als einen Embryo in vivo? Ich halte es für

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001
Dr. Carola Reimann
(A) als einen Embryo in vivo? Ich halte es für fragwürdig,
befruchtete Eizellen außerhalb des Körpers unter einen
höheren Schutz zu stellen als Embryonen im Mutterleib.
Vor der Nidation, also vor der Einnistung der Eizelle in
der Gebärmutter, besteht für natürlich entstandene Embryonen kein Schutz. Gängige Verhütungsmethoden wie
die Spirale verhindern die Einnistung des entstandenen
Embryos im Körper der Frau und sind gesellschaftlich
breit akzeptiert. Bei einer natürlichen Schwangerschaft
beginnt der Schutz des Embryos erst mit dem Zeitpunkt
der Nidation. Betrachtet man nun Embryonen in vivo und
in vitro unabhängig vom Zeitpunkt dieser Nidation, so
kann man § 218 meiner Ansicht nach nicht außer Acht lassen. Es stellt sich die zusätzliche Frage, ob wir Embryonen zu einem frühen Zeitpunkt, nämlich unmittelbar nach
der Befruchtung und noch vor der Einnistung in der Gebärmutter, bei Androhung von Strafe stärker schützen
sollten als solche Embryonen, die schon einige Wochen
alt sind und deren Abtreibung zwar nicht erlaubt ist, aber
unter den Voraussetzungen des § 218 straffrei bleibt. Im
täglichen Leben nehmen wir ein differenziertes Lebensschutzkonzept hin. Ich warne davor, eine Ethik zu fordern, die von niemandem gelebt wird und auch von niemandem gelebt werden will. Das führt geradewegs zu
einer Doppelmoral.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
F.D.P.)
Lassen Sie mich einen Aspekt nennen, der auch mir in
der Diskussion immer wieder zu kurz kommt, nämlich die
Position der Frau. Die Rolle der Frau reduziert sich häufig auf ein diffuses Schwangerschaftsumfeld. Man kon(B) zentriert sich stark auf das Potenzial der befruchteten Eizelle, ohne ausreichend zu berücksichtigen, dass die
Realisierung dieses Potenzials von einer Frau abhängig
ist. Meiner Ansicht nach kommt der Frau deshalb eine
Schlüsselposition zu. Die Rechte des Embryos müssen
deshalb gegen die Rechte der Frau abgewogen werden,
ähnlich wie wir das bei § 218 bereits tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet es,
wenn die PID gänzlich verboten bleibt? Eine Frau, die
trotz problematischer Familienanamnese einen Kinderwunsch hat, erhält keine Möglichkeit zur PID. Bei einer
natürlich entstandenen Schwangerschaft wird aber sehr
wohl getestet, ob genetische Veränderungen vorliegen.
Die Frau wird zu einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft vor die Entscheidung einer möglichen Abtreibung
gestellt. Das bedeutet: Frauen, die trotz bekannter Erkrankungen in der Familie nicht auf Kinder verzichten
wollen, müssen sich als Gebärmutter auf Probe benutzen
lassen. Das halte ich für frauenverachtend.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der
CDU/CSU und der F.D.P.)
Das wird den Frauen und auch den Paaren mit problematischer Familienanamnese nicht gerecht.
Das Gleiche gilt für den Vorwurf der Leichtfertigkeit,
der in der Diskussion immer wieder mitschwingt. Ich
glaube, dass gerade Paare, die sich aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte einer genetischen Beratung unterziehen, das aus einem Gefühl der Verantwortung heraus tun
und ihre Situation sehr wohl reflektieren.
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Ich plädiere deshalb für eine Zulassung der PID in en- (C)
gen Grenzen, die berücksichtigen, dass viele in unserem
Land Angst vor der Zeugung von Menschen nach Maß
haben. Ich glaube aber, wir brauchen eine klare gesetzliche und keine standesrechtliche Regelung, in der die Bedingungen, unter denen wir die Präimplantationsdiagnostik zulassen wollen, sehr genau definiert werden. Zu
diesen Bedingungen gehören für mich eine professionelle
psychosoziale Beratung und natürlich eine Begrenzung
auf Erkrankungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der
CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Stöckel.
Rolf Stöckel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Keuner fragt in einer Geschichte von
Bert Brecht: „Wäre es nicht besser, die richtigen Fragen
zu stellen, als so zu tun, als hätten wir immer schon die
richtigen Antworten?“
(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke
[PDS])
Es geht mir wahrscheinlich wie den meisten, die diese so
wichtige Debatte bis jetzt verfolgt haben und keine Fachleute sind: Ich habe noch viele Fragen. Ich meine wie auch
Kollege Kues, dass wir alle, als Abgeordnete, aber vor allem als mündige Bürgerinnen und Bürger, die Antworten
und Entscheidungen nicht allein den Spezialisten und erst (D)
recht nicht den Vertreterinnen und Vertretern allein selig
machender endgültiger Wahrheiten überlassen dürfen.
Ich weiß auch nicht wirklich, was zum Beispiel die
Menschen in meinem Wahlkreis über Gentechnik wissen, denken und was sie sich von ihr erhoffen, wie sie
zukünftig leben wollen und vor allen Dingen, wovor sie
der Staat schützen soll. Was ist für sie Menschenwürde
und menschliches Leben? Ich meine aber zu wissen, dass
sich die Mehrheit von ihnen das im 21. Jahrhundert nicht
mehr von Kirchenvorständen, Zentralkomitees oder von
wem auch immer vorschreiben lassen will.
Ich bin eher zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es in Deutschland zwischen den Menschen
verschiedener Religionen, Lebenssichten und auch der
Wissenschaft viel mehr ethische Gemeinsamkeiten gibt,
als die bisherige Debatte glauben macht, und zwar sowohl
bei der Achtung der Menschenwürde, bei der Haltung gegen Ökonomismus, gegen Diskriminierung und Rassismus wie auch bei Eingriffen in die persönliche informelle
Selbstbestimmung durch Zwangsgentests.
Ich bin deshalb Roman Herzog – er ist schon zitiert
worden – für seinen Beitrag dankbar. Er hat als Katholik,
ehemaliger Bundespräsident und als renommierter Verfassungsrechtler nicht nur gesagt, dass das Recht der
Erbkranken, durch weitere Forschung gerettet zu werden, auch den Wert menschlichen Lebens auf seiner Seite
hat, sondern will bei der „totalen Absolutstellung des ungeborenen Lebens in einer Gesellschaft, die beim ,ferti-
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