Name Adresse Semester Giessen den ... Krankenbericht über einen Patienten der Klinik für Kleintiere, Chirurgie Die Untersuchung des Tieres findet am ... zwischen 9.30 und 10.00 Uhr im OP-Vorbereitungsraum der Klinik für Kleintiere, Chirurgie statt. Das Tier wurde am ... in die Klinik aufgenommen und hat die Kliniksnummer... erhalten. I.Anamnese: Nach Angaben des Besitzers hat sich das Tier, als es am Abend des selben Tages nach Hause kam, komisch hingelegt, hat nicht gefressen und gejammert. Außerdem fielen dem Besitzer Verletzungen an Maul, Ohr und Schwanz auf. Bei der Untersuchung am Einlieferungstag stellte sich das Tier mit einem geringgradig reduziertem Allgemeinbefinden dar. Bei der speziellen Untersuchung fielen mehrere Schürfwunden an Unterlippe, Oberkiefer, dem rechten Ohr und der rechten Wange auf. Der rechte Oberkiefercaninus ist abgebrochen. Die Abdomenpalpation ist ohne besonderen Befund und die Blase palpatorisch klein. Der Schwanztonus ist nicht vorhanden und Analtonus, Anal- und Perinealreflex sind aufgehoben. Die Schwanzwirbelsäule ist im Bereich des Schwanzansatzes in ihrer Kontinuität unterbrochen und seitlich nach oben und unten frei beweglich. Die Katze verliert während der Untersuchung Kot. Als weiterführende Untersuchung wurden Röntgenaufnahmen von Thorax und Abdomen durchgeführt. Der Thoraxbereich zeigte sich unauffällig und bei der Aufnahme vom Abdomen wurde eine mehrere Zentimeter lange Zusammenhangstrennung zwischen dem 3. und 4. Schwanzwirbel mit Luxation des distalen Anteils nach dorsal und caudal festgestellt. Die Blase stand. Die Katze wurde mit dem NSAID Meloxicam (Metacam®) mit einer Dosierung von 0,2 mg pro kg Körpergewicht behandelt. II. Signalement: Bei dem Patienten handelt es sich um eine drei Jahre alte, weiblich kastrierte, dreifarbige Katze der Rasse Europäisch Kurzhaar. Ihr Name ist „Frida“. III. Klinische Untersuchung: Status praesens A) Allgemeine Untersuchung: Bei der Untersuchung ist die Katze ruhig und aufmerksam. Der Ernährungszustand ist gut und der Entwicklungszustand dem Alter entsprechend. Die Herzfrequenz beträgt 164 Schläge pro Minute. Die Atemfrequenz beträgt 60 pro Minute und die Katze hat eine Körperinnentemperatur von 38,9°C. Die Mundschleimhäute sind blass-rosarot, feucht, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen und die kapilläre Rückfüllzeit liegt unter 2 Sekunden. Die untersuchten äußeren Lymphknoten sind ohne besonderen Befund. B) Spezielle Untersuchung: Neurologischer Untersuchungsgang a) Anamnese: siehe unter II; Es ist unklar, ob die Katze Urin absetzen kann. Die Harnblase zeigt sich bei der Palpation klein und mit gutem Tonus. b) Adspektion: Das Bewusstsein der Katze ist ungetrübt und ihr Verhalten der Situation entsprechend. Ihre Körperhaltung ist bis auf den herunterhängenden Schwanz normal. Der Schwanz zeigt keine Bewegung und hat keinen Tonus. c) Gangbeurteilung: Der Gang der Katze weist keine Abnormalitäten auf. d) Haltungs- und Stellreaktionen: Alle Tests wie das Schubkarrenlaufen, das Hüpfen ipsilateral oder einbeinig, die Tischkantenprobe und die Unterstützungsreaktion fallen ohne besonderen Befund aus. Die Propriorezeption ist an allen vier Gliedmaßen ungestört. e) Spinale Reflexe: Die Reflexe der Vorder- und Hintergliedmaßen fallen völlig normal aus. Der Perineal- und der Analreflex sind geringgradig reduziert aber vorhanden. Der Pannikulusreflex ist auslösbar und es fallen keine abnormen Reflexe auf. f) Der oberflächliche Tiefenschmerz ist an allen 4 Gliedmaßen vorhanden. Caudal des Abrisses am Schwanz ist keine Schmerzempfindung feststellbar. g) Die Kopfnerven wurden wegen fehlender entsprechender Symptomatik nicht untersucht. IV. Diagnose: Schwanzabriss zwischen dem 3. und 4. Schwanzwirbel V. Differentialdiagnosen: Aufgrund des eindeutigen Röntgenbefundes kann eine exakte Diagnose gestellt werden. VI. Epikrise: Da „Frida“ eine Freigängerin ist, handelt es sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um einen Schwanzabriss nach einem Trauma, wie z.B. einem Autounfall. Aufgrund der Größe des Spaltes zwischen S3 und S4 kann man davon ausgehen, dass das Rückenmark komplett durchtrennt ist. Da somit wahrscheinlich die gesamte Versorgung des Schwanzes abhanden ist, kann es bei Belassen des Schwanzes dazu kommen, dass der Schwanz nekrotisch wird und sich eventuelle Infektionen dann im ganzen Körper ausbreiten können. Amputation des Schwanzes: Zuerst wird ein Esmarch um den Schwanz gelegt um eine starke Blutung zu verhindern. Nach Verschieben der Haut nach kranial wird in Höhe der Zwischenwirbelscheibe, an der die Amputation erfolgen soll (bei der vorliegenden Katze im Spalt der Zusammenhangstrennung) durch halbmondförmige Schnitte ein dorsaler und ein ventraler Hautlappen gebildet. Der Schwanz wird im Discus intervertebralis abgesetzt. Die Blutgefäße werden ligiert oder koaguliert. Nach Abnahme des Esmarch werden die Hautlappen mit Knopfheften adaptiert. Ein Problem stellt allerdings dar, dass bei der Katze bisher noch kein Urinabsatz beobachtet worden ist. Die parasympathische Innervation der Blase wird von den sensorischen und motorischen Fasern des Nervus pelvinus geleistet, dessen Ursprung im sakralen Rückenmark auf Höhe von S1 bis S3 liegt. Im Bereich zwischen S1 und S3 entspringt außerdem der Nervus pudendus, der den M. Sphincter externus (M. Urethralis) somatisch innerviert. Der Nervus pudendus innerviert ebenso die Perinealregion inkl. Analsphinkter und Vulva bzw Präputium beim männlichen Tier. Die sympatische Innervation der Blase geht vom Nervus hypogastricus aus und ist zusammengesetzt aus praeganglionären Fasern die dem Rückenmark im Bereich L1 bis L4 entspringen. Wenn sich die Harnblase füllt senden Dehnungsrezeptoren in der Blase über den Nervus pelvinus und das Rückenmark zum Thalamus und zur Hirnrinde. Das Harnabsetzen wird parasympathisch aktiviert. In dieser Phase kontrahiert der Detrusormuskel und gleichzeitig wird die sympathische Stimulation auf den urethralen Sphinkter (M. Urethralis) inhibiert. Wenn die Blase leer ist, setzt die normale sympathische Dominanz wieder ein und der Detrusormuskel erschlafft. Miktionsstörungen neurologischer Genese lassen sich in „Lower motor neuron disease“ (LMN) und „Upper motor neuron disease“ (UMN) unterteilen. Bei einer LMN Erkrankung sitzt die Läsion am oder hinter dem 5. lumbalen Wirbelkörper und charakteristisch ist eine dilatierte Blase, die sich leicht entleert werden kann; Eine LMN Läsion, die die Blase betrifft verursacht sowohl eine Sphinkter- als auch eine Detrusorhyporeflexie; wenn die Läsion direkt im Bereich S1 bis S3 liegt, sind sowohl der Perinealreflex als auch der Bulbospongiosusreflex (N. pudendus) beim männlichen Tier abwesend. Eine UMN Läsion liegt vor dem 5. lumbalen Wirbelkörper und ist charakterisiert durch eine dilatierte Blase, die sich nur schwer entleeren lässt. Oft sind thorakolumbale Läsionen mit Paresen oder Paralysen der Grund für eine UMN Läsion. Bei einer UMN Läsion hat das Tier keine Kontrolle mehr über die Miktion und der urethrale Sphinkter zeigt eine Hyperreflexie, da die somatischen Fasern im N. Pudendus nicht inhibiert werden und so die Blase nicht entleert werden kann. Trotz der eigentlichen Harnretentionsstörung kann es zu einer Inkontinenz kommen, wenn der Druck in der Blase den Widerstand des Sphinkters überschreitet. Dies wird auch „Paradoxe Inkontinenz“ genannt. Aufgrund der Röntgenbilder, die eindeutig eine Abtrennung zwischen S3 und S4 zeigen, ist nicht davon auszugehen, dass die nervale Innervation der Base gestört ist. Allerdings muss man aufrgrund der anderen Schürfwunden davon ausgehen, dass die gesamte Katze einem schweren Trauma unterlag und es ist nicht auszuschließen, dass nicht auch Nerven oder Nevenanteile, die vor dem Bereich des Abrisses liegen, geschädigt worden sind. VII. Therapie: Am Tag der Aufnahme bekam die Katze Metacam® in einer Dosierung von 0,2 mg/kg Körpergewicht initial, was dann mit einer Dosierung von 0,1 mg/kg Körpergwicht jeden 2.Tag fortgeführt wurde. Außerdem bekam die Katze am 30.11. noch eine Infusion, um die Harnproduktion anzuregen. VIII. Prognose: Da kein Tiefenschmerz caudal des Abrisses mehr vorhanden ist, ist die Prognose für das Zurückkehren der neurologischen Funktion am Schwanz sehr schlecht. Katzen können aber ohne Schwanz leben. Nach eventuell anfänglichen Gleichgewichtsproblemen können diese Katzen ein völlig normales Leben führen. Die Prognose für Tiere mit einer neurogenen Blasenstörung ist in aller Regel sehr schlecht. Allerdings ist die Prognose etwas besser, wenn nur die peripheren Nerven geschädigt sind, da diese eine größere Kapazität zur Regeneration haben als das ZNS. Es ist möglich den Besitzern zu lernen, wie man eine Blase entleert und evt. sogar wie man einen Blasenkatheter schiebt, aber viele Besitzer sind nicht dazu bereit, solch intesive Betreuung ihres Tieres auf sich zu nehmen, zumal auch der Urin in regelmäßigen Abständen untersucht werden sollte, da bei solchen Fällen das Risiko einer Harnwegsinfsktion ungleich höher ist als bei gesunden Tieren. Falls sich herausstellen sollte, dass die Katze von alleine Harn absetzen kann, ist die Prognose nach Schwanzamputation gut. IX. Weiterer Verlauf: Bei „Frida“ ist in den Tagen nach der Untersuchung spontaner Harnabsatz beobachtet worden. Sie wird zur weiteren Kontrolle und zur Amputation des Schwanzes zum Haustierarzt zurücküberwiesen. Name