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http://zeus.zeit.de/text/2003/49/M-Klone_in_China
DIE ZEIT
49/2003
Bioethik
Pauschalreise ins Klonlabor
Biomediziner, die verbotene Experimente machen wollen, gehen ins Ausland – zum Beispiel
nach China. Jetzt diskutiert die chinesische Regierung über einen strengeren Embryonenschutz
Von Ole Döring
China. War das nicht das Land, das in den siebziger Jahren über eine Kreuzung aus Mensch und
Schimpanse als Idealastronaut für die Raumfahrt nachdachte? Das 2001 hybride Zellen aus
Teilen von Hase und Mensch produzierte? Kurz: Das Land, mit ausgeprägt schwachen
bioethischen Maßstäben? Und nun spricht sich das chinesische Gesundheitsministerium – nach
Überwindung der Sars-Katastrophe politisch und personell gestärkt – für ein absolutes
Klonverbot und scharfe Regeln in der biomedizinischen Forschung aus.
Mitte Oktober hat Gesundheitsministerin Wu Yi Regeln für einen „ethischen Rahmen
reproduktionsmedizinischer und genetischer Forschung“ im Internet publiziert. Wie dringend
China gesetzlicher Vorgaben für die Embryonenforschung bedarf, zeigte sich einen Tag später im
fernen Texas auf der Jahrestagung der American Society for Reproductive Medicine in San
Antonio. Dort wurde bekannt, dass der US-Reproduktionsmediziner James Grifo von der
Universität New York, sein aus China stammender Mitarbeiter John Zhang und Ärzte aus der
südchinesischen Provinz Guandong einer Frau Eizellen entnommen hatten und deren Kerne in
neue Eihüllen einer fremden Spenderin verpflanzten. Diese Ei-Konstrukte wurden mit dem
Samen des Ehemannes der Patientin befruchtet.
Umstrittener Held der Medizin
Hatten die Ärzte in China erstmals Embryonen mit drei Eltern geschaffen, wie Zeitungen titelten?
War die Chinesin zum Objekt eines ethisch fragwürdigen und medizinisch fehlgeschlagenen
„Menschenversuchs“ geworden, wie der Berliner Genetiker Jens Reich beklagte? Oder war es die
letzte Hoffnung einer wegen Zelldefekten unfruchtbaren Frau, eigenen Nachwuchs zu
bekommen, und Grifo ein Held des medizinischen Fortschritts?
Wie auch immer, James Grifo und John Zhang hatten gleich mehrere Hindernisse umgangen, die
sich ihnen in den USA in den Weg stellten:
– Dort hätte die Mediziner nach einem bereits gescheiterten Genehmigungsantrag ein
langwieriges Zulassungsverfahren der US-Aufsichtsbehörden erwartet. Den chinesischen
Kooperationspartnern Zhuang Guanglun, Zeng Yong und Shu Yimin von der Sun Yat-Sen
University of Medical Sciences genügte der Nachweis einer „seriösen“ amerikanischen
Projektbeteiligung als ethischer Persilschein.
– In China legen geltende Bestimmungen zwar den Verzicht auf experimentelles Einpflanzen
manipulierter oder geklonter menschlicher Embryonen nahe; eine Überwachung findet aber kaum
statt. Forscher können die amtlichen Vorgaben und Standards bei nur geringem Risiko ignorieren
– sofern sie diese überhaupt kennen.
– Chinesische Patienten werden nur wenig über Risiken neuer Reproduktionstechniken
aufgeklärt, ein Heer williger Versuchssubjekte nimmt für gesunde Nachkommen erhebliche
Opfer in Kauf.
Bei der Auslagerung des Experiments nach China spielte vermutlich auch eine Rolle, dass die
Weltöffentlichkeit wie die Chinesen selbst lange Zeit nichts davon erfahren würden. Tatsächlich
hatte der Eingriff, über den Grifo und Kollegen im Oktober berichteten, bereits Anfang 2002
stattgefunden. Das Risiko war kalkulierbar: Im pragmatischen China wäre ein Erfolg der
nachträglichen Segnung des Projektes gleichgekommen.
Doch Grifo und seine Kollegen hatten kein Glück. Die Forscher hatten sieben Eizellen
konstruiert. Fünf manipulierte Embryonen wurden der Patientin eingepflanzt. Drei nisteten sich
in ihrer Gebärmutter ein. Einer von ihnen wurde gezielt abgetrieben, um die Überlebenschancen
der verbleibenden Zwillinge zu verbessern. Der erste Zwilling starb in der 24. Woche wegen
mangelnder Sauerstoffversorgung. Der andere strangulierte sich fünf Wochen später mit seiner
Nabelschnur. Grifo reagierte auf Kritik aus Fachkreisen mit dem Trotz eines unverstandenen
Visionärs: Die Todesfälle seien auf normale Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft
zurückzuführen. Die Technik bleibe vielversprechend.
Der ethisch umstrittene Forschungstourismus zwischen Industrie- und Schwellenländern hat
System. Nachwuchswissenschaftler aus China und anderen Schwellenländern kommen zur
Ausbildung nach Nordamerika und Europa. Dort lernen sie die Vielfalt der biomedizinischen
Forschung kennen samt ihrer rechtlichen und ethischen Beschränkungen. Nach ihrer Rückkehr
reißen die Verbindungen nicht ab, zum beidseitigen Nutzen. So ist ein dichtes Netzwerk
entstanden, das wenig transparent und kaum kontrollierbar ist.
Seine Beziehungen zu China nutzte James Grifo, um seine Karriere voranzutreiben. Das Land ist
bioethisch erheblich unterreguliert. Das Elend der Bevölkerung und eine teils zynische, teils
überforderte Politik luden smarte Karriereforscher geradezu ein, die Grenzen des Machbaren
auszureizen.
Dabei steht die globalisierte Biomedizin erst am Anfang ihrer internationalen Verwicklungen.
Die Affäre Grifo verdeutlicht nur exemplarisch den enormen Anreiz, ethisch problematische und
prozedural riskante Forschung in Schwellenländer auszulagern. Die Beteiligung von Medizinern
aus der biotechnisch entwickelten Welt an diesem ethischen Outsourcing rückt die Biomedizin
insgesamt in den Verdacht der Forschungspiraterie. Und die westliche Bioethik gerät ins
Zwielicht, nur als Deckmantel zu dienen.
Verhandeln hinter den Kulissen
Dem ethischen Ausverkauf beginnt China jetzt einen Riegel vorzuschieben. Mit seiner Erklärung
vom 13. Oktober erinnert das chinesische Gesundheitsministerium nicht nur an eine (etwas
kryptische) Verbotserklärung, die es bereits 1998 veröffentlicht hatte. Es widerspricht auch dem
chinesischen Forschungsministerium, das seit zwei Jahren eine Doppelstrategie favorisiert analog
zu manchen europäischen Ländern: das „reproduktive Klonen“ verbieten, das „therapeutische
Klonen“ unter Auflagen akzeptieren. Diese Linie verfolgte auch Chinas Vertreter Chen Xu bei
den gescheiterten UN-Verhandlungen um ein weltweites Klonverbot.
Der offene Dissens zwischen den chinesischen Ministerien findet vergleichbare Parallelen auch
in anderen Ländern. Bis heute gibt es für China keine nationale Regelung der
Embryonenforschung. Hinter den Kulissen verhandeln Politiker, Ethiker und Forscher über
mehrere Entwürfe. Die Ernennung der stellvertretenden Ministerpräsidentin Wu Yi zur
Gesundheitsministerin, die als „eiserner Besen“ die Sars-Krise bereinigte, hat ihr Ministerium
politisch stark aufgewertet. Schon die bloße Veröffentlichung des Gesundheitsministeriums
deutet einen Richtungswechsel an.
Tatsächlich ist der biotechnische Enthusiasmus der chinesischen Regierung durch die
ernüchternde Bilanz der medizinischen Genetik abgekühlt. Zugleich versucht sie verspielte
Sympathien wettzumachen. Die chinesische Bevölkerung folgt moralisch eher der konservativrestriktiven Linie der Gesundheitsministerin. Die neue Regelung, die noch nicht parlamentarisch
legitimiert ist, verbietet unter anderem pauschal jede Form des Klonens von Menschen. Gleiches
gilt für die Manipulation der Keimbahn. Die Reproduktionsforschung an Eizellen und Spermien
soll strenger kontrolliert werden. Der Handel mit Keimzellen, dem Rohstoff für viele Projekte,
wird untersagt. Ethisch problematische Forschung ist nicht förderungsfähig.
Die chinesischen Wissenschaftler könnten sich mit den restriktiven Vorgaben womöglich
anfreunden: Hauptsache, ein klares Gesetz beseitigt die Ungewissheit, lautet der Tenor in
Forscherkreisen. Niemand will, dass China bedenklicher Forschung juristische Schlupflöcher
bietet, schon gar nicht, wenn mögliche Gewinne ins Ausland abwandern.
Für die internationale Bioethikdebatte entsteht so ein überraschendes Szenario globaler
Biopolitik. Denn China folgt mit der sich abzeichnenden allgemein gültigen Regulierung nicht
dem amerikanischen Beispiel der Trennung von stark reglementierten öffentlichen und „freien“
Bereichen der privaten Forschung. Konservative Politiker und Ethiker könnten ausgerechnet in
China Verbündete finden. Die Forschungspiraten zeigen, wie notwendig globale ethische
Minimalstandards sind.
Der Autor, Sinologe und Philosoph, ist Mitglied der DFG-Forschergruppe „Kulturübergreifende
Bioethik“ an der Universität Bochum
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