Die Sozialpartnerschaft Österreich ist ein Staat mit einer sozialen Marktwirtschaft und ein wesentliches Merkmal für die Form österr. Wirtschaftspolitik ist die Sozialpartnerschaft. Was ist die Sozialpartnerschaft? Darunter versteht man ein System der wirtschafts- und sozialpolitischen Zusammenarbeit zwischen den Interessenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Regierung. Der Grundgedanke besteht darin, dass die grundlegenden Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch Zusammenarbeit der großen gesellschaftlichen Gruppen besser erreicht werden können, als durch offene Austragung von Konflikten, etwa in der Form von Arbeitskämpfen (Streiks). Österreich liegt seit langem gemeinsam mit der Schweiz am Ende der internationalen Tabelle der Streikhäufigkeit. In Österreich gibt es neben den freiwilligen Interessenvertretungen (Gewerkschaft, Vereinigung österreichischer Industrieller) noch gesetzliche Interessenvertretungen (Kammern), deren Mitgliedschaft verbindlich ist. Diese Kammern (Wirtschaftskammern, Kammern für Arbeiter und Angestellte, Landwirtschaftskammern und die Kammern der freien Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker usw.) haben im Begutachtungsverfahren bei neuen Gesetzen Mitspracherecht. Aufgabenstellung, Organisationsform und die Wahl der Kammervertreter sind durch eigene Gesetze geregelt. Wo die beruflichen, sozialen und politischen Interessen des Einzelnen mit den Interessen anderer zusammentreffen, entstehen Konflikte, die geregelt werden müssen. Solche Regeln werden in Österreich von den Interessenverbänden stark geprägt. Interessensverbände: Bundeskammer, ÖGB, Kammern der freien Berufe, Landwirtschaftskammern, Vereinigung österreichischer Industrieller, Wirtschaftskammer Österreichs. Die Sozialpartnerschaft hat mehrere Wurzeln: Die Theorie der Katholischen Soziallehre, die die Zusammenarbeit der Klassen als Alternative zum Klassenkampf forderte. Die Praxis der Sozialdemokratie, die das „Machbare“ über das „Wünschenswerte“ stellte: so im „Roten Wien“ der Ersten Republik, so als Regierungspartei nach 1945. Die relative Schwäche des Kapitals unmittelbar nach 1945, die zu einer im internationalen Vergleich auffallenden Kompromissbereitschaft der Arbeitgeberverbände gegenüber dem ÖGB führte. Eine Zusammenarbeit der Sozialpartner schien logische Ergänzung zur Zusammenarbeit der Großparteien. Die Anfänge der Sozialpartnerschaft waren die fünf Lohn-Preis-Abkommen (1947 1951), mit deren Hilfe die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den großen Wirtschaftsverbänden (Kammern, ÖGB) die damals herrschende „Stagflation“ (Inflation und Rezession - mit der Konsequenz massenhafter Arbeitslosigkeit) zu bekämpfen suchte. Die Absicht war, die Preis- und Lohnspirale unter Kontrolle zu bringen. Monika Steinmetz WK 1 Die Sozialpartnerschaft Nach dem Beginn des Konjunkturaufschwunges wurde nach einem anderen Instrument der sozialpartnerschaftlichen Kooperation gesucht. 1957 wurde die Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen gegründet. Die Grundlage war kein Gesetz, sondern eine formlose Vereinbarung zwischen Julius Raab und Johann Böhm. Raab agierte als Bundeskanzler, ÖVP-Bundesparteiobmann und als vormaliger Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft. Er bündelte so die Interessen von Regierung und einer Regierungspartei und auch die der ArbeitgeberInnen. Böhm handelte als Präsident des ÖGB, als Zweiter Präsident des Nationalrates und als Mitglied des Bundesparteivorstandes der SPÖ. Er konnte so für die Interessen der ArbeitnehmerInnen und auch für die der zweiten Regierungspartei und – indirekt - für die des Parlaments sprechen. In zwei Personen waren alle maßgeblichen Interessen des Landes konzentriert. Dadurch war auch eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Sozialpartnerschaft deutlich: Ein Dupol- also die Reduktion auf zwei Vertreter, die jeweils die eine Hälfte der wesentlichen Interessen repräsentieren: ArbeitgeberInnen und ÖVP, ArbeitnehmerInnen und SPÖ. Was ist die Paritätische Kommission? Die Vertreter der Interessenverbände arbeiten als Berater der Regierung in vielen Kommissionen sozialpartnerschaftlich zusammen. Diese Kommissionen sind in der Regel paritätisch (zu gleichen Teilen) besetzt: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite entsenden jeweils gleich viele Vertreter. Die Paritätische Kommission ist das Kernstück der Sozialpartnerschaft und beruht auf freiwilliger Vereinbarung der großen Interessenvertretungen und ist ohne verfassungsrechtliche Verankerung. In Unterausschüssen wird über verschiedene Themen beraten. Die Aufgabe des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen besteht darin, allseits anerkannte Daten und Empfehlungen zu Wirtschafs- und Sozialpolitik zu erarbeiten. Die Sozialpartner geben für Gesetze, Preise und Löhne bloß Empfehlungen (an die Regierung, die Unternehmen, die Gewerkschaften). Dass diese Empfehlungen beachtet und in der Regel eingehalten werden, liegt am politischen Gewicht der Sozialpartner. Fast alle Österreicher sind in ihnen per Gesetz organisiert. Finanziert werden die Kammern über Pflichtbeiträge (Kammerumlagen), die wie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen. Die Entwicklung der Paritätischen Kommission: Die Paritätische Kommission wird von vier Verbänden getragen - von den drei großen Kammerorganisationen und vom ÖGB. Seit ihrer Gründung entwickelte sich die Kommission in folgenden Schritten: 1957 wurde der Preisunterausschuss etabliert, dessen Aufgabe die freiwillige Preiskontrolle war. 1962 folgte der Lohnunterausschuss. Dessen Aufgabe war die Freigabe von Lohnverhandlungen (ÖGB und Wirtschafskammer außerhalb der Paritätischen Kommission) und die Genehmigung der Ergebnisse dieser Verhandlungen, der Kollektivverträge. Monika Steinmetz WK 2 Die Sozialpartnerschaft 1963 kam, als dritter Unterausschuss, der als Experten- und Beratungsgremium eingerichtete Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen hinzu. 1992 wurde der Preisunterschuss durch einen Unterausschuss für Fragen des Wettbewerbes ersetzt. Die internationale Wirtschaftsverflechtung hatte die freiwillige Preiskontrolle (in Ö) sinnlos gemacht. 1992 wurde, im Vorfeld des österreichischen EU-Beitritt, ein Unterausschuss für internationale Fragen eingerichtet. Struktur der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen Die Paritätische Kommission ist zwar das Kernstück der Sozialpartnerschaft, diese umfasst aber eine Reihe von Funktionen über die Paritätische Kommission hinaus. Dazu zählen insbesondere: Die Sozialversicherungsinstitute: Das besonderes Merkmal des Sozial- und Wohlfahrtsstaates ist die gesetzliche Pflichtversicherung (Krankenversicherung). Monika Steinmetz WK 3 Die Sozialpartnerschaft Die gesetzlich eingerichteten Versicherungsinstitute werden von den Sozialpartnern verwaltet. Beiräte und Kommissionen: Bund und Länder haben eine Fülle von Gremien eingerichtet, die vor allem die Regierungen in Fragen der Wirtschaft- und Sozialpolitik beraten. Diese Gremien treffen zwar keine Entscheidungen, aber ihre Empfehlungen haben ein politisches Gewicht, dem sich ein(e) Bundesminister(in) oder auch eine Landesregierung nur schwer entziehen können. Mitwirkung in der Justiz: In einigen speziellen Bereichen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (arbeitgerichtliches Verfahren, Schiedsgerichtsverfahren der Sozialversicherungen) stellen die Wirtschaftsverbände (paritätisch: Arbeiterkammer und Wirtschaftkammer) rechtskundige LaienrichterInnen, die gemeinsam mit Berufsrichtern zu entscheiden haben. Außeruniversitäre Forschung: Die Sozialpartner haben mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) eine Institution eingerichtet, die - vor allem in Form von Prognosen - Forschungsergebnisse produziert, die wiederum auf politische Entscheidungen (v.a. der Bundesregierung) oft erheblich Einfluss haben. Durch die enge Verflechtung zwischen Wirtschaftsverbänden und politischem System lassen sich keine klaren Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Staat und Gesellschaft ziehen. Dass es eine solche Grenze gibt, mag klar sein. Nur wo sie verläuft, das wird durch Verbände und Sozialpartnerschaft in einer Grauzone gehalten. Mit dem EU-Beitritt veränderte sich die Bedeutung der politischen Einrichtung innerhalb Österreichs für die Politikgestaltung (z. B. Rolle der Sozialpartnerschaft für die Wirtschafts- und Währungspolitik). Literatur: MALCIK, Wilhelm; SITTE, Wolfgang: Raum – Gesellschaft – Wirtschaft AHS 7. Verlag Ed. Hölzel. Wien 2002. Kapitel 3 http://homepage.univie.ac.at/Christian.Sitte/FD/geoweb/inhalt.htm PELINKA, Anton; ROSENBERGER Sieglinde: Österreichische Politik: Grundlagen Strukturen - Trends. Wien 2000. SITTE Ch. Geschichte – Kultur und Gesellschaft 1848 bis zur Gegenwart. Verlag Manz 2004. Kapitel 11.3 (daraus sind die in der LV ausgeteilten Quellentexte) http://www.eduhi.at/geschichte-chsitte/geschichte/index.html Monika Steinmetz WK 4