1825/AB-BR BR Eingelangt am: 20.09.2002 BM für soziale Sicherheit und Generationen Ich beantworte die an mich gerichtete parlamentarische Anfrage Nr. 1982/J-BR/2002 der Bundesräte Kraml und GenossInnen wie folgt: Fragen 1 und 2: Am 27. Juni 2002 erging an die EU-Mitgliedstaaten über das RASFF-Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel eine erste Nachricht (Alert Notification 2002/240), dass in drei Niederländischen Schweinehaltungsbetrieben Probleme entstanden seien, die auf die Verabreichung des progestagenen Hormons Medroxyprogesteron-Acetat MPA zurückgeführt werden könnten. Am 8. Juli 2002 meldete Deutschland über das RASFF das Vorkommen von aus den Niederlanden stammender, potenziell verunreinigter Weizenquellstärke in einem deutschen Schweinehaltungsbetrieb. In einer von der Europäischen Kommission einberufenen Krisensitzung am 10. Juli 2002 in Brüssel wurde berichtet, dass die Verunreinigungen mit MPA durch die Firma Bioland aus Arendonk in Belgien verursacht worden waren. Diese Firma hat MPA- und zuckerhaltigen pharmazeutischen Abfall aus Irland verbracht und dieses Produkt als Zuckersirup an zwei niederländische Futtermittelfirmen veräußert. Diese Firmen hätten wiederum den Sirup in Me- lasse und Futtermittel eingemengt. Daneben seien auch Lieferungen dieses Sirups an die Nahrungsmittelindustrie (Firmen in Belgien, Holland und Deutschland) erfolgt. Als Ergebnis der Sitzung wurde die niederländische Delegation aufgefordert, umgehend alle betroffenen Tiere zu sperren und alle Daten, Listen der gesperrten Betriebe und Informationen über das RASFF zu melden. Außerdem seien lebende Tiere, Futtermittel und Produkte, die an andere Mitgliedstaaten geliefert wurden, sofern sie noch vorhanden seien und eine Sperre nicht ohnehin bereits erfolgt sei, unter behördliche Sperre zu stellen. Dies beträfe die Staaten Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, nicht jedoch Österreich. Am 16. Juli 2002 fand eine weitere von der Europäischen Kommission einberufene Sondersitzung in Brüssel statt, in der durch Berichte von Irland, Belgien und den Niederlanden ein ungefähres Bild vom Ausmaß der Kontaminationen möglich war. Österreich war dabei nach allen verfügbaren Informationen weiterhin nicht betroffen. Dennoch erging am 17. Juli 2002 eine Weisung meines Ressorts an alle Landeshauptleute, besonderes Augenmerk auf den innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Schweinen und Schweinefleisch, insbesondere aus den Niederlanden und Deutschland zu richten, im Verdachtsfall Stichproben zu ziehen und auf MPA zu untersuchen. Eine gleichlautende Verständigung erfolgte auch an die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Fragen 3 und 4: Wie die Europäische Kommission in ihrer Note vom 30. Juli 2002 bekannt gab, handelt es sich um 725 Tonnen pharmazeutischen Abfallmaterials, aus dem der Zuckersirup der Firma Bioland produziert wurde, der dann wiederum seinen Eingang in Futtermühlen, Futtermittelhandelsorganisationen und in geringerem Ausmaß auch in die Lebensmittelindustrie fand. Das damit versetzte, kontaminierte Futter wurde hauptsächlich für Schweine und zu einem geringeren Anteil für Rinder, Geflügel, Zoo- und Heimtiere hergestellt. Fragen 5 bis 12: Kontaminiertes Material wurde nach dem derzeitigen Kenntnisstand an alle EUMitgliedstaaten - allerdings in sehr unterschiedlichen Mengen - mit Ausnahme Portugals und in geringen Mengen an Polen, Ungarn und Rumänien ausgeliefert. Die genaue Tonnage des beschlagnahmten und bei Verdachtsbestätigung vernichteten kontaminierten Materials anzugeben ist im einzelnen nicht möglich, da laufend Mitgliedstaaten beschlagnahmte, wieder freigegebene oder vernichtete Waren melden. Man kann jedoch davon ausgehen, dass im Wege der Rückverfolgbarkeit die Produkte der Firma Bioland, auch in verdünnter Form in Zwischen- oder Endprodukten der Lebens- und Futtermittelindustrie, soweit noch vorhanden, aufgespürt und kontrolliert worden sind. Einen gewissen Anhaltspunkt für die involvierten Mengen können die niederländischen Analysen von Proben geben, bei denen in Futtermitteln Verdünnungen bis zum Millionenfachen gegenüber den Gehalten im Ausgangsglukosesirup aufgefunden wurden. Österreich ist nach derzeitigem Wissensstand ausschließlich mit 4 Tonnen Kräutermüsli für Pferde und einer geringen Menge an Melassesirup für die Lakritzenherstellung betroffen. Das Kräutermüsli wird auf Grund eines messbaren Gehalts an MPA entweder an den Lieferanten zurückgesendet oder unschädlich beseitigt. Die Untersuchungen des Melassesirups sind noch nicht abgeschlossen, jedoch wurden bislang bei der deutschen Lieferfirma keine positiven Resultate eruiert. Der Ausgangsverursacher der MPA-Kontaminationen, die Firma Bioland, scheint mit den Lieferungen von hormonverunreinigten Zuckersirup an Lebens- und Futtermittelbetriebe erst relativ kurz vor dem Konkurs im Mai 2002 begonnen zu haben, womit ein überschaubarer Zeitraum der illegalen Praktiken erkennbar ist. Im übrigen wurden während der aktuellen Nachforschungen im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur geringe Mengen in Österreich nachgewiesen. Fragen 13 bis 16 und 24 bis 26: Auf Grund der vorliegenden RASFF-Meldungen, die bei Einlangen sofort kontrolliert werden, ist jedenfalls derzeit auszuschließen, dass Schweinefleisch, welches mit MPA kontaminiert ist, nach Österreich gelangt ist. Jeder mögliche Verdacht des innergemeinschaftlichen Verbringens von mit MPA belasteten Schweinen beziehungsweise von Schweinefleisch wurde sofort über das RASFF gemeldet. In den meisten Fällen wurde mit den betroffenen Mitgliedstaaten auch bilateral Kontakt aufgenommen. Österreich hat weder Schweine noch Schweinefleisch aus Mitgliedsstaaten erhalten, in denen Tiere mit MPA belastetem Futter gefüttert worden sind. Trotzdem wurden am 17. Juli 2002 vorsichtshalber die Verkehrskreise informiert und die Landeshauptleute angewiesen, Nachschau zu halten und Probenziehungen von “verdächtigem" Schweinefleisch aus den Niederlanden und Deutschland sowie von Glukosesirup der Fa. Bioland bzw. von noch vorhandenen Rückstellproben im Bereich der Getränkehersteller durchzuführen. Soweit Ergebnisse der Untersuchungen bereits vorliegen, sind alle negativ. Fragen 17 bis 23: Über direkt nach Österreich gelieferte Produkte der Fa. “Bioland Liquid Sugars" ist meinem Ressort nichts bekannt. Daher gibt es auch keine Daten bezüglich Probeziehungen der Produkte dieser Firma. Fragen 27 und 28: Angelegenheiten der Futtermittelkontrolle (bzw. damit verbundene Schadenersatz-, Amtshaftungs- und Staatshaftungsansprüche) fallen federführend in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Fragen 29 und 30: Bei MPA handelt es sich um ein synthetisch hergestelltes Hormon. Der Wirkstoff wird zur Klasse der Gestagene gezählt. Gestagene sind Sexualhormone; wichtigstes natürliches Gestagen ist das Progesteron, das in den Eierstöcken (Gelbkörpern) und auch in der Plazenta gebildet wird. Gestagene kontrollieren die Einnistung und Entwicklung des Embryos im Uterus. Bei synthetischen Produkten, wie dem MPA, ist diese Wirkung stärker ausgeprägt als bei natürlichen Hormonen. Über eine Hemmung der Gonadotropin-Ausschüttung unterdrückt MPA den Sexualzyklus. MPA ist sowohl in der Veterinärmedizin (allerdings in Österreich nur für Hunde und Katzen, nicht für lebensmittelliefernde Tiere) als auch in der Humanmedizin als Arzneimittel zugelassen. In einigen Ländern der europäischen Union darf es bei Schafen zur Synchronisation des Sexualzyklus eingesetzt werden. Eine gesundheitliche Bewertung möglicher daraus resultierender Rückstände in Lebensmitteln durch die EU führte zu dem Ergebnis, dass für MPA aufgrund der Unbedenklichkeit keine Höchstmenge festgesetzt werden muss. MPA wurde deshalb in Anhang II der Ratsverordnung 2377/90 aufgenommen. Für die gesundheitliche Risikobewertung sind zwei vom Tierarzneimittelausschuss (CVMP) der EU festgelegte Werte von Bedeutung: Der NOEL- und der ADI-Wert. Der No Observed Effect Level (NOEL) liegt bei 30 µg/kg Körpergewicht (KGW). Er beschreibt die Menge von MPA, die im Tierversuch noch keine Wirkung gezeigt hat. Der Acceptable Daily Intake (ADI), berücksichtigt einen Sicherheitsfaktor von 100 und ist auf einen Menschen mit 60 kg Körpergewicht (KGW) bezogen. Er liegt bei 18 ^ig/Tag/60 kg KGW. Der ADI-Wert beschreibt die "annehmbare Tagesdosis", also die Menge, die aufgenommen werden kann, ohne dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt. Die Aufnahme an Rückständen des Hormons MPA sollte den ADI-Wert vorsorglich nicht wesentlich und nicht an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen überschreiten. Mit dem Auftreten hormonaler Wirkungen durch MPA muss nach Überschreitung des NOEL gerechnet werden. In der Humanmedizin wird MPA unter anderem zur Schwangerschaftsverhütung, aber auch zur unterstützenden Behandlung bei hormonabhängigen Tumoren wie Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen in Dosierungen von bis zu 1000 mg/Mensch eingesetzt. Die Weltgesundheitsorganisation sieht bei jahrelanger therapeutischer Verabreichung von 3 mg MPA pro kg KGW durch die zur Empfängnisverhütung eingesetzte "Dreimonatsspritze" kein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs oder Krebs der Eierstöcke. Als Nebenwirkungen werden in therapeutischen Dosierungen beim Menschen u. a. Diabetes mellitus, Thromboembolien, Augenschädigungen, gesteigerter Appetit und zentral dämpfende Wirkungen beobachtet. Bei Hunden wird außerdem das vermehrte Auftreten von Mammakarzinomen beschrieben. Da die genannten Nebenwirkungen dosisabhängig sind, muss eine gesundheitliche Bewertung von Rückständen im Fleisch, das von illegal behandelten Tieren gewonnen wurde, sowie in Getränken die nachgewiesenen Rückstandsmengen und den ADIWert berücksichtigen (Quelle: BGW; Medroxy-Progesteron-Azetat im Schweinefleisch; Aktualisierte Stellungnahme vom 5. Juli 2002) Die höchsten in den Niederlanden aufgefundenen Mengen an MPA - im Nierenfett von Schweinen, die mit den am höchsten kontaminierten Futtermitteln versorgt worden waren betrugen in tierischen Lebensmitteln 11 µg/kg. Sie wären also selbst bei ausschließlichem Verzehr reinen Schweinenierenfetts - die korrelierende Konzentration im Muskelfleisch beträgt üblicherweise weniger als ein Zehntel - nach dem zuvor genannten Ansatz noch tolerabel. Dem gegenüber steht ein Gutachten eines weiteren wissenschaftlichen Ausschusses der EU, des Wissenschaftlichen Ausschusses für Veterinärmaßnahmen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit (SCVPH), der am 30. April 1999 schlussfolgerte, dass für keines von sechs untersuchten Hormonen (darunter auch Progesteron und Derivate) ein ADI-Wert für eine exogene Zufuhr festgelegt werden kann (und dies am 3. Mai 2000 und am 10. April 2002 bestätigte). Gründe dafür sind, dass trotz individueller toxikologischer und epidemiologischer Daten der gegenwärtige Wissensstand eine quantitative Risikoabschätzung nicht gestattet, jedoch aufgrund der Eigenschaften der Hormone und in Anbetracht der epidemiologischen Befunde keine Schwellenwerte auch nur für einen der sechs Stoffe bestimmt werden können. Die Europäische Kommission und mit ihr die Mitgliedstaaten haben nun der vom SCVPH vorgegebenen Linie entsprechend reagiert und neben der Beschlagnahme und Vernichtung kontaminierter Lebens- und Futtermittel auch die mit diesen Futtermitteln versorgten Nutztiere, bei denen MPA-Werte über der Bestimmungsgrenze (üblicherweise 1 µg/kg ) nachgewiesen werden konnten, aus der Lebensmittelkette entfernt. Als Grundlage für die Maßnahmen wurde die Richtlinie 96/22/EG des Rates über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung und von ßAgonisten in der tierischen Erzeugung angewendet, nach der die Mitgliedstaaten die Verabreichung von Hormonen mit östrogener, androgener oder gestagener Wirkung an Nutztiere zu verbieten haben, es sei denn, die Hormone werden zu therapeutischen Zwecken oder zur tierzüchterischen Behandlung verabreicht. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass eine etwaige Belastung des Verbrauchers mit den in Frage stehenden Hormonen durch den Verzehr von Lebensmitteln tierischer Herkunft nicht statthaft ist. In einer Risikoabschätzung etwaiger bereits in der Vergangenheit liegender Zwischenfälle bzw. exogener Hormonmengen ist bei den auf Grund der aktuellen Daten anzunehmenden geringen Dosen jedoch keine unmittelbare Gefährdung des Verbrauchers, auch nicht sensibler Bevölkerungsgruppen, zu erwarten. Fragen 31 und 32: Mit dem Ressortkollegen Bundesminister Mag. Molterer führe ich im Bereich der Ernährungssicherheit einen ständigen Dialog über Fragen der gesundheitlichen Risiken, der Evaluierung von Kontrollen etc. Frage 33: Die Futtermittekontrolle liegt federführend im Aufgabenbereich des Bundesministers für Landund Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Fragen 34 bis 37: Die Absicht, eine Positivliste der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse zu erstellen, hat ihren schriftlichen Niederschlag in dem im Januar 2000 von der Europäischen Kommission herausgegebenen Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit gefunden. Seitdem wird auf Kommissionsebene und auf der Ebene der Regelungsausschüsse, aber auch auf der Ebene einer Task Force des Codex Alimentarius diese Liste intensiv diskutiert. Österreich steht einer solchen Maßnahme positiv gegenüber. Da es sich im konkreten Fall allerdings nicht um ein verbotenes Ausgangserzeugnis (Melasse), sondern um eine unzulässige Verunreinigung handelt, würde auch eine Positivliste kriminelle Machenschaften nur schwerlich verhindern können. Hier versprechen nur das konsequent realisierte Prinzip der Rückverfolgbarkeit, die gegenseitige Information und gezielte Kontrollen Erfolg. Fragen 38 bis 43; Wie bereits zu den Fragen 13 bis 15 angeführt, wurden, nach Bekanntwerden des MP ASchadens, Proben gezogen und zur Untersuchung an die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit übermittelt. Bisher sind noch keine positiven Proben gefunden worden.