Nur laut oder schon Lärm? Wie wichtig ist Ruhe für die Lebensqualität? Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Ralph Mösges Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Medizinische Informatik in Köln Die Welt wird immer lauter: Mehr Verkehr, eine steigende Flugfrequenz, ständige Handytöne, der Laubsauger der Nachbarn und selbst das Spielzeug der Kleinsten – alles macht heutzutage Geräusche. Doch wann spricht man von Lärm? Und was macht Lärm mit unserem Körper? Das beantwortet uns Prof. Ralph Mösges. Manche sprechen von einer „Lärmlast“, unter der wir heute zu leiden haben. Wann wird ein Geräusch eigentlich zu Lärm? Ob etwas als Lärmbelästigung empfunden wird, hängt vom Einzelfall ab. Biologische, kulturelle und individuelle Faktoren sind mitentscheidend. Eine liebende Mutter zum Beispiel wird ihr schreiendes Kind nicht als Lärm empfinden, der genervte Nachbar dagegen schon. Ebenfalls wichtig ist, ob man Einfluss auf die Lärmquelle nehmen kann. Zeitpunkt, Lautstärke, Tonhöhe, Dauer und Art des Geräuschs spielen ebenfalls eine Rolle. Wie kann man dann Lärm messen? Geräusche entstehen durch Schwingungen und breiten sich in der Luft als Schallwellen aus. Die Stärke des Schalls, also die Lautstärke, kann man messen. Die Messgröße heißt Schalldruck, der angezeigte Messwert ist der Schalldruckpegel. Er wird in Dezibel angegeben. Leises Laubrascheln etwa hat 20 Dezibel. Ein Düsenflugzeug 130! Die Schmerzschwelle liegt bei 120 Dezibel. Hier sind auch schon nach kurzer Geräuscheinwirkung Gehörschäden möglich. Was passiert mit Lärmeinwirkung? dem Gehör durch eine zu starke Hier muss man zunächst zwischen extrem laut erlittenen Geräuschen (Impulslärm) und einer akustischen Dauerbelastung unterscheiden. Beides hat Folgen für das Ohr. Ein normaler Silvester-Böller z.B. hat - in die Nähe des Ohres gehalten - einen Spitzenpegel von 145 bis 160 Dezibel. Die lauten Knallgeräusche schädigen dabei vor allem die vorderen Haarzellen, die im Ohr den Schall aufnehmen. Dadurch kann das Gehör die Fähigkeit verlieren, hohe Töne aufzunehmen. Unsere Ohren sind in der Lage, Lärm bis zur Schmerzschwelle von 120 Dezibel zu ertragen – jedoch nur, wenn die Einwirkungszeit nicht zu lange andauert und wann dann ausreichend Zeit zur Erholung zur Verfügung steht. Auch Dauerlärm führt zu Beeinträchtigungen des Gehörs. Zudem steht er unter Verdacht, das Tinnitus-Risiko zu erhöhen. Hat Lärm auch andere Auswirkungen auf den Körper? Ja. Eine dauernde Lärmbelästigung hat Auswirkungen auf den gesamten Organismus - sowohl körperlich als auch psychisch. Die WHO hat Lärm als zweitgrößten Krankmacher unter den Umweltproblemen für Europa gelistet. Selbst wenn er nicht als störend empfunden wird, entfaltet er seine schädigende Wirkung. Was sind die Folgen von Dauerlärm? Unsere Ohren können wir nicht bewusst abschalten. Sie stehen immer auf Empfang, ständig im Stand-by sozusagen - sogar im Schlaf. Jedes laute Geräusch wird also aufgenommen und versetzt den Körper in Alarmzustand. Automatisch werden Stresshormone ausgeschüttet, Blutdruck, Muskelspannung, Herz- und Atemfrequenz sind erhöht. Unter ständigem Lärmeinfluss ist der Organismus also im Dauerstress – und das hat Folgen: Der Schlaf kann negativ beeinträchtigt werden, er wird weniger tief und man schläft insgesamt schlechter. Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, man fühlt sich viel schneller genervt, der Aggressionspotenzial steigt. Durch den erhöhten Blutdruck steigt das Herzinfarktrisiko. Auch Depressionen können durch Dauerlärm begünstigt werden. Wo sehen sie die meisten Lärmgefahren im Alltag? Der Straßenverkehr ist eines der Hauptprobleme. Allein in Deutschland sind 15 Prozent der Bürger einem stetigen Verkehrslärm von über 65 Dezibel ausgesetzt! Eine weitere Lärmquelle ist oft auch der eigene Arbeitsplatz, an dem man ja in der Regel die meiste Zeit des Tages verbringt. In Großraumbüros z.B. läutet dauernd das Telefon, viele Stimmen reden durcheinander. Aber auch sonst wird das Ohr eigentlich fast nirgends in Ruhe gelassen: Im Supermarkt, im Fitnessstudio und im Fahrstuhl läuft Musik, zu Hause lassen sich viele dann von Radio oder TV beschallen. Was kann man tun, um sich zu schützen? Gönnen Sie Ihren Ohren ab und zu Pausen. Wenn man nicht „hörbereit“ sein muss, sollte man sein Gehör regelmäßig verschließen. Einfach und praktisch geht das mit formbaren Ohrstöpseln aus Wachs oder Silikon. Vor allem Personen, die bereits an permanenten Ohrgeräuschen leiden, können solche Ruhepausen helfen, diese zu verbessern. Solche stillen Phasen helfen dem Gehör und dem Organismus abzuschalten und sich zu beruhigen. So bleibt man gesünder und steigert seine Lebensqualität. An Orten wo es laut hergeht, z.B. auf Rockkonzerten, sollte man seine Ohren unbedingt mit Ohrstöpseln ausstatten, um das Gehör vor Schallpegeln von über 100 dB zu schützen. Und: Man sollte vielleicht auch selbst versuchen, weniger Lärm zu produzieren. Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Ralph Mösges Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Medizinische Informatik in Köln Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie Bereich Medizinische Informatik Universitätsklinikum Köln geboren 1952, lebt in Köln Studien in Elektrotechnik, Medizin und Phonetik an den Universitäten Aachen und München Diplomingenieur, Fachrichtung Nachrichtentechnik 1976 Bauassessor mit großer Staatsprüfung 1981 Promotion in Humanmedizin 1985 Klinische Tätigkeit in Pneumologie und Hals-NasenOhrenheilkunde Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde 1989 Zusatzbezeichnungen Allergologie und Medizinische Informatik 1990 und 1987 Habilitation für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und für Medizinische Informatik 1992 1985-1987 Weiterbildung in Medizinischer Informatik am WHO Kooperationszentrum LERS, Paris und München 1987-1996 Leiter des Forschungsbereiches der Klinik für Hals-NasenOhrenheilkunde und Plastische Kopf- und Hals-Chirurgie, Universitätsklinikum der RWTH Aachen Seit 1996 Professor und Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Medizinische Informatik im Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln Autor von mehr als 150 Publikationen sowie Autor/Herausgeber von 9 Büchern. Editor von Bänden der Zeitschriften „Allergologie”, „Current Opinions in Allergy and Clinical Immunology“ und „Allergy”. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates mehrerer Fachzeitschriften. Seit 1985 beteiligt an mehr als 100 klinischen Studien als Leiter der klinischen Prüfung nach § 40 AMG, Prüfarzt, Studienkoordinator, Monitor und Biometriker. Mitglied der Expertenkommissionen zur Entwicklung der Leitlinien zur Rhinosinusitis und zum Hörsturz. Mitglied der Ethikkommission an der Universität zu Köln. Preisträger des „Apherese-Innovationspreises" 2009 und des „Best Poster Award" beim HNO-Weltkongress 2009.