Universität Panthéon-Assas Paris 2 Christina Kott Deutschkurse M1/M2 Deutsche Debatten, 1945­2011: Genetik, Bioethik, Embryonenschutz Bundesgerichtshof billigt Präimplantationsdiagnostik (1) Der Bundesgerichtshof hat Untersuchungen an künstlich befruchteten Eizellen auf genetische Defekte außerhalb des Mutterleibs für nicht straLbar befunden. Damit stützten die Bundes­ richter ein Urteil des Landgerichts Berlin, das einen Frauenarzt wegen der von ihm vorgenommenen Präimplantationsdiagnostik freigesprochen hatte. Ausdrücklich verwiesen die Richter darauf, dass mit dem Urteil keine Billigung der Selektion von Embryonen ausgesprochen worden sei. Vielmehr sei der Gesetzgeber nun gefordert, Präimplantationsdiagnostik zuzulassen oder zu verbieten. Im konkreten Fall hatte ein Berliner Arzt befruchtete Eizellen auf genetische Auffälligkeiten untersucht und nur die nicht mit Gendefekten behafteten Eizellen eingesetzt. Die restlichen Embryonen ließ er absterben. Um sein Vorgehen juristisch klären zu lassen, zeigte sich der Mediziner anschließend selbst an. Der Humangenetiker Wolfram Henn fordert für Deutschland die Einführung von vorgeburtlichen Kontrollen auch für außerhalb des Mutterleibs befruchtete Eizellen unter strengen Kontrollen. Grundlage für Voruntersuchungen von Embryonen vor dem EinpOlanzen seien AuOklärung, Beratung und eine Begrenzung der Untersuchungen auf schwerwiegende Erkrankungen. Eine Kommission solle darüber wachen, dass die Voruntersuchungen nicht für die Geschlechterwahl missbraucht würden, erklärte der Mediziner. Die sogenannte In‐Vitro‐Fertilisation sei ohnehin für die Frau körperlich sehr belastend und bedürfe einer genauen Abwägung. Im Vorfeld des Urteils warnte Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, vor einer möglichen Selektion zugunsten von Wunschkindern. 6.7.2010 © 2011 Deutschlandradio die Präimplantationsdiagnostik - diagnostic préimplantatoire billigen - avaliser, sanctionner der Embryo, die Embryonen - embryon(s) die Zelle - la cellule die Eizelle - lʼovule die befruchtete Eizelle - lʼovule fécondé das Ungeborene - lʼenfant qui nʼest pas encore né die künstliche Befruchtung - fecondation in vitro der Mutterleib - corps de la mère die Gebärmutter - lʼuterus die Auffälligkeit - hier: lʼanormalie vorgeburtlich - prénatal die Abwägung - examen, comparaison die vererbbare Krankheit - maladie génétique die (genetische) Veranlagung - la prédisposition génétique die Abtreibung - avortement der Fötus (Pl. die Föten) - le foetus Contra Nach Ansicht der Gegner ist bereits durch die künstliche Befruchtung Leben entstanden, das den vollen Anspruch auf die Grundrechte hat und dessen Würde geschützt werden muss. Mit der Auswahl nur gesunder Embryonen mache sich der Mensch demzufolge zum Herrn über das Leben, lautet zum Beispiel die Kritik der Kirchen, und lebende Behinderte würden verunglimpft. Darüber hinaus besteht die Sorge, dass durch eine Lockerung der Gesetzgebung nach und nach dem "Baby nach Maß" Tür und Tor geöffnet werden. Pro (1) Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) versteht man Gentests an Embryonen, bevor sie in die Gebärmutter eingepflanzt werden: Sie sind durch In-Vitro-Fertilisation entstanden, also durch künstliche Befruchtung. Dafür wird eine Zelle des Embryos entnommen. Das Genom wird auf Genmutationen oder ChromosomenAnomalien untersucht. Dies geschieht meistens auf Wunsch von Eltern, die selbst an einer vererbbaren Krankheit oder Behinderung leiden oder zumindest die Veranlagung dafür haben und vorher wissen wollen, ob ihr Ungeborenes auch davon bedroht sein könnte. Nach der PID wird nur ein Embryo ohne Auffälligkeiten in die Gebärmutter eingepflanzt. Die anderen Embryonen werden vernichtet. Da eine PID in aller Regel auf Betreiben von Eltern durchgeführt wird, die selbst Träger einer Erbkrankheit sind oder die genetische Veranlagung dafür besitzen, werden nur die in Frage kommenden Krankheiten an den Embryonen getestet. Ein Verbot der PID würde Frauen zu Schwangerschaften zwingen, die dann bei Feststellung von schweren Krankheiten des Fötusses durch Abtreibung beendet würden. Dies würde die Paare unnötig belasten. Die Gefahr einer Selektion nach anderen Kriterien (z.B. Geschlecht) ist unbegründet. Eine Ethik‐Kommission soll Missbrauch verhindern und über jeden Fall einzeln entscheiden. Universität Panthéon-Assas Paris 2 Christina Kott Deutschkurse M1/M2