Xxx Gießen, den 16.06.03 KRANKENBERICHT Chirurgische Veterinärklinik der Justus- Liebig- Universität Gießen Chirurgie des Pferdes und Lehrschmiede Frankfurter Str. 108 D- 35392 Gießen Im Rahmen des Dritten Abschnittes der Tierärztlichen Prüfung wurde am 16.06.03 das Pferd von Herrn X aus Y mit der Kliniksnummer xxxxxx in der Zeit von 8.30 bis 12.00 Uhr untersucht. SIGNALEMENT Bei dem zu untersuchenden Patienten handelt es sich um einen ca. 450 kg schweren Haflingerwallach mit einer durchgehenden weißen Blesse und einem dunklen Fleck unterhalb des linken Nasenlochs. Alle Inzisivi des Unterkiefers sind gewechselt und die Kunden abgerieben. Das Zangengebiß geht über in ein Winkelgebiß. Das Tier muß laut untersuchtem Zahnalter mindestens acht Jahre alt sein. Der Haflinger hat keinen Brand. ANAMNESE Das Pferd wird am 12.06.03 in die chirurgische Veterinärklinik mit dem Verdacht auf einen Hufabszeß eingeliefert. Es geht seit zwei Tagen im Schritt lahm. Acht Wochen zuvor war es beim Hufschmied. Bei Einlieferung ist der Haflinger an allen vier Gliedmaßen beschlagen, die Hufeisen der Hintergliedmaßen haben beidseits verdickte Schenkel, was auf eine Spaterkrankung schließen lässt. Im Trab zeigt das Pferd eine mittelgradige Lahmheit. Die laterale Seitenwand des linken Hinterhufes ist unterminiert, die Zehenbeugeprobe ist ++ und die Spat- Beugeprobe + positiv. An der linken Mittelfußarterie ist keine Pulsation zu spüren. Der Patient bekommt Antiphlogistika, einen Hufverband und einen Aufguß über das Wochenende. ALLGEMEINE UNTERSUCHUNG Das Pferd ist aufmerksam und nimmt rege an seiner Umwelt teil. Es entlastet die linke Hintergliedmaße leicht und dreht sie etwas nach außen. Die anderen Gliedmaßen werden gleichmäßig belastet. Sowohl an den Vorder-, als auch an den Hintergliedmaßen ist eine bodenenge Stellung zu erkennen. Der Pflegezustand des Patienten ist als gut, der Ernährungszustand als sehr gut zu bezeichnen. Die Pulsfrequenz liegt bei 36 Schlägen pro Minute und stimmt mit der Herzfrequenz überein. Die Herztöne sind regelmäßig und ohne Nebengeräusche. Die Atemfrequenz liegt bei 16 Zügen pro Minute und die Atmung ist abdominal betont. Bei der Lungenauskultation sind keine verschärften Atemgeräusche zu hören. Nasenausfluß ist nicht vorhanden, Husten ist nicht auslösbar. Die rektal gemessene Körpertemperatur beträgt 37,9°C. Die sichtbaren Schleimhäute sind blassrosarot, feucht, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen, die Kapillarrückfüllzeit liegt unter zwei Sekunden. Die Retropharyngeallymphknoten erscheinen etwas verdickt, sind aber nicht schmerzhaft. Die Mandibularlymphknoten sind nicht verändert. Der Hautturgor ist erhalten. Die Jugularvenen sind beidseits anstaubar. SPEZIELLE UNTERSUCHUNG Die linke Hintergliedmaße wird etwas entlastet und nach außen gedreht. Die obere Hornschicht in dem veränderten Hufbereich ist vollständig abgetragen. Es wurde ein ca. 6 cm langes und etwa 2,5 cm hohes, halbkreisförmiges Stück aus der lateralen Hornwand entfernt. Bei Ausschneiden des Hufes sind keine weiteren Veränderungen zu erkennen. Die Gliedmaße ist nicht vermehrt warm oder geschwollen. An der Mittelfußarterie ist keine Pulsation zu spüren. Bei der Zangenprobe zeigt der Patient keine Schmerzäußerungen. Auch die Eisen an den anderen Gliedmaßen müssen entfernt, die Hufe zugeschnitten und neu beschlagen werden, da der Tragrand über die Hufeisenschenkel hinausgewachsen ist. Das linke Sprunggelenk ist sowohl adspektorisch, als auch palpatorisch nicht verändert. Auf dem Röntgenbild des linken Hufes lässt sich distal des Hufbeins eine Aufhellung erkennen. Auf dem Röntgenbild des linken Sprungbeins lässt sich am kranialen Rand des Intertarsalgelenkspalts eine geringgradige wolkige Verschattung erkennen. Nach dem Beschlagen wird das Pferd im Trab vorgeführt. Die linke Hintergliedmaße wird vorsichtiger und langsamer nach vorne geführt als die rechte. Das rechte Vorderbein wird beim Vorführen der Gliedmaße etwas nach lateral geschleudert. DIAGNOSE hohle Wand Spat DIFFERENTIALDIAGNOSE zu hohle Wand lose Wand Hufabszeß Zu Spat chronische Erkrankungen des Hüft-, Knie- und Talokruralgelenks Osteochondrosis dissecans im Sprunggelenk Gleichbeinlahmheit Gegen eine lose Wand spricht die Tatsache, dass der Defekt sich nicht nur auf die weiße Linie bezieht. Ein Hufabszeß kann ausgeschlossen werden, da die Mittelfußarterie nicht verstärkt pulsiert und sich beim Nachschneiden des Horns kein Eiter entleert. Die Differentialdiagnosen chronische Erkrankung des Talokruralgelenks, Osteochondrosis dissecans und Gleichbeinlahmheit lassen sich aufgrund des röntgenologischen Befundes ausschließen. Um chronische Erkrankungen im Hüft- und Kniegelenk ausschließen zu können, müssen weiterführende röntgenologische Untersuchungen der genannten Gelenke durchgeführt werden. THERAPIE zu hohle Wand Die gesamte unterminierte Röhrchenschicht muß soweit abgetragen werden, bis man wieder auf eine feste Verbindung zur Hornschichten trifft. Um einer Infektion mit Bakterien oder Pilzen vorzubeugen kann der Horndefekt mit antibakteriell und antimykotisch wirksamen Lösungen in Form von feuchten Hufverbänden behandelt werden. Muss sehr viel Horn entfernt werden, kann auf Kunsthornprodukte zurückgegriffen werden, die dem erkrankten Huf wieder eine bessere Stabilität ermöglichen und gleichzeitig die empfindlichen Stellen schützen. In diesem Fall ist der Defekt jedoch nicht so weitgreifend und es kann auf diese Therapiemöglichkeit verzichtet werden. Zu Spat geringgradige Spatlahmheiten, wie in diesem Fall, können alleine mit einem orthopädischen Hufbeschlag therapiert werden. Der Patient bekommt sogenannte Spathufeisen mit Zehenrichtung und erhöhten Schenkeln um die inneren Sprunggelenksanteile zu entlasten. Weiterhin gibt es noch das Niffenegger- Eisen, das einen verdickten äußeren Schenkel besitzt. EPIKRISE Unter einer hohlen Wand versteht man die Zusammenhangstrennung innerhalb der Hornwand, hauptsächlich in den innersten Schichten nahe der Wandlederhaut zwischen der Haupt- und der Blättchenschicht. Traumatische Einflüsse wie starke Prellungen auf Pflastersteinen, eitrige Huflederhautentzündungen nach Vernagelung oder Nageltritt können zum langsamen Auseinanderweichen oder plötzlichem Auseinanderreißen der Wand führen. Weite Hufe, auch Rehehufe sind prädisponiert für diese Erkrankung. Nach Abnahme des Hufeisens ist im Wandteil der Tragfläche ein Zwischenraum zu erkennen, wobei die weiße Linie erhalten ist. Mit einer Sonde die vom Tragrand aus eingeführt wird, lässt sich das Ausmaß der hohlen Wand ermitteln. In Fällen, in denen die hohle Wand bis zum Kronrand reicht, kann oft eine geringgradige Stützbeinlahmheit festgestellt werden. Schmutz und Bakterien können in diesen Zwischenraum eindringen und eine Infektion verursachen. Bei einer dadurch entstandenen eitrigen Lederhautentzündung können die Tiere sogar mittel- bis hochgradig lahm gehen. Der Spat ist eine chronische, lokale Periarthritis und Arthrose der straffen Gelenke des Sprunggelenks und stellt eine der häufigsten Lahmheitsursachen des Pferdes dar. Spatpatienten sind Pferde, deren medialer Abschnitt des Sprunggelenks unphysiologisch belastet wird. Vermehrte Belastung der Hinterhand, Stellungsanomalien wie Kuhhessigkeit, Säbel- und Fassbeinigkeit sind prädisponierende Faktoren dieser Erkrankung. Sie wird definiert als eine Knochenauftreibung an der Innenseite des Sprunggelenks mit einer typischen Lahmheit, die sich in der Bewegung bessert. Oft lassen sich keine Umfangsvermehrungen des betroffenen Gelenks feststellen. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können sich schmerzlose, harte Verdickungen an der Innenfläche des Sprunggelenks bilden, die als Spatexostosen bezeichnet werden. Man unterscheidet die Spatgangart, durch einen hölzernen Gang charakterisiert, sowie die Spatlahmheit und die eben genannten Spatexostosen. Die Spatlahmheit entsteht meistens allmählich und ist beim Übergang von Schritt zu Trab am deutlichsten zu sehen. Mit zunehmender Bewegung kann sich diese Lahmheit bessern oder sogar ganz verschwinden. Im Stand schonen die Pferde die erkrankte Gliedmaße, was an einem häufigen Schildern oder einem Vorstellen des Beines zu erkennen ist. Spatexostosen befinden sich meistens im Bereich des Os tarsi centrale und des Os tarsale III und sind immer fest mit ihrer Unterlage verwachsen, außerdem reaktionslos. Allerdings muß beachtet werden, dass ein großer Teil an älteren Pferden pathologisch- anatomische Veränderungen an den kleinen Tarsalknochen besitzen, die als physiologische Umbauveränderungen infolge Alter, Leistung oder Gliedmaßenstellung angesehen werden. Mit Hilfe der Spatbeugeprobe kann diese Erkrankung besser diagnostiziert werden. Nach Beugen der Gliedmaße über drei Minuten und anschließendem Traben verstärkt sich bei vorliegen eines Spats die Lahmheit. Allerdings ist diese Beugeprobe auch bei Erkrankungen des Hüft- und Kniegelenks positiv. Weiterhin kann zur Diagnose eine subkutane Infiltrationsanästhesie der Spatstelle durchgeführt werden. Diese Untersuchung ist aber nur bei Verschwinden der Lahmheit und negativer Beugeprobe aussagefähig. Auch dorso- plantare und latero- mediale Röntgenaufnahmen führen zu einer sicheren Diagnose und werden deshalb regelmäßig bei klinischem Verdacht einer Spaterkrankung angefertigt um diesen zu sichern. Mögliche Therapiemaßnahmen sind orthopädische Hufeisen, Einreiben mit hyperämisierenden Salben, Ruhe, bei Sportpferden Antiphlogistika und leichtes Training. Weiterhin kann eine periphere Neurektomie nach Wamberg mit Umschneidung der Exostosen oder der Spatstelle durchgeführt werden. Bei der Spatoperation nach Wamberg wird der mediale Schenkel des M. tibialis cranialis tenotomiert, bzw. tenektomiert. In der Operation nach Peters führt eine Periostomie zu einer Beschleunigung der Ankylosenbildung. Weiterhin können Arthrodesen durchgeführt werden, bei denen allerdings mindestens 60% der Gelenkknorpel zerstört werden. Eine Fenestration der Kompakta soll zu einer Druckentlastung mit Schmerzfreiheit führen (Sonnichsen). Saure Mukopolysaccharide fördern die Synthese der sulfatierten Mukopolysaccharide, die den autolytischen Knorpelabbau verhindern und den Gelenkknorpel zur Regeneration stimulieren. PROGNOSE Bei geringen Ausdehnungen einer hohlen Wand, was bei diesem Patienten der Fall ist, besteht eine günstige Heilungsaussicht. Eine Restitutio ad integrum ist bei der Spaterkrankung nicht möglich. Das Ziel ist eine funktionelle Wiederherstellung, was bei allen genannten Therapiemöglichkeiten mit guter Prognose möglich ist. In Einzelfällen kann es nach ca. ein bis zwei Jahren sogar zu einer Spontanheilung kommen.