Medizinethischer Arbeitskreis 18. Juni 2009, 19.30 – 21.30 Uhr Hörsaal 2 der PTH Vallendar Treffen Tagungsprotokoll Teilnehmer: Georg Beule Dr. Monika Frink Dr. Christian Morell Martin Pietsch Dr. Ansgar Rieke Gerhard Schmitz P. Dr. Alfred Schuchart SAC Referent: Renate Berenz Dr. Helen Kohlen P. Dr. Heribert Niederschlag SAC Dr. Ingo Proft Judith Rupp Catrina E. Schneider Dr. Hartwig von Vietsch Frau Renate Berenz (Pflegeexpertin für Menschen im Wachkoma); Catrina E. Schneider (Seelsorgerin), Wohn- und Pflegeheim St. Josefshaus (Hausen/Wied) Moderation: P. Dr. Heribert Niederschlag SAC Protokoll: Dr. Ingo Proft TOP 1 Referat 1: Einführung in das Krankheitsbild Wachkoma (R. Berenz) Frau Renate Berenz stellt im ersten Referat des Abends die pflegerische Seite im Umgang mit dem Krankheitsbild Wachkoma dar. Hinsichtlich der Entstehung der Krankheit sind 2 Ursachengruppen zu unterscheiden – ein traumatisch bedingtes Wachkoma (Schädel – Hirn – Trauma) und ein nicht traumatisch bedingtes Wachkoma (hypoxischer Hirnschaden). In diesem Kontext verweist Frau Berenz auf vielfältige Ursachenkonstellationen, die ein Wachkoma bedingen können. Die Verhältnismäßigkeit zwischen den beiden Hauptkategorien beziffert sie mit 20:80. Deutlich ist zu betonen, dass es nicht „das Wachkoma“ gibt, was an Hand der sieben Remissionsphasen nach Gerstenbrand deutlich dargestellt wurde. (Eine detaillierte Darstellung ist der angefügten Präsentation zu entnehmen.): Koma Coma vigile – apallisches Syndrom-Wachkoma Primitiv- psychomotorische Phase Phase des Nachgreifens Klüver-Bucy-Phase Korsakow-Phase Integrationsstadium Mittels eines Fallbeispiels werden Kennzeichen und Ablaufprozesse der einzelnen Phasen näher konturiert, wobei immer wieder verdeutlicht wird, dass die Übergänge fließend sind. Trotz gleicher Fördermaßen ist nicht sichergestellt, dass jeder Patient auf die Behandlung in gleichem Maße reagiert oder einen zumindest ähnlichen zeitlichen Ablauf in der Entwicklung seines Krankheitsbildes aufzeigt. In diesem Zusammenhang macht Frau Berenz auf neuere Studien im Bereich des zentralen Nervensystems aufmerksam, die zeigen, dass selbst im erwachsenen geschädigten Gehirn die Neuentstehung von Neuronen möglich ist. Für Wachkomapatienten ergibt sich hieraus die Möglichkeit und zugleich die Notwendigkeit die verbliebenen Potenziale des Gehirns zu fördern, da die Krankheit prinzipiell reversibel ist. Von diesen Überlegungen ausgehend werden anschließend Anfragen an die Qualität von Betreuer/innen gerichtet. Wahrnehmung, nonverbale Kommunikation, Fähigkeiten zur Interpretation und Reflexion, Geduld und ein umfassendes Einfühlungsvermögen sind als wesentliche Faktoren zu nennen. Neben den berufsspezifischen Kompetenzen werden im Besonderen die Bedeutung der Angehörigenpräsenz und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit betont. Nicht selten sind durch den engen Kontakt der Angehörigen auch geringste Veränderungen im Verhalten und in den Reaktionen des Patienten auszumachen. Offene Verhaltensweisen bieten somit der Pflegekraft notwendige Ansatzpunkte für Therapie und Beziehungskonzepte. TOP 2 Referat 2: Ethische Aspekte in der Betreuung von Menschen im Wachkoma (Catrina E. Schneider) Ausgehend von den zuletzt genannten Überlegungen zur Würde- und zur Beziehungsgestalt mit Wachkomapatienten eröffnete Frau Catrina Schneider ihren Vortrag mit der These „Menschen werden niemals zu Gemüse!“ Mit dieser Formulierung soll einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Grundhaltung gewehrt werden, die in Wachkomapatienten häufig kaum mehr als geistlose organische Gebilde zu sehen glaubt. Sie betont, dass Wachkomapatienten leben, wahrnehmen und kommunizieren und zweifelsohne bleibend als Angehörige der Gattung Mensch zu sehen sind. Dem sozialen Umfeld der Betroffenen kommt es dabei als moralische Pflicht zu, solidarisch Pflege und Förderung des Kranken sicherzustellen. Dem Erlernen der Sprache wird dabei eine vorrangige Rolle zugemessen. Neben biomedizinischen Faktoren, die die Würdegestalt des Patienten konturieren, muss einer Würde- und Beziehungsethik ein besonderer Fokus zugeordnet werden, so C. Schneider. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf die aktuelle Kostendebatte im Gesundheitssystem und Fragen der Allokationsethik betont. Wenn auch Kosten-Nutzenüberlegungen sicherlich nicht vollständig zu vernachlässigen sind, müssen wir uns dennoch von einer singulären biomedizinischen Nützlichkeitsethik befreien, womit der Patient nicht allein in seiner Defizitstruktur zu sehen ist. In diesem Kontext polarisiert die ethische Diskussion bekanntlich. Fragen der Zwangsernährung, des Behandlungsverzichtes wie des –abbruchs werden ebenfalls thematisiert. Besondere Aufmerksamkeit fordert zum Schluss noch einmal eine Umfrage unter LISPatienten ein, wonach die Selbsteinschätzung der Lebensqualität bei betroffenen Personen im Schnitt deutlich über der von gesunden Personen lag. TOP 3 Diskussion Die sich im Anschluss an die beiden Referate entwickelnde Diskussion war vom Bewusstsein getragen, dass wir in gesunden Tagen nicht wissen, was wir in Tagen der Krankheit eigentlich wollen werden. Vor dem tagesaktuellen Hintergrund der Debatte im Bundestag über die Annahme einer Gesetzesinitiative zur Patientenverfügung (Stünker) wurden ebenfalls Fragen der Selbstbestimmung wie der stellvertretenden Vorsorge durch die Angehörigen behandelt. Die aktuelle Entwicklung im Umgang und in den Behandlungserfolgen von Wachkomapatienten werden mit Blick auf neuere bildgebende Verfahren ebenso zur Sprache gebracht wie häufige negative Sprachkonnotationen (Persistent vegetative State, apallisches Syndrom, apallisches Durchgangssyndrom), die nicht selten zu einer gewissen Befangenheit im Umgang mit Wachkoma führen. 2 Eine breite Sensibilisierung und ein tiefer Respekt vor dieser speziellen Form der Pflege kann als Ergebnis eines sehr informativen Abends festgehalten werden. Anlage: Präsentation zum Referat Herzliche Einladung zum nächsten Treffen am Donnerstag, 17. September, um 19.30 Uhr an der PTH Vallendar. Thema: Normalität und Abweichung - Den Menschen Mensch sein (werden) lassen Referentin: (Dr. Ursula Rieke/Ärztl. Leitung, Stiftungsvorstand Katharina Kasper-Stiftung) 3