Zum Bild der Pflege in der Öffentlichkeit: Wie erreichen wir eine Umkehr? Die europäischen Staaten wandeln sich in ihrer Zusammensetzung zunehmend. Gerne wird deshalb von alternden Gesellschaften gesprochen. Aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und des veränderten Lebensstils werden immer mehr Menschen älter und bleiben auch in höheren Lebensphasen länger gesund und mobil. Obwohl bzw. weil mehr Menschen älter werden, wird Alter bzw. Altern nicht mehr für wertvoll und erstrebenswert gehalten. Häufig wird Alter mit der Aufgabe von Erwerbstätigkeit und so mit Rollenlosigkeit verbunden. Da Alter bzw. Altern in unseren Augen keinen Wert (mehr) hat, wird auch die Pflege und Fürsorge älterer Menschen für den gesellschaftlichen Fortbestand als nachrangig erlebt. Folglich leiden die im Pflegebereich tätigen Personen unter einer unzureichenden Aufmerksamkeit bzw. Anerkennung ihrer Leistungen. Diese unzureichende Anerkennung wurzelt allerdings in unseren gesellschaftlichen Zielvorstellungen. Öffentlich aufmerksam wird man auf die Leistungen des Pflegepersonals, wenn Skandale durch die Medien thematisiert werden. Die Folge sind Restriktionen von „oben“, welche die eigentliche Ursache des Problems nicht beheben. Die Skandalisierung der Pflege schadet dem Image des Pflegeberufs und verstärkt gleichzeitig das Mißtrauen und Unbehagen gegenüber institutionellen Pflegeleistungen. Ein Teufelskreislauf ist vorprogrammiert: Je mehr Pflegeskandale public werden, desto mehr Restriktionen und desto weniger Anerkennung des Pflegepersonals stellen sich ein. Niemand möchte einen Blick „hinter die Kulissen“ wagen. Die Thematisierung struktureller Pflegeprobleme hingegen wird in den Medien wie in der Öffentlichkeit vernachlässigt. Zu diesen strukturellen Problemen zählen vor allem knappe personelle und finanzielle Ressourcen. Die Ressourcenknappheit prägt allerdings den Pflegealltag. Aus Sicht des Pflegepersonals erfolgt bewußt oder unbewußt eine ständige Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Rahmenbedingungen und Idealen, welche in der Ausbildung vermittelt werden. So wird im Rahmen der Ausbildung als ein Ideal vermittelt, sich für jeden einzelnen älteren Menschen Zeit zu nehmen und auf ihre/seine individuellen Bedürfnisse einzugehen. Aus persönlichen Gesprächen mit Personen, welche in der Pflege tätig sind, weiß ich, dass gute Pflege stark mit den zeitlichen Ressourcen für jede/n einzelne/n BewohnerIn assoziiert wird. Hat man nicht genügend Zeit, so nimmt das Gefühl, gute Pflege zu praktizieren, stark ab. Gegenwärtig sind in den stationären Einrichtungen aber viele BewohnerInnen mehrheitlich hochgradig pflegebedürftig. Dies ist mit enormen Zeitaufwendungen für jede/jeden einzelnen verbunden. Diese zeitlichen Aufwendungen wiederum sind in der Pflegepraxis mit dem organisatorischen Tagesablauf zu vereinbaren. Hier gilt als Norm, dass die BewohnerInnen bis spätestens zur Einnahme des Mittagessens gebadet und angezogen sein sollen. Diese Norm lässt dem beteiligten Pflegepersonal am Vormittag wenig Optionen offen. Folglich muss sich das Pflegepersonal aus Zeitknappheit vorwiegend auf die notwendigsten, zumeist manuellen Tätigkeiten beschränken. Der straffe Zeitablauf wird vom Pflegepersonal als höchst unbefriedigend erlebt und läßt Zweifel an ihren Idealen aufkommen. Die zunehmende Dauer unbefriedigender Arbeitsbedingungen bewirkt auch eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn der Arbeit. Als Außenstehender stellt sich natürlich die Frage nach der Notwendigkeit dieses Tagesablaufes. Betrachtet man den gesamten Tagesablauf (Tag- und Nachtdienst), so wird die Einhaltung der Norm noch klarer: Der personell weit geringer besetzte Nachtdienst soll von diesen vorhersehbaren Tätigkeiten entlastet werden. Ressourcenknappheit steht also einer Flexibilisierung in der Pflege entgegen und wirkt für das Pflegepersonal demotivierend. Als wesentliche Rahmenbedingungen gelten aus meiner Sicht nicht nur ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen, welche vielleicht durch Umverteilungsmaßnahmen erreicht werden können. Erlebt das Pflegepersonal seine tägliche Arbeit als sinnstiftend und bereichernd, würden die Anzahl der burnouts von Pflegekräften verringert. Faktisch greift allerdings eine Sparpolitik um sich, welche die Demotivation und auch die Personalfluktuation vorantreibt.Wechselt das Personal sehr häufig, so können die BewohnerInnen keine dauerhaften Beziehungen zum Pflegepersonal aufbauen. Diese dauerhaften Beziehungen sind aber für ältere Menschen notwendig und wichtig. Pflege muss in Form dauerhafter Beziehungen zwischen Personal und älteren Menschen auch psychische Unterstützung, Wärme und Nähe beinhalten. Ältere Menschen erhoffen sich in Heimen menschlichen Austausch und Kommunikation. Das Pflegepersonal wünscht sich mehr Zeit für diese sinnvolle Aufgabe. Da das Ressourcenproblem nicht so leicht zu beseitigen ist, wird gegenwärtig diskutiert, Ehrenamtliche für diesen Bereich einzusetzen. Es gibt bereits, einige erfolgreich praktizierte Modelle. Dennoch bleibt ein rechtliches Problem: Wer trägt die Verantwortung, wenn ein/e Ehrenamtliche/r mit einem älteren Menschen spazieren geht und diesem etwas passiert? Wie schnell kann professionell gehandelt werden, zum Beispiel reanimiert werden? Professionelle Pflege kann nur von entsprechend geschultem Personal durchgeführt werden. Es muss klar sein, dass nicht nicht jeder alles machen kann und soll. Würde dem Pflegebereich generell mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit zukommen, wäre die Mitwirkung von Angehörigen leichter zu bewerkstelligen. Die bereits bestehende moralische Verpflichtung, sich um Eltern und Verwandte in stationären Einrichtungen zu kümmern, würde gesellschaftlich klarer kommuniziert und folglich auch praktiziert werden. Angehörige würden sich als Unterstützer und nicht als Kritiker des professionellen Pflegepersonals sehen. In einem ersten Schritt sollten wir also gemeinsam damit beginnen, uns die Leistungen des Pflegepersonals bewußt zu machen und nicht nur negative, sondern vor allem positive Erfahrungen anderen vermitteln. Eine Imagekampagne für den Pflegeberuf könnte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Dr.in Claudia Pass Lehrbeauftragte an der Johannes-Kepler-Universität und an der Fachhochschule „Studiengänge für Soziales“, Linz.