Datum: 15. November 2006 Thema: „Wer Ohren hat, der höre“ Häufige Hörstörungen und ihre Behandlung Referenten: Prim. Dr. Alfred Eckmayr KH der Kreuzschwestern Wels, Abteilung für Hals-, Nasen- u. Ohrenheilkunde Prim. Dr. Josef Meindl, OA Dr. Thomas Keintzel KH der Barmherzigen Schwestern Linz, Abteilung für Hals-, Nasen- u. Ohrenheilkunde Prim. Univ.-Prof. Dr. Ernst Richter AKH Linz, Abteilung für Hals-, Nasen- u. Ohrenheilkunde Die Schallverarbeitung im menschlichen Ohr Schall besteht aus Wellen mit unterschiedlicher mechanischer Energie. Je nach Lautstärke, Tonhöhe und Zusammensetzung wird ein Schallereignis als angenehm oder belästigend empfunden. Ab einer bestimmten Lautstärke wirkt der Schall durch rein mechanische Überbelastung des Innenohres schädigend, er kann dann auch schmerzhaft empfunden werden. Wie kommt es, dass diese Art einer mechanischen Einwirkung auf das Ohr zu einer akustischen Wahrnehmung führt? Die Schallwellen werden durch das äußere Ohr (Ohrmuschel, Gehörgang) aufgenommen. Das Mittelohr (Trommelfell, Hammer, Amboss und Steigbügel) leitet die Schwingungen zum Innenohr weiter und verstärkt diese gleichzeitig durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen. Die Umwandlung dieser mechanischen Energie in feine elektrische Ströme, die vom Hörnerv weitergeleitet werden, erfolgt im Innenohr (Hörschnecke (Cochlea), Corti´sches Organ mit Haarzellen). Die „Schnecke“ ist ein Hohlraum im Felsenbein mit 2½ Windungen. Quer durch diesen Hohlraum zieht die Basilarmembran, darauf aufsitzend finden sich die "Haarzellen“, die zusammen mit den Stützzellen und anderen Bauelementen das „Corti´sche" Organ bilden. Dieses wiederum ist von Flüssigkeit umgeben, die die Schwingungen vom Mittelohr her aufnehmen kann und deren Elektrolytzusammensetzung für die Funktion der Zellen wichtig ist. Die Haarzellen sind am oberen Ende mit dünnen Härchen besetzt, die beim Auftreten von Schwingungen durch eine darüber liegende Membran verbogen werden und damit zum Auslöser winziger Ströme im Hörnerv werden, die zum Gehirn geleitet werden. Das Gehirn kann diese Ströme dekodieren, das Gehörte verarbeiten und erkennen. Es können Töne, Klänge oder Geräusche über den Bereich von 16 Hz bis 2 kHz wahrgenommen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Erkennen von Sprache. Schädigungen der Haarzellen können durch viele Ursachen erfolgen. Eine davon ist die mangelhafte Sauerstoffversorgung der sehr empfindlichen Zellen. Die Blutversorgung im Innenohr hat sehr wenig Spielraum; z. B. können Blutgefäße unter einer bestimmten Größe nicht aktiv erweitert werden! Eine Schwerhörigkeit kann durch mangelhafte Schallübertragung oder durch Störungen im Innenohr und in der zentralen Verarbeitung verursacht sein. Man spricht dann einerseits von einer Schalleitungsschwerhörigkeit, andererseits von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Eine operative Hörverbesserung kann nur bei Schalleitungsstörungen durch rekonstruktive Maßnahmen erreicht werden. Die am einfachsten zu behandelnde Störung der Schalleitung ist der Ohrschmalzpfropf. Die Basisdiagnostik des Hörverlustes erfolgt durch die Audiometrie. Dabei wird die Abweichung der Hörschwelle von der Normkurve in Dezibel (dB) für Töne von 125 Hz bis 8000 Hz über Kopfhörer erhoben. Es kann zwischen Schalleitungsschwerhörigkeit und Schallempfindungsschwerhörigkeit unterschieden werden. Ursachen der Innenohrschwerhörigkeit und Versorgung mit einem Hörgerät 1. Ursachen der Innenohrschwerhörigkeit Familiäre (hereditäre) Innenohrschwerhörigkeit Akutes Lärmtrauma (Handfeuerwaffen, Knallkörper, Arbeitsunfall, Explosionstrauma, ….) Chronische Lärmeinwirkung: sei es durch Beruf oder Freizeit (Musik) Hörminderung durch entzündliche Prozesse Baro-Trauma – Aero-Trauma (Tauchunfall) Innenohrschädigung durch toxische Substanzen (Antibiotika, Chemotherapeutika, …) Bei fortgeschrittener Innenohrschwerhörigkeit und schwieriger Kommunikation hilft nur ein Hörgerät! 2. Untersuchung vor Hörgeräte-Anpassung: Tonschwellenaudiogramm, Sprachaudiogramm müssen einen bestimmten Hörverlust zeigen. Bestimmung des Ausmaßes der Schwerhörigkeit und des Diskriminationsverlustes, Sprachverstehen im Störgeräusch, Ausschluss einer zentralen Hörstörung! Grundlegende Fragen vor der Hörgeräte-Versorgung: Was bringt die Hörgeräte-Versorgung, was nicht? Ein Hörgerät ist eine Hörhilfe und nicht eine Hörprothese; ein Hörgerät macht aus einem Schwerhörigen nicht einen Normalhörigen. Der Patient muss gewillt sein, das Hörgerät zu tragen, er muss generell in der Lage sein, das Hörgerät zu bedienen (manuell und geistig!) Auswahl des richtigen Hörgerätes: Im Ohr-Hörgerät und Hinter dem Ohr-Hörgerät Anpassung eines Hörgerätes: Die Beziehung von HNO-Arzt und Hörgeräte-Akustiker ist von einer gegenseitigen Akzeptanz des Wissens und der Erfahrung geprägt. Generell wird die Technik der Hörgeräte und damit auch die Akzeptanz diese zu tragen ständig verbessert. Kosten und Zuzahlung durch die Krankenkassen – je nach Versicherung und Hörgerät bzw. technischer Ausrüstung desselben. Vorteile einer guten Hörgeräte-Versorgung: Kaum Einbußen in der Kommunikation die Menschen bleiben länger selbstständig, kommen später oder gar nicht in das Pflegeheim Stimmungsverbesserung weniger Risiko an Demenz zu erkranken und Halten der geistigen Leistungsfähigkeit Statistisch führt eine gute Hörgeräte-Versorgung zu einer höheren Lebenserwartung: „Wer also Ohren hat zu hören, höre – wenn nötig und möglich – mit einem Hörgerät!“ Hörverbessernde Eingriffe und Implantate Hörstörungen Bei Störungen im äußeren Gehörgang oder Mittelohr kann es zu Schallleitungsschwerhörigkeit kommen. Oft handelt es sich nur um einen Cerumenpfropf, dessen Entfernung ausreichend ist. Besteht eine Perforation des Trommelfelles, ein Defekt der Kette oder eine Fixierung wie bei Otosklerose, so ist ein entsprechender, hörverbessernder Eingriff erforderlich. Das Ausmaß der eventuellen Verbesserung lässt sich an Hand des präoperativen Audiogrammes (Schallleitungsanteil) prognostizieren. Eine Studie unserer Langzeitergebnisse der Steigbügelplastik hat ergeben, dass eine signifikante Hörverbesserung mehr als 10 Jahre nach solchen Eingriffen bestanden hat. Es werden an der HNOAbteilung jährlich ca. 300 hörverbessernde Eingriffe enaural durch einen Gehörgangstrichter durchgeführt. Durch diesen Zugang sind keine Hilfsschnitte erforderlich, die Blutstillung erübrigt sich. Die OP Zeit wird kürzer und die Morbidität geringer. Durch Schädigung oder Fehlen der Haarzellen kommt es zu einer Innenohrschwerhörigkeit, die zunächst mit einem Hörgerät kompensiert werden kann. In Sonderfällen kommen auch implantierte Hörgeräte in Frage, die zu erwartende Verstärkung dadurch geringer. Generell sollten Langzeitergebnisse noch abgewartet werden. Wird mit dem Hörgerät kein ausreichendes Sprachverständnis mehr erzielt, kommt die elektrische Stimulation mit dem Cochlea-Implantat (Kunstohr)zum Einsatz. Cochlea-Implantat (CI) Durch das "Kunstohr" kann das Hörorgan teilweise ersetzt werden. Cochlea-Implantate eignen sich für Erwachsene die erst ertaubt sind, nachdem sie vorher hören und sprechen gelernt haben. Früher wurden angeborene oder frühkindliche Hörstörungen oft sehr spät erkannt und entsprechend behandelt. Durch das Neugeborenen-Hörscreening werden Hörstörungen heute in der Regel in der ersten Lebenswoche diagnostiziert und die Kinder zunächst mit Hörgeräten versorgt. Kommt es durch die Hörgeräte nicht zu einer entsprechenden Hör- und Sprachentwicklung, so bekommen die Kinder im ersten Lebensjahr ein Implantat. Es ist inzwischen unumstritten, dass eine CI- Versorgung vor dem zweiten Lebensjahr gegenüber späteren Implantationen Vorteile für die Hör- Sprachentwicklung ergibt. Bei der Gruppe der hochgradig schwerhörigen Kinder hat sich auch nach optimaler Hörgeräteanpassung und Therapie im Vergleich zu altersgleichen, mit CI versorgten Kindern eine schlechtere Hör- und Sprachentwicklung gezeigt. Studien unserer Langzeitergebnisse nach tiefer Elektrodenimplantation haben bei allen Patienten ein offenes Sprachverständnis (ohne Lippenlesen) ergeben. Im Durchschnitt wurden bei Erwachsenen fast 40% Verständnis von Einsilbern erreicht. Insgesamt ergeben sich bessere Ergebnisse, wenn die Taubheit vor der Implantation kürzer bestanden hat. Nach bilateraler Implantation hat sich gezeigt, dass das Sprachverständnis bei Verwendung beider Seiten besser ist, als von der Summe der Einzelergebnisse zu erwarten wäre. Ein Einzelfall, der im implantierten Ohr 50 jahrelang taub war, weist darauf hin, dass die Inaktivität im Fall des Hörnerven nicht zu einer signifikanten Degeneration führen muss. Bei Kindern, die im ersten Lebensjahr implantiert werden, ergeben sich chirurgische Besonderheiten durch einen dünneren Schädelknochen. So kann es schwierig sein, ein ausreichend tiefes Knochenbett für das Implantat zu schaffen. Es wurde häufig die harte Hirnhaut dargestellt ohne sie zu verletzen. Im Bereich des Mittelohres fehlte oft die Knochenbedeckung des Gesichtsnerven. Es hat sich daher vorteilhaft erwiesen, die frühere Technik, nämlich den Zugang über eine hintere Tympanotomie, zu verlassen und die Elektrode über einen suprameatalen Tunnel einzuführen. Es ergibt sich dadurch keine Gefahr mehr für den Gesichtsnerven. Die Operationszeit konnte wesentlich verringert werden. Auch anästhesiologisch ergeben sich Besonderheiten betreffend die Körpertemperatur, das relativ geringe Blutvolumen und die relative pulmonale Unreife. Die Anästhesisten im AKH Linz haben mit Operationen bei sehr kleinen Kindern im Kinderherzzentrum große Erfahrung. Es ist so zu keinen Komplikationen gekommen. Die laufenden erforderlichen Anpassungen der Sprachprozessoren und die Therapie werden von den spezialisierten Logopädinnen der Abteilung durchgeführt. Abklärung und Behandlung kindlicher Hörstörungen Hören ist ein elementarer Teil unserer Kommunikation und Grundvoraussetzung, um Sprache und das Sprechen zu erlernen. Hören beeinflusst aber auch unsere Psyche, verursacht Emotionen und so weisen Kinder, die unter einer nicht versorgten Schwerhörigkeit leiden, nicht nur ein Defizit in ihrer kommunikativen Entwicklung auf, sondern sind auch in ihrer intellektuellen, emotionalen und sozialen Entwicklung gefährdet. Häufigkeit: Ca. 1 bis 2 von 1000 Neugeborenen weisen bei der Geburt eine Hörschädigung auf, das entspricht ca. 100 hörgeschädigten Säuglingen pro Jahr in Österreich. Hörbahnentwicklung: Die Reifung der menschlichen Hörbahn und die physiologische Hör- und Sprachentwicklung ist im Wesentlichen auf das 1. Lebensjahr beschränkt. Dies macht die Wichtigkeit einer frühzeitigen Diagnose und Therapieeinleitung um so bedeutender, um bei einem heute sehr gut therapierbaren „Defizit“ zeitgerecht gegensteuern zu können. Diagnose: Durch die Einführung eines flächendeckenden Neugeborenenhörscreening - dies ist ein Hörtest, der am 2. bis 3. Lebenstag in den meisten Geburtenabteilungen unseres Landes durchgeführt wird, und durch die Aufnahme der Untersuchung in den Mutter-Kind-Pass ist es gelungen, das Diagnosealter von Kindern mit Hörstörungen von 17 bis 24 Monaten auf ca. 4 bis 5 Monate zu senken. Hörstörungen müssen aber nicht immer im Säuglingsalter bereits zu diagnostizieren sein. sondern können sich auch erst in den darauf folgenden Lebensjahren entwickeln, wie dies für genetisch bedingte Hörstörungen charakteristisch ist. Diese Hörstörungen werden dann meist erst im Kindergarten bzw. zur Einschulung bemerkt. Weiters kann hinter einer vermuteten Hörstörung auch eine zentrale Wahrnehmungsoder Verarbeitungsstörung stecken. Therapie: Ab einem Hörverlust von ca. 40 dB ist eine Hörgeräteversorgung angezeigt. Auch hier haben bunte Ohrpassstücke und eine moderne Hörgerätetechnologie zu einer höheren Akzeptanz von Hörgeräten bei Kindern geführt. Der technische Fortschritt in den letzten beiden Jahrzehnten und die immer besseren Sprachverarbeitungsstrategien ermöglichen es, taube Kinder mit Innenohrprothesen (einem CochleaImplant) zu versorgen und ihnen mit entsprechender Förderung eine Hörentwicklung zu ermöglichen, wie sie hörgesunde Kinder haben. Auch hier bringt eine Versorgung im 1. Lebensjahr den größen Vorteil. Weitere Informationen: Prim. Dr. Alfred Eckmayr KH der Kreuzschwestern Wels Abteilung für HNO-Heilkunde Grieskirchner Straße 42, 4600 Wels Tel.: 07242/415-2313 e-Mail: [email protected] Prim. Univ.-Prof. Dr. Ernst Richter AKH Linz Abteilung für HNO-Heilkunde Krankenhausstraße 9, 4021 Linz Tel.: 0732/7806-1134 e-Mail: [email protected] OA Dr. Thomas Keintzel KH der Barmherzigen Schwestern Linz Abteilung für HNO-Heilkunde Seilerstätte 4, 4010 Linz Tel.: 0732/7677-4732 e-Mail: [email protected] Prim. Dr. Josef Meindl KH der Barmherzigen Schwestern Linz Abteilung für HNO-Heilkunde Seilerstätte 4, 4010 Linz Tel.: 0732/7677-4921 e-Mail: [email protected]