in unseren Fokus. Nach den Überlegungen zur Kinematik der starren Scheibe müssen wir über
die Änderung des translatorischen Bewegungszustandes eines geeigneten Referenzpunktes, vormals mit A bezeichnet, und über die Änderung der Rotation des starren Körpers
um diesen Referenzpunkt Aussagen machen können. Beides kann, wie wir sehen werden,
getrennt abgehandelt werden. In einem ersten Abschnitt werden wir die translatorische
Bewegung abhandeln, in einem zweiten Abschnitt schließlich die Rotation.
2.2.1
Schwerpunktsatz
Ein Körper kann im allgemeinen Fall durch Kräfte und Momente
belastet werden. In nebenstehender Abbildung soll die resultieren⃗ dargestellt sein. Die
de Kraft F⃗ und das resultierende Moment M
Newtonsche Bewegungsgleichung hatten wir bisher für Massenpunkte, allenfalls für Systeme von Massenpunkten, kennen gelernt.
Es liegt nun nahe den Körper in differentielle Massenelemente aufzuteilen, die wir wie Massenpunkte behandeln wollen. Die Newtonsche Bewegungsgleichung für ein freigeschnittenes Massenelement
dm liefert
z
F
M
m
x
y
dm
dMdm
dFdm
vdm
(2.2.1)
wobei die resultierende Kraft dF⃗dm auf den Massenpunkt äußere und innere Kräfte beinhaltet44)
und ⃗vdm in einem Inertialsystem gemessen wird. Außerdem können sich die Geschwindigkeiten
⃗vdm für alle Massenelemente unterscheiden, was durch den Index dm an der Geschwindigkeit
vermerkt ist.
Um den gesamten Körper zu erfassen, integrieren wir über alle Massenelemente
(2.2.2)
Da wir die gesamte Masse des Körpers im Auge halten, so ist m = const und die Zeitdifferentiation kann vor das Integral links vom Gleichheitszeichen gezogen werden. Das Integral auf der
rechten Seite liefert uns die resultierende äußere Kraft F⃗ auf den Körper:
44)
Die Momente tauchen in dieser Gleichung nicht auf, da sie als Kräftepaare darstellbar sind und damit keinen Beitrag zur resultierenden Kraft liefern. Die freien Momente und die Momente der Kräfte werden bei der
Berechnung der Rotation des Körpers Eingang finden.
124
(2.2.3)
Die zeitliche Differentiation der Bestimmungsgleichung für den Ort
des Schwerpunkts
z
F
(2.2.4)
vS
M
aS S
m
liefert für die Schwerpunktsgeschwindigkeit ⃗vS
x
y
(2.2.5)
Deshalb erhalten wir endgültig:
(2.2.6)
Das Ergebnis ist sehr einfach zu interpretieren. Der Schwerpunkt eines ausgedehnten Körpers
der Masse m wird unter dem Einfluss der äußeren Kräfte so beschleunigt, als ob die Masse des
Körpers im Schwerpunkt konzentriert ist.
Schwerpunktsbeschleunigung ⃗aS und resultierende Kraft F⃗ sind zueinander parallel, ihre Wirkungslinien müssen jedoch nicht zusammenfallen45) .
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir bei dieser Herleitung die Näherung des starren
Körpers nicht genutzt haben. Genau die gleiche Aussage hatten wir auch bereits für ein System
von Massenpunkten im Abschnitt 1.2.6.8 über den Impulssatz und bei der Behandlung von Streu
und Stoßproblemen erhalten.
Das Ergebnis rechtfertigt im Nachhinein die Kinetik des Massenpunktes als eine sehr brauchbare
Approximation der Wirklichkeit für solche Probleme, bei denen die binnenkörperliche Rotation
45)
Der Lage der Wirkungslinie spielt hinsichtlich der Rotationsbewegung des Körpers eine Rolle. Geht die Wirkungslinie der resultierenden Kraft auf den Körper nicht durch den Schwerpunkt, stellt sich neben der Schwerpunktsbeschleunigung eine überlagerte Winkelbeschleunigung ein. Die Momente der Kräfte bezogen auf den
Schwerpunkt zusammen mit freien äußeren Momente bewirken, wie wir weiter unten sehen werden, eine zeitliche Änderung des Drehimpulses, der mit einer Winkelbeschleunigung einhergeht. Für die Beschleunigung aller
anderen Punkte A des Körpers, die nicht mit dem Schwerpunktes S zusammenfallen, können wir für den starren
Körper dann mit der Eulerschen Formel die Gesamtbeschleunigung aus
(
)
⃗aA = ⃗aS + ⃗aA,S = ⃗aS + φ
⃗˙ × φ
⃗˙ × ⃗rA,S + φ
⃗¨ × ⃗rA,S
berechnen.
125
keine wichtige Rolle spielt.
Die Bestimmung der Winkelbeschleunigung des Körpers wollen wir an dieser Stelle noch zurückstellen. Zunächst soll ein Beispiel zum Schwerpunktsatz betrachtet und anschließend die mathematische Beschreibung der potentiellen und der kinetischen Energie des starren Körpers geliefert
werden.
126
Beispiel
Ein Hammer der Masse m fällt wie dargestellt im Schwerefeld
der Erde auf die Tischplatte zu. Während der Zeit ∆t des
Kontaktes von Stiel und Tischplatte übt der Tisch eine Kraft
auf den Hammer aus.
Geg.: m , h , d , ⃗v0 = ⃗0 , φ
⃗˙ 0 = ⃗0 , ⃗g
S
g
ϕ0
v0
h
Richtungssinn der Vektoren nach Skizze
Ges.:
Bestimmen Sie unter der Voraussetzung, dass während
der Kontaktzeit beim Stoß des Stiels mit der Tischplatte
die mittlere Stoßkraft
(
)
Fx,m
F⃗m =
Fz,m
z
d
x
auftritt, die Geschwindigkeit des Schwerpunkts des Hammers und die Zeit, die insgesamt vergeht, bis der Hammerschwerpunkt die Höhe der Tischkante passiert!
Lösung
Dem Bewegungsvorgang können zwei unterschiedliche Phasen
zugeordnet werden:
⃗ bis
- 0 ≤ t ≤ tF : Freier Fall auf Grund der Gewichtskraft G
das Stielende die Tischkante erreicht, wobei nur die Gewichtskraft wirkt. Für die Schwerpunktsbeschleunigung
liefert der Freischnitt dann
S
ϕ0
v0
Freischnitt
- tF < t ≤ tF + tS : Stoßvorgang, bei dem zusätzlich zur
Gewichtskraft die mittlere Kraft F⃗m auf das Stielende
einwirkt. Für die mittlere Schwerpunktsbeschleunigung
ergibt sich aus dem Freischnitt für diesem Zeitraum:
S S
z
x
wobei der Index m auf die Mittelwerte hinweist.
127
Für die Fragestellung der Aufgabe interessiert lediglich die Bewegung in z-Richtung. Wir erhalten
für die Geschwindigkeit vSz (t) des Schwerpunkts in z-Richtung nach einmaliger Integration
vSz (t) = −g t + vSz (t = 0) = −g t für 0 ≤ t ≤ tF
vSz (t) = aSz,m (t − tF ) + vSz (tF )
für tF < t ≤ tF + tS
und als Weg-Zeit-Gesetz
Hinsichtlich der x-Richtung sei noch vermerkt, dass, da während des Freien Falls keine Kraft in
x-Richtung angreift, der Schwerpunkt des Hammers sich also bis zum Zeitpunkt t = tF geradlinig nach unten bewegt.
Die Zeitdauer tF des Freien Falls ergibt sich aus der Bedingung
zu
und Geschwindigkeit und Ort zu diesem Zeitpunkt sind
√
vz (tF ) = − 2 g d , zS (tF ) = h − d .
Diese Lösung hätte man alternativ sofort aus dem Energieerhaltungssatz mit
T (t = tF ) =
1
2
m vSz
= V (t = 0) − V (tF ) und
2
V (t = 0) − V (tF ) = m g d
erhalten können.
Die gesuchte Fallzeit tges = tF + tS folgt damit aus der Bedingung
Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung liefern
128
so dass sich für die gesuchte Fallzeit
tges = tF + tS1,2
ergibt.
Die durch den Kontakt mit der Tischplatte einsetzende Rotationsbewegung spielt für die Lösung
des Problems zunächst keine Rolle46) .
Übung
Diskutieren Sie anhand Gl. (*), welche der möglichen Lösungen
tges = tF + tS1
bzw.
tges = tF + tS2
physikalisch sinnvoll sind! Untersuchen Sie dazu die Fälle Fm,z < G und Fm,z > G und betrachten Sie auch den Spezialfall d = 0!
46)
Die Rotationsbewegung wird mit dem Drallsatz berechenbar, der weiter unten im Abschnitt 2.2.3 eingeführt
wird.
129
2.2.2
Potentielle und kinetische Energie des Körpers
Potentielle Energie in konstantem Schwerefeld
Wir hatten beim Massenpunkt die potentielle Energie als die negative Arbeit der Gewichtskraft bei der Verschiebung im Schwerefeld eingeführt. Wir teilen den Körper in infinitesimale
Massenelemente dm auf und übernehmen diese Definition für jedes Massenelement:
(2.2.7)
Wir erleichtern uns die Herleitung, indem wir einen starren Körper
annehmen. Dann können wir die Verschiebung d⃗rdm mit Euler
durch
z
g
G
(2.2.8)
dm S m
A
⃗ = ⃗g dm in die obige Beausdrücken und dies zusammen mit dG
ziehung einsetzen:
x
y
dG
dm
(2.2.9)
dFdm
dMdm drdm
Integrieren für alle Massenelemente dm des Körpers liefert:
(2.2.10)
Die beiden Integrale können dabei sofort vereinfacht werden, da ⃗g und wegen des starren Körpers
auch d⃗rA und d⃗
φ für alle Massenelemente den gleichen Wert haben:
(2.2.11)
Es bietet sich hier nun an, den Punkt A geschickt zu wählen. Identifizieren wir nämlich A mit
dem Schwerpunkt des starren Körpers S, so verschwindet
(2.2.12)
130
Es ergibt sich für die potentielle Energie
(2.2.13)
Die potentielle Energie des starren Körpers berechnet sich also aus der Verschiebung des Schwerpunkts des starren Körpers im Schwerefeld, genau so, als ob die Gesamtmasse im Schwerpunkt
konzentriert ist. Diese Aussage ist auch unabhängig davon, ob der Körper bei der Verschiebung
rotiert oder nicht.
Orientieren wir die Schwerebeschleunigung antiparallel zur z-Achse, so wird ⃗g = (0, 0, −g)
(2.2.14)
und für eine endliche Verschiebung vom Ort 1 zum Ort 2
(2.2.15)
Übung
Zeigen Sie, dass sich auch ein deformierbarer Körper hinsichtlich der potentiellen Energie wie
ein Massenpunkt verhält, das heißt, dass alleine die Lage des Schwerpunkts im Schwerefeld die
potentielle Energie bestimmt!
131
Kinetische Energie des starren Körpers
Auch für die Bestimmung der kinetischen Energie eines ausgedehnten Körpers wollen wir wieder vom Massenpunkt ausgehen. Die
kinetische Energie eines infinitesimalen Massenpunktes ist demnach
z
vdm
dm S m
A
(2.2.16)
und für den Körper insgesamt
x
y
(2.2.17)
Die Geschwindigkeit jedes Massenelementes des starren Körpers kann unterschiedlich sein. Wir
vermuten, dass wieder der Schwerpunkt S eine besondere Rolle spielt und wir könnten ⃗vdm mit
Euler durch
(2.2.18)
ausdrücken. Oft rotiert aber ein betrachteter Körper um einen festen Punkt, durch den die Achse
der Drehbewegung verläuft. Wir wollen deshalb allgemeiner formulieren und einen zunächst
unbestimmten Punkt A als Referenzpunkt wählen:
(2.2.19)
In der Definition für die kinetische Energie benötigen wir das Quadrat der Geschwindigkeit
(2.2.20)
Wir multiplizieren dies aus und erhalten
(2.2.21)
132
so dass unsere Formel für die kinetische Energie
(2.2.22)
lautet.
Das erste Integral liefert, wenn wir berücksichtigen, dass die Geschwindigkeit ⃗vA des Referenzpunktes A als translatorischer Beitrag für alle Massenelemente konstant ist,
(2.2.23)
Im zweiten Integral setzen wir außerdem ⃗vdm,A = φ
⃗˙ × ⃗rdm,A und berücksichtigen, dass für den
starren Körper die Winkelgeschwindigkeit φ
⃗˙ aller Massenelemente gleich ist, so dass sich
(2.2.24)
ergibt. Im dritten Integral schließlich müssen wir
(2.2.25)
auswerten. Wir nutzen hierfür die für zwei dreidimensionale Vektoren ⃗a ∈ R3 und ⃗b ∈ R3 gültige
Lagrangesche Identität47)
(
) (
) (
)(
) (
)(
)
(2.2.26) ⃗a × ⃗b · ⃗c × d⃗ = ⃗a · ⃗c ⃗b · d⃗ − ⃗b · ⃗c ⃗a · d⃗
Wir erhalten damit die Formel
(2.2.27)
47)
Siehe dazu auch die Übungsaufgabe im Anhang S. x.
133
mit ⃗c = ⃗a = φ
⃗˙ und d⃗ = ⃗b = ⃗rdm,A .
Das letzte Integral in vorstehender Formel können wir so umschreiben, dass wir die Winkelgeschwindigkeit aus dem Skalarprodukt isolieren und, da sie für alle Punkte des starren Körper
gleich ist, außerhalb des Integrals schreiben können. Dabei hilft das dyadische Produkt zweier
dreidimensionaler Vektoren ⃗a ∈ R3 und ⃗b ∈ R3 , welches, wie im Anhang S. A.5.4 allgemeiner
eingeführt, durch folgenden Tensor ⃗⃗c ∈ R3×3
(2.2.28)


 
a1 b1 a1 b2 a1 b3
a1 (
) 

⃗
⃗c = ⃗a ⊗ ⃗b = ⃗a ⃗btr = a2  b1 b2 b3 = a2 b1 a2 b2 a2 b3  mit ⃗⃗c ∈ R3×3
a3
a3 b1 a3 b2 a3 b3
definiert ist. Wir erhalten damit zunächst
(2.2.29)
Das vorletze Integral lässt sich mit der Einheitsmatrix

1 0 0


⃗ 
I⃗ =  0 1 0 
(2.2.30)
0 0 1
zu
(2.2.31)
auf eine zum letzten Integral passende Form umschreiben. Insgesamt erhalten wir für das dritte
Integral
∫
2
vdm,A
dm
(2.2.32)
= φ
⃗˙ ·
(m)
(∫
⃗
rdm,A rdm,A I⃗ dm
(m)
= φ
⃗˙ ·
(∫
)
·φ
⃗˙ − φ
⃗˙ ·
)
(∫
)
⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A dm · φ
⃗˙
(m)
⃗
2
rdm,A
I⃗ − ⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A dm · φ
⃗˙ .
(m)
Der hier auftauchende Ausdruck
(2.2.33)
ist eine rein geometrische Größe, die nur von der räumlichen Massenverteilung im Körper und
⃗
von der Wahl des Bezugspunktes, hier A, abhängt. Er stellt den Trägheitstensor J⃗A bezogen auf
den Punkt A dar.
134
Die Diagonalelemente des Trägheitstensors werden Massenträgheitsmomente oder einfach Trägheitsmomente genannt, die Nebendiagonalelemente heißen Nebenträgheitsmomente oder Deviationsmomente. Diese verschwinden für Körper, die hinsichtlich der Rotationsachse symmetrisch sind.
Bei nicht achsensymmetrischen Körpern sind die Deviationsmomente ein Maß für das Bestreben
eines Körpers die Lage der Rotationsachse im Raum zu ändern, wodurch Kreiselbewegungen
einsetzen, wenn diese nicht durch äußere Zwangskräfte unterbunden werden. Der Trägheitstensor ist offensichtlich ein symmetrischer Tensor. Er besitzt folglich reelle Eigenwerte, so dass
sich für jeden Körper Hauptträgheitsachsen angeben lassen, für die die Deviationsmomente verschwinden. Die Richtung der Hauptträgheitsachsen finden wir, indem wir die Eigenvektoren zum
Trägheitstensor bestimmen. Die Hauptträgheitsachsen stehen stets orthogonal zueinander.
Mit dem Trägheitstensor können wir die kinetische Energie des starren Körpers nun vollständig
angeben:
(2.2.34)
Insbesondere der letzte Term zeigt einen komplizierten Beitrag zur kinetischen Energie, in den
die Richtungsabhängigkeit zwischen momentaner Drehachse und die Lage der Massenteilchen
zum momentanen Drehpunkt des Körpers eingehen.
(
)
Sonderfälle, bei denen das Glied ⃗vA · φ
⃗˙ × ⃗rS,A m entfällt:
)
(
˙
⃗ × ⃗rS,A m verschwindet, falls der Bezugspunkt A mit dem Schwer- Der Ausdruck ⃗vA · φ
punkt S zusammenfällt, so dass ⃗rS,A ≡ 0 ist. Es folgt für die kinetische Energie
(2.2.35)
T =
1
1 ˙ ⃗⃗ ˙
m vS2 + φ
⃗ · JS · φ
⃗.
2
2
⃗
Darin ist J⃗S der Trägheitstensor bezogen auf den Körperschwerpunkt:
)
∫ (
⃗⃗
⃗⃗
2
(2.2.36)
JS =
rdm,S I − ⃗rdm,S ⊗ ⃗rdm,S dm
(m)
Der erste Summand in Gl. (2.2.35) stellt die kinetische Energie der Translation Ttrans,S =
1
m vS2 des starren Körpers dar, die für alle Massenelemente gleich ist: Ttrans,S = Ttrans .
2
Diesen Term hatten wir bereits als kinetische Energie des Massenpunktes definiert, bei
⃗
dem wegen fehlender Ausdehnung der Trägheitstensor verschwindet, J⃗S ≡ 0, weshalb keine Rotationsenergie gespeichert werden kann.
⃗ ˙
Der zweite Summand stellt die kinetische Energie der Rotation Trot,S = 12 φ
⃗˙ · J⃗S · φ
⃗ dar, welche die in der Rotationsbewegung um den Schwerpunkt zusätzlich gespeicherte Bewegungs1
1 ˙ ⃗⃗ ˙
energie erfasst. Es fällt eine Analogie zwischen Ttrans,S = ⃗vS m ·⃗vS und Trot,S = φ
⃗ · JS · φ
⃗
2
2
auf: In der rotatorischen Bewegungsenergie steht statt der Masse m der Trägheitstensor
⃗
J⃗ und statt des Skalarproduktes mit der Geschwindigkeit ⃗vS geht das Skalarprodukt der
Winkelgeschwindigkeit φ
⃗˙ ein. Allerdings ist die Struktur des Term für die Energie der Rotations deutlich komplexer als diejenige der Translation, was durch den Tensorcharakter
der Massenträgheit der Rotation und den Skalarprodukten mit der Winkelgeschwindigkeit
135
zum Ausdruck kommt. Diese Komplexität wird aufgelöst, wenn der Körper um eine im
Raum konstant bleibende, körperfeste Achse rotiert (siehe dazu die nachfolgende Diskussion S. 136 ff.
(
)
- Der Ausdruck ⃗vA · φ
⃗˙ × ⃗rS,A m verschwindet, falls A einen ruhenden Punkt meint, ⃗vA ≡ 0.
Es ergibt sich dann für die kinetische Energie
(2.2.37)
⃗
Darin ist J⃗A der Trägheitstensor bezogen auf den körperfesten Punkt A:
(2.2.38)
Offensichtlich entfällt in dieser Darstellung die translatorische Bewegungsenergie. Die gesamte kinetische Energie kann also durch die Rotationsenergie bezogen auf den Punkt A
erfasst.
Auch in diesem Fall muss es aber möglich sein, die kinetische Energie T auch vom Schwerpunkt aus anzugeben:
(2.2.39)
⃗
⃗
wobei vS = rS,A φ̇ ist. Dies erlaubt folgende Umrechnung der Trägheitstensoren J⃗A und J⃗S
ineinander, die als Satz von Steiner bekannt ist:
(2.2.40)
2.2.2.0.1 Rotation des starren Körpers um eine im Raum konstant ausgerichtete,
körperfeste Achse
Der Sonderfall des starren Körper, der um eine im Raum konstant ausgerichtete, körperfeste
Achse rotiert, sei besonders hervorgehoben. Der frei wählbare körperfeste Punkt A soll auf der
Rotationsachse liegen. Dieser Sonderfall tritt automatisch bei ebenen Problemen auf, bei denen
die Bewegung nur in der x, y-Ebene stattfinden soll und bei denen die Rotationsachse deshalb
zwangsläufig in Richtung der z-Achse orientiert ist. Als Ergebnis verliert die Massenträgheit
136
gegen Rotation ihren tensoriellen Charakter und wird zu einer skalaren Größe, dem Massenträgheitsmoment, das wir im Folgenden ableiten wollen.
In der Formel (2.2.34) für die kinetische Energie
(2.2.41)
wollen wir den Ausdruck für die Rotationsenergie
(2.2.42)
⃗
vereinfachen. Dazu zerlegen wir den im Trägheitstensor J⃗A
auftretenden Abstandsvektor ⃗rdm,A des jeweiligen Massenelementes in einen Vektor ⃗rdm ∥ entlang der Rotationsachse
und einen Abstandsvektor ⃗rdm,A ⊥ senkrecht zur Achse
(2.2.43)
ϕ
z
dm
⃗rdm,A = ⃗rdm ∥ + ⃗rdm,A ⊥ ,
rdm,A
so dass folgende Aussagen gelten:
S
1. Orthogonalität von ⃗rdm,A ⊥ mit φ
⃗˙ und ⃗rdm ∥ :
(2.2.44)
⃗rdm,A ⊥ · φ
⃗˙ = 0
m
A
und ⃗rdm,A ⊥ · ⃗rdm ∥ = 0
x
2. Proportionalität zwischen ⃗rdm ∥ und φ
⃗˙ :
y
⃗rdm ∥ = λdm φ
⃗˙
(2.2.45)
Wir führen folgende Rechnung aus:
(2.2.46)
Trot,A
∫ (
)
1 ˙
⃗
2
=
φ
⃗·
rdm,A
I⃗ − ⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A dm · φ
⃗˙
2
(m)
∫ [ (
)
]
1
⃗
2
φ
⃗˙ · rdm,A
I⃗ − ⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A · φ
⃗˙ dm
=
2
(m)
∫ [ (
)
]
1
⃗⃗ ˙
2
2
=
φ
⃗˙ · rdm
+
r
I
·
φ
⃗
dm
dm,A
⊥
∥
2
(m)
∫ [
]
(
))
1
−
φ
⃗˙ · ⃗rdm ∥ ⊗ ⃗rdm ∥ + ⃗rdm ∥ ⊗ ⃗rdm,A ⊥ + ⃗rdm,A ⊥ ⊗ ⃗rdm ∥ + ⃗rdm,A ⊥ ⊗ ⃗rdm,A ⊥ · φ
⃗˙ dm
2
(m)
Im ersten Integral der rechten Seite der Beziehung taucht das Produkt 2 ⃗rdm ∥ · ⃗rdm,A ⊥ wegen
der Orthogonalität der Vektoren bereits nicht auf, im letzten Integral entfallen die letzten drei
137
Summanden wegen der Orthogonalität von φ
⃗˙ und ⃗rdm,A ⊥ 48) . Wir erhalten als Zwischenergebnis
∫ [ (
]
)
))
(
1
⃗⃗ ˙
2
2
˙ · ⃗rdm ∥ ⊗ ⃗rdm ∥ · φ
˙ dm .
I
·
φ
⃗
−
φ
⃗
⃗
Trot,A =
φ
⃗˙ · rdm
+
r
dm,A ⊥
∥
(2.2.48)
2
(m)
Im letzten Summanden setzten wir nun die Proportionalitäten φ
⃗˙ =
1
⃗r
bzw. ⃗rdm ∥ =
λdm dm ∥
⃗˙ ein und lösen die Skalarprodukte und das dyadische Produkt auf:
λdm φ
∫ [ (
)
]
(
))
1
⃗⃗ ˙
2
2
˙ · ⃗rdm ∥ ⊗ ⃗rdm ∥ · φ
˙ dm
φ
⃗˙ · rdm
+
r
I
·
φ
⃗
−
φ
⃗
⃗
Trot,A =
dm,A ⊥
∥
2
(m)
∫ [(
)
(
)
]
1
2
2
˙ 2 − 1 ⃗rdm ∥ · ⃗rdm ∥ ⊗ λdm φ
˙ ·φ
˙ dm
=
rdm
+
r
φ
⃗
⃗
⃗
dm,A ⊥
∥
2
λdm
(m)
∫ [(
)
]
1
2
2
2
˙ 2 − r2
(2.2.49)
rdm
+
r
φ
⃗
φ̇
dm
=
dm,A ⊥
∥
dm ∥
2
(m)
∫
1
2
rdm,A
⃗˙ 2
=
⊥ dm φ
2
(m)
1
= JA φ
⃗˙ 2
2
Die hierin auftretende skalare Größe JA wird als Massenträgheitsmoment bezeichnet. Es dient
der Beschreibung der Massenträgheit des starren Körpers gegen Rotation bei Rotation um eine
im Raum konstant ausgerichtete, körperfeste Achse:
∫
(2.2.50)
2
rdm
A ⊥ dm
JA =
(m)
Offensichtlich hat nur der Abstand der Massenteilchen zur Rotationsachse einen Beitrag zum
Massenträgheitsmoment und nicht mehr der Abstand zum Bezugspunkt A auf der Achse, wie es
vorher bei der allgemeinen Rotationsbewegung im Trägheitstensor der Fall war. Für die kinetische Energie insgesamt erhalten wir also bei Rotation um eine im Raum konstant ausgerichtete,
körperfeste Achse das einfache Ergebnis:
(2.2.51)
TA =
(
)
1
1
2
m vA
+ ⃗vA · φ
⃗˙ × ⃗rS,A m + JA φ̇ 2
2
2
Sonderfälle bei Rotation um(eine im )
Raum konstant ausgerichtete, körperfeste Achse, bei denen das Glied ⃗vA · φ
⃗˙ × ⃗rS,A m entfällt:
48)
Dazu wird von der im Anhang auf S. vi aufgeführten Rechenregel (A.5.11) für Skalarprodukte von Vektoren
mit dyadischen Produkten Gebrauch gemacht:
(2.2.47)
⃗c · (⃗a ⊗ ⃗b) = (⃗c · ⃗a) ⃗b
und
138
(⃗a ⊗ ⃗b) · ⃗c = ⃗a (⃗b · ⃗c)
Auch hier können wieder die beiden bereits weiter oben für den Fall der allgemeinen
(
)Rotations˙
bewegung aufgelisteten Sonderfälle unterschieden werden. Das Glied ⃗vA · φ
⃗ × ⃗rS,A m in Gl.
(2.2.51) entfällt,
- falls der Bezugspunkt A mit dem Schwerpunkt S zusammenfällt, ⃗rS,A ≡ 0, und deshalb die
raumfeste Achse durch den Schwerpunkt des Körpers verläuft. Es folgt für die kinetische
Energie
(2.2.52)
Darin ist JS das Massenträgheitsmoment bezogen auf die achse durch den Schwerpunkt:
(2.2.53)
Der erste Summand stellt die kinetische Energie der Translation Ttrans,S des starren Körpers
bei Rotation um eine im Raum konstant ausgerichtete, körperfeste Achse dar. Diese translatorische Energie ist für alle Masseteilchen gleich: Ttrans ≡ Ttrans,S . Der Term stimmt also
überein mit der kinetischen Energie eines Massenpunktes, wenn die Gesamtmasse am Ort
des Schwerpunkts zusammengefasst wird.
Der zweite Term stellt die kinetische Energie der Rotation Trot,S bei der Rotation um eine
im Raum konstant ausgerichtete, körperfeste Achse durch den Schwerpunkt dar, welche die
in der Rotationsbewegung um den Schwerpunkt zusätzlich gespeicherte Bewegungsenergie
1
1
erfasst. Die Analogie zwischen Ttrans,S = m vS2 und Trot,S = JS φ̇ 2 fällt deutlich ins Au2
2
ge: In der rotatorischen Bewegungsenergie steht statt der Masse m das Trägheitsmoment
JS und statt des Geschwindigkeitsquadrates vS2 geht das Quadrat der Winkelgeschwindigkeit φ̇2 ein.
- falls A einen ruhenden Punkt meint, ⃗vA ≡ 0. Man erhält für die kinetische Energie
(2.2.54)
Darin ist JA das Massenträgheitsmoment bezogen auf die Achse durch den körperfesten
Punkt A:
(2.2.55)
Offensichtlich entfällt nun eine translatorische Bewegungsenergie. Die gesamte kinetische
Energie wird durch die Rotationsenergie erfasst. In diesem Fall muss es möglich sein, die
gesamte kinetsiche Energie auch vom Schwerpunkt aus anzugeben.
139
(2.2.56)
wobei vS = rS,A ⊥ φ̇ ist. Dies erlaubt folgende Umrechnung, die als Satz von Steiner bekannt
ist:
(2.2.57)
Offensichtlich ist das Trägheitsmoment eines Körpers bezüglich des Schwerpunkts das
kleinste. Bei Drehung um eine Achse außerhalb des Schwerpunkts erhöht sich das Trägheitsmoment um den stets positiven Steinerschen Anteil, der sich aus dem Abstandsquadrat
zwischen Schwerpunkt und Achse multipliziert mit der Gesamtmasse des Körpers errechnet.
Übung
m
Zeigen Sie, dass für die kinetische Energie des dargestellten ebenen
starren Körpers
S
ϕ
Teben
1
1
1
= m vS2 + JS φ̇ 2 ≡ JA φ̇ 2
2
2
2
y
mit JA = JS + m rS2
x
A
gilt.
Beispiel
Ein Rad vom Radius r und homogener Masseverteilung rollt
ohne zu rutschen aus der Ruhelage eine schiefe Ebene hinunter.
Bestimmen Sie in Abhängigkeit von der Strecke s die kinetische
Energie, die Geschwindigkeit des Rades und seine Beschleunigung,
a) wenn das Rad als ebener starrer Körper, Index SK, betrachtet wird,
b) wenn das Rad zum Vergleich als Massenpunkt, Index M P ,
betrachtet wird!
140
g
s
S
r
α
Lösung
s
S
Wir nutzen den Energiesatz nach dem kinetische und potentielle Energie bei s = 0 zuzüglich der Arbeit der Kräfte entlang
der zurückgelegten Strecke s mit der kinetischen und potentiellen Energie an der Stelle s übereinstimmt:
m, r
α
∑⃗
F die Resultierende aller am Körper angreifenden Kräfte außer der GewichtsDabei ist mit
kraft gemeint, die ja bereits durch die potentielle Energie erfasst wird. Dazu ist ein Freischnitt
sinnvoll. Setzen wir kinetische und potentielle Energie bei s = 0 zu Null, erhalten wir
⃗ senkrecht zur Bewegungsrichtung steht, verschwindet ihre Arbeit:
Da die Normalkraft N
Das Integral über die Reibkraft verschwindet ebenfalls:
Dies sieht man ein, wenn man die Reibkraft in den Mittelpunkt des Rades parallel verschiebt
und das dadurch entstehende Versatzmoment MR in den Freischnitt einträgt. Die Arbeit der
Reibkraft und die Arbeit des Versatzmomentes ergänzen sich genau zu Null, falls keine Rutschen
zwischen Rad und Unterlage auftritt, also die Abrollbedingung s = r φ gilt. Wir erhalten also
einfach
wobei
Für das rollende Rad auf der feststehenden schiefen Ebene hatten wir vS = r φ̇ gefunden, so
dass wir für die kinetische Energie den Ausdruck
y
m
erhalten. Zur Berechnung des Massenträgheitsmoments
∫
2
JS =
rdm
dm
S
(m)
m(rdm)
rdm
2
π rdm
π r2
substituieren wir wegen m(rdm ) = m
durch
rdm drdm
dm = 2 m
r2
das Differential dm
141
r
x
und erhalten
Daher ergibt sich
oder
Die Beschleunigung aS (s) des Rades erhalten wir, indem wir die Beziehung für die Geschwindigkeit nach der Zeit t ableiten:
b) Für den sich ohne Reibungsverluste auf der Ebene bewegenden Massenpunkt liefert der
Energiesatz
Nach Vergleich mit den Ergebnissen des starren Körpers ergibt sich für die Verhältnisse von
kinetischen Energien, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen
Im Energieverhältnis kommt zum Ausdruck, dass beide Vorgänge ohne Verlust mechanischer
Energie ablaufen! In Einklang mit unserer Aussage, dass die Reibkraft keine Arbeit leistet,
schlägt also durch die Reibung beim rollenden Rad kein Verlust mechanischer Energien zu Buche49) . Der reibungsfrei gleitende Massenpunkt nimmt demnach schneller Geschwindigkeit auf
als der starre Körper. Die zur Verfügung stehende potentielle Energie wird beim starren Körper
nicht nur in translatorische kinetische Energie sondern auch in rotatorische kinetische Energie
überführt. In der Summe wird in beiden Fällen die vorhandene potentielle Energie vollständig
in kinetische Energie umgesetzt. Schwerpunktsbeschleunigung und -geschwindigkeit sind beim
rollenden Rad notwendigerweise kleiner als beim Massenpunkt, schließlich bremst die Reibkraft
die Schwerpunktsbewegung. Für die Zunahme der Winkelgeschwindigkeit und damit der rotatorischen kinetischen Energie ist die Reibkraft zuständig. Dadurch, dass diese am Umfang angreift,
kann sie die Rotationsgeschwindigkeit des Rades so erhöhen, wie es die Abrollbedingung erfordert.
Zur Berechnung der Reibkraft werden wir im folgenden Abschnitt den Drehimpulssatz für den
starren Körper verwenden, dessen Herleitung uns noch fehlt, um die Kinetik des starren Körpers
zu vervollständigen.
49)
Die Reibkraft am rollenden Rad kommt durch Haftreibung zustande. Im Unterschied zur Rollreibung, die
einhergeht mit der Deformation des rollenden Körpers und Verlusten mechanischer Energie, kann beim starren
Körper keine Rollreibung auftreten!
142
2.2.2.0.2
Zusammenfassung zur kinetischen Energie des starren Körpers
In den vorstehenden Abschnitten haben wir für die kinetische Energie des starren Körpers die
folgende allgemeine Formel
∫
(
)
1
1 ˙ ⃗⃗
2
T =
dTdm = m vA
+ ⃗vA · φ
⃗˙ × ⃗rS,A m + φ
⃗ · JA · φ
⃗˙
2
2
(m)
mit dem Trägheitstensor
⃗
J⃗A =
∫
(
⃗
2
rdm,A
I⃗ − ⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A
)
(m)
⃗
angegeben, wobei I⃗ der Einheitstensor ist.
Hiervon ausgehend haben wir Formeln abgeleitet, die bei allgemeiner räumlicher Bewegung und
bei Rotation um eine im Raum fest orientierte, körperfeste Achse Gültigkeit haben.
In beiden Fällen haben wir entweder den Schwerpunkt S als Bezugspunkt oder einen nichtbewegten körperfesten Punkt A mit ⃗vA ≡ 0 gewählt.
• Allgemeine translatoriche und rotatorische Bewegung eines starren Körpers
- Schwerpunkt als Bezugspunkt:
T = Ttrans + Trot,S =
1
1 ˙ ⃗⃗ ˙
m vS2 + φ
⃗ · JS · φ
⃗
2
2
- Im Referenzsystem ruhender Bezugspunkt A:
T = Trot,A =
1 ˙ ⃗⃗
φ
⃗ · JA · φ
⃗˙
2
mit dem Trägheitstensor
⃗
J⃗A =
∫
(
)
⃗
2
rdm,A
I⃗ − ⃗rdm,A ⊗ ⃗rdm,A ,
(m)
⃗
wobei I⃗ der Einheitstensor ist.
Zwischen den Trägheitstensoren besteht mit dem Satz von Steiner folgende Umrechnungsmöglichkeit:
(2.2.58)
( 2 ⃗
)
⃗
⃗
J⃗A = J⃗S + m rS,A
I⃗ + ⃗rS,A ⊗ ⃗rS,A
• Bei Rotation um eine im Referenzsystem konstant ausgerichtet, körperfeste Achse
- Schwerpunkt S als Bezugspunkt auf der Rotationsachse:
T = Ttrans + Trot,S =
1
1
m vS2 + JS φ̇2
2
2
mit dem Massenträgheitsmoment bezogen auf den Schwerpunkt
∫
2
JS =
rdm,S
⊥ dm ,
(m)
wobei rdm,S ⊥ den senkrechten Abstand der Massenelemente zur Rotationsachse bezeichnet.
143
- Die Rotationsachse läuft durch einen im Referenzsystem ruhenden Punkt A:
1
JA φ̇2
2
wobei das Massenträgheitsmoment bezogen auf den Punkt A durch
∫
2
JA =
rdm,A
⊥ dm
T = Trot,A =
(m)
gegeben ist. Dieses errechnet sich mit dem Satz von Steiner auch aus
2
JA = JS + m rA,S
⊥.
2.2.2.1
Massenträgheitsmomente einfacher ebener Körper
Ebener Körper
y
Mit der Definition
S
dm
r
x
ergeben sich folgende Formeln
m
Kreisscheibe oder Walze
S
r
Kreisring oder Rohr
S
r
s
Rechteck oder Quader
S
b
a
Stab oder Platte
Es gilt der Satz von Steiner:
S
d
l
(2.2.59)
y
Offensichtlich ist das Massenträgheitsmoment bezüglich des
Schwerpunkts stets das kleinste für einen gegebenen Körper.
144
rS
A
S
x
Massenträgheitsmoment der homogenen Kugel um eine Symmetrieachse
Rotiert eine homogene Kugel um eine Schwerpunktsachse so ist
das Massenträgheitsmoment durch
gegeben, wobei ra den Abstand der Massenelemente dm von der
Achse darstellt. Wenn diese nach der z-Richtung ausgerichtet ist
ergibt sich
z
S
y
m,R
x
Zur Berechnung des Integrals nutzen wir die Symmetrie der Kugel
aus und betrachten das einfachere Integral
z
m
R
S
m(r)
r
y
x
Es ist nun wegen der Symmetrie
r3
Da die Masse kubisch mit dem Radius anwächst m(r ≤ R) = m 3 , lässt sich die IntegrationsR
variable substituieren durch
so dass wir das Ergebnis
(2.2.60)
erhalten.
145
Übungen
a) Vergleichen Sie das Massenträgheitsmomentes eines dünnwandigen Rohres der Masse m
mit einem Vollstab der gleichen Masse!
b) Bestimmen Sie das Massenträgheitsmoment eines dickwandigen Rohres der Masse m mit
Innenradius ri und Außenradius ra !
∫
c) In der Festigkeitslehre hatten wir das polare Flächenträgheitsmoment Ip =
r2 dA defi(A)
niert. Zeigen Sie, dass der Zusammenhang
JS =
Ip
m
A
gilt!
d) Bestimmen Sie das Massenträgheitsmoment einer Hohlkugel aus homogenem Material mit
Innenradius ri und Außenradius ra !
e) Beweisen Sie den Satz von Steiner!
f) Zeigen Sie das schwerpunktsbezogene Massenträgheitsmoment JS des skizzierten Rohrausschnitts aus homogenem
Material durch
(
)2
)
2 (r + d)3 − r3
1 (
JS = m (r + d)2 + r2 −m
2 (1 − cos φE )
4
3φE (r + d)2 − r2
gegeben ist und ferner, dass für d ≪ r
(
)
1
4
2
JS = m r 1 −
(1 − cos φE )
2
φE
gilt!
146
y
S
rS
ϕE
m
r
d
x
Erstes Beispiel
Ein homogener Quader der Masse m gleitet reibungsfrei in
einer Halfpipe aus der Ruhelage 1 in die Position 2.
g
r
M
1
Geg.: m , a , b , r , ⃗g
b
a
S
2
Ges.: Winkelgeschwindigkeit α
⃗˙ 2 in der Position 2!
Lösung
Da der Quader reibungsfrei gleitet, gilt der Energieerhaltungssatz
M
1
b
S
Die kinetische Energie setzt sich zu jedem Zeitpunkt aus der
translatorischen kinetischen Energie des Schwerpunkt und
der Rotationsenergie um den Schwerpunkt zusammen
2
S
a
Der Quader dreht aber auch um den in unserem Bezugssystem raumfesten Mittelpunkt der
Halfpipe, so dass wir auch
schreiben können, wobei ρ den Kreisradius der Bahnkurve des Schwerpunkts S bezeichnet. Der
Schwerpunkt überstreicht auf dem Weg von 1 nach 2 einen Winkel von π/2. Damit errechnet
sich die Abnahme an potentieller Energie:
(
)
b
a
Mit den geometrischen Beziehungen ∆h = ρ cos α − sin α , sin α =
, ρ = r cos α − folgt
2r
2
( √
( a )2 b ) (√
( a )2
a)
∆h = r 1 −
1−
−
−
.
2r
2
2r
2r
Mit T1 = 0 folgt daher
Kontrollen:
Einheit: [α̇2 ] =
1 ( kg m/s2 m )1/2 √
=
s
kg m2
Spezialfall Massenpunkt:
Mit a = b = 0 gilt ∆h = r und mit JM = mr2 folgt für die Winkelgeschwindigkeit das bekannte
Ergebnis:
147
Zweites Beispiel
Ein Seil der Gesamtlänge l und Gesamtmasse m hängt zu einem Teil
der Länge a > l/2 über die Kante eines Tisches. Es wird in dieser
Lage zur Zeit t = 0 losgelassen und rutscht im Erdschwerefeld über
die Tischkante ab.
t=0
l-a
g
a
Annahmen: Das Seil soll als vollkommen biegsam mit homogener
Masseverteilung angesehen werden. Die Dehnung der nicht der
Biegung unterworfenen Seilabschnitte kann vernachlässigt werden.
Dicke d und Biegeradius r des Seiles sollen im Verhältnis zur
Gesamtlänge vernachlässigbar klein sein: d, r ≪ l.
d
Geg.: m , l , a , d, r ≪ l , µG , ⃗g
Richtungssinn der Erdbeschleunigung nach Skizze
Ges.:
a) Die Differentialgleichung der Bewegung für den Zeitraum 0 ≤ t ≤ tE bis sich die gesamte
Seillänge im Freien Fall befindet,
b) die Schnittreaktionen im Seil und die Normalkraft auf die Ecke der Tischkante als Funktion
von x,
c) die Lösung der Bewegungsgleichung,
d) die Zeit tE und die Geschwindigkeit vE des Seiles zu diesem Zeitpunkt!
Lösung
a) Mit den Annahmen der Aufgabenstellug ist es möglich, den horizontalen und den vertikalen
Abschnitt des Seiles mit den Beziehungen für starre Körper zu behandeln. Das Knie an der
Tischkante verhält sich wie ein momentanes verlustloses Gelenk. Der Energiesatz im Zeitintervall
0 ≤ t ≤ tE lautet
t < tE
Darin bedeuten T die kinetische Energie, V die potentielle Energie und
dW die Arbeit aller Kräfte außer der Gewichtskraft bei einer Verschiebung
um dx.
Im gekrümmten Seilabschnitt an der Tischkante besitzt die kinetische Energie einen translatorischen und rotatorischen Anteil. Wegen d, r ≪ l können
diese Beiträge gegenüber der rein translatorischen kinetischen Energien in
den beiden ungekrümmten Seilabschnitten vernachlässigt werden. Dabei
sind zusätzlich die Geschwindigkeiten im horizontalen und vertikalen Abschnitt gleich groß, da das Seil dehnstarr sein soll. Es ist also
148
Sv
x
dx
Da sich der Schwerpunkt um
x
verschiebt, ist die potentielle Energie (Nullpunkt bei x = 0)
2
Die Arbeit der Normalkräfte im horizontalen Abschnitt und an der Tischkante verschwinden:
t < tE
Wir erhalten also
Bezogen auf die Zeit dt ergibt sich für ẋ =
dx
̸= 0 die Differentialgleichung
dt
Sv
x,x
x
Gv
b) Das biegeschlaffe Seil nimmt keine Biegemomente auf. Es verhält sich
zu jedem Zeitpunkt so, als ob bei der Tischkante ein reibungsfreies Gelenk
zwischen den Seilabschnitten eingebaut wäre. Ferner kann ein Seil keine
Querkräfte aufnehmen. Deshalb liefert ein Freischnitt für den vertikalen
Abschnitt eine Längskraft
dx
π/4
Sv
x,x
x
Diese Lösung kann leicht am Freischnitt des horizontalen Seilabschnitts
überprüft werden. Dabei kann wegen des reibungsfrei gleitenden Seils und
der vernachlässigbaren Masse des gekrümmten Seilabschnitts angenommen
werden, dass die Längskraft einfach umgelenkt wird.
Gv
dx
Von der Tischkante wirkt auf das reibungsfrei gleitende Seil eine Normalkraft unter einem Winkel
von pi/4. Im Seil wird die Längskraft auf den horizontalen Bereich an der Tischkante einfach
umgelenkt, da, wie bereits argumentiert, neben der Reibung auch die Masse im gekrümmten
Seilstück wegen d, r ≪ l vernachlässigt werden kann:
(
√
√
x) x
NE (x) = 2 L(x) = 2 mg 1 −
l l
c) Wir probieren für die Differentialgleichung
den Lösungsansatz
Dieser erfüllt die Differentialgleichung für die Eigenwerte
149
√
λ1,2 = ±
g
.
l
Die allgemeine Lösung ist mit zwei freien Konstanten A und B:
( √ )
( √ )
g
g
t + B exp −
t
x = A exp +
l
l
Mit den Anfangsbedingungen x(t = 0) = a und ẋ(t = 0) = 0 folgt für die beiden freien
Konstanten
Mit dem Additionstheorem cosh x =
)
1( x
e + e−x kann als Endergebnis
2
geschrieben werden. Mit dem Weg-Zeit-Gesetz x(t) können nun auch die Kräfte L und NE als
Funktion der Zeit angegeben werden.
d) Die Ziet tE bis das Seil vollkommen vom Tisch gerutscht ist, ergibt sich mit x(tE ) = l zu
√
(√ )
l
l
arcosh
.
tE =
g
a
Die Geschwindigkeit ist dann:
√
ẋ(tE ) =
g
a sinh
l
(√
g
tE
l
√
)
=
√
g
a
l
(√
cosh
150
2
g
a tE
l
√
)
−1=
g √2
a l − a2
l
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