Einleitu Renata Cornejo ziel ln diesem Kapitel werden sie mit den Grundbegriffen der Literaturwissenschaft und {e1en Problematik, mit den Teildisziplinen der Literaturwissenschaft, deren rnharten und Forschungsferdern sowie mit oer ciunor;d;;, Edition bekannt gemacht. Was ist Literatur? v.eyychen lie aufgrund rhrer Lesererfahrung den Begriff ,Literatur, 4,u delinieren. welche Kriterien sind lhrer aenun[ oorh ,uäriridend, wn einen literarischen Tert zur Kunstliterutur @elletrßtik) zu rechnen? Machen siz sich Notizen undvergleichen sie sie am Ende mir der iasang der iontrorlfrage Nr. 2. Jede Wissenschaft, so auch die Literaturwissenschaft, muss sich zunächst die Frage nach ihrem Gegenstandsbereich stellen: was ist Literatur? Eine mögliche Definition gibt Gero von Wilpert in seinem ,,Sachwörterbuch der Literatur": Literatur (lat. literatura= Buchstabenschrift). ,Schrifttum', dem Wortsinn nach der gesamte Bestand an Schriftwerken jeder Art,, (Wilpert, 463)' Diese Definition entspricht dem deskriptiven (erweiterten) S. Literaturbegrffi der alle abgeschiossenen, zusarlmenhängenden sprachlichen Außerungen umfasst, die in Schriftform vorliegen und damit reproduzierbar sind. Das Kriterium der Abgeschlossenheit lässt jedoch fragmentarische Texte zu, wenn sie unverändert bestehen bleiben. Zur Literatur gehören im erweiterten Begriff ebenfalls mtindlich überlieferte Märchen oder Lieder, die in der abendländischen Kultur traditionell oral (mündlich) überliefert wurden, auch wenn sie urspninglich nicht schriftlich vorliegen. Es handelt sich jedoch um ein Randphtinomen. Dieser umfassende, in der Antike gebräuchliche Sinn blieb jedoch nicht erhalten. In der Zeit des Humanismus und Barock wurde der Begriff Literatur im Sinn von ,Schriftkunst,, ,Schriftgelehrsamkeit' verwendet. Die Bedeutung ,Gelehrsamkeit' ist charakteristisch für das frühneuzeitliche Verstzindnis von Dichtung als wesentlichem Aspekt humanistisch-gelehrter Bildung (Poeta doctus). Im Zusammenhang mit der Ausbildung der modemen Wissenschaften setzte in der Aufklärung allmählich eine Verengung des Begrifß ein, ein Teil des Gesamtbereichs wurde mit der Bezeichnung ,schöne Literatur' (belles-lettres) ausgegliedert. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich für ,schöne Literatur' die verkürzende Bezeichnung ,Literatur, durch, die somit mehrdeutig wurde. Das gilt auch für den heutigen Sprachgebrauch. Seit der Modeme werden verschiedene Literaturbegriffe gleichzeitig und nebeneinander verwendet und umfassen die = Bandbreite von der ästhetizistischen Verengung auf ,reine Dichtung' bis zum sog. erweiterten Literaturbegriff der neueren Literaturwissenschaft. Dieser unterscheidet zwischen Literatur in quantitativem Qede Art schriftlicher Kommunikation) und qualitativem Sinn (das eigentlich ,Literarische' oder ,Poetische') und bezieht in seiner weitesten Fassung - gegen den Wortsinn Begriffs - des auch mündlich tradierte Texte ein. Auch in unserem heutigen Laienversttindnis unterscheiden wir zwischen der Literatur und ,Literatur'. Wir sind in der Regel nicht bereit ein Kochrezept oder eine Bedienungsanleitung als Literatur anzusehen, genauso wenig wie einen Lexikon-Artikel oder die DrucKorm eines Gesetzes, sondern meinen die ,schöne Literatur', wenn wir von Literatur sprechen und stellen an einen solchen Text qualitative Anforderungen. Präzise Merkmale werden in jeweils genauer zu umreißenden Normenkatalogen erfasst, Literaturbegriff bilden. Zu den die die Grundlagen für jeden normutiven (engeren) üblichen Normen gehören Fiktionalität und ästhetische Der normative (engere) Literatubegriff (synonym auch Kwtstliteiatur, Hochliteratur, Belletristik oder ,schöne Literatur') präzisiert die Kriterien und gibt einen Maßstab, mit dessen Hilfe ein Kanon literarischer Werke von der großen Menge aller Formprinzipien. abgeschlossenen schriftlichen Außerungen abgrenzbar ist. FIKTIONALITÄT: 'Die ,schöne Literatur' macht keine Aussagen. die unmittelbar auf die Erfahrungs- wirklichkeit bezogen sind, sie hat keine eindeutige Referenz (Beziehung) zur Wirklichkeit. Statt dessen erzeugt sie Fiktion, eine Erdichtung (lat. fictio), die nur den Schein eines Sachverhalts oder Geschehens vortäuscht. Sie formuliert somit etwas Mögliches und stellt - wenn überhaupt - nicht auf dieselbe Art Anspruch auf Wahrheig wie wir es sonst in Bezug auf die Wirklichkeit (unsere Lebenswelt) zu tun pflegen. An der Form der sprachlichen Außerung lässt sich die Fiktionalitat nicht erkennen, sie ist von unserer Wahmehmung abhängig. So entsteht die Fiktionalität erst dadurch, dass wir Gedichtes ist. Im Falle der Literatur wird also eine Art von annehmen, dass die Aussage die eines Romans, eines Theaterstücks oder stillschweigender Übereinkunft vorgenommen: Wenn ein Text als Literatur gilt, wird ihm bei der Lektüre Fiktionalität unterstellt, z.B. wenn im Theater ein Mord gespielt wird, wird keiner die Poiizei holen gehen oder wenn auf dem Buchdeckel ,Roman' steht, wird es keiner als Sachaussage und tatsächliche Begebenheit lesen. Diese stille Übereinkunft wird als Fiktionalitätskonvention oder ,fiktionaler Vertrag' bezeichnet. Fiktionalität ist also einer der wichtigsten Bestandteile aller literarischen Eigenschaften der - der Kem Literarizität Zu weiteren Eigenschaften der Literatur gehört die Autonomie, d. h. sie ist unabhängig von den Zwängen der anderen Aussagearten. Das bedeutet aber nicht, dass die literarische Fiktion 8 keinen Bezug zu Llnserer Erfahrungswelt hätte. Im Gegenteil sie sagt darüber mit - ihren literarischen Mitteln in der Regel das Wesentliche aus. Daher kann ihre Autonomie nur relativ sein. Die Fiktion bezieht sich als Ganzes durchaus auf Zusammenhänge unserer Erfahnungswelt, doch die Referenz ist vieldeutig und stellt nie einen direkten Zusammenhang her. Das Zustandekommen von dem indirekten Bezug zur Wirklicltkeit (vermittehe Referenz) ist von vielen subjektiven Faktoren abhängig, wie dem allgemeinen wissen, dem Gemütszustand oder der Lektüreerfahrung des Lesers' Erdichtungen werden nur dadurch verständlich, dass der Illusion, die sie erzeugen, Grundsätze und Elemente unserer Erfahrungswelt zu Grunde liegen. Nur dadurch erhält Literatur ihren Sinn für den Leser. Die Aussage eines Textes an sich geht aus seiner Bedeutung hervor, die jedoch bei einem literarischen Text nie eindeutig, sondern bedeutungsoffen ist. Diese Bedeutungsoffenheit eines literarischen Textes - Polvsemie - ist ein weiteres wichtiges Kriterium. Was sagt der Texl rmter Benicksichtigung aller seiner Teile aus? - Niemand diese Frage endgriltig beantwortet und Alles' was erreicht werden kann, ist eine teilweise Ausschöpfung des Bedeutungspotentials eines fiktionalen Textes, seines Sinnes. Der Sinn bezeichnet die Einordnung dessen, was ein literarischer Text aussagt, in die Erfahrung des publikurns und in seine weltanschauung. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Sinn eines Textes immer auf eine soziale Pbrspektive bezogen bleibt (er steht in einem Verhältnis zu den Handlgngen und Absichten von Menschen als Einzelwesen oder Gruppe). Der Sinn entsteht erst im übergang vom Willen des Verfassers, etwas mitzuteilen, auf die gewählte Textform, und danach noch einmal beim übergang von der Aussage des Textes auf seine Rezeptionsumgebung, also auf den Leser (vgl. iii ,hermeneutischer Zirkel' im 2. Kap.). Fiktive Welten, die die Literatur erzeug!., stellen dem realen Zustand der Welt Deutungsvorschläge und Gedankenspiele entgegen und versetzen die Menschen in die Lage, sich der wirklichen Welt zeit- und teilweise zu entziehen. Diese Distanz ermöglicht es, mit Hilfe von Fiktionen stereotype Sicht'weisen aufzubrechen, produktive Veränderungs-vorschläge zu machen oder in der Vorstellung eine andere Welt aufzusuchen. Diese utopische Leistung der Literatur kann, je nach Ausgangspunkt der Beurteilung entweder als Potential der Kritik an herrschenden Zuständen oder als Medium der Flucht und Kompensation firr unbefriedigte Erfahrungen aufgefasst werden. ÄsruenscHE euAurÄt: Ein weiteres normatives Kriterium für die Zugehörigkeit zur Literatur ist die ästhetische Qualität, die die ,hohe' Kunstliteratur von der niederen Trivialliteratur unterscheidet. Kategorien der literarischen Asthetik sind Kategorien der Asthetik allgemein, angewendet auf den Bereich der Literatur Die ästhetische Theorietradition wurde nachhaltig von Platon geprägt, der die Einheit des Schönen mit dem Wahren und dem Guten postulierte hat (das Schöne, Gute und Wahre). Für Platon beruht gutes Handeln auf Wissen, böses Handeln auf fehlendem Wissen, und beide sind deshalb auch schön oder hässlich. In seinem ,,Symposion" stellt er seine Schönheitskonzeption vor und beschreibt sie als einen Stufenweg, der von der sinnlichen Wahmehmung (aisthesis) körperlicher Schönheit seinen Ausgang nimmt, zur Schönheit der guten Lebensweise und sodann zu der der Erkenntnis (ndesis) übergeht, bis zuletzt die unveränderliche und an keine sinnlich wahrnehmbare Form gebundene Idee der Schönheit erreicht wird. Kriterium ftir die Beurteilung des ,aisthetisch', ethisch und noetisch Schönen kann die Idee des Schönen dem gemäß nur sein, wenn man sie zu einer Einheit zusammen mit den Ideen des Guten und des Wahren konzipiert. Die anschließende Gegenüberstellung von Schönheit und Hässlichkeit wurde schon ansatzweise bei Aristoteles durch den Begriff des Erhabenen relativiert, 1853 legt Karl Rosenkranz schließlich die ,,Asthetik des Hässlichen" vor. Seitdem ist das Prädikat ,schön' nicht mehr mit ,ästhetisch' einfach gleichzusetzen. Das literarische Werk enthält die ästhetische Wahrheit. Der ästhetische Wahrheitsbegriff unterscheidet sich von dem apophantischen (behauptend) Wahrheitsbegriff des Aristoteles, denn das literarische ästhetische Phänomen urteilt und behauptet nicht. Die Wahrheit wird ,,ins Werk gesetzt" (Heidegger). Die Asthetik ist hier nicht primär Theorie des Schönen oder des ästhetischen Urteils, sondem Philosophie der Kunst. Die ästhetische Qualität eines literarischen Werkes bestimmt weiter die Welterschließung und Stimmigkeit. In einem Gedicht zum Beispiel, wird das Garze der Welt eines Subjekls vergegenwärtigt, indem das Gedicht selber als ein stimmiges Ganzes erfahren wird, als eine aus Metaphorik, Klang und Rhythmus sich ergebende Totalität. Wer sagt, dass ,,die Sonne lacht", sagt nicht nur neutral, dass die Sonne scheint, sondem verbindet damit eine Wertung. Ergiinzend ist in diesem Zusammenhang die Kategorie des Neuen hervorzuheben. Zwar sind die neuen Techniken und Formen in der Kunst nicht an sich schon ein Wertkriterium, sie sind es aber in dem Maße, in dem sie eine Lösung der überkommenen Probleme bieten (produktionsästhetisch gesehen) und neue Formen der Wahrnehmung ermöglichen (rezeptionsästhetisch gesehen). Eine Innovation, die nicht sachlich, um eines bestimmten Zwecks willen, sondern um ihrer selbst willen betrieben wird, iäuft leer. Umgekehrt ermöglicht die Kunst neue Formen der Wahrnehmung nur 10 in dem Maße, in dem sie technisch und formal innovativ verfühfr' ,Kafkaesk' (d'h. sich beherrscht von einer riesigen lablrinthischen Institution und vom Mechanismus der Selbstbeschuldigung zu fühlen) erschienen uns Situationen erst, seit Kafka die bürokratische Welt des Beamten lakonisch ins Gigantische und Schreckiich-Komische ausgeweitet hat. Die Kunstliteratur (,schöne' Literatur) verfügt also über eine tisthetisch herausragende Gestaltiurg und bringt darin zugleich herausfordernde literarische Wahrheiten zum Ausdruck. Die Trivialliteratur (Kitsch, Schund usw.) folgt dagegen bewährten Bauformen und verbreitet oder festigt konventionalisierte Ansichten. Auch hier handelt es sich zwar um eine fiktionale Literatur, sie grenzt sich jedoch durch andere ästhetische Zielsetnngen vom Bereich der ,hohen, Literatur ab, solche Normen wie Originalität, Innovation oder theoretische Reflexion sind ihr fremd. Sie arbeitet vielmehr mit schematisierten Gattungs-, Handlungs-, Darstellungs- und Stilmustern und entsprechend normierten Welt- und Menschenbildern. Diese Standardisierung erlaubt eine serielle Produktionsweise, die sich zunächst od'et Fortsetzungsromanen äußerte in Fortsetzungen erfolgreichen Romantypen, Romanserien im 20. Ih. in der anonymen Massenproduktion von Romanheftchen und Comics glpfelt. Heutzutage liefem Verlage selbst in ihren detaillierten Anweisungen für die Autoren eine verbindliche ,Regelpoetik', die den Erfolg der produktion und garantiert und so die Lesererwartungen un<i Leserbedürfnisse erfi.illt. Mit ihren Traumwelten ermöglicht die Trivialliteratur dem Leser, seine Gefühlsweit zu entfalten und seine Wünsche zu erfi.illen, indem er in der Phantasie ,,eine Korrektur der unbefriedigten Wirklichkeit,, vornehmen, kann (Sigmund Freud). Helmut Kreuzer definierte 1967 die Trivialliteratur ,,als Bezeichnung des Literaturkomplexes, den die dominierenden Geschmacks-träger einer Zeitgenossenschaft ästhetisch diskiminieren". Trivialliteratur erscheint so als historisch variables phänomen, Rezeptionsphcinomen' In der postmodemen Literatur wird dann mit den trivialen Mustern Gattungen der Trivialliteratur ganz bewusst gespielt und ilr ,nd als den produktives Einbeziehen zur Überwindung der Kluft zwischen der ,hohen' und ,niederen, Literatur genutzt. Die Geschichte der Trivialliteratur beginnt gegen Ende des 18. Jh.s im Zusammen-hang mit der Ausweitung des literarischen Marktes und einem rapiden Anstieg der Literaturproduktion, an dem insbesondere der Roman einen goßen Anteii hatte. Hier entstanden die fortwirkenden Muster des historischen Triviakomans, des Ritter-, Rauber- und Schauerromans sowie des sentimentalen Familien- und Liebesromans, dessen Popularität auch im I 9. und 2A. Th. wrgebrochen anhielt. Der im 19. Jh' entstandene Kriminalroman entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Genres überhaupt, eine längere Vorgeschichte hat der Reise- und Abenteuerroman,der dann im 19. Jh. mit Karl May seinen Höhepunkt eneichte. Weitere beliebte triviale Romangattungen sind und der Hetmatroman. Die meisten dieser im der Zukunfts- 18. und 19. Jh. entwickelten Gattungsschemata finden sich in der periodischen Heftchenproduktion des 20. Jh.s wieder, wobei man die scheinbare Fülle 11 von Berg-, Arzt-, Liebes-, Frauen-, Horror-, Wildwest- oder Landserromanheftei'z im wesentlichen auf zwei narrative llandlungsmodelle zurückführen kann: Abenteuer- und Liebesgeschichte. Eine parallele Entwicklung gibt es auch beim Drama: Im 18./19. Jh. stehen dem Ritteroder Räubeffoman die gleichen trivialen Dramentypen gegenüber, dem sentimentalen FamilienLurd Liebesroman entspricht das bürgerliche Rühr- rnd Familienstüc&. Seit dem Ende des 19. Jh.s ist der Bühnenschwank (bzw. Fernsehschwank) wichtigstes Genre der trivialen Dramatik. Auch die Lyrik kennt triviale Formen und findet auch - etwa im Schlager - massenhafte Verbreitung. De/inieren Sie folgende Begrffi. Nehmen Sie dabei ein Lexikon der Literatar und Philosophie zur Hand. Asthetik : apophantisch Ethik = Kitsch Noethik : Rezeption Vermittelte Referenz: Polysemie Die Einordnung einzelner Werke in die Kategorie Kunstliteratur ist einerseits Sache des ästhetischen Ermessens, andererseits der Tradition. ,Hohe' Literatur wird durch Vereinbarungen über die Auswahlkriterien, die in der Regel aus bereits vorliegenden Werken abgeleitet werden, erst gemacht. Die Übereinkunft über diese Kriterien wird nicht ständig neu abgesprochen, sondem steht in einer Tradition der literurischen Wertung (sprachliche Werturteile über Literatur), die ihren Bestand an ,guter' Literatur von den Vorfahren übernimmt. Gegenstand der literarischen Wertung sind einzelne Texte, Textgruppen, poetologische Konzepte sowie an der Literaturproduktion beteiligte Personen und Institutionen. Literarische Wertungen arbeiten mit subjekt- und objektbezogenen Argumenten, denen wiederum formulierte - Wertmaßstäbe - allerdings selten ausdrücklich zu Grunde liegen. Die subjektbezogene Argumentation behandelt häufig die Wirkung eines Werkes auf das beurteilende Subjekt (nach Kant ,,Gefühl der Lust oder Unlust"), die objektbezogene begritndet ihre Urteile mit Hinweisen auf bestimmte Textmerkmale. Beide Argumentationsweisen können miteinander verbunden werden. Dabei geht der Urteilende von der Voraussetzung aus, dass die Maßstäbe seiner Wertungen von anderen geteilt werden. Es 12 kann eine universale Geltung angenommen werden, sie kann aber auch relativiert oder eingeschränkt werden (auf bestimmte Individuen, Gruppen, historische Kontexte usw.). Was ist Kanon und wer legt ihn fest? Sie kennen den Kunon in Form der FJtiehttektüre, die sie in der Schule lesen sollten. wer oder was, also welche Faktoren, beteiligen sich sn der Entstehang eines solchen literarischen Kunons? sehreiben sie-Ihre Gedsnken nieder un"d vergleichen sie sie am Ende mit der Lösang der KontrollfrageNr. i. Von der literarischen Wertung ist die Kanonbildung der ,hohen' Literatur abhzingig, äie ebenfalls historischen Veränderungen unterworfen wird. KANON ist die Bezeichnung für eine Gesamtheit von verbindlichen (kanonischen) Texten (Regeln, Gesetzen), im literarischen Kontext für eine Auswahl mustergültiger Autoren und Werke der ,,schönen Literatgr,,, die besonders wertvoll und sowohl inhaitlich als auch ästhetisch ftir überzeitlich empfi.nden werden und deswegen von Generation zu Generation (Tradition) als (nationales, humanistisches) Kulturgut weitergegeben und vermittelt werden. Derartige Listen sind bereits aus der Antike überliefert. Der Kanon vereinigt die Literatur einer Nation und ist als Werturteil der historischen Wandelbarkeit unterworfen' Deshalb gibt es keinen verbindlichen Kanon, sondern einen konsensuellen Kernbereich (Klassiker im Sinne größte Werke aller Epochen) und einen Raqdbereich (Werke, deren Rang ungeklärt oder umstritten ist), der durch die Gesamtheit der literarischen Urteile sowohl des Literaturbetriebs als auch der Literaturproduktion und des Zeitgeschmacks bestimmt wird: Genauso wie die Menschen ein Werk in einem Jahrhundert als philosophisch und im nächsten als Iiterarisch behandeln mögen oder umgekehrt, so können sie auch ihre Meinung darüber ändern, was sie als wertvolle Texte betrachten. Sie können sogar ihre AufFassung über die Crtinae ändern, weshalb sie etwas für wertvoll oder wertlos äalten.l Um in den Kanon aufgenommen zu werden, ist es zunächst entscheidend, dass das literarische Produkt in einer Gesellschaft verbreitet wird. Da das Buch zunächst gedruckt werden muss, entscheiden auf der ersten Ebene die Verlage darüber, ob das Werk für die Verbreitung geeignet ist oder nicht' Dabei spieien die wirtschaftlichen Erwägungen eine wichtige Rolle, da die Verlage als Wirtschaftsuntemehmer am Gewinn orientiert sind. Die Vorauswahl flr die Verlage treffen die Lektoren, die die zugeschickten Manuskipte durchlesen und auf Grund der persönlichen Meinung zur Herausgabe (gebunden, kartoniert) weiter empfehlen oder nicht empfehlen. Bei den Dramen I Eagleton: Einführung in die Literaturtheorie. Stuttgart, lggi-,S. 12. l3 sind es die Regßseure und Intendsnten der Theaterbtihnen, die die Auswahl treffen. Obwohl sie als vom Staat dotierte Kulturinstitutionen unabhängiger als Verlage sind, nimmt bei ihnen in der letüenZeit das wirtschaftliche Interesse ebenfalls zu (Kürzungen des Budgets). Bekannteste Verlage im deutschsprachigen Raum: t Belletristik: t Fischer (Taschenbuch) Verlag - Frankfurt am Main Frankfurt am Main Suhrkamp (Taschenbuch) Verlag Rowohlt Verlag (Taschenbuch RORORO) - Reinbeck bei Hamburg Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) - München Hanser Verlag -München, Wien Philipp Reclam (Taschenbuch) Verlag -Leipng Residenz Verlag - Salzburg, Wien Wieser Verlag - Klagenfurt - Literaturwi s senschaft : Metzler Verlag - Stuttgart Erich Schmidt Verlag -Berlin Alfred Kröner Verlag - Stuttgart Francke Verlag - Tübingen UTB * Tübingen, Basel Piper Verlag - München' Literatur-veriag Droschl - Graz Praesens - Verlag für Literatur- und Sprachwissenschaft - Wien Östeneichischer Bundesverlag - Wien Nach der Verbreitung des Werkes ist seine Aufnahme entscheidend. Dafür ist in der ersten Reihe die Literaturtritik zuständig. Redakteure in Literaturbeilage der FAZ - Tages- und Wochenzeiturgen (Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, SZ- Süddeutsche Zeitung NZZ -Die neue Ztiricher Zeitung, FranVurter Rundschau), Radio- und Fernsehsendungen besprechen täglich aktuelle Neuerschienungen oder Neuinszenierungen. Dabei ist es nicht unbedingl entscheidend, ob eine Rezensionen gut ausf?illt. Schon die Tatsache, dass ein Buch, bnv. eine Aufflihrung von Deutschlands bekanntesten Kritikem wie Volker Hage, Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek oder Marcel Reich-Ranicki (auch Literaturpapst genannt) rezensiert werden, sichert dem Werk sowohl einen gewissen kommerziellen Erfolg als auch die Zugehörigkeit zur ,hohen' Literatur. Die Beachtung durch angesehne Rezensenten bewirkt eine gewisse Anerkennung, obwohl es keine 14 generellen Kriterien für ihre Urteile gibt. Sie sind im Gegenteii oft von politischen positionen oder subjektiven Geschmacksempfi ndungen abhäingi g. Die Entscheidung, ob ein Werk über Jahrhunderte hinweg als wertvoll tradiert wird, fiillen jedoch nicht die Literaturkritiker. Die Tradierung von kulturellen Gütern haben hauptsächiich die ßildungseinrichtungen übernommen. Eine wichtige Rolle spielt Schule in in diesem Zusammenhag die - darunter sind alle Entscheidungsträger gemeint, die daran beteiligt sind, welche Literatur den Schulen gelesen und damit auch tradiert wird: Lehrer, Fachkommissionen, Verfasser des obligatorischen Unterrichtsstoffes, Beamte im Schulministerium usw. Neben den literarischen Kriterien spielen hier auch weitere Aspekte, vor allem pädagogische, politische und auch wirtschaftliche, eine bedeutende Rolle. Die zentrale Roile nehmen die Universitäten ein, da'äie Studenten der Literaturwissenschaft einmal selbst zu den Institutionen gehören werden, die die Meinungsbildung, was in einer Gesellschaft als Literatur betrachtet wird, bestimmen werden. L Erklriren Sie den (Jnterschied zwischen dem ,deskriptiven' und,normativen' Literatarbegrffi 2. Welche Kriterien muss ein literarischer Text erfilllen, um als Kunstliteratur (Hochliterutur) gelten zu können? Worin besteht seine Fiktionalittit und ris t h etis c h e Qaalit rit ? 3. Erklüren Sie den Begriff der ,Trivialliteratur'. Welcher Hauptunterschied besteht zwischen der Trivial- und Hochliteratur? Welche Untergattungen (Genres) der Trivialliterat ur kennen S ie? 4. was ist und woraus setzt sich die literarische l;rtertung zusammen? 5. Wie wird der Begriff Kanon deJiniert und wie entsteht er? Welche Mechanismen beteiligen sich an seiner Entstehung und auf welche Art und Weise wird er weiter tradiert? 15 Womit beschäftigt sich die Literaturwissenschaft? Die Literatur ist Gegenstand der Literaturwissenschaft oder anders gesagt, die Literaturwissenschaft ist Gesamtheit der Wissenschaft von der Literatur. Sie dient der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Literatur und hat neben den anderen gesellschaftlichen Bereichen, die sich mit Literatur befassen begtenzten Geltungsbereich. Wie - Autoren, Publikum, Literaturkritik, Schule auch in - nur einen den Naturwissenschaften gehören zu iluen Kriterien Systematik, Wiederholbarkeit und Begrüncibarkeit von Aussagen. Im Unterschied zur Natur- wissenschaften werden alte Erkenntnisse nicht überholt und einfach durch neue ersetzt, sondern das Wissen (älteres wie neueres) wird gesammelt (Kumulation), erzeug!. und verwaltet. Beispielsweise können Goethes Bemerkungen über Schillers Dramen nicht in dem Sinne als überholt gelten, da sie auch heute noch Bedenkenswertes aussagen. Interessant werden sie aber vor ailem durch ihr Spannungsverhältnis zu allen späteren Außerungen und Interpretationen zum selben Gegenstand. Die Literaturwissenschaft sieht ihre Aufgabe in der Auslegung voir Texten, wozu sie eine Fülle von methodischen Programmen und Fragestellungen entwiokelt hat (und entwickelt), was wiederum eine Verständigung über den Literaturbegriff zur Voraussetzung hat. Die Frage, was Literatur sei, wissenschaftlicher Tätigkeit. charakterisiert nur eine der Aufgaben iiteratur- Mit Grundbegriffen wie Literatur, Poetik, Gattung, Genre und mit deren historischer Entwicklung beschäftigt sich die Literoturtheorie. Dominerend sind jedoch die praktischen Anwendungen, zu denen vor allem die Interpretation (die auf Textverstehen durch hermeneutische Auslegung - Hermeneutik - beruht, vgl Kapitel 2: Hermeneutik) und Literatur- geschichte gehören. Beide sind nicht unabhängig von einander zu begreifen, stellen jedoch in der Praxis neben der Edition verschiedene Arbeitsfelder dar. LITERATTJRGESCH'CHTE übernimmt die Ordnungsfunktion im Bereich der Literatur und hält die historische Entwicklung der Literatur selbst bzw. die Darstellung dieser Entwicklung fest. In der Regel sind literarhistorische Darstellungen auf eine ,Nationalliteratur' beschräinkt, wobei deren ganze Geschichte oder auch nur einzelne Epochen oder Gattungen behandelt werden können. In diesem Sirure umfasst sie nicht nur eine Inventarisierung von Gegenständen und Ereignissen, die über die Zeiten hinweg ais iiteratunelevant eingeschätz und tradiert worden sind, sondern macht den Stoff überschaubar, erklärt die Bedeutung seiner Elemente und rekonstruiert einen sinnvollen geschichtlichen Zusammenhang aus einer Masse heterogener Fakten, Daten und Verläufe. Die Literaturgeschichtsschreibung kann als eine Art von Kollektivgedcichtnis eingesehen werden, muss 16 aber gleichzeitig eine repräsentative Auswahi aus dem historischen Material nach vorher aufgestellten und klar definierten Kriterien treffen und den Stoff; unter der Einbeziehung des iristorischen und kulturellen Kontexts, übersichtlich und verständlich ordnen. Als Kategorie zur 'ordnung des Materials' haben sich im Laufe der zwei Jahrhunderte fünf Zugriffsweisen bewährt - biogtaphische, textuelle, klussifikatorische (Gattungen oder Themen), temporale Einheiten (Epochen, Generationen u.a') und sepurierte Kontexte (politische, gesellschaftliche, soziale, philosophische, wissenschaftliche u.a.). Literaturgeschichtsschreibrurg im heute üblichen Sinn gibt es erst seit dem späten Wurde Geschichte bis dahin v. a' als Sammlung von Beispielen verstanden, lg, Jh. die allgemeine Sätze der Theologie oder Phiiosophie illustrieren sollten, so entwickelte sich nun ein Begriff von Geschichte als eines inneren Zusammenhangs. Die Literatur-geschichtsschreibung übernahm diese Auffassung und zugleich verengte sie ihren Gegenstandsbereich auf die Dichtung, deren Entwicklung im historischen Prozess darzustellen war. Dabei erhielt sie ihre Einheit und sinnvolle ordnLng durch den Bezug auf die Nation, das subjekt der Geschichte. Dieses nationale Korzept bestimmte die (protestantische) Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jh.s von Georg Gottfried Gervinus (183542) bis Wilhelrn Scherer (1883). Dabei konnte freilich durchaus Verschiedenes unter Nation verstanden werden (konservativ-christliche bis ,germanisch-vöikische, Konstruktion). Erst Ende des 19. Jh.s setzte die Kritik am nationalen Paradigma ein und es wurden verschiedene neue Konzepte entwickelt, wie die geistesgeschichtlirhe Methode (ftr sie haben die literarischen Texte Bedeutung nur als Beispiele im Rahmen iceengeschichtlicher Konstruktionen - sie werden z'B' im Rahmen des Ideenkonzepts der Autklärung gedeutet) oder die sozialgeschichttiche Methode, die auf die Wechselbeziehung von Literaturproduktion und -rezeption und von ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen wert legt (wie sich z. B. die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen auf die Bildung des Literaturkanons auswirken). t7 Wichti gste Literatu rgesch ichten o t c . . : Deutsche Literaturgeschichte in 12 Bd, München; dtv, 1991ff. Deutsche Literaturgeschichte von den Anfangen bis zur Gegenwart. Stuttgart: Metzler, t 994. Frenzel, Herbert A. u. E.; Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abri/3 der deutschen Ltteraturgeschichte in 2 Bd., München: dtv, 200Lf. Gescltichte der deutschen Literatur. 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Sie zu konstituieren und zu erforschen ist die Hauptaufgabe der Textinterpretation. Dazu gehören auch Fragen wie: was beabsichtigte der Autor damit, was er schrieb? was schrieb er alles? schrieb er, was er wolite? Bestirnmte er die Ar1 der Veröffentlichung? Wie entstand sein Werk? Ist es in mehreren Fassungen überiiefert? Gibt es darunter eine vom Autor als ,endgültig, bestimmte Fassung? Es ist die Aufgabe der Edition, der ll/issenschaft der Heraasgabe,sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und damit einen authentischen. entstehungsgeschichtlich dokumentierten Text zur lnterpretation vorzulegen' Edition ist also nichts anderes, als das wissenschaftliche Herausgeben von literarischen Texten. Für die verschiedenen Arten von Ausgaben haben sich die Bezeichnungen ,Leseausgabe', ,studienausgabe' und ,historisch-kitische, Ausgabe eingebürgert. Leseausgaben enthalten in der Regel keine wissenschaftlichen Notizen oder Vermerke, sondern nur Texte, die der Autor zur Rezeption anbietet und die von späteren Editoren unverändert nachgedruckl werden können. Auch wenn, die Ausgabe Sacherläuterungen, ein Vor- oder Nachwort enthält, bliebt sie eine Leseausgabe, solange sie auf Textkritik verzichtet rind das pnnzip der sogenannten 'Normalisierung' von Orthographie und Interpunktion (bei älteren Texten) befolgt. Studienausgaben sind wissenschaftlich fundierte Texte, über deren Konstituierung Rechenschaft abgelegt und deren Geschichte dargestellt werden muss. Sie enthalten in der Regel Dokumente zur Wirkungsgeschichte der Werke, bibliographische Angaben, Forschungsberichte der Herausgeber, Interpretationen, Erläuterungen oder historische Darlegungen zu Autor und Zeit. Sie zeigen, wie in der Textauswahl als auch in den textbegeleitenden Zusätzen, die Spuren der Zeit, in der sie entstanden sind, und müssen daher später ersetzt werden (sind veraltet). Historisch-kritische Auseaben sind dem Prinzip der Voilständigkeit und der größtmöglichen objektivitat (subjektive Entscheidungen des Herausgebers werden gekennzeichnet) verpflichtet. Die Ausgaben sind historisch, weil sie sowohl die Genealogie (überlieferungsgeschichte) als auch die Genese (Entstehungsgeschichte) von Texten so exakt wie möglich besehreiben. Sie sind kritßch, weil sie auf der kitischen Sichtung (Recensio) aller erreichbaren Überlieferungsträger (Textzeugen), auf ihrer kitischen Prüfung (Examinatio) und eventueller Berichtignng (Emendatio) der Fehler aufbauen, die durch die Kdtik erkannt wurden. Die Herausgabe von Werken älterer Autoren stellt den Editor in der Regel vor grundsätzlich andere Probleme als die Herausgabe von Werken der neueren Autoren, da häufig der Originaltext verloren gegangen und nicht wiederherzustellen ist. In diesem Falle kann aus den vorhandenen Textzeugen t9 = nnr ein dem Original möglichst nahekommender Archetypas erschlossen werden. Den historisch- kitischen Ausgaben müssen Apparate (Anmerkungsteile) hinzugeftigt werden, die die Grundsätze der Edition, Abkürzungen und Siglen, die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte, das Verzeichnis der Lesarten oder Varianten, Zeugnisse zrü Wirkungsgeschichte und das Register enthalten. D eJinier en S ie fo lg en de ß egrffi : Studienausgabe : Edition : Historsich-kritischeAusgabe = Apparat : LITERATURTHEORIE beschäftigt sich mit den Gmndbegriffen, mit der Poetik sowie mit den Modellen Methoden der Literaturwissenschaft uld beschreibt ihre historische und Entwicklung, ' Poetik ist Leke von der Dichtkunst, ihrem Wesen, ihren Verfahrensweisen und Formen, ihrer Wirkung und ihrem Zweck. Poetiken im engeren Sinn sind aber auch Vorworte, Manifeste, Briefe, in denen diese Art der theoretischen Auseinandersetzung mit Literatur stattfindet. ln ihrer traditionellen Form verlor die P. seit dem 18. Jh. zunehmend an Bedeutung und wurde in die Disziplin der Ästhetik und später der Literaturtheorie übergeführt. Fragen der Gattungspoetik blieben aber weiterhin aktuell, in der Erzähltheorie werden die Verfahren der deskriptiven Poetik in veränderter Form weitergefiihrt. Bis ins 18. Jh. hinein und darüber hinaus bilden Texte der Antike den Bezugspunkt der poetologischen Reflexion: die Poerzfr det r\dslLElqlgg, die die Disziplin der Poetik begründete und seit ihrer Wiederentdeckung in der Renaissance mit iken zerrtralen Punkten (Mimesis, Affekten- bzw. Katharsislehre, Gattungspoetik) tiefgreifenden Einfluss auf die neuzeitliche poetologische Diskussion ausübte. Die Rezeption der Schriften von Aristoteles, Horaz und anderen Autoren der Antike fi.ihrte zuerst in der italienischen Renaiss ance ru einer Reihe von Kommentaren und eigenen Poetiken, die die antiken Theoreme interpretierten, umdeuteten und mit den Entwicklungen der Gegenwart (Renaissanceepos) 20 in Einklang zu bringen suchten. Ergebnis war schließiich ein klassizistisches System der Poetik auf der Basis eines an das Wahrscheinliche und an die Nachahmung klassischer Muster gebundenen Mimesßbegriffs. Zu den Resultaten dieses Rezeptionsprozesses gehörten auch die Etablierung der sog- Str)ndeklausel, die Lehre von den drei Einheiten und die moralistische Umdeutung der Katharsislehre. Die deutsche Poetikenproduktion set e, nach Vorläufern im Humanismus (Joachim v. Watt, 1518), mit Macht imBarock ein. Im katholischen Bereich erschien eine bedeutende poetologische Literatur legte, während - in lat. Sprache, die besonderen Akzent auf das Drama auf gleicher humanistischer Gmndlage - im protestantischen Bereich Martin Opitz' Buch von der Deutschen Poeterev (.7624\ die Reform der deutschsprachigen Dichtung in Anlehnung an die Antike und v. a. die europäisehen Renaissanceliteraturen einleitete. Auch der Roman wurde, zuerst in Vorreden, als Prosaversion des Epos, in das System aufgenommen @omantheorie). Eine Neubegründung der Poetik im Geist der Aufklärung bedeutete Johann Christoph Gottscheds Critische Dichtkunst (.1730.1757\. eine Dichtungslehre mit normativem Anspruch auf philosophischem Fundament. Naturnachahmung und Wahrscheinlichkeit sind die zentralen Begriffe, die Regeln sind Ausdruck der vemünftigen Ordnung der Natur. Gottsched knüpfte an den französischen Klassizismus an Qttricolas Boileau r. u.), das dt. Barock galt ihm als Ausbund der Unnatrr und des schlechten Geschmacks. Lockerungen des rigiden Konzepts verfochten Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, indem sie dem >Wunderbaren< wenigstens in Grenzen Platz verschafften und ftir eine bildhafte Sprache plädierten. Um die Jahrhundertrnitte wurde das traditionelle Gattungssystem durch neue Entwicklungen in Frage gestellt (Bürgerliches Trauerspiel, Rührendes Lustspiel), während Lessins im 17. Literaturbrie-f (.1759) und in der Hamburgischen Dramaturgie (.176749\ dem Paradigma des frz. Klassizismus das Beispiel Shakespeares entgegenhielt und zugleich Aristoteles neu zu interpretieren suchte. Mit der Genieästhetik, die sich der Festlegung von Regeln verweigerte, verlor die traditionelle Poetik an Bedeutung. Poetologische Reflexion wurde geschichtsphilosophischen Denkens. Teil der Asthetik und Von großer Wirkung auf die ästhetisch- philosophisch-poetologische Diskussion bis ins 20.Ih. hinein erwies sich die Durchsetzung der Gaffunsstrias in der dt. Klassik. Im Ganzen reduzierte sich Poetik im traditionellen Sinn auf Außerungen zu einzelnen dichterischen Schafflens, Selbstreflexionen, Manifeste und Programme. Fragen An der Goethezeit orientierte normative Vorstellungen hat die deutsche Literaturwissenschaft bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus tradiert. 21 := der Literatur Defi.nieren Sie mit Hilfe des Textes und eines Sachwörterbuchs folgende Begrffi: Genieästhetik: Erzähltheorie = Ständeklausel: Affeklenlehre = GATTUNGEN zu Literatur den wichtigsten Einteilungs- und Gliederungsmöglichkeiten der und Begriff ,Gattung' ist eine Kategorie zur Literaturgeschichte gehören literarische Gattungen. Der gemeinsamer Merkmale (wie Klassifizierung von literarischen Texten nach dem Gesichtspunkt erkannt werden und der einen übereinstimmung von Stoff und Form), die durch den Rezipienten Der Begriff wird auf verschiedene Art und oder der anderen Gattung zugeordnet werden können' Konstanten wie die Goetheschen weise verwendet: als sammelbezeichnung filr überhistorische oder als Bezeichnung für konkete' ,,Naturformen der lichtmg wie Tragödie oder Roman bzw' deren geschicbitlich bedingte Formen (Goethe: >Dichtarten<) genannt)' Die Gattungsbegriffe sind unter Unterguppen (auch Untergattungen oder Gattungsarten Daher werden die wichtigen Gattungsbestimmten historischen Voraussetzungen entstanden' Zusammenhängen vorgestellt' Bereits Aristoteles konzepte in ihren historischen und theoretischen bzw. nx unterscheidung von Gattungen' erkannte verschiedene Möglichkeiten zur Bestimmung also nach dem Modus der Am einflussreichsten wurde die nach dem sog. ,Redekriterium" bzw' durch die Rede des Dichters Darstellung: durch die Rede der dargestellten Personen eigener Person, gemischt mit Personenrede (Personenrede: Tragödie, Komödie; Dichtrede in Aus den Ansätzen bei Aristoteles' homerisches Epos). Die Lyrik blieb hier noch unberücksichtigt. in der Renaissance als Erster eine Gattungstrias formulierte, bildete sich platon rind Diomedes, der heraus; auch hier blieb Frankreich ein kiassizistisch-normatives Gattungssystem Ende des Barock wurde der Roman als allerdings die Zuordnung der Lyrik problematisch. Gegen eingegiiedert (Romantheorie)' Im Geist der Aufklärung in Italien und Epos in Prosa in das Gattungssystem 22 erhob Johann Christoph Gottsched den Anspruch einer wissenschaftlichen Fundierung der Dichtkunst (Poetik). Grundiage seiner Vorstellungen war das Nachahmungsprinzip (Mimesis), aus dem er auch die Gattungen durch eine Unterscheidung verschiedener Arten der Nachahmung abn;Jeiten suchte (L1rik beispielsweise ahmt die Natur der Empfindungen nach). Zugleich ergaben sich im Verlauf des i8. Jh.s bedeutende Verschiebungen innerhalb dieses Rahmens, etwa im Bereich des Dramäs (Aufhebung der Ständeklausel, Bürgerliches Trauerspiel, Rührendes Lustspiel) oder des Romans (Dialogroman). Damit wuchs aber auch die Kritik an der normativen (und gleichwohl Ver2inderungen unterworfenen) Gattungspoetik (J. A. Schlegel, Friedrich Gottlieb Klopstock, Heinrich Wilhelm v. Gerstenberg, Johann Gottfried Herder). Es entstanden Versuche einer philosophischen Gattungstheorie, Goethe und Schiller diskutierten die Schwierigkeiten einer Gattungssystematik. Aus dieser Diskussion entsprang Goethes'Vorschlag, das Gattungssystem auf die drei ,Naturformen der Dichtung' zu gründen und diese in einem Tlpenkreis anzuordnen. Diese Dreiteilung setzte sich im Lauf des 19. Jh.s durch und wurde dann in Theorien des 20. Jahrhunderts mit Hilfe anthropologischer Kriterien zu stützen versucht (Emil Staiger u. a.). Neue Akzente ergaben sich erst durch die Abkehr von den idealistischen Denkmodellen im rassischen Formalismus und tschechischen Strukturalismus, die Gattungen als ,literarische Reihen' und als ,evolutionierendes Bezugssystem' definierten, oder durch das Konzept der Gattungen als literarische Konvention, die die Kommunikation zwischen Autor und Leser erst errnöglicht. Während bei normativen Gatfungskonzepten triadische Modelle die Hauptrolle spielen, betonen kommunikativ fundierte Gattungstheorien den historischen Charakter literarischer Gattungen im Sinne soziokulturellen Konventionen. Im Rahmen Ansatzes wird in Gath-rngen ein zeitlicher seines rezeptionsgeschichtlichen ,,Prozess fortgesetzter Horizontstiftung und Horizontveränderung" (Hans Robert Jauß) gesehen, während der sozialgeschichtlich orientierte Versuch literarische Gattungen als ,,literarisch-soziale Institutionen" bestimmt (Wilhelm Vosskamp), die - wie soziale Institutionen generell - von einer ,,Doppeiheit von Zweckbedingtheit und Eigengesetzlichkeit" charakterisiert seien (Sozialgeschichtliche Methode). Grundsätzlich bis heute zwei Hauptrichtungen beobachten: Die eine geht von normativen Prinzipien eines TRIAS-Modells aus, die andere hebt den kommunikativen und historischen lassen sich also Charakter literarischer Gathrngen hervor. Das TRIAS-Modell In der deutschen Literaturwissenschaft spielt das normative, geschichtsphilosophisch und anthropologisch begründele Dreiermodell - Epik, Lyrik, Drama - eine besondere Rolle. Der Übergang von einer bloß klassifikatorischen Regelpoetik vollzog sich in der 2. Hä1fte des 18. Jh.s., nachdem sich ,,Lyrik" als Sammelbegrifffür unterschiedliche Gedichtsformen herausbildete und so /.J der bei dadurch neben der Epik und Drama eine dritte Säule entstand. Der Fü1le und Heterogenität dem Ende des 18' Gottsched (,,Critische Dichtkunst" 1751) genannten Literaturfotmen wird seit drei ,Naturformen' Jh.s. der Versuch einer geschichtsphilosophisch begründeten Reduktion auf es bei (Goethe) bzw. ,Darstellungsweisen' (Hegel) der Dichtkunst gegenübergestellt. So heißt gibt nur drei echte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthusiastisch Goethe: ,,Es Lyrik und Drama." Der deutsche Romantiker objeklive Poesie, Lyrik : subjekfive, Drama = aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, : Friedrich schlegel formulierte 1799: ,,Epos (objektiv-subjektive) Objektiv-Subjeklive", wobei er bereits ein Jahr später als die ,synthetische' bezeichnet' Nach der Gatfung nicht mehr Drama, sondem das Epos (vor allem den Roman) Poesie zurück, berichtet Hegelschen Definition der drei Gattungen tritt der Dichter in der epischen objektivität heraus. Sie poetisch über Begebenheiten und stellt damit das objektive selbst in seiner das ist die umgekehrte Seite der LFik, deren Inhalt das subjektive, die innere welt und dann die beiden betrachtende empfindende Gemüt sind. Die dramatische Poesie verknüpfe von Individuen sehen lässt' Darstellungsweisen, indem sie uns das objektive aus dem In-neren bzw. auktorialen Schlegel als auch Hegel beschreiben Epik nur in der Fotm neutraien Sowohl Erzählverhaltens. werden sie Außer dem Bemühen die Gattungen geschichtsphilosophisch zu begründen, Emil Staiger (Grundbegrffi auch in zeitliche Relationen eingebettet. Der Schweizer Theoretiker Epik mit der Gegenwart, der poetik) verband die Lyrik als Erirurerung mit der vergangenheit, die vor ihm abspielt und die da sie uns die Handlung vorführt, die sich in der Vorstellung des Leser Konflikts zielt und damit Dramatik schließlich mit der Zukunft, weil sie auf die Lösung eines und trifft nur begrenzt zukunftsorientiert ist. Diese Einteilung ist wie auch alle anderen diskutabel zwischen Ich und Welt, zu, denn die Dichter nutzen unterschiedliche Möglichkeiten, das Verhältnis so dass sich Gattungsmerkmale Subjekt und Objekt zu gestalten lmd miteinander zuverbinden, überwiegen' Diese meist überlappen, auch wenn jeweils die Momente einer Gatlung Gattungen versuchte der deutsche Theoretiker ,übergangsformen' zwischen den einzelnen dem die drei Hauptgattungen drei Sektoren Petersen in einem Kreisschema zusammenzufassen, in (z'B' Ballade und Romanze als markieren, zwischen denen er die ,Übergangsformen' situierte nicht völlig beziehungslos übergang zwischen Drama und Epik). Dass sich die Gattungen und sich überlappen' ist besonders gegenüberstehen, sondem manches miteinander gemein haben an der Ballade deutlich, die auch aIs erzrihlerisches Gedicht mit dramatischen Momenten deftnierl und Unterscheidung der werden kann. Schon Goethe äußerte sich zur Frage der Abgrenzung aller VöIker die ganze Poetik iiterarischen Gattungen und behauptete, dass sich an den Balladen wie in einem lebendigen Urvortragen iässt, ,,weil hier die Elemente noch nicht getrennt, sondern allgemeingültige und sind-,, Wie Klaus Hempfer 1973 konstatierte, existierl keine Ei zusammen 24 allgemeinanwendbare Gath-rngspoetik, sondern mehrere gleichbe-rechtigt nebeneinander. Eine Möglichkeit die traditionelle Trias aufzubrechen, ohne die Begriffe Lyrik, Epik und Dramatik selbst preiszugeben, besteht darin, die Gattungen von den Sprachfunktionen her zu definieren, wie sie Karl Btihler in seinem Organon-Modell (Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache 1934) und in erweiterter Form Roman Jakobson in seinem Außatz Linguistikund Poetik (1960) formuliert haben. Nach Bühler wird die ,expressive Fanktion' durch den Sprecher- oder Senderbezug (Lyrik), die ,appellative Funktion' durch den Hörerbezug (Dramatik) und ,darstellende Funktion'durch den die Beng zum Gegenstand bestimmt (Epik). Zu diesen Funktionen treten nach Jacobson die ,phatische Funfuion', wenn das Kontaktmedium zwischen Sprecher und Hörer im Mittelpunkt steht (,,verstehen Sie mich?"), die ,metasprachliche Funktion', wenn der gemeinsame Code überpnift wird (,,was bedeutet das?") und schließlich die ,poetßche Funktion', sofern das Sprachzeichen selbst das Interesse beansprucht (nicht nur auf die dichterische Geste beschränkt, sondern als eine allgemeine Möglichkeit der Sprachverwendung, wie die Vorliebe der Umgangssprache für Paranomasien, Alliterationen oder onomatopoetische Ausdrücke beweist). Außer dem normativen triadischen Modells, das heute als überholt gelten kann, wird die Gathrngstheorie unter strukturalistischen Gesichtspunkten (Russischer Formalismus, Prager Strukturalismus), unter rezeptionsgeschichtlichen, sozial- und funktionsgeschichtlich orientierten Ansätzen untersucht. Literarische Gattungen werden als ,geschichtlich situierbare Gebilde' und als historisch bedingte Kommunikations- und Vennittlungsformen bestimmt und gelten somit als soziokulturelle, literarisch-soziale Konsensbildungen und nicht als normative, transgeschichtliche Formkonstanten. Kontrollfragen: 1. Worin besteht der Unterschied zwischen der Literaturwissenschuft und den N at urw is s ens c h aft e n ? We I c h e Teil di s zip lin en u mfa s st s i e h e ut e 7 ) W'as ist das Ziel der Ltteraturgeschichtsschreibung und nach welchen Kriterien ordnet sie das ,Material'? 3. Erlriutern Sie Begrffi Leseausgabe, Studienausgabe und historisch-kritische Ausgabe. Was ist historisch und was kritisch an einer historßch-kritischen Ausgabe? 2.5 womit beschriftigte sich und wie tinclerte sich im Laufe der Jahrhunderte 4. Poetik? lYelche Autoren und Poetiken sind Liter at ur v o n B e de ut un g ? für die die Entwicklung der deutschen Erlciutern Sie den Begriff ,Gattung' und erkkiren Sie, worin der wesentlichste (Jnters chied zum Ts chechis ch en b esteht' Für die deutsche Literatur war und ist bis heute von groJier Wichtigkeit dus die trisdische Modell. Erkkiren sie aufgrund seinet Entwicklung, wofin Probleme eines solchen normativen Modells bestehen' verdeutlichen sie die Problematik der Grenzüberschreitung und Überlappwng der traditionellen Guttungen um Bespiel der ,Übergungsform' Ballude' lltie Welche versuchen dieses Probleri die moderien Gattungskonzepte zu lösen7 Ansritze spielen dabei eine wichtige Rolle? Empfohlene Literutur: Arnold, Heinz, Ludwig/Detering, Heinrich: Grundzüge der Literaturwissenschaft' München, 1 999, S. 25-99, 17 9 -203, 323-348' Eine Baasner, Rainer: Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Einführung. Berlin, 1996, S' lI-20,26-34' bei Brackert,H./' Stückrath,J: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs' Reinbeck a a o Hamburg, 1994, S. 296-309. in die LiteraturEicher, ihomas/Wiemann, Uwe: Ein Arbeitsbuch zur Einführung wissenschaft, S. 1-10. in die neuere Gutzen, Dieterioellers, Norbert/Peterson, Jürgen H': Einführung 2 5. Literaturwi ssenschaft. Ein Arbeitsbuch. B erlin, 1 9 89, S. 1 04- 1 S' I22-I35' Haman, AleS: Üvod do studia literatury a interpretace dila. 1999, 1997' Jung, Werner: Kleine Geschichte der Poetik' Hamburg, Analyse und Matzkowski, Bernd: Wie interpretiere ich? Grundlagen der Hollfeld, Interpretation einzelner Textsorlen und Gattungen mit Analyseraster' ffirt, Y.i;31'Sachwörterbuch zur deutschen Literatur. Stuttgart (1999 Buchform), 2000 CD-ROM. S' 463 ' Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart, 1979, 26