Stiglitz: «Billiggeld löst kein Problem

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Stiglitz: «Billiggeld löst kein Problem»
25.11.2015 01:05
Joseph Stiglitz war Gastredner am Lugano
Fund Forum.
Bild: Bloomberg
Für US-Ökonom und
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz
verfehlt das billige ZentralbankenGeld seine Wirkung - mit
dramatischen Folgen. Im cashInterview sagt er auch, was er von
der Schweizerischen Nationalbank
hält.
Interview: Marc Forster, Lugano
Mit seinen Ansichten stellt sich Joseph Stiglitz gegen die herrschende
Wirtschaftsordnung oder die Wirtschaftspolitik vieler westlicher Länder. Seine
Ansichten gelten als kontrovers, werden aber weltweit beachtet.
Die USA und die Eurozone kommen schlecht weg beim Nobelpreisträger,
welcher der Denkschule des Neu-Keynesianismus angehört. Im Gespräch mit
cash erläutert er seine Kritik an den Notenbanken und sagt, weswegen billiges
Geld alleine nicht ausreicht, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Auch die
Schweiz kritisiert der berühmte Ökonom deutlich: Stiglitz hält wenig von der
Aufgabe des Euro-Franken-Mindestkurses im vergangenen Januar, die seitdem
das beherrschende Thema der hiesigen Wirtschaft ist.
cash: Mehrere der grossen Zentralbanken verfolgen die
quantitative Lockerungspolitik. Ist nicht einfach zuviel Geld im
Umlauf?
Joseph Stiglitz: Das wirkliche Problem ist: Das Geld geht nicht dahin, wo es
hin gehen sollte, wie wir das zum Beispiel in den USA sehen. Das Geld fliesst
nicht in die reale Wirtschaft, denn der Transmissions-Mechanismus ist kaputt.
Deswegen haben wir eine Blasenbildung im Finanzsystem. Die Antwort darauf
ist aber nicht, die Geldpolitik zu straffen, sondern die Geldpolitik so zu
reformieren, dass sichergestellt ist, dass das Geld an den richtigen Ort
gelangt.
Sollte das tiefe Zinsniveau noch lange bestehen bleiben?
Nun, kleine und mittlere Unternehmen können nicht zu Nullzinsen Geld leihen
– auch eine Privatperson nicht, ich wünschte, ich könnte das tun (lacht). Ich
mache mir eher Sorgen wegen der Ausleih-Zinsen, die immer noch zu hoch
sind. Der Zugang für kleine und mittlere Unternehmen zu Krediten ist zu
teuer. Deswegen ist es so wichtig, dass der Transmissionsmechanismus
funktioniert.
Ist dies die einzige Schwierigkeit?
Das Problem der tiefen Zinsen hat zwei Seiten. Die tiefen Zinsen führen zu
einem falschen Zuteilungseffekt. Bei Leuten, die T-Bills, also Obligationen
halten, wird der Ertrag vernichtet, aber die Aktionäre feiern eine Party. Das sind
Dinge, die mir Sorgen machen.
Und die andere Seite des Problems?
Wir sehen eben auch Verzerrungen in der normalen Wirtschaft: Die tiefen
Zinsen reduzieren die Kapitalkosten. Indem man Kapitalkosten relativ zur
Arbeitsleistung verbilligt, ermutigt man Investitionen in kapitalintensive
Technologien. Normale Amerikaner zahlen dafür einen hohen Preis.
Es wird also in Automatisierung und Rationalisierung investiert. Die
tiefen Obligationenrenditen belasten zum Beispiel
Vorsorgeeinrichtungen, die das Geld der Bürger verwalten. Ist das
der Grund, weswegen Sie die breite Bevölkerung als das Opfer
sehen? Wie genau wirkt sich dies aus?
Ja, genau. Und wenn man jetzt beides zusammennimmt - vernichtete
Obligationenrenditen, ein Fest für die Aktionäre und die Verzerrungen, unter
denen die Wirtschaft leidet, dann ist klar, dass die Leidtragenden die
Arbeitnehmer sind. Am Ende erzeugt man einen Aufschwung ohne neue
Arbeitsplätze - wenn man überhaupt einen Aufschwung hat.
Und was wären Ihrer Meinung nach die richtigen Mittel dagegen?
Wir brauchen eine Reform des Finanzsystems, um sicherzustellen, dass das
Geld eben dahin kommt, wo es hin soll. Also müssen wir andere Instrumente
als Tiefzinsen anwenden, wie zum Beispiel die Fiskalpolitik. Die Fed und die
Europäische Zentralbank sind sich schon bewusst, dass mit der Fiskalpolitik
die Wirtschaft angekurbelt werden soll, aber sie müssen sich an die
Gegebenheiten halten. In den USA können wir nichts tun, denn wir haben
diese verrückten Republikaner, die solche Reformen blockieren.
Mit einer Zinsanhebung durch die Notenbank, die Federal Reserve
oder kurz Fed, wäre es also nicht getan?
Wenn die Fed die Zinsen anhebt und den Transmissions-Mechanismus in die
reale Wirtschaft repariert, dann erreicht sie schon etwas. Aber das sind zwei
verschiedene Dinge. Die US-Wirtschaft ist immer noch schwach, die Erholung
nützt nur einem Teil der Gesellschaft: Junge Amerikaner, African-Americans
und Spanischstämmige erleben keinen Aufschwung. Löhne bleiben tief, der
Arbeitsmarkt ist nicht stark.
Spielt es demnach gar keine solche grosse Rolle, ob die Fed die
Zinsen im Dezember anhebt oder zu einem anderen Zeitpunkt?
Wenn die Fed die Zinsen im Dezember anhebt, wird sie die Zinsen eine Weile
dort belassen. Wir haben ja keinen Hinweis darauf, dass die Wirtschaft
überhitzt ist. Die Fed wird also ein Zeichen setzen, um zu zeigen, dass sie
sich steigenden Zinsen verpflichtet fühlt. Jedermann wird sagen: Schauen wir
mal, was passiert.
Sie plädieren für strukturelle Reformen, haben aber auch immer
wieder die als Strukturreformen bezeichneten
Stabilisierungsbemühungen in der Eurozone kritisiert. Wo also
sollte angesetzt werden?
In Europa muss die wichtigste Reform die Struktur der Eurozone selber sein.
Die ganzen Regeln der Währungsgemeinschaft müssen geändert werden.
Man muss wegkommen von reinen Konvergenzkriterien; Es braucht eine
sinnvolle Banken-Union, es braucht einen Solidaritäts-Fonds für mehr
Stabilität. Die Symmetrie stimmt auch einfach nicht: Die starken Länder sollten
ihre eigene Wirtschaft zum Wachstum bringen, aber nicht die schwachen
Länder zwingen, deren Wirtschaft zu schrumpfen. Das Problem mit
Griechenland, im übrigen, ist nicht Griechenland. Das Problem war und ist die
Eurozone mit ihren derzeitigen Strukturen.
Was ist denn so schlecht daran, Staatsdefizite abzubauen?
Daran ist nichts Schlechtes. Wenn man einen Zauberstab hätte, und damit
das Defizit senken könnte, wäre ich glücklich. Aber das geht nicht, also muss
man Defizite abbauen, indem man die Ausgaben senkt und die Steuern
erhöht. Wenn man beispielsweise Erbschaften besteuert, geben die Leute
möglicherweise mehr Geld jetzt aus, weil sie es nicht den Kindern vererben
können. Das wäre gut. Aber die meisten anderen Steuern würden die
Nachfrage dämpfen. Der Effekt vervielfacht sich, wenn man Geld für soziale
Sicherheit und Investitionen kürzt. Jeder Defizitabbau ausser einem
Schuldenschnitt hat negative Auswirkungen.
Eine Frage zur Schweiz: Wie stehen Sie zur Aufgabe des EuroFranken-Mindestkurses von Anfang Jahr, wie sie die Schweizerische
Nationalbank Knall auf Fall beschlossen hat?
Die vorherige Nationalbank-Politik zur Sicherstellung einer Abschwächung des
Wechselkurses war richtig. Allgemein ist die Lage so: Die Schweiz zahlt mit
ihrer starken Währung den Preis für eine Tugend, nämlich der hohen Stabilität
in einer instabilen Welt. Die normalen Bürger sollten aber nicht den Preis dafür
bezahlen. Für ein Land mit starken Ressourcen – im Falle der Schweiz die hohe
Stabilität – muss es Mittel geben, die Währung abzuschwächen. Free Float ist
falsch.
Aber hätte man die Bilanz der Nationalbank einfach weiter
anschwellen lassen sollen?
Die starke Währung zerstört den Tourismus und andere Industrien, mit
langfristigen Folgen. Jetzt ist die Schweiz ein stabiles Land, aber in Zukunft?
Die Nationalbank setzt ihre Bilanz über die Bilanz der Schweizerischen
Volkswirtschaft, und das ist ein Fehler.
Joseph Stiglitz war von 1993 bis 1997 zunächst Mitglied im Rat der
Wirtschaftsberater von US-Präsident Clinton, später Vorsitzender
des Rats. Professor Stiglitz lehrt in den Bereichen Wirtschaft und
Finanzen an der School of International and Public Affairs und ist
Co-Präsident des Committee on Global Thought an der Columbia
University. Im Jahr 2001 erhielt Professor Stiglitz den
Wirtschaftsnobelpreis für seine Forschung zur Rolle der
asymmetrischen Information in den Märkten.
Das Interview mit Joseph Stiglitz fand anlässlich des Lugano Fund
Forums statt, wo cash Medienpartner war.
Hier geht es zum Artikel auf www.cash.ch
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