Wissenswertes 48 49 3/2011 Sinnieren über die Sinne – Teil IV Das Gehör: Ein ständig wacher Hintergrundsinn 2/2011 4/2011 2/2012 1/2012 U nsere Ohren lassen sich nicht verschließen und sind stets auf Empfang. Sie schalten niemals ab, wachen selbst im Traum und informieren, schützen und warnen uns, wo unsere Augen nicht sehen können. Das Ohr ist ein hoch empfindliches Schlüsselorgan und in der Lage, pro Sekunde 100.000 bits an Information aufzunehmen, wovon maximal 30 in unser Bewusstsein gelangen; bei vielen Tieren kommt das Lauschen weit vor dem Sehen und Reagieren. Das Gehör als Mittel zur Kommunikation Immer auf Empfang Das Gehör ist ein kostbares Gut und eine wichtige Brücke zur gesamten Umwelt und den Mitmenschen. Denn wer hört, kann kommunizieren und selbst gehört werden. Dass das Zuhören jedoch wichtiger ist als alle Geschwätzigkeit, formulierte schon Epiktet: »Der Mensch hat zwei Ohren und eine Zunge, damit er doppelt so viel hören kann, wie er spricht.« Der soziale Kontakt zu unseren Mitmenschen findet in erster Linie über die Sprache, das Gehörte, statt. Hören heißt vor allem Zuhören – eine Kunst, die viele Menschen in unserer heutigen Zeit anscheinend verlernt haben. Jeder möchte von sich erzählen, doch wirklich zuzuhören, was der andere zu sagen hat, fällt oft schwer. Doch man muss zuhören, um zu verstehen, was der andere gerade sagt. Und man muss zuhören, um auf das Gesagte entsprechend antworten oder reagieren zu können. Außerdem regt Zuhören Sprache und Phantasie an: Wer zuhören kann, erfährt nicht nur viel, sondern kann sich aufgrund des Gehörten auch selbst ein Bild machen. Vor allem aber regt das Zuhören die Sprachfähigkeit an. Sprechen lernt man über das Hören. Und so ist ein gutes Gehör auch immer Voraussetzung für eine gute Sprachentwicklung. Die Fähigkeit, das Gehörte im Gehirn richtig verarbeiten und verstehen zu können, ist nämlich nicht angeboren. Sie muss trainiert werden – durch das Hören von Sprache und Geräuschen. Wie wir hören Der Hörvorgang ist sehr komplex und läuft über drei Abschnitte: das äußere Ohr, das Mittelohr und das Innenohr. Das äußere Ohr mit der Ohrmuschel dient dem Auffangen von Schallwellen und ist vor allem für das Richtungshören verantwortlich. Es kann unterscheiden, ob ein Geräusch von vorne, hinten oder von der Seite kommt. So lässt sich das Gehör beispielsweise leicht von rechts oder links ablenken, obwohl es eigentlich nach vorne gerichtet ist, etwa bei einem Konzert. Spricht neben uns jemand, so wendet sich das Gehör gleichzeitig dieser Stimme zu. Der Schall wird durch die Ohrmuschel aufgefangen und gelangt dann in den Gehörgang. Dessen Aufgabe besteht hauptsächlich darin, das auf ihn folgende Trommelfell vor mechanischen Schäden zu schützen. Das ist der Grund, warum der Gehörgang nicht gerade geformt, sondern gebogen ist. Das Trommelfell bildet die Grenze zwischen äußerem Ohr und Mittelohr. Hier werden die Schallwellen vom Gehörgang aufgefangen und ans Mittelohr weitergeleitet. Im Mittellohr befinden sich drei Gehörknöchelchen, die für die Verstärkung des Schalls zuständig sind: Hammer, Amboss und Steigbügel. Alle drei Knöchelchen sind nur wenige Millimeter groß und bilden eine Art Kette, durch die die Schallwellen vom Trommelfell zum Innenohr weitergeleitet und rund 20- bis 30fach verstärkt werden. Würden die Schallwellen ohne den Vermittler Mittelohr direkt auf das Innenohr übertragen, so käme es zu einem starken Hörverlust. Deshalb kommt es bei einer Zerstörung des Mittelohrs auch nicht zur völligen Taubheit, sondern »nur« zur Schwerhörigkeit, da bestimmte mechanische Schwingungen immer noch durch die Knöchelchenleitung gehört werden können. Alle drei Gehörknöchelchen haben ihre Namen übrigens von den Werkzeugen, denen sie ähnlich sehen. Während der Hammergriff mit dem Trommelfell verwachsen ist, ist der Steigbügel mit dem »ovalen Fenster«, einer Membran des Innenohrs, verbunden. Durch den Amboss werden Hammer und Steigbügel miteinander verbunden. Die wichtigste Aufgabe des Mittelohrs Redensarten rund um’s Hören … v iel um die Ohren haben (deutscher Ausdruck für Stress, der auch Tinnitus verursachen kann) … das Gras wachsen hören … ein offenes Ohr für jemanden haben … ganz Ohr sein … eine Stecknadel fallen hören … die Ohren auf Durchzug schalten … auf taube Ohren stoßen … die Flöhe husten hören Wissenswertes 50 ist neben der Übertragung und Verstärkung von Schallwellen der Druckausgleich. Dieser geschieht über die sogenannte Ohrtrompete, auch bekannt als Eustachische Röhre. Auf beiden Seiten des Trommelfells gelegen, schützt sie dieses vor dem Zerreißen, etwa bei Start oder Landung eines Flugzeugs oder bei der Überwindung eines Höhenunterschiedes im Gebirge. Im Innenohr findet der eigentliche Hörvorgang statt. Hier sitzt das Hörorgan, die Schnecke (Cochlea), zusammen mit dem Gleichgewichtsorgan im sogenannten Labyrinth. Die Schnecke hat ihren Namen von ihrer schneckenförmigen Gestalt. Sie ist mit einer Trennhaut, einer Membran, ausgekleidet. Durch die ankommenden Schallwellen wird diese Membran nun in Schwingung versetzt. Rund 16.000 Hörzellen samt Sinneshaaren werden dadurch erregt und erzeugen ein elektrisches Signal, das man auch Aktionspotenzial nennt. Dieses Signal wird über den Gehörnerv zum Hörzentrum des Gehirns weitergeleitet. Das Gehirn entschlüsselt die Schallwellen dann als Sprache, Musik oder Lärm. Wir hören. Alles im Gleichgewicht Neben dem Hörorgan befindet sich im Innenohr außerdem das wichtige Gleichgewichtsorgan. Dieses besteht aus Bogengängen, die Drehbewegungen feststellen können und für die Orientierung im Raum zuständig sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Gleichgewichtsorgan auch für die Steuerung von Körperbewegungen zuständig ist. Dies scheint besonders für Bewegungen im Dunkeln und bei komplizierten Bewegungsabläufen wie beispielsweise Turnen wichtig zu sein. Steter Schall schadet dem Gehör Ein Geräusch, fachlich richtig als Schall bezeichnet, entsteht durch mechanische Schwingungen von elastischen Stoffen. Schall kann als Druckschwankung definiert werden, die für das menschliche Ohr wahrnehmbar ist. Setzt ein Element den nächsten Luftpartikel in Bewegung, wird eine Wellenbewegung ausgelöst. Die Bewegung pflanzt sich zu den benachbarten, weiter von der Quelle entfernten Partikeln fort. Je nach Medium breitet sich Schall mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus, in der Luft mit ca. 340 m/s, in Wasser mit 1500 m/s und in Stahl mit 5000 m/s. Der Schall und damit auch das Hörvermögen eines Menschen wird in Dezibel gemessen. Das Hörvermögen bezeichnet den Grad der Hörschwelle, den jemand wahrnehmen kann. Die feinsten Töne, die ein gesundes Ohr erkennt, liegen bei 0 Dezibel. Das sind Töne, die leiser sind als das Geräusch des Atems, das etwa 10 Dezibel beträgt. Zum Vergleich: Ein Mensch mit einer leichten Schwerhörigkeit kann Töne erst bei einer Stärke von 25 bis 40 Dezibel erkennen. Wir alle können kurzfristig Lärm ertragen, gefährlich wird es bei permanenter Beschallung. Bereits bei einem dauerhaften Geräuschpegel von 60 Dezibel hat das Ohr Stress. Die Folgen können Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche sein. Ab 80 Dezibel kann es zu gesundheitlichen Folgen für den ganzen Organismus kommen, die von Hörschäden bis hin zum Herzinfarkt reichen können. Die Schallgrenze, die ein Mensch gerade noch aushalten kann, wenn er sich die Ohren zuhält, liegt bei 120 Dezibel, die Schmerzschwelle bei 130 Dezibel. Bei 150 Dezibel treten irreparable Schäden auf, die feinen Haarsinneszellen im Innenohr werden zerstört. Die Folge ist Taubheit, die sich weder durch Hörgeräte noch mit Medikamenten reparieren lässt. Geräusch oder Lärm? Geräusch bedeutet nicht automatisch Lärm. Unser Gehör erkennt Informationen in dem, was wir hören. Merkmale, die uns aufhorchen lassen, sind Töne oder Schallpegeländerungen. Erst Informationen, die wir nicht brauchen oder wollen, sind Lärm. Je aufdringlicher ein Ton ist und je rascher sich der Schallpegel ändert, desto eher wird das Geräusch dann als Lärm empfunden. Das Hörempfinden von Menschen und damit die persönliche Schmerzgrenze oder »eigene Schallgrenze« sind durchaus subjektiv und darüber hinaus von der Tagesform abhängig. Untersuchungen haben gezeigt, dass bestimmte Geräusche aus verschiedenen Schallquellen bei gleicher Lautstärke nicht gleich belästigend sind. So empfinden beispielsweise viele das Tosen eines Gebirgsbaches als durchaus angenehm, während das physikalisch gleich laute Rauschen in der Nähe einer Autobahn für die meisten Menschen unangenehm ist. Schallereignisse können außerdem den einen stimulieren und den anderen verärgern. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden Geräusche dann als Lärm bezeichnet, wenn sie eine individuell bestimmte Lautstärkegrenze erreichen und das Wohlbefinden stören. Gefahr: MP3-Player Eine der größten Gefahren, denen unser Gehör heute ausgesetzt ist, sehen Experten in der Dauerberieselung durch dröhnende Bässe beim MP3-Player. Besonders Kinder sind davon betroffen. Schallpegel in Dezibel Schallquelle Empfindung 120–130 dB Explosion Schmerzschwelle 110–120 dB Düsenflugzeug in 50 m Abstand, Autorennen unerträglich, ohrenbetäubend 100–110 dB Schmiede, Disco, Rock- und Popkonzert, Autohupe, Motorsäge unerträglich 90–100 dB Presslufthammer, Kreissäge sehr laut bis unerträglich 80–90 dB LKW in 5 m Abstand, laute Fabrikhalle sehr laut 70–80 dB Telefonläuten, Rasenmäher sehr laut 60–70 dB Fernseher, PKW in 15 m Abstand laut 50–60 dB Gruppengespräch, Bürogeräusche mäßig laut 40–50 dB normale Unterhaltung eher leise 30–40 dB leise Musik, Wohnzimmergeräusche leise 20–30 dB feiner Regen, Flüstern sehr leise 10–20 dB tickende Armbanduhr kaum hörbar 0–10 Atem eines Schlafenden, raschelndes Blatt (fast) unhörbar 0 Hörschwelle 51 Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leidet bereits jedes achte Kind im Alter zwischen acht und 14 Jahren unter einer Hörstörung. Bei Erwachsenen wirken sich mehr das Wohnen an einer stark befahrenen Verkehrsader oder die Arbeit an einer lauten Arbeitsstätte negativ auf das Hörvermögen aus. Das Problem: So laut wie heute war es noch nie. Das menschliche Ohr ist evolutionsgeschichtlich nicht darauf programmiert, mit den vielfachen Lärmquellen umgehen und sich daran anpassen zu können. Unser Gehör vergisst besonders laute Geräuscherlebnisse nicht und summiert sie über viele Jahre. Daher treten Hörschäden oft erst Jahre und sogar Jahrzehnte nach den ursprünglichen Lärmerfahrungen auf. Eine Schädigung des Gehörs geht meist schleichend vor sich. Wird der Schaden endlich bemerkt, ist es meistens schon zu spät, ihn wieder rückgängig zu machen. Ers­ te Anzeichen einer Hörschädigung sind Pfeifen oder Klingeln, wie sie zum Beispiel auch beim Tinnitus (von lat.: »Klingeln im Ohr«) auftreten. Es handelt sich dabei um eine akustische Wahrnehmung, die zusätzlich zum normalen Schall vom Ohr aufgenommen wird und die außer dem Betroffenen niemand hören kann. Tinnitus kann einseitig oder beidseitig auftreten. Rund 10 bis 20 Prozent der Deutschen sind dauerhaft davon betroffen. Etwa 40 Prozent haben einmal im Leben mit einem derartigen Ohrgeräusch zu tun. Wer wissen möchte, wie es um seine Ohren bestellt ist, kann beim Hörakustiker oder HNO-Arzt einen Hörtest machen lassen. Auch im Internet gibt es zahlreiche kostenlose Tests, denen man sich unterziehen kann. Anzeige Entspannung für die Ohren Gönnen Sie Ihren Ohren immer wieder ergiebige Ruhepausen! Die nachfolgende Übung verschafft den strapazierten Ohren eine Oase der Stille. • B reiten Sie eine Decke auf dem Boden aus, verschließen Sie Ihre Ohren nach Anleitung sanft mit Ohrenstöpseln und legen Sie sich in Rückenlage bequem auf den Boden. • Versuchen Sie, Ihren »inneren Klang« bewusst wahrzunehmen. Atmen Sie langsam fünfmal tief ein und aus und lauschen Sie dabei in sich hinein. • L egen Sie die Hände auf den Brustkorb. Atmen Sie langsam fünfmal tief ein und aus und stellen Sie sich beim letzten Ausatmen vor, dass Sie alle Anspannung aus dem Brustkorb loslassen. • L egen Sie die Hände dann in der Magengegend auf den Bauch. Atmen Sie wieder langsam fünfmal tief ein und aus und stellen Sie sich beim letzten Ausatmen vor, dass Sie alle Anspannung aus dem Bauch loslassen. • D anach legen Sie die Handballen auf Ihre Beckenknochen und die Finger auf den Bauch in Richtung Nabel. Atmen Sie langsam fünfmal tief ein und aus und stellen Sie sich beim letzten Ausatmen vor, dass Sie alle Anspannung aus dem Becken loslassen. • L egen Sie die Hände danach neben Ihren Körper. Lauschen Sie noch einmal nach innen: Hat sich Ihr innerer Klang verändert?