Doping fürs Hirn [Von ftd.de, 18:54, 27.12.04] Mit gedächtnisfördernden Mitteln wollen Forscher das Gehirn auf Zack zu bringen. Dabei bedienen sie sich der im Gehirn vorhandenen Botenstoffe, die sie wie Stellschrauben verändern können. Mit Wissen kann man Geld machen. Nicht nur bei Günther Jauch im Millionärsquiz, sondern auch in der Pharmabranche. "Das Marktpotenzial für Gedächtnispillen ist enorm", sagt Henning Scheich, Leiter des LeibnizInstituts für Hirnforschung in Magdeburg. Etwa 1,2 Millionen Deutsche leiden an Alzheimer, schätzungsweise 1,6 Millionen an schwerwiegenden Gedächtnisstörungen. Doch damit ist der Markt noch längst nicht ausgeschöpft. Schon heute geben nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Verbraucher etwa 124 Mio. Euro pro Jahr für verordnete Alzheimermittel aus, die ihnen mentale Jugend versprechen. Tendenz steigend. "Das Verständnis der Vorgänge im Gehirn, wenn es lernt oder sich erinnert, hat in den letzten fünf Jahren sprunghaft zugenommen", sagt der Neuroforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel. Er ist Gründer der Firma Memory Pharmaceuticals, die Medikamente gegen Gedächtnisstörungen entwickelt. Den Nobelpreis erhielt er 2000 für seine Forschung zur Informationsleitung im Gehirn. "Neuronen verhalten sich wie Menschen" "Das Gehirn lernt immer, es kann nicht anders", postulierte einmal Manfred Spitzer, Neurologe an der Uniklinik Ulm. Nach der Geburt sprießen die Nervenzellen im Kopf und nehmen Kontakt zu ihren Nachbarn auf. "Die Neuronen verhalten sich nicht anders als Menschen: Sie müssen kommunizieren, sonst sterben sie", sagt Anna Katharina Braun. Sie untersucht am Leibniz-Institut in Magdeburg die frühkindliche Entwicklung des Gehirns an Ratten. Im menschlichen Gehirn wird bis zur Pubertät laufend überprüft wie nützlich die Verbindungen sind. Solche, die nicht notwendig sind, werden zurückgebildet. Zwischen 100 und 200 Milliarden Nervenzellen knäulen sich im Gehirn eines Erwachsenen. Jede einzelne kann bis zu zehntausend Verbindungen zu ihren Nachbarn knüpfen. In Sekundenbruchteilen sausen die Informationen als elektrische Impulse durch die Nervenbahnen, lösen an ihren Enden, den Synapsen, die Freisetzung von Botenstoffen aus. Diese Vermittler docken an die Fortsätze anderer Nervenzellen an und geben das Signal weiter. Für die Forscher sind diese Botenstoffe die Stellschrauben, an denen sie drehen können. Die Weiterleitung der Information erfolgt mit Glutamat, für ihre Bewertung aber braucht das Hirn einen stärkeren Stoff. "Das Gehirn badet in Dopamin, wenn es erfolgreich lernt", sagt Scheich. Der Kick im Kopf Dopamin ist der Stoff, aus dem Erfolg entsteht. Süchtige gieren nicht nach der Zigarette oder Kokain - sie brauchen den Kick im Kopf, den ihre Drogen auslösen. "Wie genau die körpereigene Dopamindusche aktiviert wird, weiß man noch nicht sicher", gibt Scheich zu. Eine ganze Armada von sinnlichen Eindrücken und körperlichen Prozessen scheint die Produktion in Gang zu setzen. Die Spuren, die es im Kopf hinterlässt, können Wissenschaftler inzwischen lesen. Es verstärkt die Wirkung des Glutamats und "regt die Bildung neuer Verknüpfungen im Gehirn an - eine Grundvoraussetzung, um Informationen vom Kurzzeitgedächtnis in den Langzeitspeicher zu transportieren", sagt Scheich. Die Verschaltungen sind auch bei Erwachsenen nicht festgeschrieben, sondern passen sich ständig ihrer Umwelt an. Synapsen werden nach Bedarf auf- und abgebaut. Je mehr bestimmte Gedächtnisinhalte genutzt werden, umso mehr Verdrahtungen bilden sich aus. Medikamente, die den Dopaminausstoß vermehren, sind längst auf dem Markt. Methylphenidat, besser bekannt als Ritalin für Zappelphilipp-Kinder, hat zweifelhafte Berühmtheit erlangt. "Diese Mittel lassen die Nervenzellen ihre Botenstoffe bis zur Erschöpfung abfeuern, das hat kurzfristig einen leistungssteigernden Effekt, langfristig aber macht es abhängig und zerstört die Neuronen", warnt Henning Scheich. Feineres Tuning Heute setzen Forscher auf ein feineres Tuning. Sie wollen nicht mehr die Produktion der Botenstoffe anregen, sondern ihre Wirkmechanismen regulieren. Der Nobelpreisträger Kandel entdeckte den so genannten CREB-Signalweg. Glutamat und Dopamin aktivieren das CREB-Protein, das dafür sorgt, dass Gene abgelesen werden, die eine Neuverdrahtung steuern. Gemeinsam mit dem Pharmariesen Roche entwickelt Memory Pharmaceuticals nun ein Medikament, das möglichst sanft das Gedächtnis fördert. "In zwei bis drei Monaten werden wir die erste klinische Studie an Patienten abschließen", so Kandel. Das Mittel mit dem Arbeitsnamen MEM 1414 richtet sich vor allem gegen altersbedingte Gedächtnisstörungen. Weitere Arzneimittelkandidaten aus dem Hause Kandel sollen die Neubildung von Nervenzellen bewirken. Davon sollen künftig Alzheimerkranke profitieren. Denn auch im ausgewachsenen Gehirn können noch neue Neuronen aus Stammzellen entstehen. Obwohl die Medikamente, die den CREB-Weg beeinflussen, noch nicht auf dem Markt sind, wird bereits Kritik laut. "CREB kommt nicht nur in Nervenzellen, sondern auch in vielen anderen vor. Die Wirkung der Medikamente wäre unspezifisch", meint Scheich. Er setzt auf ein Protein mit dem Namen mTOR, das ebenfalls die Verschaltung anregt und bislang nur in den Nervenzellen gefunden wurde. Tim Tully vom Unternehmen Helicon Therapeutics dagegen hofft auf die Wirkung der Ampakine. Sie sorgen dafür, dass die Wirkung des Botenstoffs Glutamat verstärkt wird. Alle Rechte vorbehalten. © FTD